Von der rheinischen Landstraße

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Autor: Ferdinand Hey’l
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Titel: Von der rheinischen Landstraße
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 408–411
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Von der rheinischen Landstraße.

Von Ferdinand Hey’l.

Während in manchen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes die anheimelnden Bilder des Verkehrs- und Volkslebens von der großen Heerstraße verschwinden, erhalten sich am Rhein noch einige eigenthümliche Beförderungsmittel in ureigenster Gestaltung. Zwar begegnet man am Strome selbst nur noch bei kleineren Schiffen dem „Halfterer“ auf den sogenannten Leinpfaden, jenen Pferdezügen, welche die Lastschiffe, an lange Schiffstaue gespannt, stromauf befördern, wie dies in früherer Zeit besonders im Bingerloch vor den Felsensprengungen in sehr erheblichem Maße geschehen mußte.

Seltener wird das dürftige Gespann des wandernden Blechschmiedes (Klempner, Spengler) auf den rheinischen Straßen, und nur der Herbst zeigt uns noch die den Rhein-Orten eigenen Büttenwagen und Kufen für den Traubentransport auf ihrem zweiräderigen Untergestell, oder eine fahrende Traubenmühle als rheinische Eigenthümlichkeit. Dagegen „halftert“ man am Main und an der Lahn noch häufig den Lastkahn und nicht selten trifft der Reisende hier auch noch den düsteren Zigeunerwagen, der seine Insassen anscheinend sehr zwecklos in den gesegneten Fluren und an den Rebhängen hin von Ort zu Ort trägt. Lustig aber schmettert noch immer in den Seitenthälern des Stromes und über die Höhen desselben das Horn des Postillons, trotz Eisenbahn und Dampfboot, und es tragen diese an und für sich harmlosen Erscheinungen nicht wenig zu dem eigenartigen Eindruck bei, den der Tourist am Rhein von Land, Leuten und Leben empfängt.

Der rheinische „Dippewage“.
Originalzeichnung von Ferdinand Lindner.

„Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein,
Da kehren alle Fuhrleut’ ein!“

singt das Volkslied. Der prächtige Strom sah früher einen Fuhrverkehr an seinen Ufern, wie wohl sonst keine Landesstrecke im deutschen Vaterlande. Die römische Heerstraße, welche Mainz, Bingen, Coblenz und Köln verband, war in die seitlichen Uferberge am linken Rheinufer offenbar mit gewaltiger Kraftanstrengung gesprengt, ohne Pulver und Dynamit, während das rechte Ufer nachweislich nie eine zusammenhängende Verkehrslinie für Fuhrwerk besaß. Um so mehr drängte es sich drüben, und einzelne Orte waren – wie St. Goar, Coblenz –- regelmäßige Ausspannorte für die Kaufmannszüge zu den Messen in Leipzig, Nürnberg und Frankfurt. Und welche Lasten an Kaufmannsgut und Traß (Bimstein) schleppte der Fuhrverkehr in’s Niederland hinab, welche Lasten vom Meeresstrande drunten in Holland hinauf in das mittlere Deutschland, ja bis zu den Alpen! War doch der Schiffsweg oft genug durch niedrigen Wasserstand und die Stromschnellen des Bingerlochs, des wilden Gefährts bei Bacharach und der Bank bei St. Goar verschlossen.

Da mochte wohl das Lied entstehen von dem Wirthshaus am Rhein, in dem alle Fuhrleut’ einkehren. Spricht doch auch der kaufmännische Orden in St. Goar (vergl. „Gartenlaube“ 1868, S. 238) für diesen Waarentransport und Wagenverkehr, der oft genug durch gesetzlich vorgeschriebenes Umladen belastet war, ein Umladen, welches nach weiser Fürsorge den Ortseinwohnern Verdienst und der betreffenden kleinstaatlichen Landescassa Tribut schaffen sollte. Mußte doch beispielsweise in St. Goar von den geladenen Gegenständen stets ein Theil als Steuer für Wegunterhaltung abgeliefert werden.

Da kamen die kecken Dampfer im Jahre 1817 (der erste von London) und rissen einen Theil des Verkehrs an sich, dann die Eisenbahnen rechts und links des Stromes und nun endlich gar die mächtigen Schlepper und die – Tauerei. Der hochauf mit seltener Geschicklichkeit geladene Frachtwagen verschwand mehr und mehr, selbst die sogenannten Marktschiffe konnten nicht mehr der Concurrenz der Dampfkraft widerstehen, und nur das St. Goarshausener Marktschiff fährt alter Ueberlieferung getreu noch heute hinauf zur Frankfurter Messe, beladen mit Wein und – Einmachzwiebeln.

[409] Einzelne ursprüngliche Räderfahrzeuge haben sich indessen noch nicht verdrängen lassen, und dienen sie auch nur dem Kleinverkehr, so bieten sie immerhin doch noch Interesse genug, um ihrer Erscheinung einige Worte zu widmen. Es sind die „Dippewagen“ und die „Körbewagen“.

Der Dippewagen (Dippe, Topf) ist eine Landeseigenthümlichkeit des Rheingebietes. Vom Fuße des Westerwaldes herab, aus dem „Krug- und Kannenbäckerlande“ (vergl. „Gartenlaube“ 1855, S. 148; 1867, S. 108) führt er das nöthige Töpfergeschirr den Haushaltungen zu, und da er besonders die schweren steinernen Geschirre herbeischafft, welche die „rührig waltende Hausfrau“ zum Einmachen der Gurken, der Früchte, wohl auch des nationalen Sauerkrauts (Kappes) bedarf, so erscheint er zumeist gegen den Herbst hin, hier und da auch im Frühjahr, um den Winterbruch im Hausrathe zu ergänzen.

Da steht denn in dem Rheindörfchen auf der Hauptstraße – häufig auch noch in den größeren Städten des Rheines, besonders zur Zeit der Messen und Jahrmärkte – der hochaufgeladene „Dippewagen“, und die sorgsame Hauswirthin sucht dort den Ersatz für den abgängigen Hausrath, sorgsam prüfend, ob das „Dippe“ auch hübsch ganz ist. Dies geschieht durch starkes Aufklopfen auf den hoch empor gehaltenen Topf, nicht selten mit dem Ehering, und weithin schallt der helle Ton des so untersuchten Steingeräthes.

Der rheinische „Kerbwage“.
Originalzeichnung von Ferdinand Lindner.

Es sind allerdings nur Kleinhändler, welche jetzt noch diesen Hausirhandel betreiben, denn für den eigentlichen Fabrikanten, der früher mit solchen Wagenladungen weit hinaus in’s Land zog, bietet sich durch Bahnverkehr und Waggonverladung heute Gelegenheit genug, seine Waare an den Mann oder an die Hausfrau zu bringen. Kaum daß noch ein kleiner Fabrikant selbst mit seinem Gespann hinausfährt, um seine gewerbliche Leistung, häufig „Koblenzer Geschirr“ genannt, höchsteigen zu verschleißen.

Droben in Höhr, in Grenzhausen, in Wirges, wo die Millionen unserer steinernen Mineralwasserkrüge gefertigt werden, ist die Heimath der Dippebäcker, der Ort, wo das „Steinzeug gebacken“, das heißt gebrannt wird.

Die weiße Thonmasse, welche im Brand grau wird. wird da droben durch Smalte[1] mit Malereien geschmückt, Malereien, die früher sehr bedeutend, dann durch den Rückgang des Kunstgewerbes sehr primitiv waren, sich nach und nach aber einer künstlerischen Zeichnung wieder zu nähern beginnen. Die äußere Glasur wird durch Verdunstung von Kochsalz in Hitze erzeugt, das heißt in Oefen gebrannt. Die während des Brennens entstehende Chlorentwickelung verflüchtigt alle oberflächlichen Eisenbestandtheile, wodurch sich die in Zeichnungen aufgetragene Smalte zu einem schönen Kobaltblau herausbildet.

Es sind wohl ein halb Dutzend Ortschaften, welche von der Krugbäckerei leben, und fast alle Versuche, die heilsamen Wasser des quellenreichen nassauer Ländchens in Flaschen zu versenden, scheiterten bisher an der Sorge um die Existenz jener Orte, welche in der Kannenbäckerei ihre Haupterwerbsquelle finden.

Mit nicht genug hervorzuhebender Sorgfalt hat denn auch die Regierung Preußens in Grenzhausen-Höhr eine keramische Fachschule errichtet, an deren Spitze der sehr tüchtige Direktor und Lehrer Herr Heinrich Meister steht. Diese Schule soll den jungen Leuten die Möglichkeit erschließen, ihr Handwerk mehr in kunstgewerblichem Sinne auszubeuten, und heute schon bringen Höhr und Grenzhausen Gegenstände hervor, die zum Schmuck unserer in neuerer Zeit wieder altdeutsch eingerichteten Gemächer wesentliche Ziergegenstände bilden. Daneben wird indessen das Nothwendige zum Hausbedarf für die kleineren Fabrikanten stets seinen Verkaufswerth behalten. Durch Haltbarkeit, Sauberkeit und [410] nützliche Verwendbarkeit werden die einfachen „Steindippen“ immer ihren Zweck erfüllen.

Jetzt schon dreht der Töpfer (am Rhein früher Ullner, Häfner genannt, daher der Name des ehemaligen Töpferdorfes Ulinhausen, Aulhausen bei Aßmannshausen) droben im Kannenbäckerlande seine Erzeugnisse zum Theil mit Maschinen, während bis vor nicht langer Zeit die ganze Anfertigung unter furchtbarer körperlicher Anstrengung – auch die Anfertigung der Millionen Mineralwasserkrüge – mit der Hand und den Beinen mittelst der Töpferscheibe geschah.

Da kommt denn nun der Kleinhändler hinauf, ladet seinen Wagen voll und hinab geht’s in’s Land, so lange der Vorrath reicht, oder besser, so lange der Wagen nicht geräumt ist.

„Na, Madammche, macht ’r kein’n Kappes inn? Hei – dat sein Dippe. Guckt emol do – so schien hatt’ er noch kein’ gesien! Nemmt Eich – ’s is Ausverkauf – mer brauche Geld – halb geschenkt! Der da – gelt? Der gefällt Eich? Der hält Kinner und Kinneskinner aus!“ so ruft der mundfertige Verkäufer und läßt zwei mächtige Krüge mit Gewalt an einander stoßen, um ihre Unverwüstlichkeit, ihre Unzerbrechlichkeit klarzustellen.

Die Industrie indessen, welcher der „Dippewagen“ sein Dasein verdankt, darf durchaus nicht unterschätzt werden.

Höhr hat wohl an vierzig Fabriken von Steingutwaaren, Grenzhausen nahe ebenso viel, die Orte Hilgert, Baumbach, Ransbach, Nauert, Wirges, Mogendorf, Alsbach und andere leben von dieser Industrie, die jährlich erzeugten Krüge rechnen nach Millionen, die Töpfe und Trinkgefäße nach Hunderttausenden, ganz abgesehen von den Steingutröhren, Thonpfeifen u. dergl. m. – Das Kneten des Thones, das Backen der Töpfe war den Römern schon bekannt. Die Arbeit, welche später durch die Erfindung der Töpferscheibe erst eigentliche Gestaltung erfuhr, ist uns entweder eben durch die Römer an den Rhein gebracht worden, oder sie war – wie einzelne Grabfunde beweisen dürften – schon vor denselben am Rhein bekannt. Das sechszehnte und siebenzehnte Jahrhundert entwickelte eine Industrie in jenem Krugbäckerländchen, deren musterhafte Leistungen zwar zum Theil mit der Zeit verloren gingen, die aber heute wieder – wie erwähnt – durch alle Mittel der Schulung angestrebt werden. Ein deutscher Töpfer erfand im dreizehnten Jahrhundert in Schlettstadt die Bleiglasur, wodurch die gebrannten Töpfe undurchdringlich wurden, das sechszehnte Jahrhundert brachte die Erfindung der Zinnglasur, und als im Jahre 1709 Böttcher in Meißen das Porcellan – „erfand“, war Wien 1720 die zweite, Höchst am Main 1740 aber die dritte Erzeugungsstätte für das ungleich feinere Porcellangeschirr, dem die roheren Krüge und Kannen indessen immerhin verwandt sind.

Droben aber an den Thonlagern der Montabaurer Höhe, in jenen sogenannten Kannenbäckerdörfern, erzeugte trotz des Porcellans die Töpferei gleichzeitig Geschirre, welche noch heute mit schwerem Geld aufgewogen werden und deren für die Folge zu erwartende Gediegenheit hoffentlich die Krugbäckerei bald wieder zum ausgesprochenen Kunstgewerbe erheben wird. Der „Dippewagen“ ist aber der unscheinbarste Verbreiter dieser Industrie, einfach und bescheiden freilich – aber von unendlichem Werthe ist seine Ladung für den Hausstand und für die Verfertiger, durch seine nutzbringende und Baarmittel schaffende Fracht. –

Der Rhein, so lachend seine Ufer und Rebengehänge den Wanderer und Beschauer auch grüßen, verbirgt nichts destoweniger durch seine Berge manch ernstes Bild dem Auge des flüchtig Reisenden. Nicht überall da droben wächst der gesegnete Rüdesheimer! Auf den Höhen des Taunus müht sich noch heute der Nagelschmied um wenige Pfennige, rauh ist der Hunsrück, unwirthlich der Westerwald in manchen Strecken, und die Eifel – kämpft oft genug mit der dringendsten Noth. Da greift denn die Industrie zu allen möglichen Gewerben, und da an den Ufern des Rheins und seiner Nebenflüsse die Weide heimisch, so entwickelt sich auch die Korbflechterei in einzelnen Orten. Ja, während drunten die Weide geschnitten wurde, kam sie erst verarbeitet von den Höhen wieder herab. weil droben der Lohn gering und Arbeitskräfte genug vorhanden. So bringen der Hunsrück Weidengeflechte, die Mainniederungen Körbe aller Art in den Kleinhandel, und da am Erzeugungsorte nicht Absatz genug, setzt sich der Körbehändler auf sein leichtes Gefährt und fährt hinaus, was daheim nicht verwerthet werden kann.

Am Niederrhein, auf der Eifel, im Taunus hat man seit kurzer Frist die Wichtigkeit der Korbweide und ihrer Cultur erkannt, und die an den Flußufern durch ein gewisses Raubsystem verminderten Weidenpflanzungen werden eben jetzt wieder mit großer Fürsorge ergänzt. Brauchen doch viele Gegenden des Rheines die Weide zum Binden des Weinstocks an die Pfähle.

Man hat aber auch ferner erkannt, wie sehr das Land und überschüssige Arbeitskraft der Korbflechterei nutzbar gemacht werden können, und wieder ist kein Landesstrich auch für den Absatz der Korbgeflechte so geeignet, so geschaffen, dürfen wir sagen, wie der Rhein. Braucht doch allein die königlich preußische Brunnenverwaltung zu Selters als Packmaterial nahe 3000 Körbe für Mineralwasser jährlich, ganz abgesehen von den vielen anderen Heilquellen; werden doch aus den am Rhein liegenden Gemeinden bei St. Goarshausen und Braubach für den Obsttransport (Kirschen, Aprikosen und Aepfel) nahe 20,000 Körbe in guten Jahren verwendet, den Bedarf der Traubenpackung und für den Weinbergsbetrieb selbst gar nicht gerechnet. Es kann angenommen werden, daß allein am Mittelrhein rund 60,000 bis 65,000 Mark an gewöhnlichster Korbwaare gebraucht wird. Der Korbwagen aber (der „Kerbwage“ im Dialekt), wie ihn unser Bild zeigt, bringt heute noch die Erzeugnisse einfacher Flechterei aus der Mainniederung und vom Hunsrück herab in die Städte und ist auf den rheinischen Landstraßen eine so häufige Erscheinung wie der „Dippewage“.

Gerade jetzt bereitet sich eine Umwälzung nicht nur in der Weidencultur, sondern auch in der Flechtkunst am Rhein vor. So schreibt Bürgermeister Krahe in Prummern (Reg.-Bez. Aachen) in dem von ihm herausgegebenen Lehrbuch der rationellen Korbweidencultur: „Die Korbweidenanlagen und die Korbflechterei sind für die Gegend (Roer-Wurm-Niederung) zur reichen Nährquelle geworden. Eine jährliche Bruttoeinnahme von 220,000 Mark, wie sie von den vorhandenen 564 Hectar Weidenhegern amtlich nachgewiesen ist, sowie eine Jahreseinnahme von mehr als 350,000 Mark Arbeitsverdienst der 962 Flechter, das fördert den Wohlstand wesentlich, namentlich bei einer Bevölkerung, die größtentheils aus Kleinbauern besteht.“

Wie der Generalsecretär des Vereins der Nassauischen Land- und Volkswirthe, Herr W. E. Müller, in einem besonderen Berichte über den Gegenstand mittheilt, versicherte ihn der Bürgermeister Esser in Bracheln, „daß durch die Entwickelung des Flechtgewerbes die frühere Armuth und das Unwesen der Bettelei gänzlich beseitigt worden und Wohlstand an deren Stelle getreten sei“.

Diese Erfahrungen haben einen gewichtigen Anstoß auch für den rührigen Taunusclub in Frankfurt gegeben, um den höher gelegenen Taunusorten diese Industrie zu verschaffen. Auf Veranlassung des Vorsitzenden dieses Clubs, des Herrn Hauptmann außer Dienst Haus in Frankfurt, richtete der genannte Verein, die Nothstände berücksichtigend, welche in den Jahren 1879 und 1880 den oberen Taunus heimsuchten, eine Flechtschule in Grävenwiesbach unter zuvorkommender Beihülfe des dortigen Pfarrers Deißmann ein, beschaffte baare Mittel und Material, pflanzte Stecklinge, rigolte Land zu dem Zwecke, bestellte einen Flechtmeister – kurz, schuf der Gegend eine neu aufblühende Industrie. So sind schon mehrere hundert Ar Landes mit Hunderttausenden von Weidenstecklingen bepflanzt und die Resultate für die Weiden- und Flechtindustrie sind heute schon ganz wesentliche.

Hauptmann Becker in Königstein rief die Macht der Presse durch anregende Aufsätze zu Hülfe, die königliche Regierung trat mit baarem Beistande hinzu, und gegenwärtig schreitet diese, man dürfte sagen wiedererwachte Flechtindustrie in neuen Bahnen rüstig vorwärts, Armuth verscheuchend, Hülfe leistend, Arbeitsamkeit fördernd und Gutes nach allen Seiten verbreitend.

Bezog doch bis heute der Regierungsbezirk Wiesbaden den größten Theil seines enorm hohen Bedarfes an Weiden und Flechtwerk von auswärts, während im Taunus allein Hunderte von Morgen feuchtes und schlechtes Land vorhanden sind, die landwirthschaftlich gar keinen oder doch nur wenig Nutzen abwerfen, während der Boden sich gerade für diesen Anbau trefflich eignet. Darum, fröhlicher Rheinwanderer, der du die Reize des Stromes nicht allein von dem Dampfer des Rheines aus bewunderst, [411] sondern rüstig deine Straße schreitest, triffst du einen „Dippe- oder Kerb’-Wage“ auf dieser Wanderung am Stromufer, so gedenke der beiden Industrien, welche bestimmt sind, da droben das Elend und den Kummer zu scheuchen, gerade da – wo du diese angesichts des lachenden Bildes, welches dich umgibt, am wenigsten suchst. Die unscheinbaren Gefährte sind die bescheidensten Vertreter und Verbreiter der – Arbeiten bedürftiger Stammesgenossen.


  1. Smalte, ein durch Kobaltoxydul stark blau gefärbtes Glas, welches gemahlen als Farbe benutzt wird.