Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Von Tiflis nach Eriwan

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Tiflis und seine Umgebung Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen
von Paul Müller-Simonis
Eriwan und der Ararat. Unsere Vertreibung aus dem Aras-Thale
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Viertes Kapitel.
Von Tiflis nach Eriwan.
Trennung vom Doktor. Frau Verdi. Schichtung des Gepäcks. Die Abreise. Akstafa. Das Thal des Akstafa bis Delidschan. Der Indo-Europäische Telegraph. Das Besteigen des Kiomiorlü. Semenofka und der Paß des Kiomiorlü. Eintritt in Armenien. Wechsel der Landschaft. Der See von Sewenga. Besuch des Mosters von Sewenga. Elenofka und die Legende von Marco Polo. Akhla. Vertreibung eines Türken. Szene mit dem Postmeister. Unser Stiefelknecht. Ausflug nach Daraschitschak. Der General Schalikoff. Die Ruinen von Daraschitschak. Phontanka. Das Dreschen des Getreides. Mit Kieselsteinen beladene Schlitten. Der Ararat. Eriwan.
9. September.

Endlich nahte die Abreise, die für uns auch eine Trennung bedeutete, da der „Doktor“ nach Konstantinopel zurückkehren mußte. Noch manches Mal sollten wir ihn vermissen.

Vor unserer Abreise von Tiflis besuchten wir noch die Schwester Nathanaels, Frau Verdi (zu deutsch: Rose). Ihr Mann war, wie viele andere Chaldäer, nach Tiflis gekommen, um dort sein Glück zu suchen; aber er verschwendete all sein verdientes Geld. Seine Frau, die er mit ihren Kindern zu Hause gelassen hatte, machte sich endlich auf, da sie von allem entblößt war, und zog zu ihm nach Tiflis, um ihn zu überwachen. Dies war aber nicht nach dem Geschmack des Elenden, vielmehr suchte er seine arme Frau durch eine harte Behandlung zu veranlassen, nach Hause zurückzukehren. Frau Verdi ist eine kleine Person mit einnehmendem und sympathischem Äußern. Um uns alle Ehre zu erzeigen, legte sie ihren schönsten Schmuck an, das reizende chaldäische Kleid mit den weiten Ärmeln, auf den Schultern einen buntgestickten Tüllkragen, um den Kopf und bis zu den Schultern reichend einen Tüllschleier mit eingestickten Goldsternen.

Die Vorbereitungen zu unserer Weiterreise waren durchaus nicht leicht. Bis Akstafa wollten wir mit der Eisenbahn reisen. Von da ab sollte uns wahrscheinlich eine Kaliaska aufnehmen, während unser Gepäck in einer Perenladnoi befördert werden sollte. wir mußten deshalb, so gut wir konnten, überlegen, wie wir unser Gepäck aufeinanderschichteten, um die bei einer solchen Transportart unvermeidlichen Stöße in etwa zu paralysieren. Denn wer es nicht erlebt hat, kann sich keine Vorstellung von der Unordnung machen, die herrscht, wenn das Gepäck auf diese Weise etliche hundert Werste lang geschüttelt worden ist.

Der Eisenbahnzug von Batum nach Baku soll in Tiflis gegen zehn Uhr des Abends einlaufen. Aber in Transkaukasien fährt täglich in jeder Richtung bloß ein einziger Zug, und deshalb sind die Verspätungen unberechenbar. Das Gewühl in den Bahnhöfen spottet jeder Beschreibung und war auch wahrscheinlich schuld, daß wir einen unserer Koffer verloren, der u. a. unser Reisefernrohr, Bücher und Papiere enthielt. Wir bemerkten den Verlust erst in Akstafa, von wo aus wir nun verschiedene Depeschen vergeblich losließen.

10. September.

Nachdem wir gegen zwei Uhr des Morgens in Akstafa angekommen waren, war unsere erste Sorge die, irgend eine Ecke in dem Posthause zu entdecken, wo wir uns hinlegen konnten. Um sieben Uhr brachen wir auf nach Armenien.

Die Straße durch das Thal von Akstafa ist die Hauptstraße zwischen Tiflis, Armenien und Persien. Sie teilt sich in Delidschan. Der rechte Arm geht nach Alexandrapol und Kars, der linke überschreitet den Paß des Kiomiorlü (auch genannt Escheck-Meidan, zu deutsch: Eselsplatz) um Eriwan und das Thal des Aras zu erreichen.

Die Hügel fangen bei der Poststation in Akstafa an; bald nähern sie sich, und der Akstafafluß rinnt zwischen hohen Kalkschichten hindurch, welche die beiden steilen Abhänge des Thales bedecken, während die Hauptmasse bis zur Station Karawanserai doch vulkanischer Natur bleibt. Auf den nächsten Hügeln ist das Gras versengt, aber bald kommen wir zu bewaldeten Bergen, welche die Landschaft den unserigen ähnlich erscheinen lassen. Das Wetter war trübe.

An der Zollbarriere – auf allen gebauten Straßen muß bezahlt werden – wollte der Beamte uns um einen Rubel bestehlen. Ländlich, sittlich!

Die letzten vierzig Werste von Akstafan bis Karawanserai legten wir ziemlich rasch zurück, so daß wir in aller Ruhe auf dieser letzten Station zu Mittag essen konnten. Es blieb uns nur mehr eine Station zwischen Karawanserai und Delidschan, so daß wir dachten, pünktlich das Ziel zu erreichen; aber an der Poststation von Tarstschaisk gab es wieder, wie so oft, Aufenthalt, weil keine Pferde da waren. Wir mußten uns ruhig in unser Schicksal ergeben.

Von Karawanserai an ist die Landschaft wilder und das Thal enger geworden. An den Ufern des Flusses wachsen Ulmen, während die Abhänge der Berge mit Thuyas bedeckt sind. In dem englischen Kolumbien ist die Thuya die Königin der Wälder. Hier aber scheint sie langsamer zu wachsen; sie sieht bleicher aus, und ihr zerrissener Stamm ist nicht dazu angethan, die Schönheit der Landschaft zu erhöhen. Die Thuya ist übrigens der erste Nadelholzbaum, den wir im Kaukasus antrafen.

Zwischen den beiden ersten Poststationen sahen wir an demselben Tage auf den Drähten des Indoeuropäischen Telegraphs eine Menge smaragdgrüner Vögel, die uns später nicht mehr zu Gesicht kamen. Dieser Telegraph war nun unser Begleiter bis Dschulfa, das wir mit Einbruch der Nacht erreichten.[1]

11. September.

Am Morgen begann die lange Reise den Kiomiorlü hinauf inmitten der herrlichsten Buchenwälder; ein dicker Nebel, gepaart mit einer durchdringenden Kälte, erinnerte uns lebhaft an die Alpen. An der Poststation in Semenofka zeigte sich der Postmeister entgegen dem landesüblichen Brauch uns Fremden gegenüber sehr zuvorkommend und ließ uns sogar vor der Zeit abfahren.

Semenofka, Golovino, Delidschan, überhaupt fast das ganze Thal des Akstafa, sind von Dissidentenkolonien (Malakhanys) bewohnt. Zehn Minuten später erreichten wir den Paß des Kiomiorlü, der 2171 Meter hoch ist.

Dieser Paß bildet die geographische Grenze von Armenien. Armenien ist eines unserer Reiseziele; beim Überschreiten des Passes glaubten wir uns in eine neue Welt versetzt, so auffallend ist der Wechsel. Von jetzt ab passierten wir zwar mehr Wälder, genossen aber auch zugleich die wilde Rauheit der armenischen Gebirge.

Zu unsern Füßen breitet sich der See von Sewenga aus. Der Abstieg geschieht ungeheuer rasch. Der See selbst zeichnet sich durch seine hohe Lage aus. Er liegt nämlich 1932 Meter über dem Meeresspiegel, demnach über hundert Meter höher als der Rigi. Der See ist ganz von vulkanischen Bergen umgeben, ausgenommen nach Westen, wo ein Porphyrfelsen daran stößt. An seinen Ufern findet sich weder Baum noch Strauch, auch kein Dorf, ausgenommen auf einer kleinen Insel, wo einige Pappelbäume stehen, die hier zu den größten Seltenheiten gehören. Im Persischen heißt der See Derya-schnryn (süßes Meer), im Armenischen Kegham, die Russen nennen ihn Goktscha. Er ist der Lychnites des Ptolomäus. Von den neuern Reisebeschreibern ist Chardin der erste, der von dem See aus eigenem Anblick schreibt. Bis zu Anfang dieses Jahrhunderts ist er meist mit dem Wansee verwechselt worden, wozu wohl auch der Umstand beitrug, daß man die Kura mit dem Aras irrtümlich vertauschte, wie Le Bruyn es thut.

Bei dieser Jahreszeit stimmt der völlige Mangel an Grün die Landschaft sehr traurig, denn die Sonnenhitze hat alles versengt.

Der See von Sewenga ist ungefähr zweiundeinhalbmal so groß als der Genfer-See: dieser hat 573 Quadratkilometer, jener aber 1398 Quadratkilometer Oberfläche. An seinem großen Umfange giebt es nach der russischen Generalstabs-Karte bloß achtzehn Dörfer an dem Ufer des Sees. Und auch diese treten in dem ganzen Panorama nicht wesentlich hervor; zunächst sind sie klein und etwas verborgen, dann sind ihre Häuser aber auch niedrig und heben sich so wenig von dem Grau der Berge ab, daß das Auge auf den ersten Blick hin nur eine vollständige Wüste gewahrt. Das ganze Landschaftsbild macht durch die Nacktheit einen ungemein melancholischen Eindruck.

Das Kloster von Sewenga ist auf einer kleinen Insel errichtet, die ein wenig vom Ufer entfernt liegt. Die Insel ist kegelförmig und besteht aus vulkanischen Massen. Wir gaben Salven ab, um die Barke des Klosters dadurch herbeizurufen. Nach längerem vergeblichen Warten gab uns ein Vorbeikommender den Rat, bis zum Dorfe Tschamakapert zu gehen, wo wir ohne Zweifel die Barke antreffen würden. Der Geistliche des kleinen Dorfes empfing uns in sehr liebenswürdiger Weise; während man die Barke in stand setzte, bot er uns ein kleines Frühstück aus Yoghurt an. Yoghurt ist eine Art saurer Milch, deren Zubereitung später erwähnt werden wird.

Die Überfahrt von dem Dorfe zu der Insel macht einer guten Barke keine Schwierigkeit; aber bei unserer Barke mit ihren armseligen Rudern war es schon mehr ein Kunststück. Ein widriger Wind und das dadurch verursachte starke Schaukeln machten alle Anstrengungen der Ruderer vergeblich, so daß wir gezwungen waren, den Nachen dem Ufer entlang zu schleppen, bis wir der Insel gerade gegen über waren. Enten und Scharben sahen uns sehr erstaunt an und schienen an dergleichen Störungen nicht gewöhnt zu sein.

Die Gebäude des Klosters, die nur aus einem einfachen Erdgeschoß bestehen, bilden ein Trapez und sind mit Stroh gedeckt. Das Ganze macht einen armseligen Eindruck.

Die Mönche, georgische Armenier, sind einfache, gutmütige Leute. Sie erziehen unentgeltlich einige Kinder, was ihnen bei ihrer Armut aber kaum länger möglich sein wird.

Auf dem höchsten Punkt der Insel finden sich zwei alte Kirchen, die augenscheinlich öfters ausgebessert worden sind, aber doch kein besonderes Interesse einflößen können. Ganz an der Seite befinden sich die Ruinen des alten Klosters, die einige gut erhaltene in Holz geschnitzte Kapitäle aufweisen.

Die Mönche waren von unserem Besuche sehr erfreut und bewirteten uns. Das einzig Genießbare, was wirklich so genannt werden kann, sind Forellen, die hier im See massenhaft vorkommen und die an der Sonne getrocknet werden.

Das Kloster von Sewenga war im neunten und zehnten Jahrhundert sehr angesehen, was schon daraus hervorgeht, daß seine Vorsteher den Patriarchen von Etschmyadsin den Rang streitig machten.

In der ersten Zeit nach der Eroberung des Landes durch die Araber nahm Merwan, der später Khalife wurde, auf der Insel seinen Zufluchtsort, da er Armenien als „Osdigan“ verwaltete (742). Dem wilden Eroberer folgten die friedlichen Mönche und bauten aus den Ruinen seiner Festung ihr Kloster.

Von dem Kloster kehrten wir nach Tschamakapert zurück, von wo aus wir im Wagen bis zur Poststation von Akhta fuhren. Auf dieser Tour genossen wir den Anblick eines schönen Sonnenunterganges, der die eintönigen Farben dieser unermeßlichen Einsamkeit etwas belebte.

Elenofka befindet sich an der Stelle, wo die vulkanischen Berge, die den See an seiner Südseite einfassen, sich mit den Porphyrfelsen von Eschek-Meidan vereinigen. Hier befindet sich auch der einzige Abfluß des Sees, der Sengabach, der in der Richtung auf Eriwan zu fließt.

Elenofka ist ein kleines, unbedeutendes Dorf. Einige Bedeutung erhält es allerdings durch den Umstand, daß es vielleicht der Ort ist, an den sich eine Legende knüpft, die Marco Polo, jener bekannte italienische Reisende, folgendermaßen erzählt: In Georgien giebt es noch ein Nonnenkloster, das den Namen des heiligen Leonhard führt. Bei der Kirche liegt ein großer See, worin man das ganze Jahr keinen Fisch, weder einen großen noch einen kleinen, sieht. wenn aber der erste Tag der Fastenzeit kommt, findet man die schönsten Fische in dem See und auch in großer Menge. Dieses dauert die ganze Fastenzeit bis zum Karsamstag. Von da ab finden sich keine Fische mehr darin bis zum folgenden Jahre. Dies wiederholt sich stets, was doch ein großes Wunder ist.[2]

In den Dörfern, durch die wir nun kamen, sind die armseligen Hütten aus Stein errichtet. Der Heuvorrat ist in kleinen Haufen auf den flachen Dächern auf, gespeichert. Ganz zur Seite befinden sich große Haufen von Torf, der für den Winter bestimmt ist. In der Dämmerung wurden wir dadurch an die georgischen Auls erinnert, weil diese Torfhaufen dem Dorfe ein kriegerisches Aussehen geben, das allerdings schlecht zu den Gewohnheiten der armenischen Dorfinsassen paßt.

Das Posthaus in Akhta, das wir gegen zehn Uhr des Abends erreichten, enthält wie gewöhnlich bloß zwei Zimmer; davon war das eine mit allem Möglichen vollgepfropft, und in dem andern verbarrikadierte sich gerade ein Türke mit dem Mute eines Verzweifelnden; er mochte wohl recht haben. Der Arme reiste vielleicht mit einer seiner Frauen, und dann kann man ihm sein eifersüchtiges Vorurteil nicht verdenken. Da er uns aber keinen Grund zu seiner Absperrung angab, fanden wir das sehr sonderbar. Ich stemmte mich gegen die Thüre und schrie ihn mit einer wütenden Stimme und in einer drohenden Haltung an. Dadurch wurde der arme Teufel eingeschüchtert und entschloß sich, das Posthaus zu verlassen, um sich irgendwo anders ein Unterkommen zu suchen. In diesem Augenblick des Rückzuges bemerkten wir noch ein fremdes Wesen, so eine Art Päckchen von Schleiern und Decken, das sich mit großen Schwankungen vorwärts bewegte. Diese Entdeckung lieferte uns auch den Schlüssel zu der vorhergegangenen Szene, er hatte wirklich seine Frau bei sich.

Während ich so mit dem Türken kämpfte, unterhandelte Hyvernat mit dem Postmeister. In einem glücklichen Augenblick richtete er an diesen die Frage, wie weit der Gouverneur von Eriwan noch wohne. Der Postmeister glaubte nun nichts anderes, als daß wir über ihn Klage führen wollten. Ohne Zweifel war er auf diesem Gebiete kein Neuling mehr. Er schrie, geberdete sich wie unsinnig, stampfte mit den Füßen und raufte sich die Haare; eine solch komische Szene läßt sich kaum denken. Endlich gelang es uns, ihm klar zu machen, daß wir keine feindliche Absichten hätte, worauf er sich beruhigte und sich in Entschuldigungen erging.

Wir schlugen nun unsere Feldbetten auf, was schon einen kleinen Auflauf verursachte; aber als wir mit dem Stiefelknecht uns der Fußbekleidung entledigten, kannte die Verwunderung keine Grenzen mehr. Sofort machten wir die ganze Menge unserer Zuschauer glücklich, indem wir allen erlaubten, ihre Stiefel oder Babuschen mit unserm Stiefelknecht abzuziehen. Wir schliefen darauf ganz ruhig und auch ohne Gewissensbisse wegen der Vertreibung des Türken.

12. September.

Da wir mit einem Empfehlungsschreiben des Fürsten Schervatchidza an den Gouverneur von Eriwan, den General Schalikoff, versehen waren, wollten wir ihm in seinem Sommerhause zu Daraschitschak einen Besuch abstatten. Dieses liegt in den Bergen, sieben Werste ungefähr von Akhta. Die kleine Reise wurde von uns in einer Perekladnoi zurückgelegt.

Die russischen Beamten suchen meist der Sommerhitze von Eriwan zu entgehen und bauen sich gewöhnlich Landhäuser in den Gebirgen. Hierzu haben sie sich das Thal des Sautsch-Bulak, eines Zuflusses des Senga, gewählt. Diesem Thal haben sie den Namen Daraschitschak oder Blumenthal gegeben. Lange vor den Russen hatten schon die alten Könige von Armenien in diesem Thale ihr Sommerquartier genommen. Ihre Residenz lag auf dem rechten Ufer des Sautsch-Bulak und hieß Ketscharus (auf türkisch: Sandscherlü). Sie lag an dem Abhang des Gebirges ungefähr zwei Werste von dem Flusse entfernt in einem kleinen, waldigen Thale.

Eine bessere Wahl hätte kaum getroffen werden können. In einer Höhe von ungefähr 2000 Metern ist dieser Sommeraufenthalt durch ein vorzügliches Trinkwasser und eine sehr reine Luft geradezu herrlich zu nennen. Auch Ketscharus hat einst bessere Tage gesehen. Aber davon ist heute alles verschwunden bis auf eine Gruppe halbzerfallener Kirchen, die aber trotzdem zu den besten Repräsentanten des armenischen Stiles gezählt werden können.

Eine Niederlassung der Malakhanen setzte sich in Ketscharus fest und nannte es Konstantinowskoi; endlich schlugen die russischen Beamten ihre Sommerlager daselbst auf und veranlaßten dadurch, daß ihre Benennung des Thales die übrigen so ziemlich verdrängte; heute ist Daratschitschak der gebräuchlichste Name. (Dieser einzige Ort hat also vier Namen: Ketscharus, Sandscherlü, Konstantinowskoi und Daraschitschak. Dieses kommt im Orient sehr häufig vor. Je nachdem der Führer irgend einem Stamme angehört, benennt er die Orte, und so kann es vorkommen, daß es dem Reisenden schwer fällt, sich zurechtzufinden, namentlich wenn er bis dahin einen andern Namen für den betreffenden Ort gekannt hat.)

Daraschitschak ist ein kleines Dorf und liegt in dem Abhang unterhalb der alten armenischen Kirchen. Die Wohnungen der russischen Beamten sind sehr einfach. Der Gouverneur bewohnt eine kleine, bescheidene Villa, deren Zimmerwände sämtlich gekalkt sind.

Der General Schalikoff ist schon alt, sehr kurzsichtig und ganz einfach in seinem Benehmen. Er empfing uns mit großer Liebenswürdigkeit und lud uns ein, zwei Stunden später mit ihm zu frühstücken. Dadurch hatten wir genügend Zeit, die alten Ruinen eingehend zu besichtigen.

Diese Ruinen bestehen aus einer beträchtlichen Gruppe religiösen Zwecken dienender Gebäude und einem etwas abseits liegenden Betsaal. Die bedeutendste dieser halbzerfallenen[WS 1] Kirchen wurde 1033 unter der Herrschaft Gogiks durch einen gewissen Kirikor Magistros gebaut. Sie setzt sich in Wirklichkeit aus zwei Kirchen zusammen, die deutlich zu unterscheiden sind. Die erste ist niedrig, dunkel und ruht auf vier dicken Pfeilern. In ihrer Architektur hat sie etwas Bäuerische und erinnert an unsere ältesten romanischen Krypten. Sie ist anscheinend viel älter als die zweite Kirche, mit der sie durch eine Thür verbunden ist.

Diese zweite Kirche hat höhere Gewölbe und ist mit eleganten Säulen geschmückt. Die Kuppel wurde im Jahre 1827 durch ein Erdbeben zerstört. Durch das offene Loch scheint jetzt der tiefblaue Himmel herein, und das einströmende Licht belebt die Farbentöne der vulkanischen Steine. Alles dieses stimmt mit einander und der ganzen Architektur des Baues überein. Zur Seite dieser Doppelkirche finden sich drei Betsäle, wovon bloß einer etwas Interesse einflößt, und eine kleine Kirche, die jünger als die große und auch in einem hübscheren Stil erbaut ist.

Nach dem Frühstück bei dem russischen General gab uns dieser fünf Empfehlungsschreiben für die verschiedenen Distriktsvorsteher des Gouvernements Eriwan. Wir erreichten Akhta, vollständig zufrieden mit unserm Ausflug und der uns zu teil gewordenen Aufnahme.

In der Ferne merkten wir den Ararat; das Land, das wir überschritten, ist ganz vulkanisch. In dem Posthause zu Phontanka schliefen wir.

13. September.

An dem Morgen war die Kälte eisig. In dem Augenblick, wo wir dachten, abfahren zu können, kamen mehrere russische Beamten, die einen königlichen Padaroschni besaßen und uns vorgingen. Wir mußten also eine zeitlang warten, bis die Pferde zurückkamen. Um die Langeweile zu verscheuchen, machten wir einen Ausflug in die Umgebung. Ein vulkanisches Plateau verhüllte uns den Ararat, aber gegen Westen erhebt sich zu einer Höhe von 4000 Metern der Alagos mit seinen wilden und zerrissenen Formen.

Die Bauern waren mit dem Dreschen des Getreides beschäftigt. Alle Tennen liegen außerhalb des Dorfes beisammen, wo die ganze Einwohnerschaft zu derselben Zeit mit Dreschen beschäftigt ist. Man thut dieses aus Vorsicht, denn bis in die jüngste Zeit war das Land nicht besonders sicher, und derjenige, der sein Getreide allein drosch, war der Gefahr ausgesetzt, desselben beraubt zu werden.

Der Ausdruck „Dreschen“ kann für diese Thätigkeit eigentlich nicht angewandt werden. In Wirklichkeit wird das Getreide getreten und zerschnitten. Man bedient sich dazu eines vollen Schlittens, dessen Unterseite mit scharfen Kieselsteinen versehen ist. Ein Mann steht auf dem Schlitten, der von zwei Ochsen gezogen wird. Diese sind an eine Stange gespannt, die als Deichsel dient, und drehen sich rund. Die scharfen Kieselsteine zerschneiden das Stroh und drücken die Körner aus den Ähren. Das kleingeschnittene Stroh dient den Tieren zur Nahrung und als Streu, sowie als Bestandteil der leicht entzündlichen Brennkuchen, wovon später noch die Rede sein wird. – In Persien gebraucht man zuweilen statt der scharfen Kiesel ein Paar Walzen, die mit Stahlmessern versehen sind. Auf den Achsen der Walze ruht ein Gestell, das man mit schweren Kieselsteinen belegt, um der Maschine ein hinreichendes Gewicht zu geben.

Der Gebrauch mit scharfen Kieselsteinen versehener Waffen ist noch sehr häufig im Orient; er soll in das hohe Altertum zurückreichen und sich über ein weites Gebiet erstreckt haben. Ich bin geneigt anzunehmen, daß die Archäologen oft zu leicht den geschnittenen Kieselstein unter die Angriffswaffen gezählt haben, da er doch nur und namentlich in der verhältnismäßig neuern Zeit zu friedlichen Zwecken gedient hat. Dann wäre auch das Vorkommen der geschnittenen Kiesel durchaus kein Zeichen einer historisch alten Zeit.

Gegen acht Uhr konnten wir endlich reisen. In dem Maße, wie wir gegen die Ebene des Aras hinabstiegen, folgte der Kälte des Morgens eine sehr große Hitze. Noch zwei Stationen trennten uns von Eriwan. Der Ararat zeigte sich immer mehr; aber die mannigfaltigern Umrisse des Alagos beeinträchtigen ihn bedeutend.

Bei einer letzten Biegung des Weges entrollte sich plötzlich das ganze Panorama des Ararat vor uns. Zu unsern Füßen, am Ende eines steilen Abhanges, bemerkten wir eine Oase in der Wüste, einen mit Häusern gemischten Wald, nämlich Eriwan.

Hinter der Stadt liegt eine weite Ebene, die im Frühling mit Grün geschmückt ist, damals aber eine unfruchtbare, dürre Steppe bildete. Ganz im Hintergrunde erhebt sich ohne alle Vorberge zu einer Höhe von über 4000 Meter der Ararat in seiner unvergleichlichen Majestät mit seiner Krone von ewigem Schnee.

In dem überraschenden Zauber der orientalischen Atmosphäre gesehen, ist dieses Gebirge wahrhaft großartig. Einige Linien, mit denen die unserer Alpen nicht verglichen werden können, genügen, um eine großartige Landschaft zusammenzustellen, die allerdings zuweilen ein wenig einförmig ist, aber im ganzen doch immer harmonisch wirkt.

Diese Landschaftsbilder des Orients verlangen eine gewisse Einführung, wenn sie verstanden werden sollen. Die Einfachheit ihrer Formen ruft meist bei dem Fremden eine gewisse Enttäuschung hervor, wenn er andere Landschaften, z. B. die römische Kampagne kennt, wird er die Landschaften des Orients bewundern müssen. Er wird sie gerade der einfachen Formen wegen lieben, denn sie gewähren auch dadurch noch den Vorteil, daß sie in dem Geiste haften bleiben und gleichsam zu lebenden Bildern werden, welche man nach Wunsch sich wieder vor das geistige Auge hinstellen kann. Ohne jede Anstrengung kann ich noch jetzt, drei Jahre nach dem Anblick des Ararat, sein Bild in der irische des ersten Eindruckes vor meinem Geist vorbeigehen lassen. Aber diese so schönen Landschaften trotzen allen photographischen Aufnahmen, weil sie eben zu panoramisch und zu wenig gegliedert sind. Alle die Reproduktionen des Ararat sind nur Karikaturen.

Die Größe des Ararat begreift man am besten, wenn man ihn mit den Bergen vergleicht, die ihn umgeben und die gegen ihn nur Maulwurfshügel sind.

In Eriwan ging es uns wie eben in allen orientalischen Städten. Der ganze Zauber verschwindet, sobald man in die Stadt eintritt. Die von weitem gesehenen Bäume stehen in den Gärten hinter hohen Mauern verborgen. Die Hauptstraßen sind breit und einförmig.

Armenischer Dolch.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: halbzerfallener
  1. Der Indo-Europäische Telegraph ist ein rein englisches Unternehmen. Von Karratschi bis zum persischen Meerbusen liegt er im Meere; von da geht er über Schiras, Ispahan, Teheran, Tebris, Dschulfa, Eriwan, Tiflis, Jekatherinadar, Kertsch etc. Die Linie ist sehr solide gebaut und wird in gutem Zustande erhalten. Die Pfosten sind aus Eisen, und jede Neigung wird sofort ausgebessert. Die russische Linie, die dieser parallel läuft, macht dagegen einen armseligen Eindruck.
  2. Marco Polo nennt hier Georgien. Man hat schon versucht, den in Rede stehenden See als den Wansee zu betrachten. Die Uferanwohner des dortigen Sees fischen in Wirklichkeit bloß zwei Monate lang im Frühjahre und behaupten, während des übrigen Teiles des Jahres keine Fische in dem See finden zu können. Aber diese Annahme scheint aus mehreren Gründen unzulässig:
    1. Der Wansee gehörte niemals zu Georgien.
    2. Ramusio schreibt noch zu der Legende, daß man den See in vier Tagen umgehen könne. Das trifft auch bei dem See von Sewenga, aber nicht bei dem Wansee, zu, zu dessen Umgehung mehr als das Doppelte der Zeit erforderlich ist. Ferner wird etwas vom Salzsee erwähnt. Der Wansee hat salziges Wasser; aber auch der See von Sewenga hat in seinem östlichen Teile salzhaltiges Wasser.
    3. Wenn Marco Polo die in dem See gefangenen Fische die besten der Welt nennt, so kann er nicht die des Wansee gemeint haben, der nur eine kaum genießbare Art (Abletten) enthält. Der Name Leonhard scheint wohl durch eine Verwechselung in den Bericht gekommen zu sein, denn er ist kein armenischer Name. Er ist vielleicht mit der heiligen Nina, die in Georgien verehrt wird, verwechselt, oder er stammt von der heiligen Helena, woran auch der Name des Dorfes Elenofka erinnert. – Daß die Mönche die Forellen an der Sonne trocknen, läßt auch darauf schließen, daß es nicht immer daselbst Forellen giebt oder gab; sie mögen den Brauch vielleicht beibehalten haben, wenn uns die Legende zur Zeit der Reise bekannt gewesen wäre, hätten wir genauere Nachforschungen anstellen können.