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wechseln zu können. Indessen erfüllten wir zunächst unsere Pflichten der Gesellschaft gegenüber. Aber nach Ablauf einer Stunde war der Diwan noch immer nicht leer. Wr wollten uns zurückziehen, um die nötigen Veränderungen in unserer Toilette vorzunehmen, als man uns zu verstehen gab, da das Haus sehr klein sei, so sei der Diwan eigentlich unser Zimmer, wo wir Herr und Meister wären. Es blieb uns denn auch nichts anderes übrig, als daß wir uns als solche betrachteten und begannen, unsere Kleider zu wechseln – aber niemand machte eine Bewegung, sich zu entfernen. Was sollten wir thun? Es blieb uns nichts weiter übrig, als diesen Wechsel vor dem Bischof und den Vornehmen ganz vorzunehmen. Die Sache kam ihnen ganz natürlich vor, und wir glaubten uns in das Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten, zu dessen bekanntem „lever“ versetzt.

13. Dezember.

Der Regen floß andern Tages in Strömen, weshalb der Tag mit angenehmem Geplauder und kleinen Spaziergängen zwischen gewaltigen Regengüssen verfloß.

Dschesireh kann sich ebenfalls eine Ruine nennen. Sein vollständiger Name – Dschesireh-ibn-Omar „Insel des Sohnes Omars“ – deutet auf eine verhältnismäßig junge Stadt mit mohammedanischem Ursprunge hin. Gewöhnlich aber nimmt man an, daß die Gründung der Stadt lange Zeit vor der Entstehung des Islams geschehen ist. Sie nimmt eine natürliche Terrasse ein und ist von den Hügeln durch eine kleine Ebene getrennt, die der Tigris sehr leicht überschwemmt. Der Gedanke, aus dem Plateau von Dschesireh eine Insel zu machen, lag sehr nahe, man brauchte nur einen Kanal aus dem Flusse um die Stadt zu leiten. In gewöhnlichen Zeiten ist der Kanal meistens trocken; unterhalb der Stadt führt eine Brücke über denselben. Gegenwärtig befindet sich diese Brücke in einem sehr kläglichen Zustande; von den Gewölben ist nichts mehr geblieben, von den Pfeilern sind auch schon einige aus der senkrechten Richtung bedeutend herausgekommen. Aber man benutzt sie doch noch, indem man einen unsicheren Boden aus schlecht gezimmertem Holze darauf gelegt hat. Nur mit Furcht kann man die Brücke benutzen, und dennoch ist sie der einzige Weg, der die Stadt mit dem Festlande verbindet.

Die Sage schreibt die Gründung der Festung Dschesireh den Genuesern zu, wie sie es bei fast allen Schlössern und festen Plätzen in Kleinasien thut; in Wirklichkeit sollen Festung und Mauern durch Omar den Abdulaziz, den achten Khalifen aus dem Hause der Ommiaden, gegründet worden sein;[1] heute sind nur noch die Ruinen davon vorhanden. Aber ihre Steinlagen, die aus schwarzem Basalt und weißem Kalkstein abwechseln, geben noch heute der Stadt ein merkwürdig zierliches und künstlerisches Aussehen.

Fürsten aus der Familie der Ommiaden zogen Nutzen aus der zunehmenden Schwäche der Khalifen und machten Dschesireh zu ihrer Hauptstadt.[2] Nach mancherlei Abwechselungen, nachdem sie von Timur eingenommen und ausgeplündert worden war, wurde sie der Zufluchtsort des kurdischen Emirs vom Bohtan.

  1. Barb, nach Scheref, Phil. hist. Klasse der Kaiserl. Akad. der Wiss. Wien 1859. Januarheft S. 30.
  2. Barb, 33 Kurdendynastien S. 9.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/274&oldid=- (Version vom 1.8.2018)