Vom Nordpol bis zum Aequator/Die innerafrikanische Steppe und ihre Plagen

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Die innerafrikanische Steppe und ihre Plagen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, 44, S. 730–731, 747–748
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Die innerafrikanische Steppe und ihre Plagen.

Der Norden Afrikas ist Wüste, muß Wüste sein und wird ewig Wüste bleiben. Gegenüber den ausgedehnten, von einer sengenden Sonne durchglüheten Ländermassen zwischen dem Rothen und Atlantischen Meere verlieren die erdumgürtenden Gewässer ihre Bedeutung, kommt das Rothe Meer gar nicht in Betracht, erweist sich das Mittelmeer als viel zu klein, ist selbst der Einfluß des Atlantischen Weltmeeres nur auf einen schmalen Rand längs seiner Küste beschränkt; über so weiten und heißen Flächen muß jedes Wolkengebilde zerstäuben, ohne die lechzende Erde zu befeuchten und zu befruchten. Erst viel weiter im Süden, unfern des Gleichers, da, wo auf der einen Seite das Atlantische Weltmeer tief sich einbuchtet, auf der andern das Indische Weltmeer Afrikas Küsten bespült, wo, um mich so auszudrücken, beide Meere über den Erdtheil hinweg sich die Hände reichen, ändern sich die Verhältnisse, indem hier alljährlich zu gewissen Zeiten unter Sturm und Blitz und Donner so ausgiebige Regenmassen herniederstürzen, daß vor ihnen die Wüste weichen und der lebendigeren Steppe Platz machen muß. Daher teilt sich hier das rollende Jahr in zwei von einander wesentlich verschiedene Zeiten: an die belebende und die ertödtende, die der Regen und jene der Dürre nämlich, wogegen in der Wüste einzig und allein die zeitweilig herrschenden Winde von den anderswo wechselnden Jahreszeiten Kunde bringen.

Um die Steppe zu erklären, erscheint mir eine flüchtige Schilderung ihrer Jahreszeiten unerläßlich zu sein. Denn jedes Land spiegelt das Klima wieder, welches in ihm herrscht, und jedes Gebiet ist nichts anderes als ein Ergebniß der streitenden Gewalten seiner Jahreszeiten und kann nur verstanden werden, wenn man diese und ihren Einfluß kennen gelernt hat.

Mit dem Aufhören der Regen beginnt im Innern Afrikas die ertödtende Zeit des Jahres oder der lange und furchtbare Winter, welcher durch seine Gluth genau dasselbe bewirkt, was der nordische Winter durch seine Kälte zu Wege bringt. Noch bevor sich der bis dahin oft bewölkte Himmel völlig geklärt hat, werfen einzelne der im Frühlinge ergrünten Bäume ihren Blätterschmuck ab, und mit den fallenden Blättern verlassen auch die Wandervögel, welche während des Frühlings gebrütet haben, das herbstende Land, um in anderen Gefilden ihres heimatlichen Erdtheils Zuflucht zu suchen. Die Halme der Brotfrüchte gilben noch vor dem Ende der Regen; die niederen Gräser welken und dürren. Zeitweilig fließende Gewässer versiegen, durch die Regen gefüllte Becken trocknen aus und zwingen nicht allein die in ihnen lebenden Kriechthiere und Lurche, sondern selbst die ihnen eigenen Fische, in feuchten Betten sich einzugraben und hier ein Winterlager zu suchen. Kerbthiere und Pflanzen vertrauen ihren Samen der Erde an.

Jemehr die Sonne scheinbar nach Norden sich wendet, um so rascher rückt der Winter heran. Der Herbst beschränkt sich auf einige Tage. Er bewirkt kein Verwelken und Absterben der Blätter, kein Erglühen in Gelb und Roth, wie bei uns zu Lande, sondern übt durch glühende Winde eine so vernichtende Gewalt, daß jene vertrocknen wie gemähetes Gras im Strahle der Sonne und theils noch grün zu Boden fallen, theils am Stiele zerstieben, daß die Bäume, mit sehr wenigen Ausnahmen, binnen kürzester Frist ihr winterliches Aussehen erhalten. Ueber den vor wenigen Tagen noch im Winde wogenden, mit hohem Grase bewachsenen Flächen wirbelt jetzt Staub auf; in den theilweise oder gänzlich trocken gelegten Flußläufen und Wasserbecken klafft der Boden in tiefen Spalten. Alles Angenehme schwindet, alles Unangenehme tritt bedrohlich hervor: Blätter und Blüthen, Vögel und Schmetterlinge welken, wanderten oder starben; aber Dornen, Stacheln und Kletten blieben zurück, Schlangen, Skorpione und Taranteln feiern die Hochzeit ihres Lebens. Unsägliche Gluth bei Tage, unerträgliche Schwüle bei Nacht sind die Leiden dieser Tage, und gegen das eine wie gegen das andere giebt es kein Mittel der Abwehr. Wer jene Tage nicht selbst erlebt hat, an denen der Wärmemesser im Schatten bis auf fünfzig Grad C. steigt, während deren man fortwährend schwitzt, ohne eher als im kühlen Raume zum Bewußtsein davon zu gelangen, weil die Gluth allen Schweiß verdunsten läßt, während deren eine Staubwolke nach der andern zum Himmel aufwirbelt oder trockener Dunst bleischwer auf einem lastet, vermag nicht solche Leiden sich auszumalen; wer jene Nächte, in denen man sich schlaflos auf dem Lager wälzt, weil die Schwüle verwehrt zu ruhen und zu schlafen, nicht durchseufzt hat, ist außer Stande, die Qual der Menschen und Thiere in gleicher Weise bedrückenden Zeit nachzufühlen. Selbst der Himmel ändert sein bisher selten getrübtes Blau in fahlere Farben um; denn der eben erwähnte Dunst verhüllt oft halbe Tage lang die Sonne, ohne ihr jedoch die Gluth zu rauben; im Gegentheile, gerade wenn der Gesichtskreis mit solchen Dünsten umdichtet ist, scheint die Schwüle noch zuzunehmen. Ohne irgend welche Erquickung für Geist und Leib reihen sich die Tage an einander. Kein kühlender Hauch aus Norden fächelt die Stirne, kein Blüthenduft, kein Vogelgesang, keine Zaubergemälde in leuchtenden Farben und tiefdunklen Schatten, wie das überquellende Himmelslicht der Gleicherländer sonst wohl hervorruft, erfrischt die Seele; alles Lebendige, Farbige, Dichterische ist verschwunden, in todähnlichen Schlaf gesunken, und dieser ist viel zu grausenvoll, als daß er dichterische Gefühle wecken könnte. Mensch und Thier welken, wie früher Gras und Blätter welkten, und mancher Mensch, manches Thier sinkt für immer nieder, wie jene. Vergeblich ringt trotziger Mannesmuth, von der Last dieser Tage sich zu befreien, in Seufzen und Klagen geht der festeste Wille unter. Jede Arbeit ermüdet, jede, auch die leichteste Decke wird zu schwer; jede Bewegung ermattet, jede Verletzung verwandelt sich zur bösartigen Wunde.

Doch selbst dieser Winter muß endlich dem Frühlinge weichen. Grausenvoll aber ist auch dessen Wehen. Derselbe Wind, welcher in der Wüste zum Samum wird, regt, als Herold des Lenzes, seine Schwingen, wühlt in den Ritzen des Bodens, um sogar aus ihnen noch Staub zu entnehmen, wirbelt letzteren in dichten Massen empor, baut aus ihm mauerähnliche Wolken auf und führt diese brausend und heulend durch das Land, wirft sie durch die Fenstergitter der besseren Wohnungen in den Städten wie durch die niedere Thür der Hütte des Eingeborenen und fügt neue Unannehmlichkeiten zu den gewohnten Plagen. Er allein hat endlich die volle Herrschaft errungen und übt sie unumschränkt, als wolle er alles vernichten, was bisher noch widerstand; er aber ist es auch, welcher weiter ins Süden regenschwangere Wolken zusammenballt und dem verbrannten Gelände entgegenführt. Bald will es scheinen, als verlöre er mit der sich mehrenden Stärke seine bedrückende Schwüle, als wehe er zuweilen nicht mehr glühend, sondern frisch und erquickend. Es ist keine Täuschung: der Frühling rüstet sich zum Einzuge, und auf des Südsturmes Fittichen rauschen die Wolken einher. Noch kurze Zeit, und sie dunkeln im Süden das Gewölbe des Himmels; noch wenige Tage, und zuckende Blitze erleuchten, allnächtlich fast, die düsteren Schichten; noch einige Wochen, und ferner Donner kündet den belebenden Regen.

Geschäftig regt es sich, wogt und fluthet es in und an allen Strömen, welche vom Süden herkommen. Noch haben sie sich kaum getrübt; aber sie sind lebendiger geworden, denn sie steigen von jetzt an fortwährend und senden in allen tieferen Spalten und Rissen ihrer verschlammten Uferflächen das belebende Naß nach dem Innern des Landes. Und auch die Zugvögel sind bereits wieder eingetroffen und mehren sich von Tag zu Tage. In den oberen Nilländern erschien der Storch, um wiederum Besitz zu nehmen von den alten Nestern auf den kegelförmigen Strohhütten der Eingeborenen, erschien mit ihm der heilige Ibis, um auch heute noch sein vor Jahrtausenden übernommenes Amt zu üben: Bote, Herold und Bürge zu sein, daß der alte Nilgott wiederum seiner Gnade Born und seines Segens Füllhorn über die ihm unterthanen Länder ergießen werde.

Endlich zieht das erste Gewitter heran. Beengendere Schwüle als je liegt über dem todten, verbrannten Gelände. Unheimliche Stille beängstigt Mensch und Thier. Jeder Gesang, fast jeder [731] Stimmlaut der Vögel ist verstummt; sie selbst haben sich am dichtesten Gelaube der immergrünen Bäume geborgen. Aber auch das Leben im Lager des Wanderhirten, im Dorfe, in der Stadt scheint zu ersterben. Besorglich schleichen die sonst so lebhaften Hunde einem stillen, sicheren Ruheorte oder Verstecke zu; alle übrigen Hausthiere gebärden sich ängstlich oder wild; die Rosse müssen gefesselt, die Rinder in ihre Umzäunung getrieben werden. In der Stadt schließt der Kaufmann seine Bude, der Handwerker seine Werkstatt, der Regierungsbeamte seinen Divan; denn jedermann sucht Zuflucht in seiner Behausung. Und dennoch rührt sich noch kein Lufthauch, vernimmt man noch kein Geflüster in den Blättern der wenigen noch Blätter tragenden Bäume. Wohl aber sieht man, wie das Gewitter sich gestaltet und naht.

Im Süden schichtet sich eine dunkle und gleichwohl flammende Wand zusammen, vergleichbar der Feuerwolke über einer brennenden Stadt, einem meilenweit in Flammen stehenden Walde. Brandroth, purpurn, dunkelroth und braun, fahlgelb, grau, tiefblau und schwarz scheinen in ihr einen Farbenreigen zu führen, vermischen und sondern sich, gehen in dem Dunkel auf und treten wiederum grell hervor. Sie liegt auf der Erde und wächst zu dem Himmel empor; sie scheint still zu stehen und rast mit Sturmeseile dahin, verengert von Minute zu Minute den Gesichtskreis mehr und mehr und hüllt alles Vorhandene in undurchdringlichen Schleier. Pfeifendes und sausendes Geräusch geht von ihr aus; auf dem Standpunkte des Beobachters aber ist noch alles ton- und klanglos.

Da braust plötzlich, kurz und heftig, ein Windstoß dahin. Starke Bäume beugen sich vor ihm wie schwache Gerten, die schlanken Palmen neigen ihre Kronen tief herab. Dem einen Stoße folgen in stetig beschleunigter Folge andere; der Wind wächst zum Sturme an, der Sturm steigert sich zum Orkan, und dieser wüthet mit beispielloser Gewalt. Sein Toben ist so gewaltig, daß der Schall des ausgesprochen Wortes das Ohr des Sprechers nicht erreicht, daß jeder Laut übertönt und verschlungen wird. Es rauscht und braust, tost und saust, pfeift und heult, dröhnt und prasselt in den Lüften, am Boden, in den Kronen der Bäume, als ob alle Elemente miteinander im Kampfe lägen, der Himmel einfallen, die Grundfesten der Erde erschüttert würden. Unwiderstehlich trifft der gewaltige Sturm die Kronen der Bäume, reißt die Hälfte der Blätter aller noch belaubten Bäume mit sich fort, bricht mannesstarke Stämme wie sprödes Glas, bemächtigt sich der Krone selbst, rollt, dreht und wirbelt sie wie einen leichten Ball über ebene Flächen hinweg und gräbt sie endlich, mit den Aesten, als der breitesten Grundlage, nach unten, dem kläglich emporstarrenden Bruchstücke des Stammes nach oben, tief ein in lockere Erde oder Sand, um sie so der vernichtenden Termite zu überliefern. Gierig wühlt er in allen Spalten und Ritzen der Erde, entnimmt ihnen Staub, Sand und Kies, erhebt diese Stoffe bis in die Wolken und führt sie mit solcher Gewalt mit sich fort, daß sie von harten Gegenständen mit vernehmlichem Prickeln und Knattern zurückprallen, verhüllt mit ihnen Himmel und Gelände, wandelt durch sie den Tag zur düsteren Nacht, so daß der geängstigte Mensch im Innern der stauberfüllten Wohnung Laternen anzündet, um an der lebendigen Flamme gleichsam sich selbst wiederzufinden oder doch zu beruhigen.

Doch das Toben der Windsbraut wird noch übertönt. Prasselnde Donnerschläge dröhnen mächtiger als sie und übertäuben ihr Heulen und Brausen. Noch immer sind die Staubwolken so dicht, daß man die Blitze nicht wahrzunehmen vermag; bald aber macht sich ein bisher noch nicht vernommenes Rasseln unter das Wirrsal der Laute und Geräusche, und damit beginnt die unnatürliche Nacht dämmernder Helligkeit zu weichen. Es ist, als ob schwerer Hagel herniederschlage, und gleichwohl sind es nur Regentropfen, welche jetzt zu Boden fallen und den aufgewirbelten Staub und Sand mit sich nehmen. Nunmehr wird man der Blitze gewahr. Einer folgt so unmittelbar auf den andern, daß man unwillkürlich die geblendeten Augen schließt und nur noch an dem ohne Unterbrechung rollenden Donner das Wetter verfolgt. Der Regen wandelt sich zum Wolkenbruche; von den Bergen rauscht das Wasser in Bächen hernieder, in den Niederungen sammelt es sich zu Seen, in den Thälern fluthet es in Strömen dahin. Stundenlang währt der Niederschlag, aber schon mit Beginn des Regens ermattet der Sturm und frischer kühlender Wind erquickt Menschen, Thiere und Pflanzen. Allmählich verringern sich die Blitze, schwächt sich der Donner, wandelt sich der Wolkenbruch wieder in Regen, dieser endlich in sanftes Rieseln; der Himmel klärt sich, die Wolken zerreißen und strahlend bricht die Sonne zwischen ihnen hervor. Frohlockend verläßt die braune Jugend, nackt, wie sie erschaffen, Häuser und Hütten, um sich in den Gewässern des Frühlings zu baden; nicht minder beglückt entsteigen deren schlammigem Grunde Kriechthiere, Lurche und Fische, und schon in der ersten Nacht nach dem Regen ertönt tausendfach die helle und laute Stimme eines kleinen Frosches, von dem man vorher nichts wahrnehmen konnte, weil er, wie einzelne Krokodile, viele Schildkröten und alle Fische der zeitweilig trocken liegenden See, in der Tiefe der Erde ein Winterlager gesucht hatte und durch den ersten Frühlingsregen ins Leben zurückgerufen wurde.

Allüberall regt sich das erwachende Leben gewaltig. Gierig saugt die lechzende Erde die ihr gespendete Feuchtigkeit ein; aber der Himmel öffnet nach Verlauf weniger Tage wiederum seine Schleusen und erweckt durch das belebende Naß alle noch schlummernden Keime. Ein zweites Gewitter sprengt die Blattknospen aller einem Wechsel unterworfenen Bäume und entlockt dem Boden sprossende Gräser; ein dritter Regenguß ruft Blüthen und Blumen hervor und kleidet das ganze Gelände in saftiges Grün. Zauberhaft, wie er gekommen, wirkt und waltet der Frühling. Was bei uns der Frist eines Monats bedarf, vollendet hier im Verlaufe einer Woche den Kreislauf seines Lebens; was in gemäßigten Gürteln nur langsam sich entwickelt hat, entfaltet sich hier in Tagen und Stunden.

Binnen wenigen Wochen aber ist der Frühling auch wieder vergangen und der kaum von ihm unterschiedene Sommer eingetreten in den Reigen des Jahres, ebenso rasch diesem der kurze Herbst gefolgt, so daß man, streng genommen, nur von einer einzigen, Frühling, Sommer und Herbst in sich begreifenden Jahreszeit sprechen darf. Und wieder steht der ertödtende Winter vor der Thür und verwehrt ununterbrochenes Entkeimen, Wachsen und Gedeihen, wie andere Gleicherländer, dank ihres größeren Wasserreichthums, es ermöglichen. Genügend aber ist dennoch die Menge der hier fallenden Regen, um die starre Wüste zu verbannen und überall da, wo sie sonst herrschen würde, einen mehr oder minder üppigen Pflanzenteppich über den Boden zu breiten oder, mit anderen Worten, anstatt der Wüste Steppe hervorzurufen.

Ich gebrauche das Wort Steppe zur Bezeichnung von jenen dem Inneren Afrikas eigenen Gefilden, welche der Araber „Chala“ oder zu deutsch „frische, grüne Pflanzen erzeugende Gelände“ nennt. Die Chala ist freilich ebenso wenig der Steppe Südrußlands und Mittelasiens, wie der Prairie Nordamerikas, der Pampa oder dem Llano Südamerikas gleich, aber doch der erstgenannten in vieler Beziehung so ähnlich, daß ich kaum der Entschuldigung bedarf, wenn ich ein uns bekannteres Wort dem unbekannten vorziehe. Die Steppe erstreckt sich über das ganze innere Afrika von der Wüste an bis zur Karu, von der Ostküste an bis zu der des Westens, umgiebt alle dort liegenden Hochgebirge und schließt alle auf ihnen wie in den tiefer eingesenkten und wasserreicheren Niederungen sich ausdehnenden Urwaldungen in sich ein, umfaßt alle Länder im Herzen Afrikas, beginnt wenige hundert Schritte jenseit des letzten Hauses der Städte, unmittelbar hinter den letzten Häusern der Dörfer, nimmt die Felder der Ansässigen in sich auf und ernährt und erhält die Herden des Wanderhirten. Wo nach Süden hin die Wüste endet, wo der Wald aufhört, wo ein Gebirge sich verflacht, macht sie sich geltend; wo der Wald durch Feuer zerstört wurde, bemächtigt zuerst sie sich der Brandstelle; wo der Mensch ein Dorf verließ, dringt sie in dessen Weichbild ein, um es binnen wenig Jahren bis auf die letzten Spuren zu vernichten; wo der Ackerbauer seine Felder aufgab, drückt sie diesen in Jahresfrist wiederum ihr Gepräge auf.

[747] Unfreundlich, eintönig und wechsellos erscheint die Steppe dem, welcher sie zum ersten Male betritt. Eine weite, oft unabsehbare Ebene liegt vor dem Auge; nur ausnahmsweise erheben sich aus ihr hier und da einzelne Bergkegel, noch seltener einigen letztere sich zu Gebirgszügen. Oefter reihen sich wellenförmig niedere Hügel an flach eingesenkte Thäler; zuweilen verschlingen sie sich zu wundersamen, netz- oder maschenartig verlaufenden Höhenzügen, welche zwischen ihnen eingetiefte Kessel einschließen oder umgeben, in denen während der Regenzeit Lachen, Teiche und Seen entstehen, wogegen während des Winters der lettige Boden durch Tausende von Spalten zerklüftet wird. In den tiefsten und längsten Niederungen findet sich an Stelle jener stehenden Gewässer ein „Chôr“ oder Regenfluß, das ist ein Wasserbette, welches ebenfalls nur während des Frühlings theilweise, unter besonders günstigen Umständen auch wohl und dann binnen wenigen Stunden bis zum Rande gefüllt wird und nunmehr nicht allein strömt, sondern wie eine bewegliche Mauer rauschend und donnernd zur Tiefe braust, keineswegs immer aber in einen wirklichen Fluß mündet. Mit alleiniger Ausnahme solcher Wasserbecken deckt überall eine verhältnißmäßig reiche Pflanzenwelt den Boden. Gräser verschiedenster Art, von niederen, auf dem Boden kriechenden Pflänzlein an bis zu übermannshohen getreideartigen Halmengräsern, bilden den Hauptbestandtheil der Pflanzen der Steppe; Bäume und Sträucher, insbesondere verschiedene Mimosen, Adansonien, Dompalmen, Christusdornen und andere verdichten sich hier und da, zumal an den Ufern der erwähnten Gewässer, zu Hainen oder Waldsäumen, sind übrigens aber so spärlich zwischen den weite Flächen gleichmäßig überziehenden Gräsern eingesprengt, daß sie sich nur an wenigen Stellen zu einem dürr bestandenen Walde einen. Nirgends zeigen diese Bäume die Ueppigkeit des Wachsthums wie in den wirklichen Stromthälern, welche den Segen des Frühlings bewahren durften, sind vielmehr oft krüppelhaft, mindestens niedrig und ihre Kronen sperrig, und bloß ausnahmsweise klettert eine Schlingpflanze zu ihren Wipfeln empor. Sie alle leiden unter der Strenge des langen, glühenden Winters, welcher ihnen kaum gestattet, das eigene Dasein zu fristen, und fast alle Schmarotzerpflanzen von ihnen abhält, wogegen die Gräser in dem wenn auch kurzen, so doch wasserreichen Frühlings üppig aufschießen, blühen und Samen reifen lassen, somit alle Bedingungen zu fröhlichem Gedeihen vorfinden. Gerade sie aber tragen wesentlich dazu bei, der Steppe das Gepräge der Eintönigkeit aufzudrücken; denn sie gleichen, so niedrig sie sind, viele Gegensätze aus und wirken insbesondere auch durch die Gleichmäßigkeit ihrer Färbung ermüdend.

Nicht einmal der Mensch ist im Stande, Abwechslung in dieses ewige Einerlei zu bringen, weil seine Felder, welche er mitten im Graswalde anlegt, von fern gesehen diesem so gleichen, daß man Getreide und Gras nicht von einander unterscheiden kann, und die runden, kegelförmig bedachten Hütten, welche er mit schwachem Pfahlwerke stützt und mit Steppengras überkleidet, mindestens während der Zeit der Dürre, so wenig von der umgebenden Fläche sich abheben, daß man schon sehr nahe gekommen sein muß, wenn man sie wahrnehmen soll. Einzig und allein die Jahreszeiten verändern das sonst so gleichmäßige Bild, ohne ihm jedoch viel von seiner Eintönigkeit zu nehmen.

Unfreundlich ist auch der Empfang, welchen die Steppe dem Wanderer bereitet. Auf hohem Kamele sitzend, reitet man durch das Gefilde. Irgend ein Wild verlockt zur Jagd und verleitet, in den Graswald einzudringen. Da erfährt man, daß zwischen den anscheinend so glatten Gräsern Pflanzen wachsen, welche sich noch weit furchtbarer machen als die Dornen der Mimosen. Auf dem Boden wuchert die „Tarba“, deren Samenkapseln so scharf sind, daß sie die Sohle leichter Reitstiefeln durchschneiden; über ihn erhebt sich, der „Essek“, dessen Kletten sich in alle Kleiderstoffe fast unlösbar einfilzen; noch etwas höher strebt der „Askanit“ empor, unter den drei genannten die furchtbarste Pflanze, weil seine feinen Stacheln bei der geringsten Berührung [748] sich lösen, durch alle Kleiderstoffe dringend in die Haut bohren und hier Eiterbeulen verursachen, welche zwar an und für sich sehr klein sind, ihrer außerordentlichen Menge halber jedoch überaus lästig werden. Alle drei Pflanzen verwehren jeden längeren Aufenthalt, jedes weitere Vordringen im Grase und werden zur Qual für Menschen und Thiere, lassen auch bald begreiflich erscheinen, weshalb jeder Eingeborene eine feine Greifzange als eines seiner allerwichtigsten Werkzeuge fortwährend mit sich führt, weshalb, wie bei den Affen, der größte Liebesdienst, welchen einer dem andern erzeigen kann, darin besteht, ihm die feinen, kaum sichtbaren, aber nadelscharfen Stacheln aus der Haut zu ziehen. Daß auch die meisten übrigen Pflanzen der Steppe, insbesondere fast sämmtliche Bäume und Sträucher, mit mehr oder weniger hinderlichen Dornen und Stacheln bedeckt sind, nimmt denjenigen nicht Wunder, welcher irgendwo in Afrika ein Dickicht zu durchdringen versuchte oder nur einem Baume sich näherte.

Noch unangenehmere Erzeugnisse der Steppe bringt die Nacht zur Geltung. Auch die Nacht muß man oft zum Reisen benutzen, wenn kein Dorf zu erreichen ist, und dann im Freien lagern und nächtigen. Ein hierzu geeigneter sandiger, von jenen quälenden Pflanzen freier Platz am Wege, den man zieht, ist endlich aufgefunden, das Reitthier entbürdet und gefesselt, eine einfache Lagerstatt errichtet, das heißt der Teppich über den Boden gebreitet und ein mächtiges Feuer zum Schutze gegen Raubthiere angezündet worden. Die Sonne geht unter, die Nacht lagert wenige Minuten später über der Ebene; das Feuer beleuchtet das Lager und seine Umgebung. Da wird es hier wie im Lager selbst lebendig und rege. Angezogen durch die Strahlen der Flammen rennt und kriecht es heran, einzeln, selbander, zu zehn, zu hundert. Zunächst erscheinen riesige Spinnen, welche mit ihren acht Beinen fast ebenso viel Raum überdecken wie ein Mann mit seiner gespreizten Hand; unmittelbar darauf, unter Umständen gleichzeitig mit ihnen, finden Skorpione sich ein. Die einen wie die anderen laufen beinahe unheimlich rasch auf das Feuer zu, über Lagerteppiche und Decken hinweg, zwischen den zur einfachen Abendmahlzeit aufgestellten Tellern durch, kehren, sobald die strahlende Wärme des Feuers sie zurücktreibt, wieder um, lassen sich nochmals von der Flamme anlocken und vermehren dadurch das bedrohliche Gewimmel; denn diese Spinnen sind ihres gefährlichen oder doch sehr schmerzhaften Bisses halber kaum weniger gefürchtet als die Skorpione, auch, wie diese zum Stechen, jederzeit zum Beißen bereit.

Unmuthig greift man zu dem zweiten Werkzeuge, welches einem der kundige Geleitsmann vor der Reise als ebenfalls unentbehrlich aufgedrungen, zu einer langschenkeligen Feuerzange nämlich, packt so viele der ungebetenen Gäste, als man erlangen kann, und wirft sie ohne Gnade in das knisternde Feuer. Dank der vereinigten Anstrengungen aller Reisegenossen hat binnen kurzer Fast der größte Theil des höllischen Gezüchtes seinen Tod in der Flamme gefunden; der Zuzug wird schwächer, und so viel als möglich ebenfalls und in gleicher Weise überwältigt; man athmet auf – aber zu früh! Wiederum neue und noch unheimlichere Gäste nahen dem Feuer: Giftschlangen, welche ebenso wie jene Spinnenthiere von dem Scheine der Flammen herbeigezogen werden Der Naturforscher erkennt in ihnen, mindestens in der am zahlreichsten sich einstellende Art, höchst beachtens- und theilnahmswerthe Thiere, denn es ist die sandgelbe Hornviper, die berühmte oder berüchtigte Cerastes der Alten, die auf vielen ägyptischen Denkmälern abgebildete Fi, dieselbe Giftschlange, durch deren Giftzähne Kleopatra sich den Tod gab; der ermüdete Reisende aber verwünscht sie in den Abgrund der Hölle. Das ganze Lager wird lebendig, sobald ihr Name von einem der Reisenden genannt wird; jeder greift, bei weitem rascher und ängstlicher als früher, zur Zange, schreitet, wenn er des Giftwurmes ansichtig wird, vorsichtig an diesen heran, packt ihn hinten im Genicke, kneipt die Zunge fest zusammen, damit er nicht entrinne, wirft ihn mitten in das lodernde Feuer und verfolgt mit boshafter Freude seinen Untergang. An manchen Stellen der Steppe können diese Schlangen einen in gelinde Verzweiflung versetzen. Dank ihres dem Sande bis auf jedes Körnchen gleichenden Schuppenkleides und ihrer Gewohnheit, bei Tage oder während ihrer Ruhestunden bis auf die kurzen, als Fühler dienenden Hörner in den Sand sich einzuwühlen, sucht man in den Tagesstunden meist vergeblich nach ihnen; sobald aber die Nacht hereinbricht und das Lagerfeuer strahlt, sind sie zur Stelle und schlängeln und züngeln um einen herum.

Zuweilen erscheinen sie in erschreckender Anzahl und halten den ermüdeten Reisenden bis gegen Mitternacht wach; denn alle, welche im Bereiche der Strahlen des Feuers geruht haben oder bei ihren nächtlichen Streifzügen in jenen gelangen, scheinen der Flamme zuzukriechen. Und wenn man endlich, ermüdet und schlaftrunken, die Zange aus der Hand und sich selbst zur Ruhe legt, weiß man nie, wie viele von ihnen in später Nacht noch über einen hinwegkriechen, erfährt aber nicht allzuselten des Morgens beim Aufnehmen der Teppiche, daß solches der Fall gewesen, indem man eine oder ihrer mehrere unter den Falten des Teppichs versteckt und beim Abheben desselben in den Sand sich eingraben sieht. Gerade in der Steppe war es, wo sich mir die damals noch von niemand getheilte Ueberzeugung aufdrängte, daß, mit wenigen Ausnahmen, alle Giftschlangen, mindestens alle Vipern und Lochottern, Nachtthiere sind.

Mit den bisher genannten sind noch keineswegs alle belästigenden Thiere der Steppe aufgezählt. Eines von ihnen, zu den kleinsten aller zählend, erregt zwar nicht Besorgniß für das Leben, wohl aber solche für das Eigenthum des in der Steppe lebenden oder sich aufhaltenden Menschen. Dieses Thier ist die Termite, ein unserer Ameise ähnlicher Kerf, welcher trotz seiner geringen Größe mehr Unheil anrichtet als die gefräßige Heuschrecke, deren Auftreten auch heute noch zur Plage werden kann, welche empfindlicheren Schaden verursacht als eine verwüstend in die Felder einfallende Elefantenherde, denn sie gehört zu den allgegenwärtigen und ununterbrochen schadenden Thieren. Was das Pflanzenreich erzeugt, verfällt ihrem scharfen Zahne, was der Kunst- und Gewerbfleiß des Menschen aus ihm zugänglichen Stoffen schafft, nicht minder. Hoch über den Graswald der Steppe erheben sich ihre kegelförmigen Erdbauten, auf dem Boden dahin wie an den Bäumen empor verlaufen ihre Gänge und Verbindungswege. Zur Nachtzeit oder im Dunkel beginnt und vollendet sie ihr vernichtendes Werk. Zunächst überzieht sie den Stoff, welchen sie in Angriff nimmt, mit einer alles Licht abhaltenden Erdkruste, und nunmehr geht sie an ihre Arbeit, deren Zweck und Ende stets Zerstörung ist. Alle am Boden liegenden oder an Erdwänden hängenden Gegenstände sind am meisten gefährdet. Der achtlose Reisende legt, von der herrschenden Schwüle bedrückt, eines seiner Kleidungsstoffe neben sich auf den ihm als Lagerstätte dienenden Boden und findet am anderen Morgen, daß es siebartig durchlöchert, unbrauchbar gemacht, mit einem Worte vernichtet ist; der noch nicht mit dem Lande vertraute Naturforscher birgt seine mühsam gesammelten Schätze in einer Kiste, versäumt aber, diese auf Steine und dergleichen Gegenstände, welche den Boden der Kiste von dem Erdboden entfernt halten, zu stellen, und sieht sich nach wenigen Tagen seiner Sammlungen beraubt; der Jäger hängt sein Gewehr an eine Lehmmauer und bemerkt zu seinem Aerger, daß das zerstörungssüchtige Kerbthier binnen kürzester Frist in den Kolben bereits tiefe Rillen genagt hat. Der Baum, welche die Termite sich ausersieht, ist verloren, das Sparrwerk der Wohnung, in welchem sie sich eingenistet, der Vernichtung geweiht. Vom Boden bis zu den höchsten Zweigen hinauf leitet sie an jenem ihre zum Verderben führenden Wege, durchfrißt Stamm, Aeste und Zweige und giebt ihn dann dem ersten Sturme preis, welcher das ertödtete und haltlos gewordene Wabenwerk in alle Himmelsrichtungen zerstäubt; an den Erdwohnungen oder dem Pfahlwerke der Wohnungen steigt sie empor, durchlöchert alles Holzwerk und bewirkt binnen kurzem den Einsturz der Behausung; unter dem gestampften Fußboden oder Estrich der bessere Häuser gräbt sie sich tausendfach verzweigte Gänge und bricht aus ihnen gelegentlich zu Millionen hervor, um nunmehr oben verderbenbringend zu wirken. So und noch vielfach anders auftretend, wird sie zu einer der ärgsten Plage Innerafrikas, insbesondere der Steppe.

Böte diese nicht auch noch andere, anziehendere und für die Wissenschaft bedeutungsvolle Erscheinungen dar: der Naturforscher würde sie ebenso gern meiden wie der handeltreibende Reisende, welcher nur ihre abstoßenden, nicht aber auch ihre fesselnden Seiten kennen lernt.