Vom Stachel der Fische

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Autor: Dr. med. Otto Thilo
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Titel: Vom Stachel der Fische
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 592–595
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[592]
Vom Stachel der Fische.
Von Dr. med. Otto Thilo. Mit Abbildungen von Aug. Specht.

„Was will er eigentlich mit seinen Fischen? Will er vielleicht Gräten zählen?“ Diese ewig denkwürdigen Worte richtete Friedrich der Große an den hochverdienten Naturforscher Bloch, als dieser sich an ihn mit der Bitte gewandt hatte, er möge die Fischerei an der Ostsee veranlassen, Bloch bei seinen Untersuchungen der Seefische zu unterstützen.

Heutzutage ist das allerdings anders geworden. Viele Regierungen haben namhafte Summen der Erforschung unserer Gewässer gespendet. Viele Gesellschaften haben mit großen Mitteln für diesen Zweck gearbeitet. Trotzdem ist das allgemeine Interesse am Leben und Bau der Fische noch immer kein sehr großes. Auch mancher unserer Leser denkt vielleicht wie „der alte Fritz“. Das Leben der Fische muß doch eigentlich recht einförmig und langweilig sein. Wenigstens äußerte sich noch vor kurzem ein mir befreundeter Mineralog, als er mich mit der Untersuchung von Fischflossen beschäftigt fand, folgendermaßen:

„Sagen Sie einmal, lieber Doktor, was finden Sie eigentlich an den Fischflossen Bemerkenswertes? Mir scheint es, daß sie alle

Einhorn mit aufgerichtetem, mit zurückgelegtem Stachel. 
Seekröte mit aufgerichteten,   Heringskönig.
mit zurückgelegten Stacheln.

[593] so ziemlich gleich aussehen. Bald sind sie etwas länger oder kürzer, bald breiter oder schmäler. Um dieses festzustellen, braucht man nicht erst aus allen Weltgegenden Fische aufzusammeln und ganze Stöße von Büchern durchzustudieren.“

Da ich unter derartigen Fragen schon oft gelitten habe, so riß mir die Geduld, und unwillkürlich „platzten heraus auch mir die geheimsten Gedanken.“

„Mein Herr“, so rief ich aus, „Sie kennen die Fische wohl nur geräuchert oder gebraten und

Datei:Die Gartenlaube (1897) b 593.jpg

Knurrhahn.
Flughahn und Seeschwalbe.
Auf Bäume kletternde Schlammspringer.

schwimmen haben Sie dieselben wohl nur in der Suppe gesehen, sonst würden Sie nicht so reden.“

Die Gliedmaßen zeigen bei den Fischen größere Verschiedenheiten als bei anderen Tierarten, da sie den verschiedenartigen Zwecken dienen müssen.

Die Fische benutzen ihre Flossen keineswegs ausschließlich zum Schwimmen, sondern häufig sind sie gezwungen, mit Hilfe der Flossen sich zwischen Schilf und Schlingpflanzen hindurchzuarbeiten oder am Boden der Gewässer vorwärts zu schieben. Bei einer Fischart des Mittelmeeres, dem Knurrhahne (Trigla), sind sogar zu diesem Zwecke die drei vorderen Strahlen von dem übrigen Teile der Brustflossen abgetrennt und so gestellt, daß sie ihrer Form nach an die Beine einer Spinne erinnern. Man kann es oft im Aquarium beobachten wie der Knurrhahn mit diesen beinartigen Flossenstrahlen am Boden eines Behälters dahinkriecht (vergl. die nebenstehende Abbildung).

In ähnlicher Weise benutzt wohl auch unser Seeskorpion (cottus scorpius) die drei stacheligen Strahlen seiner Bauchflossen, die ja zum Schwimmen ganz ungeeignet sind. Die Fischer der baltischen Badeorte nennen diese Strahlen geradezu „die Beine“ des Fisches. Man braucht sie nur nach dem Seebullen (lettisch juhras bullis) zu fragen, so zeigen sie ihn auf seinen „Beinen“ stehend gern als eine Besonderheit des Strandes.

Einige brasilianische Welse verlassen ihre Teiche, wenn diese austrocknen, und wandern meilenweit über trockenes Land, auf die Stacheln ihrer Brustflossen gestützt, nach anderen wasserhaltigen Becken. Sie erreichen hierbei die Geschwindigkeit eines gemächlich dahinschreitenden Mannes. Der nebenstehend abgebildete Schlammspringer (Periophthalmus Koelreutheri) in Loango huscht eidechsenartig mit seinen breiten Brustflossen am Meeresufer und an Bäumen so geschwind dahin, daß er schwer zu fangen ist.

Doch nicht allein zu Wasser und zu Land, auch durch die Luft bewegen sich einige Fische mit Hilfe ihrer Flossen. Die sogenannten fliegenden Fische schnellen aus dem Meere empor und schießen bis 400 Meter weit durch die Luft indem sie ihre großen Brustflossen gleich Fallschirmen aufspannen. Die Seeschwalbe (Exocoetus volitans) legt eine Strecke von 200 bis 400 m durch die Luft zurück, während der Flughahn nach Brehm nur 100 bis 200 m durch die Luft schießt (vergl. die obenstehenden Bilder.) Aber die Flossen sind nicht bloß Bewegungsorgane, sie werden auch oft von den Fischen zum dauernden Festhalten an den verschiedenartigsten Gegenständen benutzt. Der Schlammspringer klammert sich mit seinen breiten Brustflossen an die Zweige der erkletterten Bäume und ist imstande, durch die Kraft der Brustmuskeln seine Körperlast zu tragen. Da aber häufig die Muskelkraft nicht ausreichen würde, um im reißenden Strome oder in der brandenden Flut dauernd einen Fisch in der eingenommenen Stellung zu erhalten, so findet man bisweilen die Flossen zu Haftscheiben umgewandelt, welche den Fisch befähigen, nach Art eines Schröpfkopfes dauernd an Schiffen, Steinen und anderen Gegenständen zu haften. Ich erinnere nur an die Schiffshalter (Echeneis remora).

Einige Welse Indiens besitzen derartige Haftscheiben als Hautfalten am Bauche, unabhängig von den Flossen entwickelt. Bei diesen Welsen wird die Thätigkeit der Haftscheiben von den kräftigen Stacheln der Brustflossen unterstützt, mit denen sie sich zwischen den Steinen der reißenden Gebirgsströme feststellen. Auch das Einhorn (siehe S. 592), ein Fisch des Roten Meeres, benutzt seinen Rückenstachel in ähnlicher Weise.

Die Hauptbestimmung der Stacheln wird aber wohl die von Schutzorganen sein. Hierfür spricht schon der Umstand, daß es [594] Fischstacheln giebt, die, genau nach Art der Giftzähne von Schlangen, mit Giftdrüsen und Giftröhren versehen sind.

Auch kann man es häufig beobachten, wie viele Fische ihre Stacheln beim Herannahen einer Gefahr aufrichten, z. B. unsere Stichlinge, wenn man an die Wände ihrer Behälter klopft. Die Stacheln der Fische haben wohl schon frühzeitig die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich gelenkt. Viele wilde Völker benutzen sie als Pfeilspitzen. Auch auf alten ägyptischen Wandgemälden findet man Fische dargestellt, die mit aufgerichtete Stacheln unter anderen Fischen einherschwimmen.

Oviedo und Las Casas, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts lebten und Amerika zur Zeit seiner Entdeckung beschrieben, berichten über ein kleines spannenlanges Fischchen, von den Spaniern Reverso genannt, welches mit seinen aufgerichteten Rückenstacheln die größten Fische so erfolgreich angreife, daß die Indianer Cubas und Espanolas es zum Fischfang benutzen, indem sie es an einer dünnen, aber festen Schnur, die am Ende einen Schwimmer trägt, ins Meer lassen.

Obgleich uns diese Erzählung nicht sehr glaubwürdig erscheint, so wäre es doch nicht undenkbar, daß ein kleiner mit Giftstacheln bewaffneter Fisch,

Sperrvorrichtungen an Stacheln der Fische.
A aufgerichteter – B niedergelegter Stachel des Einhorns. – C Sperrvorrichtung bei den Stacheln des Heringskönigs.

z. B. die Seekröte (s. die Abbildung S. 592), welche in der That in jenen Gegenden lebt, größere Fische angreift und tötet. In der neuern Zeit sind von den verschiedensten Beobachtern Kämpfe geschildert, in denen ein Fisch den andern mit seinem Stachel durchbohrt und tötet. Bei Lütken findet sich hierüber folgende Angabe. „Ein Brasilianer hat Dr. Lund erzählt, daß er einmal sah, wie ein kleiner Wels seinen Bruststachel in den Körper eines viel größeren Fisches stieß. Der Fisch machte einen Sprung aus dem Wasser, geriet auf das Trockene und wurde zugleich mit dem Wels gefangen, der fest an ihm hing.

Es handelt sich in solchen Fällen wohl vielfach um die Kämpfe, welche die Männchen zu bestehen haben, wenn sie die im Neste befindlichen Jungen bewachen.

Diese „Brutpflege“ kann man häufig an unseren Stichlingen im Mai und Juni beobachten (vergl. die Abbildung S. 595).

Da der Fisch während einer solchen Wache seine Waffen, die Stacheln, oft lange Zeit hindurch ununterbrochen aufgerichtet zu erhalten hat, so müssen die Stachelmuskeln nicht selten so sehr ermüden, daß der Fisch seine Waffen sinken läßt und nun seinen vielen Feinden gegenüber vollständig schutzlos ist.

Es war mir z. B. ganz undenkbar, daß ein Stichling seine Stacheln stundenlang mit seinen Muskeln aufrecht erhalten kann. Ich vermutete daher, daß gewisse Anordnungen und Vorrichtungen den Muskeln das Aufrechterhalten der Stacheln erleichtern. Zahlreiche Untersuchungen, die ich hierüber an den verschiedensten Fischarten anstellte, bestätigten meine Vermutung.

Richtet man z. B. die Rückenflossen eines Barsches auf, so bemerkt man, daß die vordersten Strahlen derselben stark nach vorn geneigt sind, offenbar weil es den Muskeln leichter ist, einen schräg nach vorn gerichteten Stachel gegen den Druck des Wassers beim Schwimmen zu erhalten, als einen senkrecht stehenden. Auch die Masten der Schiffe sind ja hauptsächlich nur deshalb nach hinten gerichtet, damit den Tauen das Halten der Masten erleichtert wird, wenn das Schiff vor dem Winde segelt. Jedenfalls haben die Barsche einen recht sicheren Schutz in ihren stacheligen Flossenstrahlen.

Da viele stacheltragende Fische Nester bauen und dieselben bewachen, so vermutete ich auch von den Barschen Aehnliches. Ich konnte jedoch keine Angabe in der Litteratur hierüber auffinden und wandte mich daher mit einer Anfrage an den Leiter der Fischzüchtereien des Fürsten Schwarzenberg in Wittingau (Böhmen), an Herrn Josef Susta. Dieser war so freundlich, mir folgende Antwort zu erteilen:

„Zu Ihrer Bemerkung, daß stacheltragende Fische eine Brutpflege haben, kann ich mitteilen, daß auch der Barsch und der Zander ihre Brut, wie der Vogel seine Jungen, im Neste pflegen. Deswegen habe ich auch die Laichgraben, welche die Zander mit dem Schwanze schlagen, Nester genannt. Wie erbittert setzen sie sich zur Wehr, wenn ein anderes Tier oder die Menschenhand in ihre Nähe kommt! Wenn man bedenkt, wie scheu sonst diese Fische vor der Menschenhand fliehen, so will diese Beobachtung viel bedeuten.

Bei anderen Fischen, z. B. bei dem Einhorn (Monacanthus) findet man eine Vorrichtung, welche den Fisch befähigt, seine Stacheln ganz ohne Muskelthätigkeit aufrecht zu erhalten. Es ist dieses eine vollständige Sperrvorrichtung , ein kleiner keilförmiger Knochen, der von dem Fische hinter den Gelenkkopf des Stachels geschoben wird.

Die beistehenden Abbildungen (Fig. A und B) mögen diese Vorrichtung verdeutlichen. Der kleine Knochen hinter dem Stachel (Hemmknochen) ist mit seinem oberen Ende durch ein Band an dem Stachel befestigt. Erhebt man den Stachel, so wird auch das obere Ende des Hemmknochens erhoben. Sein unteres keilförmiges Ende gleitet hierbei hinter das Gelenkende des Stachels und steckt ihn so fest, daß man ihn nicht zurücklegen kann, so lange die untere Spitze des Hemmknochens hinter dem Gelenkende sich befindet. Zieht man jedoch an dem Beugemuskel, der am unteren Ende des stabförmigen Knochenhebels angreift, so wird die untere Spitze des Hemmknochens hervorgezogen und der Stachel umgelegt. Den Fischerknaben am Roten Meere ist diese Sperrvorrichtung wohlbekannt, sie haben es oft erfahren, daß sie das Einhorn nur dann aus seinem Felsloch ziehen können, wenn sie den kleinen Flossenstachel (Hemmknochen) hinter dem Rückenstachel niederdrücken, wie den Drücker an einer Flinte, und so den großen Stachel umlegen.

An den Rückenstacheln des Heringskönigs (Fig. C) findet sich eine Sperrvorrichtung, die zeigt, wie der kleine Hemmknochen des Einhorns aus einem langen stacheligen Flossenstrahl entstehen kann.

In Fig. C sind die drei vorderen Strahlen der Rückenflosse des Heringsköniges abgebildet. Man bemerkt an der Rückseite des ersten und zweiten Strahles in der Nähe des Gelenkes einen knöchernen Fortsatz, dessen Form an einen Sporn erinnert. Mit diesem Sporn stemmt sich der erste Strahl, wenn er aufgerichtet ist, gegen ein Grübchen an der vorderen Seite des zweiten Strahles, so daß er hierdurch festgesteckt wird. Der zweite Strahl stützt sich gegen die vordere Seite des dritten. Der dritte Strahl kann aber nicht mehr sich gegen den vierten stützen, sein Sporn ist hierzu nicht genügend lang.

Man denke sich jetzt alle Strahlen so zurückgebildet wie beim Einhorn. Bei diesem ist vom zweiten Strahl nur noch das Gelenkende vorhanden und bildet den Hemmknochen zum Feststecken des ersten Strahles. Solche Rückbildungen von Flossen werden wir unten noch näher kennenlernen. Es kann hierbei die ganze Flosse schwinden und nur der vorderste Strahl sich zu einem Stachel ausbilden. Es können aber auch mehrere Strahlen der Flosse zu Stacheln sich entwickeln, indem die Schwimmhaut zwischen ihnen schwindet. Dieses ist z. B. der Fall bei unserem Stichling. Obgleich er so klein ist, verschont ihn doch der gefräßige Hecht wegen seiner feststellbaren Stacheln, während er den großen Karpfen trotz seiner scharfen, gezähnelten Stacheln ganz ungestraft [595] verschlingt. Wären die Stacheln der Karpfen mit solchen Sperrvorrichtungen versehen wie die Stacheln der Stichlinge, so würde der Hecht im Karpfenteich kein sehr angenehmes Leben haben.

Die Betrachtung der Lebensverhältnisse des Stichlings weist darauf hin, wie sehr er seiner Stacheln bedarf. Freilich, der Barsch und der Hecht büßen es oft mit dem Leben, wenn sie einen Stichling verschlingen; der Lachs und Dorsch jedoch verschlingen ihn ohne Schaden. Die größte Gefahr aber droht ihm von den Müttern seiner Kinder. Stets bemüht, ihre eigenen Kinder zu verschlingen, stürmen sie vereint unablässig auf das Nest los, in dem sie der sorgsame Vater bewacht, und nur zu häufig unterliegt dieser den Folgen seiner Vielweiberei.

Um diesen vielseitigen Angriffen zu begegnen, sind aber auch die Stacheln der Stichlinge mit Gelenkvorrichtungen versehen, die einen sehr ausgiebigen Gebrauch derselben ermöglichen. Blitzartig schnell richtet ein Stichling seine Stacheln auf, wenn er gereizt wird, und stundenlang kann er sie ohne die geringste Muskelaufwendung aufrecht erhalten. Hiervon überzeugt man sich leicht, wenn man die aufgerichteten Stacheln eines getöteten Stichlings niederzulegen versucht.

Drückt man gegen die Spitze des Stachels, so gelingt es nicht, ihn niederzulegen, drückt man dagegen mit der Spitze einer Nadel genau auf einen bestimmten Punkt vorn an seinem Gelenkende, so kann man ihn ohne Schwierigkeit niederlegen. Diese überraschende Thatsache wird erst verständlich, wenn man das Gelenk des Stachels genauer betrachtet und seine Hemmvorrichtung mit denen anderer Fischarten vergleicht. Es giebt deren sehr verschiedenartige, und einige von ihnen sind so schwer zu lösen, daß ich in mehreren größeren Museen kleine Fische der Art in sehr großen Behältern fand, weil man nicht imstande gewesen war, durch Niederlegen ihrer Stacheln ihnen Eingang in Glasgefäße zu verschaffen, die ihrer Größe entsprachen.

Es gelang mir, alle vorgelegten Stacheln niederzulegen, nur an einer japanischen Fischart scheiterte meine Kunst. Ich konnte es aber dafür anatomisch nachweisen warum der Fisch allein imstande ist, mit Hilfe seiner Muskeln diesen Stachel niederzulegen.

Stichling mit Nest.

Leider kann ich hier nicht weiter auf alle diese höchst bemerkenswerten Vorrichtungen eingehen, an denen man häufig die schwierigsten mechanischen Probleme in so einfacher Weise gelöst findet, daß man anfangs oft gar nicht recht an diese Lösung glauben will. Ich muß hier schon auf eine Beschreibung derselben verzichten, weil ich nur mit Hilfe meiner künstlichen Nachbildungen dieser Gelenke und durch Vorlegung der Gelenke selbst mich verständlich machen kann.[1] Die Stacheln, an denen diese Gelenke sitzen, bilden meist den vordersten vergrößerten Strahl einer Flosse. Häufig sind die übrigen Strahlen hinter diesem vergrößerten Strahle sehr bedeutend geschwunden, ja manchmal fehlen sie vollständig, so daß der Stachel ganz vereinzelt dasteht. In solchen Fällen ist die Hemmvorrichtung am Gelenke des Stachels in besonders hohem Grade entwickelt, z. B. beim obenerwähnten Stichlinge.

Auch die knöchernen Träger eines solchen Stachels zeigen eine bedeutend größere Festigkeit als die schlanken Flossenträger. Durch Anbildung knöcherner Stützen und Streben sind Knochengerüste entstanden, an deren Material und Stützung selbst anspruchsvolle Ingenieure und Architekten wenig aussetzen würden. Dieselbe Entstehung fester Knochengerüste aus schlanken, halb verknöcherten Stäben und Planen kann man auch an den Trägern jener Stachelbildungen beobachten, die nicht aus Flossen hervorgehen, z. B. an den Stacheln der Kiemendeckel des Flughahnes (Dactylopterus volitans).

Dieser fliegende Fisch zeigt an seinen auffallend langen spitzen Stacheln Vorrichtungen, die das Aufrechterhalten derselben dem Fische erleichtern. Die Gelenkköpfe der Stacheln sind von entsprechenden knöchernen Hohlkörpern umschlossen, so daß bei den Bewegungen des Stachels Einklemmungen entstehen, wenn der Stachel nicht genau in seiner Drehebene geführt wird. Der Fisch kann die Reibungswiderstände, welche mit diesen Einklemmungen einhergehen, beliebig steigern, wenn er den Stachel feststellen will, und abschwächen zum Niederlegen des Stachels. Am getöteten Fische ist man imstande, diese Reibungswiderstände willkürlich hervorzurufen und zugleich Reibungsgeräusche zu erzeugen, die weithin hörbar sind und an das Zirpen der Heuschrecken erinnern.

Wir sehen also, daß die Gliedmaßen der Fische auch als Lautorgane dienen können. Von mehreren zuverlässigen Forschern wird sogar angegeben, daß zahlreiche Fische durch Erzeugung von Lauten sich miteinander verständigen können. Der Däne Sörensen bezeichnet diese Laute geradezu als „Signale der Fische“ untereinander. Wie der Gesang der Vögel zur Zeit ihrer Werbung lauter ertönt als sonst, so sollen auch die Fische zur Laichzeit ganz außergewöhnlich laut mit ihren Stacheln knarren. Sie prangen dann in den grellsten Farben. Der Zoologe sagt: Sie ziehen ihr „Hochzeitskleid“ an. Ich erinnere hier nur an die im Mai und Juni sehr auffallend gefärbten Männchen unserer Stichlinge, welche bei den Straßenjungen den schönen Namen „Könige der Stichlinge“ führen. Auch die Kampfsucht der Fische ist zur Laichzeit im höchsten Grade gesteigert. Wütend fahren sie mit ihren Zähnen und Stacheln aufeinander los.

Daher gilt auch von den Gliedmaßen der Fische, was ein englischer Forscher von den Insekten sagt: „Ihre Gliedmaßen zeigen Bildungen, welche ein Männchen befähigen, das andere beim Werben zu besiegen, durch seine Kraft, Kampfsucht, Zieraten oder Musik! Als Zieraten dienen den Fischen bei der Werbung nicht bloß ihre Färbungen, sondern auch gewisse fadenförmige und gelappte Anhänge der Flossen, die nach einigen Forschern bei vielen Männchen mehr ausgebildet sind als bei den Weibchen. Diese höchst seltsamen Flossenbildungen sind an unseren einheimischen Fischen kaum wahrnehmbar. Ein Blick jedoch in Brehms „Tierleben“ oder auf jene Abbildungen der Tiefsee-Fische, welche man ja häufig in volkstümlichen Werken findet, zeigen die abenteuerlichsten Formen derselben.

Die Fische können also mit ihren Flossen schwimmen, kriechen, stehen, weite Wanderungen zu Lande unternehmen, laufen, auf Bäume klettern, fliegen und dauernd sich „mit klammernden Organen“ an den verschiedensten Gegenständen halten. Sie können mit ihren todbringenden Stacheln selbst größere Feinde fernhalten. Sie können aber auch an ihren Stacheln das Strenge mit dem Zarten vereinen. Sie entlocken ihnen zarte bestrickende Laute, mit denen sie knarrend die Gunst ihrer Weibchen erwerben, denn diese fächeln ihnen sanft zu mit den fächerartigen Anhängen ihrer Flossen.

Gewiß! Nicht viele Tiere besitzen Gliedmaßen, die mit so reichen Gaben ausgestattet sind.

  1. Diese Nachbildungen sind käuflich in Handlungen für Lehrmittel zu einem geringen Preise. – Näheres über meine Forschungen siehe. „Dr. med. O. Thilo. Die Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische.“ Leipzig, Engelmann 1896.