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Zwischen den Paschaliks von Diarbekr und von Mosul, deren Verbindungsweg es vollständig beherrschte, machte der Emir von Dschesireh der Hohen Pforte viel zu schaffen. Endlich war deren Geduld erschöpft und sie ergriff energische Maßregeln. Reschid Pascha bemächtigte sich der Stadt im Jahre 1836 und machte daraus einen Trümmerhaufen. Die heutige Stadt ist nur mehr ein großes Dorf, das auf und zwischen die Trümmer gebaut ist. Die Stadt zählt achthundert Häuser, darunter hundertzwanzig christliche.[1]

14. Dezember.

Am folgenden Morgen klärte sich der Himmel auf, und darauf hin befahlen wir, aufzubrechen. Aber die Karawane war um Mittag erst fertig, und da sah der Himmel schon wieder drohend aus.

Skizze der Lage von Dschesireh.

Wir mußten also von neuem den Tigris überschreiten. Der gewöhnliche Landungsplatz ist das steile Ufer unterhalb des Khanes; damit aber die durch das Regenwetter stark angeschwollenen Fluten die vorgeschichtliche Barke nicht weit über diese Stelle hinwegtragen, muß der Abfahrtspunkt weiter stromaufwärts verlegt werden (zum Punkte D). Das System ist schon sehr primitiv; aber es wäre nur halb so schlimm, wenn wir vom Hause des Bischofs in gerader Linie zu dem Orte der Einschiffung gehen könnten. Aber jetzt zeigte sich wieder so recht die türkische Wirtschaft.

Zwei Tage vorher war der Kanal, der Dschesireh umgiebt, noch beinahe ganz trocken, und man konnte ihn leicht durchwaten. Aber nun war er ganz mit Wasser angefüllt, so daß von einem Durchwaten desselben keine Rede mehr sein konnte. Da man große Mühe hatte, die einzige Barke der Stadt bis zu dem erwähnten Einschiffungsplatz zu schaffen, so blieb uns kein anderer Weg übrig, als die erwähnte baufällige Brücke zu überschreiten, dann den Kanal in einem weiten Umweg durch allen Schmutz zu umgehen, um auf diese Weise den „Quai der Einschiffung“ zu erreichen.

Während dieser Reise, die eine gute Stunde in Anspruch nahm, fing es wieder schrecklich zu regnen an, und dazu erhob sich ein heftiger Sturm. Unsere fünf Bootsleute erwarteten uns, indem sie halb erfroren waren; es mußte ihnen große Mühe gemacht haben, die Barke in dem teilweise gefrorenen Wasser bis dorthin zu lenken.

Aber jetzt standen wir vor einem neuen Hindernis. Die Karawane war zu groß, um in einem Male übergesetzt zu werden. „Wir können eure Pferde übersetzen oder auch euch mit dem Gepäck,“ sagten die Schiffer, „aber bei dem Stand des Flusses und dem schrecklichen Wind wird es uns nicht möglich sein, heute noch eine zweite Fahrt zu unternehmen.“ Die Leute hatten nur zu sehr die Wahrheit gesagt; der Sturm wurde noch stärker und das Tosen des Flusses schrecklich. Was

  1. Davon sind 55 chaldäisch, 15 syrisch, 40 jakobitisch und 10 armenisch-gregorianisch.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/275&oldid=- (Version vom 1.8.2018)