Vom VIII. deutschen Turnfest in Breslau

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Autor: G. A. Weiß
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Titel: Vom VIII. deutschen Turnfest in Breslau
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 549, 553, 555
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vom VIII. deutschen Turnfest in Breslau.

Skizze von G. A. Weiß.0 Mit Zeichnungen von F. Müller-Münster.

Ueberreichung des von Breslaus Frauen gestifteten Fahnenbandes.

Die Breslauer Turnvereine, die städtischen Behörden und die Bürgerschaft hatten sich schon seit langer Zeit mit erfreulicher Einmütigkeit zu umfassenden Vorbereitungen für das deutsche Turnfest in Breslaus Mauern zusammengefunden. Galt es doch, zu zeigen, was die Hauptstadt Schlesieus vermag! Eine schöne Begeisterung durchglühte die hundertfältige Arbeit, und als alles fertig war, da leistete man sich zur „Generalprobe“ eine ganze Breslauer Vorfestwoche; und siehe, es klappte alles!

Der am Südende der Stadt, am Ausgange der prächtigen Kaiser Wilhelmstraße sehr glücklich gelegene Festplatz mit der dahinter improvisierten „Vogelwiese“ bot schon mehrere Tage vor dem Beginn des eigentlichen Festes ein eindrucksvolles und fesselndes Bild turnerischen Lebens und heiteren Treibens. In der geschmackvollen und geräumigen Festhalle wogte Abend für Abend eine überaus fröhliche Menge und lauschte den Festspielen. Die den Festplatz als schöner architektonischer Kranz umgebenden Tempel des Bier- und des Weingottes waren Zeugen der altangestammten Breslauer Lebenslust.

Ringkämpfer.

Der 21. Juli, welcher die fremden Turner unter schmetternder Marschmusik mit wehenden Bannern einrücken sah, fand die Wratislavia in froher Hast bei der Toilette. Mit tausend Händen ward gehämmert und gerichtet, vorbereitet und geschmückt. Breslaus Bewohner waren so ganz bei der Sache, daß sie für anderes kaum noch Sinn hatten, und die Breslauer Gemütlichkeit eroberte sich im Sturm die Herzen der fremden Gäste.

Die Eröffnungsfeier am Abend in der Festhalle gab dem Oberbürgermeister Bender, dem kommandierenden General v. Lewinski, dem Oberpräsidenten v. Seydewitz und Prof. Dr. Böthke-Thorn Gelegenheit, schöne und wahre Worte über die nationale Bedeutung der deutschen Turnfeste zu sprechen. Der Jubel der Versammelten und allgemeine Lieder bildeten gewissermaßen den Chor des rhetorischen Stückes, das sich auf der Bühne abspielte. Erhebende Augenblicke bildeten die brausenden Hochrufe auf die beiden Kaiser Wilhelm und Franz Josef, die Uebergabe des Bundesbanners durch Wenzel-München an die Stadt Breslau und die Ueberreichung des von den Breslauer Frauen und Jungfrauen gestifteten prachtvollen Fahnenbandes, das ein Stadtratstöchterlein mit poetischem Gruße übergab. Nach Schluß des hübschen Biberfeldschen Festspiels „Pallas und Germania“ war kein Halten mehr. Die linde Sommernacht lockte hinaus ins Freie, wo die Bierquellen sprangen, Fluten elektrischen Lichts sich über die wogende Fröhlichkeit ergossen und auf dem Tanzboden überschäumende Jugendlust sich austollte.

Hantelübungen der Frauen.

In goldenem Sonnenglanze erstrahlte die Frühe des Sonntags, des 22. Juli. Die stolze Wratislavia stand im bunten Festschmuck, des herrlichen Schauspiels harrend, das sich drüben in der Odervorstadt vorbereitete, des Festzuges. Ein lauer Wind spielte mit den zahllosen von den alten Giebelhäusern und den modernen Renaissancepalästen niederwehenden Fahnen und mit den über die Straßen sich schwingenden Gewinden. Und empor in die von Festlust erfüllte Luft drang das Branden der Menschenwogen, die sich durch die Straßen wälzten, um sich allmählich zu lebendigen Mauern zu verdichten.

Um elf Uhr rückte die Spitze des Zuges, dessen leitender Gedanke war: die Verbrüderung aller deutschen Gaue, über die prächtige Universitätsbrücke gegen das in die innere Stadt mündende Kaiserthor heran, über welchem in buntem Wappenschmuck das weithin leuchteude „Salve“ der alten Hochschule, der „Leopoldina“ grüßte. Es war ein farbenglühendes, von Schönheit, Kraft und Leben strotzendes Wandelbild, das im Verlaufe von anderthalb Stunden an den entzückten Blicken vorüberzog. Auf dem ganzen langen Wege durch die Schmiedebrücke, Albrechts-, Post- und Ohlauerstraße, Schuhbrücke, den Hintermarkt, [557] um die Ringseiten am Stadt- und Rathause vorüber, durch die Schweidnitzer Straße, an deren Ende eine schöne Ehrenpforte errichtet war, und durch die Vorstadt rollte gleich einer mächtigen Woge der Jubel der Turner und der Bevölkerung, oft zu südlichem Feuer anschwellend. Von den Fenstern und Balkonen gingen stellenweise ganze Blumenschauer auf die daherrückenden Turnerscharen nieder.

Den Zug eröffnete, unter Vorantritt der altertümlich gekleideten „Magistrats-Ausreuter“, geleitet von einem Reiter mit dem Stadtbanner und von anderen Altbreslauer Gestalten in geschichtlich treuen Gewändern, Frau Wratislavia im wallenden weißen Kleide unter einem Baldachin auf prächtig geschirrtem Rosse. Es folgte eine reich kostümierte Reitergruppe mit den Bannern der vertretenen Staaten.

Das Keulenschwingen der Sachsen.

Nun zogen im strammen Marschschritt die einzelnen Turnerkolonnen vorüber: erst die Ausländer (Deutsch-Rumänen, Deutsch-Russen, Amerikaner u. a.), dann die Turner des ganzen deutschen Nordens und der Provinz Sachsen, des Rheinlandes und Westfalens, hierauf die Schwaben, Bayern, Thüringer, die sehr zahlreich eingetroffenen Sachsen, weiter die Deutsch-Oesterreicher und endlich die Turner Schlesiens und Süd-Posens. Dreizehn Musikkapellen, teils beritten, teils zu Fuß, in den verschiedensten historischen Kostümen von der Hohenstaufenzeit bis zu den Lützowern, schmetterten ihre munteren Weisen in den goldenen Sonnenschein und den brausenden Jubel, welche die Luft erfüllten. Eine Reihe von glänzenden Schaustücken und wandelnden lebenden Bildern versetzte in ferne Zeiten zurück.

Die Modelle des Hermann-Denkmals auf dem Teutoburger Walde, der Wartburg, umgeben von den Helden des Sängerkrieges, und der von Ordensrittern geleiteten Marienburg redeten eine gar eigen fesselnde Sprache voll Poesie. Wahre Prunkstücke an Pracht und zugleich Sinnbilder reichen Lebens bildeten der Festwagen der Hanseaten, der erste im Zuge, welcher in Form eines von Neptun gelenkten Schiffes den Seehandel darstellte, der Festwagen von Rheinland und Westfalen, welcher ein fesselndes Bild des Wein- und Bergbaues gab; ferner der Wagen mit den Resten der Kyffhäuserburg und dem schlafenden Barbarossa, das Prachtgefährt der Münchener mit den bekannten symbolischen Figuren, der wunderschöne Festwagen der Sachsen mit den allegorischen Gestalten der Städte Dresden und Leipzig, das Gefährt, welches die Verbrüderung der Germania mit der Austria darstellte, und der von köstlichem Humor zeugende Sportwagen des Breslauer Turnvereins „Vorwärts“. Das Prachtstück des Zuges aber bildete der große Festwagen, auf dem von einer zinnengekrönten und getürmten Burg das herrliche Bundesbanner der deutschen Turnerschaft wehte. Tiefen Eindruck machte am Schluß des Zuges die umfangreiche Gruppe, welche den ewig denkwürdigen Aufschwung von 1813 in den leibhaftigen Gestalten des Königs Friedrich Wilhelm III., Blüchers, Jahns, Körners, Lützows, Friesens, der Freiwilligen und Lützower wiedergab und auf prachtvollem Festwagen die Königin Luise zeigte. Von Breslau aus erging ja damals der Aufruf „An mein Volk“ und Breslau war die Sammelstätte der Befreiungsheere.

Wenige Stunden nach Eintreffen des Zuges auf dem Festplatze traten 3200 Turner zu den Massenübungen zusammen. Welch ein Bild! Der eherne Klang der „Schlußtritte“ bewies die unversiegliche Kraft deutscher Turner. Fesselnde Schauspiele boten das Turnen der Musterriegen, das von schönem Rhythmus belebte Keulenschwingen der Sachsen und die interessanten Turnspiele. Brausendes Treiben erfüllte trotz Hitze und Staub den weiten Plan. Ein humoristisches Festspiel in der Halle „Turnfahrt nach dem Riesengebirge“ riß zu ausgelassener Fröhlichkeit hin. – Der Montag, der 23. Juli, war den verschiedenartigsten ernsten Turnwettkämpfen gewidmet. Das Festmahl führte zu einer schönen Kundgebung des Vertreters der römischen Turner, welche in der feierlichen Uebergabe eines italienischen Banners bestand. Ein prächtiger, unten abgebildeter Fackelreigen beschloß diesen zweiten heißen Tag in eindrucksvoller Weise. Während der beiden letzten Tage wurde noch fleißig und energisch geturnt, gefochten und gerungen, gejubelt und gezecht. Selbst ein Damenturnen fehlte nicht. Der Mittwochnachmittag brachte die feierliche Verkündigung und Bekränzung der Sieger in den viertägigen Wettkämpfen unserer modernen „Olympischen Spiele“. Am Abend aber wälzte sich gleich einer feurigen Schlange vom Festplatze durch die Stadt ein herrlicher Fackelzug. Die Illumination der architektonisch hierzu besonders geeigneten Liebichshöhe warf die wunderbarsten Lichteffekte über das wogende Treiben dieses letzten Abends.

Das Fest, an welchem etwa 15000 Turner teilnahmen, ist harmonisch ausgeklungen. Breslau und die Turnerei sind um ein schönes Erinnerungsblatt reicher.

Fackelreigen.