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Von der Weltausstellung in Antwerpen

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Textdaten
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Autor: F. Neubaur
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Titel: Von der Weltausstellung in Antwerpen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 620–623
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von der Weltausstellung in Antwerpen.

Von F. Neubaur. Mit Zeichnungen von W. Döll und H. Kammer.

Der Haupteingang.

Eine Weltausstellung in Antwerpen! Welch eine merkwürdige Vereinigung von Gegensätzen! Hier die Stadt mit ihren steinernen und ehernen Zeugen einer großartigen Vergangenheit, auf Schritt und Tritt historischer Boden – dort die Ausstellung mit dem Neuesten vom Neuen, was unser 19. Jahrhundert in unaufhaltsamem Vorwärtsdrängen auf den Weltmarkt wirft! Hier das geschlossene Erzeugnis einer jahrhundertealten, zusammenhängenden Entwicklung, dort, aus allen Himmelsrichtungen zusammengeweht, die mannigfaltigsten Kraft- und Kunstproben der verschiedensten Völker und Kulturen! Gewiß eine äußerst reizvolle Gegenüberstellung für den Besucher, der mit offenem Auge und offenen Sinnen Stadt und Ausstellung hintereinander durchwandelt.

Schon einmal, im Jahre 1885, hat Antwerpen eine Ausstellung in seinen Mauern veranstaltet. Auf demselben Gelände wie damals hat auch die diesjährige ihre Stelle gefunden, am südlichen Ende jener Avenuen, welche in einem von Norden nach Süden ziehenden Bogen die Neustadt von der Altstadt trennen. Während aber im Jahre 1885 die Gärten der Ausstellung eben erst angepflanzt waren und daher äußerst dürftig erschienen, breitet sich heute ein recht hübscher Baumwuchs rings um die Ausstellungsgebäude her aus. Prächtige Rasenteppiche und Blumenbeete erhöhen den künstlerischen Eindruck der Anlage.

Vor dem Thore von Alt-Antwerpen.

Das Hauptgebäude der Ausstellung weist an der Hauptfront den von zwei rampenartigen Treppen flankierten, von einer niederen Kuppel überragten Haupteingang auf, den die obenstehende Abbildung zeigt. Rechts schließt sich an das Hauptgebäude in stumpfem Winkel ein Seitenflügel, an diesen eine breite Galerie, zu der Freitreppen emporführen und die ihrerseits in die Maschinenhalle hineinleitet. Im Scheitelpunkt des stumpfen Winkels ist ein eigenes Gebäude für Festlichkeiten eingeschoben. Vor der Vorderfront des Maschinengebäudes erhebt sich ein Pavillon, welcher die Ausstellung des Kongostaates birgt und vor welchem um einen See herum ein Dorf der Kongoneger aufgebaut ist, belebt von Kongotruppen und Eingeborenen von der Kongomündung. Von hier gelangt man zum Museum der schönen Künste mit einem ebenfalls zur Ausstellung gehörigen großen Aquarium; an dieses endlich

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Eingang zur deutschen Ausstellung.

schließt sich ein weiteres der Kunst gewidmetes Ausstellungsgebäude. – Um all dies herum baut sich nun eine überaus große Fülle kleiner Pavillons und Häuser auf, welche den verschiedenartigsten Zwecken, meist solchen des Vergnügens, dienen. Auf Schritt und Tritt öffnen sich die gastlichen Hallen von Restaurants, Singspielhallen, Theatern etc.; von überall her schallt den ganzen Tag und die halbe Nacht hindurch eine mehr oder minder annehmbare Musik.

Betritt man das Industriegebäude durch den Haupteingang, so gelangt man zunächst in die belgische Industrieabteilung, welche für sich allein etwa den vierten Teil des ganzen Raumes einnimmt. Zur Linken der belgischen Abteilung befindet sich die deutsche, welche außerdem durch einen besonderen in unserer Abbildung dargestellten Eingang zur Seite des Hauptportals zugänglich ist; ihre Lage kann als recht günstig bezeichnet werden; aber sie ist nicht so stark beschickt, wie man es wünschen möchte. Die Ursache dafür mag zu einem Teil darin zu suchen sein, daß die praktischen Erfolge der Weltausstellug in Chicago vorläufig noch auf sich warten lassen und vielleicht erst in Jahren nicht ohne neue Opfer sich einstellen werden, zum andern Teil darin, daß die Antwerpener Weltausstellung von seiten des Deutschen Reiches keine Unterstützung genoß. Anerkannt dagegen muß werden, daß Deutschlands Vertretung diesmal besser, gewählter und gehaltvoller ist als im Jahre 1885. Das Hauptgewicht liegt naturgemäß auf denjenigen Artikeln, welche ausfuhrfähig sind. Insgesamt zählt die deutsche Abteilung etwa 500 Aussteller.

Die Anordnung der deutschen Abteilung ist gut, wenn auch infolge verspäteter Ankunft einzelner Ausstellungsgüter oder um der Raumersparnis willen eine Ineinanderschachtelung verschiedenartiger Gewerbszweige sich hier und da unangenehm bemerkbar macht.

Auf einem Gebiete sind die Deutschen in Antwerpen allen anderen Nationen überlegen, auf dem der Schiffahrt, die auf der Ausstellung zu einer internationalen Gruppe vereinigt ist. Das schönste Schaustück in Antwerpen bildet der Pavillon des „Norddeutschen Lloyd“, in welchem gleichzeitig die Ausstellung des „Vulkan“ in Stettin untergebracht ist. Im Rokokostil, in den Farben Weiß und Gold ausgeführt, hat der Pavillon eine Ausdehnung von 20 Metern Breite, 15 Metern Tiefe und 16 Metern Höhe und wird von einer Kuppel überragt. Die mittlere Halle des Pavillons nimmt ein auf Porzellan gemaltes, von Topfgewächsen umgebenes Bild des Kaisers ein, um welches einige Prachstücke der königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin gruppiert sind. Die beiden offenen Seitenhallen enthalten eine Sammlung Modelle von Lloyd-Schnelldampfern. Eine mächtige Karte zeigt die täglichen Veränderungen in den Schiffsbewegungen der Lloydlinien, aus einer Reihe graphischer Darstellungen entnimmt man mit Staunen die gewaltigen Leistungen der großen Bremer Schiffahrtsgesellschaft, über die ein anwesender Beamter derselben jede gewünschte Auskunft giebt.

Leb nach dem alten Brauch
Behüte Kopf und Bauch


 W. Döll.


Im „Nürnberger Bratwurstglöckchen“.

Die Ausstellung des „Vulkan“ umfaßt die Modelle der kaiserlichen Jacht „Hohenzollern“, des Panzers „Brandenburg“, einiger für China gebauter Panzerschiffe sowie anderer Fahrzeuge.

In der Nähe des Lloydpavillons befindet sich die ebenfalls vorzüglich eingerichtete Ausstellung der Stadt Hamburg. Diese hat ihre Reedereien vereinigt, sie veranschaulicht außerdem in einem offenen saalartigen Raum ihre neuen Wasserwerke und ihre Hafenanlagen. Im übrigen ist die Marineausstellung ausgezeichnet beschickt und steht hinter derjenigen von Chicago in keiner Weise zurück. Alle großen englischen Reedereien sind mit Modellen ihrer Schiffe vertreten, ebenso die großen englischen Werften, darunter Armstrong Mitchell u. Komp. mit dem Riesenhalbmodell des an der syrischen Küste untergegangenen Panzers „Victoria“. Dazu treten noch eine große Reihe von Modellen für Rettungsboote, Segelboote und Wassersport überhaupt.

Auf die Leistungen der anderen Staaten im einzelnen hier einzugehen, verbietet der Raum. Im großen und ganzen geht als einheitlicher Zug durch die Antwerpener Weltausstellung, daß das Hauptgewicht seitens aller Nationen auf die für die Ausfuhr besonders geeigneten oder aber auf solche Artikel gelegt wurde, welche für den Handverkauf besonders vorteilhaft erscheinen. In hervorragendem Maße findet sich dieser letztere Zug in der französischen, österreichischen und italienischen Abteilung.

Wenn die Ausstellung so im allgemeinen ein verhältnismäßig bescheidenes, mehr auf das Praktische zugeschnittenes Gepräge [622] aufweist, so giebt es in ihr doch einen Teil, der an künstlerischer Schönheit sowohl wie an Eigenart seinesgleichen sucht: das ist Alt-Antwerpen.

Die Moselburg.

Wenden wir uns vom Haupteingang der Ausstellung nach rechts, so öffnet sich nach kaum fünf Minuten Weges ein überraschendes Bild vor unserem Auge. Eine Reihe niedriger Wachthäuser zur Rechten und Linken, dann ein mächtiges altes Thor – das Kipdorpthor – hinter einer Zugbrücke, vor den Wachthäusern Büttel in roter, geschlitzter Tracht, mit Hellebarden bewaffnet, daneben Söldner mit dem Ringkragen, den gewaltigen Hieber an der Seite, den Dolch im Gürtel: hier ist der Zugang zu Alt-Antwerpen, dem unstreitig reizvollsten und künstlerisch am besten durchgeführten Schaustücke der Weltausstellung.

Der Gedanke, alte Stadtteile aufzubauen und auch zu bevölkern, ist nicht neu. Im Jahre 1890 gab es, um nur ein paar Beispiele anzuführen, auf der Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung in Bremen Nachbildungen von Bauten der alten Hansestadt, 1892 hatte die Wiener Internationale Musik- und Theaterausstellung ihr „Alt-Wien“; aber alle bisherigen derartigen Veranstaltungen halten keinen Vergleich mit Alt-Antwerpen aus. Insgesamt sind etwa 80 Häuser aufgeführt worden – nicht als Koulissen, nicht aus Holz und Leinwand, sondern aus Holz, Eisen und einem Mörtel, welcher voriges Jahr in Chicago viel zur Verwendung gekommen ist. Er führt den Namen „Staff“ und verleiht den Häusern das Ansehen von massiven Gebäuden. Die Täuschung ist in Alt-Antwerpen infolge der kunstvollen Bemalung so groß, daß man nirgends einem nur für Monate geschaffenen Werke gegenüberzustehen glaubt. Die Durchführung der vor drei Jahrhunderten in Alt-Antwerpen üblichen Stilarten ist bis in die kleinsten Einzelheiten genau, selbst die Aushängeschilde, die schmiedeeisernen Arme, an welchen diese hängen, sind getreue Wiederholungen kunstvoller Vorbilder. Durch zwei Straßen gelangt man vom Kipdorpthor zum Marktplatz, einem weiten Raum, welcher für Turnierspiele bestimmt ist und von einer Reihe öffentlicher Gebäude umrahmt wird. Da ist das Stadthaus, ein Theater mit offener Scene, im Hintergrunde die Börse, Patrizierhäuser etc.

Das ganze Unternehmen ist nicht darauf berechnet, „Geld zu machen“, sondern verdankt seine Entstehung der Opferwilligkeit. Unter den Patrizierhäusern mit ihren vollständigen prächtigen Einrichtungen aus dem 16. Jahrhundert befinden sich mehrere, welche von reichen Antwerpenern aufgebaut und zur Verfügung gestellt wurden; so ganz besonders das unmittelbar neben dem Theater gelegene prächtige Haus Alberts von Bary, eines der ersten deutschen Kaufleute Antwerpens, gleichzeitig des verdienstvollen Vorsitzenden der deutschen Abteilung in der Ausstellung.

Straße in Alt-Antwerpen.

Zur Rechten und Linken der Straßen und Gäßchen Alt-Antwerpens öffnet sich eine Menge von Kaufläden, Werkstätten und Wirtschaften. Hier arbeitet der Pantinen- oder Holzpantoffelmacher, dort gehen aus der Werkstatt des Kunstschmiedes reizvolle schmiedeeiserne Arme und andere Zierate hervor, der Kupferschläger hämmert die hochgeschätzten getriebenen Kannen und Schalen, der Schuhmacher fertigt nach alten Mustern rotlederne Schuhe, wie sie ihrer Bequemlichkeit halber heute wieder Mode geworden sind. Hier in einem Hause, das die Gräfin von Merode-Westerloo, die Frau des belgischen Ministers des Auswärtigen, hat erbauen lassen, wird die Brabanter Teppichknüpferei betrieben, dort werden Brabanter Spitzen in emsiger, überaus mühevoller Arbeit zu lächerlich billigen Preisen hergestellt. Daß die Wirtschaften so stilvoll wie nur denkbar sich darstellen, versteht sich von selbst; ihre Zahl ist Legion. Von den kleinsten Schnapsbutiken, in welchen belgische und holländische Liqueure ausgeschenkt werden, bis zu dem prächtigen Börsensaal oder bis zu der großen Gartenwirtschaft, welche den Namen „In den Aenghenaemen Hof“ führt, finden sich alle Arten von Kneipen. Auf der Straße zieht die Stadtbande umher, etwa 18 Musiker, welche auf altertümlichen Hoboen, Klarinetten und Kesselpauken altvlämische Melodien vor jedem Hause aufspielen. Und was endlich Alt-Antwerpen seinen besonderen Reiz verleiht, das ist der Umstand, daß alle seine gegenwärtigen Bewohner, gleichviel ob Männer, Weiber oder Kinder, in die altvlämische Tracht derartig hineinpassen, als ob sie in ihrem Leben nie etwas anderes getragen hätten.

Da wir gerade bei den Vergnügungseinrichtungen der Antwerpener Weltausstellung sind, so mögen nun die andern hier auch noch erwähnt werden. Sicherlich ist in Beziehung auf das Vergnügen in Antwerpen mehr geboten, als der Durchschnittsmensch vertragen kann. Zunächst ist das gesamte orientalische Gesindel, welches voriges Jahr Chicago unsicher machte, nach Antwerpen [623] übergesiedelt. Es giebt ein ägyptisches Quartier mit Kamelen, Eseln und dem obligaten Schmutz, ein syrisches Quartier mit Schwerttänzern, ein türkisches Quartier, ein anamitisches Theater und Gott weiß was sonst noch für orientalische Vergnügungsplätze. Die Zahl der arabischen oder türkischen Cafés ist Legion. Panoramen verschiedener Art, die üblichen Labyrinthe, ein Wiener Prater, eine unzählige Menge von Musikkapellen aller möglichen Nationen sind auf dem linken Flügel der Ausstellungsgebäude zusammengehäuft, während in der äußersten rechten Ecke die Schwimmkünstler Boyton und Pawnee Bill ihre Vorstellungen geben.

An besseren musikalischen Genüssen bietet die Weltausstellung Vorträge recht guter belgischer Militärorchester, während in der Festhalle abends von 8 Uhr ab die Konzerte eines ganz vorzüglichen Symphonie-Orchesters stattfinden.

Ein reizvolles Bild entfaltet sich des Abends, wenn die Dunkelheit hereingebrochen ist. Da flammt es auf an den Wegen und den Einfassungen der Blumenbeete, Lämpchen aus bunten Gläsern leuchten von den Rasenplätzen herüber oder ziehen den architektonischen Linien der Gebäude nach. Ketten von bunten Lampions schwingen sich an hohen Masten empor und die elektrischen Bogenlampen gießen ihre Lichtfülle über das belebte Gelände. Werden dann um 8 Uhr die Räume der eigentlichen Ausstellung geschlossen, dann wogt eine schier unerschöpfliche Menschenmenge durch dieses Meer von Licht den verschiedenen gastlichen Stätten zu. Unsere deutschen Landsleute werden sich da besonders durch vertraute heimatliche Trinkstätten angezogen fühlen. Im Nürnberger „Bratwurstglöckchen“ und in der „Moselburg“ werden sie sich gern die körperliche Erfrischung durch behagliches Verweilen in vaterländischen Erinnerungen würzen.