Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Von Saïrd nach Dschesireh

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Bitlis. Saïrd. Der Bohtan Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen
von Paul Müller-Simonis
Dschesireh. Von Dschesireh nach Mosul
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Neunzehntes Kapitel.
Von Saïrd nach Dschesireh.
Von Saïrd nach Balak. Abreise von Saïrd; Abstieg in das Thal des Bohtan-Su; das Thal des Bohtan. Erinnerungen an Xenophon, Balak. Von Balak nach Bisina. Der Tigris. Eine türkische Brücke. Die Schluchten des Tigris. Bisina. Von Bisina nach Fenndück. Khesta. Das Klettern von Khesta nach Fenndück. Überschwemmung. Fenndück. Von Fenndück nach Mansurineh; eine Lichtung; die Vegetation; ein Blick auf die Ebene von Mesopotamien; eine Oase von Oleanderbäumen; wechselnder Charakter der Vegetation. Finnik; das Delta des Tschamseitun. Mansurineh. Von Mansurineh nach Dschesireh; wieder Regen. Der Khan von Dschesireh; eine Schiffbrücke über den Fluß; langes Warten.
8. Dezember. Abreise 8 Uhr 50 Minuten.


Gestern kurz vor Abend wurde uns angekündigt, daß wir doch Zabtiehs haben könnten.

Am Morgen standen wir frühzeitig auf, um an dem Feste der unbefleckten Empfängnis Mariä vor unserer Abreise doch wenigstens das heilige Meßopfer darbringen zu können.

Mit Tagesanbruch stellten sich unsere zwei Zabtiehs auch richtig ein. Der ältere, Hadschi Ali, ist eine Art Mulatte, dessen Intelligenz ziemlich beschränkt scheint. Im Augenblick der Abreise schickte der Mutessarif zwei Offiziere, um uns noch einmal zu begrüßen.

Das Wetter, das am Tage vorher noch schön war, schien wieder anders zu werden. Aber wir konnten darauf keine Rücksicht nehmen, da wir uns eben in der schlechten Jahreszeit befanden.

Der Weg steigt langsam bergan bis zum Gipfel der Hügel, die Saïrd von dem Bohtan-Su trennen. Ungefähr drei Viertelstunden von der Stadt beginnt der Abstieg. Da die Hügel senkrecht in das Thal abfallen, wird dieses Absteigen an manchen Stellen gefährlich; man nennt den Weg Akrabi oder Skorpion. Der Weg geht im Zickzack an den Hügeln vorbei; um ihn herstellen zu können, hat man bedeutende Arbeiten ausführen müssen. Aber da in der Türkei nichts unterhalten wird, so ist der Weg an manchen Stellen fast ganz verschwunden, wodurch die Passage sehr erschwert wird.

Das Thal des Bohtan-Su, dessen rechtem Ufer wir entlang gingen, ist prächtig; es erinnerte mich an die Schluchten des Doubs zwischen Montbéliard und Besançon; aber hier ist die Einsamkeit großartiger und dieses Schweigen der Natur gleichsam doch beredt. Bald wird die Schlucht noch enger und der Weg noch schlechter. An gewissen Stellen hat eine vorsorgliche Verwaltung – ohne Zweifel vor sehr langer Zeit – Löcher in den Felsen höhlen lassen, um den Pferden ein Ausruhen zu ermöglichen, ohne daß sie auf den im Laufe der Jahrhunderte geglätteten Steinen ausgleiten. Längs des Weges wachsen verkrüppelte Feigenbäume, Sträucher von Terpentinbäumen und einige wilde Granatbäume.

Drei Stunden von Saïrd machte unsere Karawane in einer großen, künstlich ausgehöhlten Grotte Halt, die sich in einem Kalkfelsen befindet. Die Grotte ist ähnlich angelegt wie die kurdischen Häuser. Eine mittlere Terrasse dient als Wohnung und ist von einem Pferdestall umgeben. Die Grotte war unbewohnt; wahrscheinlich hat sie früher als Khan gedient.

Eine Strecke von dieser Grotte entfernt wird das Thal allmählich breiter, und der Bohtan-Su nimmt auf der linken Seite einen Zufluß auf. Auch die Zusammensetzung des Terrains wechselt hier vollständig; die Ufer des Flusses bestehen aus sehr großem Trümmergestein, dessen obere Lagen im allgemeinen auf ziemlich verwitterten Steinschichten ruhen. Durch die Verwitterung dieser untern Lagen bilden sich an manchen Orten große natürliche Grotten. Wenn diese Verwitterung einmal weiter vorgeschritten sein wird, werden die oberen lagen der Felsen zusammenbrechen und ein Gerölle mit fremdartigem Aussehen bilden, in dem das Auge die Ruinen einer alten Stadt zu erkennen glaubt.[1]

Gegen zweiundeinhalb Uhr erreichten wir das Ufer des Flusses, wo ein armseliges Boot unser wartete; denn an der Stelle wird man über den Bohtan-Su gesetzt. Der Fluß kann kaum durchwatet werden, da er ziemlich breit und tief ist. Xenophon, der hier mit seinen Zehntausend vorbei mußte, wird der Übergang sicher noch schwerer geworden sein. Durch diese klassische Erinnerung wurde unser Mut wieder gehoben, so daß wir das lästige Geschäft dann endlich unternahmen. Zunächst wurden die Pferde von der Last befreit und die lasten übergesetzt. Dann mußten die Pferde, die durchaus keine Neigung zur Schiffahrt zeigten, in die Barke geschafft werden. Aber dies ging nicht so leicht. Der Boden der Barke steigt nach den Enden zu an und liegt dort wenigstens 60 Centimeter höher als in der Mitte. Eine Brücke, die zu der Fähre benützt werden könnte und über die wir die Tiere hätten führen können, existierte nicht. Unsere Pferde sollten also – so lautete wenigstens das Programm – einen Anlauf nehmen und in die Barke springen. Aber keines wollte das Experiment zuerst wagen; alle erschraken, bäumten sich und schlugen hinten aus. Wir waren schließlich gezwungen, das Tier ganz langsam an die Barke zu führen und setzten ihm dann einen Fuß auf die Barke; in demselben Augenblicke wurde die Beweisführung am hinteren Teile wirklich schlagend, während von vorne ein Mann in der Barke aus allen Kräften an dem Halfter zog.

Bei dem dritten oder vierten unfruchtbaren Versuch zu widerstehen, entschloß sich das Tier dann gewöhnlich zum Sprung. Dieses Verfahren geschah bei zwölf Pferden, was uns alle sehr anstrengte. Um die Annehmlichkeit noch zu erhöhen, fing es auch noch an zu regnen. Nach vier Reisen über den Fluß waren Menschen und Tiere übergesetzt, und es war nichts weiter mehr zu thun, als das Gepäck wieder aufzuladen. Ich kann den Fuhrleuten das Zeugnis nicht versagen, daß trotz der Einfachheit ihrer Barke und ihrer Ruder die Leute ganz gut fuhren.

Das Wasser des Bohtan-Su ist hier sehr schwefelhaltig. Das linke Ufer des Flusses, wo wir uns nach der Überfahrt befanden, ist eben; eine hohe Felsenklippe von dem bereits geschilderten Gestein hängt über das rechte Ufer. Ein wenig thalabwärts zeichnen sich durch den Reflex auf dem Flusse die Ruinen einer schönen Brücke ab, die ehemals den Bohtan-Su überspannte. Soviel man noch feststellen kann, bestand die Brücke aus acht Bogen.

Kurze Zeit, nachdem wir über den Fluß gesetzt hatten, verließen wir seine Ufer und bemerkten von weitem seine Mündung in den Bitlis-Tschaï. Der Pfad durchschneidet dann ein dorniges Gebüsch, das Hyvernat als Cystenrose bestimmte. Die verkrüppelte Vegetation ist unwirtlich und bietet einen traurigen Anblick.

Eine kurze Strecke weiter kommt der Pfad wieder zu dem Flusse, der hier ungefähr so breit ist wie die Seine und sehr rasch fließt.

Ankunft 6 Uhr.

Beim Einbruch der Dämmerung kamen wir in einen wirklichen Wald von hohen, dünnen Gräsern, deren drei Meter hohen Stengel anmutig mit einem Strauße gekrönt ist. Endlich kamen wir in Balak an, wo wir während der Nacht blieben; es ist dies ein kleines kurdisches Dorf an dem Ufer des Bohtan-Su.

Am andern Tage sollten wir die Ufer des Tigris sehen. Kaum eine Stunde waren wir noch von ihm entfernt, und wir konnten schon deutlich die tiefe Spalte sehen, durch die der Fluß zieht. Das Thal des Tigris mit seinen biblischen Erinnerungen war für mich gleichsam das Hauptziel der Reise, und der Abend ganz mit einer poetischen Erwartung ausgefüllt.

9. Dezember. Abreise 9 Uhr.

Leider hatte die Nacht durch die Ströme eines sündflutlichen Regens die ganze Poesie verscheucht. Gegen neun Uhr morgens hörte es ein wenig auf, und wir setzten uns in Bewegung.

Der leicht aufsteigende Weg erlaubte uns, die Nähe des Zusammenflusses der beiden Flüsse Tigris und Bohtan-Su zu ahnen. Da unmittelbar nach diesem Zusammenfluß der Tigris einen großen Bogen beschreibt, durchschneidet der Pfad diesen Bogen und führt über eine Hügelkette. Schließlich war der Pfad nichts mehr als eine Schlammpfütze, in der sich eine Menge Kieselsteine befanden, und wo die Pferde nach Vergnügen durch den Kot wateten.

Endlich erblickten wir zu unsern Füßen unten zwischen steile Felsen eingeengt den Tigris, dessen Wasser mit lautem Gemurmel dahinfließt. Dieser reißende

Überfahrt über den Bothan-Su.

Strom führt viel Schlamm mit, und seine Farbe hat Ähnlichkeit mit der gelben

Sienafarbe.

Um die Ufer zu gewinnen, mußten wir eine schwierige Berggegend hinab steigen. Ein kleiner Khan[2] hatte in einer Ecke unter den Felsklippen seine Zuflucht gesucht; einige Schritte weiter stürzte sich ein Bergstrom mit gelbem Wasser und ganz von dem Regen angeschwollen in den Tigris. Ich fragte mich mit einiger Unruhe, wie wir wohl über den Fluß setzen würden, als ich, halb durch die Felsen verdeckt, eine Brücke in sehr gutem Zustande bemerkte. „Hier setzt man gar nicht über,“ erklärten die Zabtiehs ganz lakonisch. Statt einer weitern Aufklärung lächelten sie bloß und führten die Karawane an das Ufer des Flusses, den wir darauf durchwateten, allerdings mit großer Mühe. Als wir auf dem jenseitigen Ufer waren, fand ich auch die Erklärung des Geheimnisses. Die von dieser Seite zugängliche Brücke stößt mit dem entgegengesetzten Ende wider eine Wand von absolut senkrecht abfallenden Felsen; aber von einem Wege, um dorthin zu kommen, ist keine Spur. Unsere Leute, die sich nicht durchnaß machen, sondern die Brücke benutzen wollten, mußten zunächst einen großen Umweg machen, um den Gipfel des Felsens zu erreichen, und sich dann einen Weg bahnen, um bis zur Brücke zu kommen. Wer kann, mag den Grund zu einer solch thörichten Einrichtung erklären, ich verzichte darauf.

Der Regen fiel unaufhörlich.

Zwei Pfade führen an dem Flusse vorbei; der eine, der bei Hochwasser gebraucht werden muß, geht in der Höhe in phantastischen Zickzackformen um die Berge herum; der andere, der bei niedrigem Wasserstande benutzt wird, geht an dem Ufer vorbei; dem Anscheine nach konnten wir diesen einschlagen, da das Wasser nicht sehr hoch ging. Das Hochwasser des Tigris muß schrecklich sein, nach den Trümmern zu urteilen, die es in dem Gebüsch ungefähr zehn Meter über unsern Köpfen zusammengedrängt hatte.

Der Tigris ist hier nicht so breit wie der Rhein in dem Binger Loch; er treibt meist zwischen hohen Kalkfelsen hindurch, die eine üppige Vegetation von mancherlei Gestrüpp aufweisen. Der von Tag zu Tag nach den Launen des Wassers wechselnde Pfad ist nichts weiter als ein erbärmlicher Fußsteig, wo mit Absicht eine Menge Steine umhergestreut zu sein scheinen.

In der Höhe von Tschellek, das auf dem rechten Ufer seine Hütten malerisch an dem Fuße eines Felsen gruppiert hat, ist der Fluß nicht mehr so eingeengt; zu unserer Linken gewährte uns ein halb verfallener Khan während einiger Augenblicke Schutz vor dem Regen. Vor uns hoben sich in dem Nebel noch unbestimmbare Anhäufungen von Bergen mit bizarren Formen ab; es sind dies die letzten Ausläufer des Masius, die hier wie mächtige Mauern senkrecht in den Felsen abfallen.

In jenen Tagen war der Tigris ein wenig gestiegen; plötzlich verlor sich der Pfad in dem Wasser, um einige hundert Meter weiter wieder sichtbar zu werden. Bekir Agha wollte das Terrain sondieren, fand aber die Passage durch das Wasser für uns zu gefährlich; wir mußten also auf der Stelle umkehren und einen andern Pfad suchen. Auf diesem erreichten wir nach angestrengtem Klettern den Gipfel eines Felsens und kamen dann nach mancherlei Stürzen glücklich wieder an den Fluß. Auf diesem Abstieg sind Löcher ausgehöhlt, worein die Pferde die Füße setzen können; aber alles war so steil und durch den Regen so schlüpfrig geworden, daß das Gepäck von einer Seite des Felsens wider die andere stieß, so daß wir uns fast wundern mußten, als wir unten ankamen, daß kein Mensch und kein Tier dadurch tot geblieben war. Eines von unseren Pferden hatte sämtliche Hufeisen verloren; zum Glück hielten zwei Felsspitzen das Gepäck aufgefangen, so daß das Pferd in der Luft hing und von unseren Leuten wieder auf die Beine gebracht werden konnte. Ohne diesen gefälligen Felsen hätten wir wohl ein Unglück zu beklagen gehabt.

Allmählich wurde es Abend; den ganzen Tag über waren wir in der Wüste gereist. Auf dem rechten Ufer liegen einige Dörfer in den Felsen verborgen; unser Ufer, das nur Ruinen aufweisen kann, entspricht der Landschaft Kurdistans völlig. In der absoluten Stille hört man nichts weiter als das Murmeln des Flusses; das geringste Geräusch, ein Wort u. dgl. weckt an den Felsenklippen ein vielfaches Echo. Diese verlassene und trübe Landschaft an einem Flusse, der berufen zu sein scheint, überall Leben hervorzuzaubern, ist großartig und zugleich traurig.

Ankunft 6 Uhr abends.

Als aber die Nacht hereinbrach, drängte sich uns eine sehr wichtige praktische Frage auf: wo sollten wir schlafen? Fenndück war noch sehr weit entfernt, und die Zabtiehs zeigten sich sehr unwissend in geographischer Hinsicht. Wir nahmen mit dem alten Hadschi-Ali die Spitze der Karawane ein, und nach vielem Waten im Schlamm, nach anstrengendem Klettern und Marschieren, kamen wir endlich zu dem armseligen Dörfchen Bisina, das hoch oben an einem felsigen Vorgebirge hängt. Man würdigte uns kaum einer Aufnahme, wir waren inmitten einer wahren Wildnis. Der Chef des Dorfes hat ein sehr grausames Aussehen; einen richtigeren Kurden kann man sich kaum vorstellen. Da wir ganz durchnäßt waren, so trockneten wir uns an seinem Heuer, während er uns gegenübersaß und seine Pfeife rauchte, wobei er uns sehr argwöhnisch betrachtete.

Nachdem eine Stunde verflossen war, war unser Gepäck noch immer nicht angekommen; entweder hatten sich unsere Leute verirrt oder waren ausgeplündert worden. Wir schickten Leute des Dorfes aus, um nach dem Gepäck zu suchen; aber da sie halb gegen ihren Willen gingen, so kehrten sie auch bald unverrichteter Sache zurück. Da sie nicht sonderlich durchnäßt waren, was sie eigentlich dem Wetter nach hätten sein müssen, so kam ich auf den Verdacht, daß sie ihre Nachforschungen nur bis zu den letzten Häusern des Ortes ausgehnt hatten.

Was sollten wir machen? Trotz unserer Unruhe mußten wir uns bis zum Tage gedulden und versuchen, etwas Nahrung für uns und unsere Pferde zu erhalten. Nach langem Hin- und Herreden entschloß sich der Chef, unseren Pferden etwas Gerste zu geben und uns ein bißchen Käse zu servieren, in den die Kurden nach ihrer Gewohnheit die Finger abdrücken, ferner Brot und eine Art Weinbeerenmus, das ganz gut schmeckte, wenn man nur die Gewißheit hätte, daß es reinlich bei der Zubereitung hergegangen hätte. Um unser Malheur noch zu steigern, mangelte uns auch der Tabak.

Wir streckten unsere Füße am Heuer aus und schliefen, so gut es eben anging. Gegen Mitternacht kam endlich ein Eilbote von Huschanna. Unsere Karawane hatte sich verirrt und war mit allem in einem benachbarten Dorfe angekommen. Alles war in Sicherheit und in gutem Zustande; am folgenden Morgen konnten wir wieder zu unserer Karawane stoßen.

10. Dezember.

Mit Tagesanbruch erreichten wir unsere Gesellschaft wieder drei Viertelstunden unterhalb Bisina. Das Dorf Khesta, wo sie Unterkunft gesucht hatten, ist an dem Ufer des Tigris erbaut und hat ein bedeutendes Aussehen; auch hatten unsere Leute eine gute Aufnahme gefunden.

Weil Khesta nicht an dem gewöhnlichen Pfade liegt, so sind Gäste wie wir dort etwas Seltenes, so daß wir Aufsehen erregten. Die ganze Einwohnerschaft versammelte sich, um jede unserer Bewegungen zu beobachten. Die Einwohner zeigten sich sehr zuvorkommend; die Typen sind schön, einige sogar recht hübsch. Die Männer sind schlank und fein und besitzen wie die Frauen ein vornehmes, würdiges Aussehen. Ich glaube, dieses relative Glück des Dorfes rührt von der isolierten Lage des Dorfes her, wodurch dasselbe von lästigen Einquartierungen der Beamten auf ihren Reisen mit den tausenderlei Scherereien und Schandthaten verschont bleibt.

Auf einer Strecke von mehreren Meilen fließt der Tigris zwischen unzugänglichen Bergwänden dahin, so daß wir seinem Ufer nicht folgen konnten, sondern über die Berge von Fenndück ziehen mußten, um bei Fennik den Fluß wieder zu erreichen.

Um zehn Uhr fünfzehn Minuten reisten wir ab; zunächst kehrten wir zu dem Weiler Bisina zurück, und nach einem langen beschwerlichen Klettern durch die Felder erreichten wir den Pfad nach Fenndück.

Da wir, um dieses Dorf zu erreichen, bis zum Anfang eines sehr engen, von Seitenschluchten durchschnittenen Thales hinaufsteigen mußten, so führt der Pfad, um diese zu vermeiden, in bedeutender Höhe durch das Gebirge. Hier wurde es übrigens abscheulicher, als es jemals gewesen war. Das Pferd Huschannas war beinahe in eine Schlucht gefallen, und Huschanna hatte durch eine außerordentliche Anstrengung des Pferdes einen Kopfsprung gemacht, der zum Glück ohne schlimme Folgen blieb. Die Bäume sind schon spärlich hier, und überall sieht man Spuren von aufgegebenen Kulturarbeiten, die uns die Nähe eines Dorfes ankündigten. Und wirklich kamen wir bald an den Ruinen von Khuaran vorbei.[3] Gegu, der sich abmühte, eine Kette Feldhühner zu verfolgen, verlor sein Pferd. Während er mit den Zabtiehs dasselbe aufsuchte, kletterten wir schon weiter. Die Landschaft wäre großartig, wenn es nur aufhören wollte zu regnen.

Nachdem der Pfad den Paß erreicht hat, umgeht er noch in der Höhe ein kleines Thal und tritt dann in das Thal von Fenndück ein. Das Dorf liegt im Mittelpunkt eines schönen Kranzes von Bergen, die damals mit einer dünnen Schneelage bedeckt waren.

Ankunft 3 Uhr.

Das Haus des Chefs, das uns als Wohnung diente, ist gut. Aber die Zabtiehs hatten uns erst, nachdem sie Gegus Pferd aufgesucht hatten, am Eingange des Dorfes wieder eingeholt; wir waren darum nicht angemeldet worden, und es brannte auch noch kein Feuer; doch zündete man dieses in unserer Gegenwart an. Aber ein Feuer von nassen Reisern anzünden in einem Zimmer, das als Kamin bloß ein Loch im Dache hat, heißt gerade so viel, als einen Dachs aus seiner Höhle durch Rauch verjagen. Wir wußten keinen andern Rat, als daß wir uns flach auf die Erde legten. Nach Verlauf von zehn Minuten war alles in Ordnung, die Flamme brannte lustig, und wir konnten uns trocknen und mit unsern Wirten unterhalten.

Zu Seite 248. Eicheln aus Kurdistan.

Diese müssen abgehärtete Leute sein; denn wiewohl es nicht warm war, trugen sie doch eine sehr leichte Kleidung! Hosen von weißer Leinwand, über denen das Hemd getragen wird, dessen Ende, sowie auch das der Ärmel in lange Zipfel ausläuft; auf der Brust ist das Hemd ziemlich weit offen. Der Rücken und die Schultern sind durch eine Weste aus Ziegenfell geschützt, dessen Haare nach außen stehen. Die Kinder tragen den Kullak, eine Kappe von weißem Filz, die ihnen ein sperlingsähnliches Aussehen giebt. Die Männer fügen zu dem Kullak noch einen Turban; bei unserm Chef, der übrigens ein fideler Kerl war, erreichte der Turban eine außerordentliche Größe.

11. Dezember.

Während der Nacht war das Barometer um fünf Millimeter gestiegen, etwas Schnee lag auf den Höhen, und das Wetter versprach besser zu werden.

Unsere Katerdschis kamen wieder zu spät, aber diesen Fehler muß man übersehen, da sie sonst doch bei den schlechten Wegen sehr brauchbar waren.

Abreise um 8 Uhr.

Hinter Fenndück begann drei Stunden lang beinahe ohne Unterbrechung das schrecklichste Purzeln, daß man sich nur denken kann. Ab und zu hatten wir wohl eine Art von Pfad, aber im allgemeinen war es bloß eine Fährte inmitten der Felsen. Es ist unmöglich, diese Tour allein zu Pferde zu machen.

Die Vegetation ist immer noch aus isolierten Sträuchern zusammengesetzt; die am meisten vorkommende Art ist die kurdische Eiche (Quercus oophora), deren Blätter denen der Kastanien gleichen. Die Eicheln sind sehr groß. Ich habe eine gemessen: die Länge betrug 55 Millimeter und die Dicke 35 Millimeter. Man erzählt, daß die Kurden, die den Eicheln den Namen Hakraari geben, dieselben mit Sorgfalt sammeln und im Winter anstatt Brot verzehren.[4]

Der Pfad wird hier häufig gebraucht. Der anfänglich bedeckte Himmel klärte sich immer mehr auf, und von unserer Höhe aus genossen wir jetzt die erste, wunderbare Aussicht auf die Ebene von Mesopotamien; wir gewahrten an dem in die Sonne getauchten Horizont, der sich mit dem Himmel vereinigt, ein blaues Meer: die Wüste. Zu unseren Füßen hatten wir noch den letzten beträchtlichen Teil unseres Abstieges, während die ersten Stufen der Berge, welche die Wüste mit den wilden Schluchten des Tigris verbinden, sich in der Ferne in lange Hügelwellen verlieren.

Am Ende unseres Abstiege fand sich eine große Grotte, die, wenn sie nicht von Menschenhand ausgehöhlt wurde, doch davon einige Verbesserungen erhalten hat. Der Weg führte um mehrere Thäler herum, wo die Vegetation der Gebirge schon seltener zu werden anfängt. Bei einer Biegung des Weges konnten wir uns nicht enthalten, einen Schrei der Verwunderung abzustoßen. In ein vor rauhen Winden geschütztes, kleines Thal schleicht sich der Pfad ganz unmerklich durch dichte Oleandergebüsche; ein klarer Bach durchfließt das Thal in kleinen Wasserfällen, die im Sonnenlicht gar herrlich funkeln; in dem Gehölz verbirgt sich der Bogen einer ruinierten Brücke. Es war dieser Vorgeschmack des Südens eine gar köstliche Überraschung von wirklich poetischem Zauber für uns.

Der Charakter der Vegetation wechselt vollständig; der Lorbeerbaum kommt in den Thälern im Überfluß vor, während die Berge nackt stehen.

Bald erreicht der Pfad den Tigris wieder, der, hier nicht mehr in ein so enges Bett eingezwängt, viel langsamer fließt. Wir fragten unsern alten Zabtieh, wie weit wir noch bis Dschesireh hätten. Er antwortete: Iki butschuk saat – zwei und eine halbe Stunde. Diese Antwort hört man in jenen Gegenden sehr häufig, aber man muß sie übersetzen können; sie heißt nämlich auf deutsch: Ich weiß es nicht.

Eine Stunde später fragten wir wieder einen Mann nach derselben Entfernung; er bedeutete uns, daß es wohl noch eines Marsches von vier Stunden bedürfe, um dorthin zu kommen. Bloß ein Kurde gab uns auf unsere Frage eine vernünftige Antwort: „Ich habe keine Uhr,“ sagte er, „wie kann ich denn aber eine Entfernung nach Stunden angeben?“

Finnik liegt sehr schön an dem Ufer des Tigris in einer recht fruchtbaren Gegend; sehr beträchtliche Ruinen scheinen anzudeuten, daß es ehemals eine Stadt war. Ainsworth glaubte, in diesen Ruinen die von Ammianus Marcellinus erwähnten Ruinen der alten Stadt Phoenica zu erkennen.[5]

Ehe wir in Mansuriyeh ankamen, mußten wir das Delta des Tschamseitun (Wasser der Olivenbäume) durchwaten; dies Delta ist aus sechs Kanälen zusammengesetzt, in denen das Wasser lebhaft fließt. Das Thal scheint sehr bedeutend, und ich bin fest überzeugt, daß der Fluß einen längeren Lauf hat, als Kiepert auf seiner Karte anzeigt.

Mansuriyeh ist ein großes, beinahe ganz chaldäisches Dorf, das hoch oben an einem Felsvorsprung hängt, der senkrecht zum Tigris abfällt, Vom Tschamseitun ist es nur eine halbe Stunde entfernt.

12. Dezember. Ankunft 5½ Uhr abends.

Es war für uns nach den Regengüssen der letzten Tage eine angenehme Empfindung, einmal bei herrlichem Wetter reisen zu können.

Aber dieser Tag war nur ein freundlicher Lichtblick; denn gegen elf Uhr des Abends bedeckte sich der Himmel von neuem mit flockenartigen Wolken von verdächtigem Aussehen, und am folgenden Mittag begann wieder ein Platzregen. Da der chaldäische Pfarrer ausgesagt hatte, daß wir bis Dschesireh nur mehr eine Stunde hätten, so hatten wir auch keine große Eile, zumal wir noch immer hofften, das Wetter würde besser werden.

Während dieser Zeit machten wir eine weitere Bekanntschaft mit dem Süden oder vielmehr mit seinem Ungeziefer. Als wir des Abends in Mansuriyeh anlangten, hatten wir sofort unsere Unaussprechlichen auf zwei Mehltrögen zum Trocknen ausgebreitet; am andern Morgen fanden wir sie zu unserm Erstaunen buchstäblich mit länglichen, ziemlich dicken Insekten von weißlichem Aussehen bedeckt. Man sagte uns, es seien Hühnerläuse. Rasch wurde eine Jagd nach allen Regeln der Kunst veranstaltet, wobei uns die Leute mit großem Erstaunen zusahen, als ob sie nicht begreifen könnten, wie diese harmlose Tierchen uns in eine solche Aufregung versetzen konnten.

Abreise 8½ Uhr.

Da der Himmel sich nicht aufklären wollte, entschieden wir uns endlich für die Abreise. Nach anderthalbstündigem Marsch erreichten wir bei strömendem Regen, und selbstverständlich bis auf die Haut durchnäßt, den zerstörten Khan, der an einer Felsenklippe Dschesireh gegenüber liegt.[6]

Dschesireh, das auf dem rechten Ufer des Flusses liegt, war früher durch eine Brücke, wovon aber kaum noch eine Spur zu sehen ist, mit dem linken Ufer verbunden; eine kleine Strecke unterhalb der Stadt überspannte eine zweite große Brücke den Fluß; davon stehen noch einige Bogen. Heute geschieht die Verbindung durch eine Schiffbrücke. Wenn aber der Fluß ein wenig steigt, fährt man die Brücke vorsichtshalber ans Ufer, wie es auch damals geschehen war. Wie sollten wir in die Stadt kommen? Von einer Fähre war keine Spur, und die Barke, die, wie man uns sagte, das Übersetzen der Leute besorgen sollte, war vollständig unsichtbar. Wir konnten auch nicht weiter, da wir keine Lebensmittel mehr hatten, auch unsere Zabtiehs wechseln mußten und vor allem uns gerne trocknen wollten. Wir schrieen, feuerten Flintenschüsse ab, alles war umsonst. Wir mußten uns also gedulden und suchten eine Zuflucht in dem Khan, der freilich nichts weiter ist als eine Rumpelkammer; etwas zu essen aber hatten wir noch immer nicht.

Endlich kam eine kleine Karawane aus der Stadt, die zu unserm Ufer wollte; auch die Barke erschien. Jetzt hofften wir, an demselben Tage noch übergesetzt zu werden. Aber das Unternehmen wurde langweilig; bei jeder Reise über den Strom mußte die Barke eine große Strecke stromaufwärts gerichtet werden (A auf dem Plane S. 253), damit die Strömung die Barke nicht zu weit über den Punkt hinwegriß, wo wir landen wollten. Der Reise selbst fehlte durchaus der interessante Moment nicht, da der Fluß reißend und das Manöver infolgedessen schwierig war.

Kurdische Pistole und Patronentasche.

  1. Diese Lagen aus Trümmergestein finden sich auch an den Ufern des Tigris bis Dschesireh und darüber hinaus; sie überragen den Fluß bis zu einer Höhe von 20 bis 30 Metern. Da diese Felsen leicht der Verwitterung zugänglich sind, so lösen sich eingefügte Kiesel leicht los und bilden an verschiedenen Orten wahre Gestade von Kieselsteinen, wodurch der Marsch an dem Tigrisufer wesentlich erschwert wird.
  2. Dieser Khan ist ohne Zweifel der Khan Schebele. Kiepert hat ihn als Dorf verzeichnet; aber von einem Dorfe dieses Namens konnten wir keine Spur entdecken.
  3. Ainsworth (II. 352) spricht von zahlreichen Dörfern auf dieser Strecke. Was mag aus ihnen geworden sein?
  4. Deyrolle, „Tour du MondeXXXI, 375.
  5. Ainsworth, II. 348. Ritter in seiner Erdkunde XI. 122 richtet sich nach Ainsworth.
  6. Die Kiepertsche Karte ist betr. der Strecke von Saïrd nach Dschesireh sehr mangelhaft.