Von drei Perlen die eine

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Textdaten
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Autor: H. v. C.
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Titel: Von drei Perlen die eine
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 427–429
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Eingang zum Schwarzathal.
Nach der Natur aufgenommen von Herm. Heubner.

[428]
Von drei Perlen die eine.



Wie es in der berühmten Erzählung des weisen Nathan drei Ringe giebt, von denen einer der echte sein soll, während sie im Grunde alle drei echt sind, so hat der Thüringerwald seine drei Perlen, von deren jeder behauptet wird, sie sei die wahre „Perle des Thüringer Waldes“. Sie heißen: die Wartburg, Reinhardsbrunn und das Schwarzathal mit der Schwarzburg. Unseres Bedünkens sind die Perlen alle drei echt und wohl geeignet, jedes empfängliche Herz mit Entzücken zu erfüllen.

In der Mitte ihres Laufs von Saalfeld nach Rudolstadt wendet die Saale sich in weitem Bogen gen Westen, um ein frisches und fröhliches Kind des Gebirgs in ihren Schooß aufzunehmen, die Schwarza. Auch der freundliche Ort, wo das geschieht, heißt Schwarza, und von ihm aus beginnt der Reisende, der zur Brunnen- und Badezeit vom Norden her die Zahl der fremden Luftschnapper des Thüringerwaldes vermehrt, seine Wanderung in das Schwarzathal.

Wenn wir das breite Saalthal verlassen und den obstreichen Marktflecken Schwarza hinter uns haben, treten mit jedem Schritte vorwärts die Höhen zur Linken näher an die Straße heran, während zur Rechten die Schwarza den Fuß der Berge bespült. Bald hebt sich aus dem dunkeln Waldberghintergrunde die Ruine Greifenstein heraus, in deren einst glänzenden Räumen Kaiser Günther’s Wiege gestanden, und am Fuße des Schloßberges grüßt uns die freundliche Stadt Blankenburg, ein aufstrebender Badeort. Kurz vor Blankenburg theilt sich die Straße und führt rechts zur Stadt, links über die Schwarza zum Schwarzathal, und hier stehen wir vor unserer Illustration. Wir sehen, wie die Wald- und Felscoulissen sich durcheinander schieben, und können uns im Voraus ein Bild machen von den Schluchten, durch welche der Weg sich zu seinem nächsten Ziele, der Schwarzburg, hindurchwinden muß.

Dreierlei nimmt hier unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, ehe wir unsern Fuß in das Thal der Felsen setzen: zur Rechten das neue schmucke Schweizerhaus, dahinter der sog. Chrysopras, und zur Linken die Schwarza selbst. Dem Schweizerhause, einer klimatischen Curanstalt, machen wir auf dem Rückwege unsern Besuch. Wenden wir zunächst dem Wasser unsere Beachtung zu.

Die Schwarza ist nicht nur das schönste der größeren Gewässer Thüringens, sondern auch ein seltenes Glückskind: ihr allein gelingt das Unerhörte, ihren ganzen zwölf Stunden langen Lebenslauf von der Wiege bis zum Sarg, d. h. vom Rennstieg bei Habichtsbach bis zur Saale, in einem Lande, in Schwarzburg-Rudolstadt, zu vollenden. Keinem anderen Gewässer von gleicher Größe ist solche Treue in Thüringen möglich, alle laufen durch mehrerer Herren Länder. Dazu kommt noch ihre goldschimmernde Vergangenheit. Noch heutzutage sind hier und da die gräberähnlichen Erdhaufen zu sehen, die Zeugen der alten Goldwäschereien. Auch hierher versetzt die Sage jenen „Venetianer“ des Kyffhäusers, welcher den Bauer auslachte, weil er nach der Kuh einen Stein warf, der mehr werth war, als die Kuh. Dieser Segen ist verschwunden. Ein Rudolstädter, der aus Californien heimkam, suchte ihn zu erneuen, aber mit all seinem Goldwaschen brachte er es am glücklichsten Tage nur auf vier Silbergroschen.

Noch schlimmer erging es dem Mann, welchem der „Thüringer Hof“ den seltsamen Namen „Chrysopras“ verdankt. Zu Anfang unseres Jahrhunderts faßte ein preußischer Bergrath, Danz, den Entschluß, hier, auf der Grenze des Ur- und Flötzgebirges, den Bergbau neu zu beleben. Er trieb einen tiefen Stollen in’s Gebirge, baute davor ein Zechenhaus, zog mit seiner Familie hinein und verhämmerte rastlos fast sein ganzes bedeutendes Vermögen. Als seinen liebsten Fund zeigte er gern seine Chrysoprase, d. h. Stücke von jenem grünen Chalcedon, einem schönen Mineral, das in Schlesien daheim ist, dort zu mancherlei Schmuck verarbeitet wird und besonders durch Friedrich’s des Großen Liebhaberei für dasselbe zu Ansehen gekommen war. Danz nahm ein trauriges Ende, sein Zechenhaus ward in einer Nacht ausgeraubt und Mann und Familie kamen in’s Elend. Das Zechenhaus ward zum Wirthshaus umgewandelt, der alte Stollen zum Bierkeller, und an den verschollenen Gründer erinnert nichts mehr, als der Name Chrysopras, mit dem der Volkswitz das Haus belegte.

Und nun hinein in das Tempe Thüringens. „Salus intrantibus!“ So ruft das Thal mit goldner Schrift am ersten Fels „den Wanderern seinen Gruß“ zu, und über und hinter ihm türmt es rechts sich hinauf, graublaue Felswand und wieder grünes Moos und Gestrüpp, Felsenzacken und Baumgruppen, immer aufwärts, und ganz oben Kuppel, Pyramide, Faust oder zum Himmel zeigende Finger, Alles Fels! Der Anblick fesselt das Auge des Wanderers so, daß er anfangs fast schleichenden Schrittes vorwärts geht, um kein einziges Felsstück ungesehen liegen zu lassen. Ist er bis zur Mitte der ersten Thalwindung gekommen, wo rechts der Griesbachfelsen schroff emporsteigt, so springt gegenüber von einem der hohen Waldberge – welche bekanntlich die andere Seite des ganzen Thals bilden – aus einer dunklen Schlucht heraus und Satz um Satz herab ein lustiges Wasser in die Schwarza hinein. Jetzt erst bemerkt man eine neue Ueberraschung des Thals: die Windungen desselben sind oft so kurz, daß man sich in der Mitte einer solchen wie in einen rings umschlossenen Kessel eingesperrt deucht. Hoch oben nicken hier die im Sonnengold spielenden Baumwipfel, drohen dort die bestrahlten Felshäupter, senken sich dann die Fels- und Waldwände uns immer beengender herab, bis sie mit dem gewaltigen Fuß oft hart am Fluß- und Straßenrand aufstoßen. Schreiten wir aber vorwärts, so rücken die Coulissen wieder auseinander, hier der Wald, dort der Fels, wie aus gegenseitiger Gefälligkeit, bis das Auge plötzlich wieder aufwärts schwärmt. Diesmal ist es ihm bequem gemacht. In mächtigen Absätzen steigt ein Feld thurmartig aus der Wald- und Schieferwand heraus und an ihr empor. Das Volk nennt dieses Felsbild die Teufelstreppe. Bald ist der Kessel wieder gesperrt, dunkler als vorher, durch eine hochaufragende Waldkoppe zur Linken.

Hier haben wir zum ersten Mal in nächster Nähe auch das im Ruinenstil (um 1844) erbaute fürstliche Jagdschlößchen „Eberstein“, das wir schon am Eingang des Thals und auf unserer Illustration auf jener waldbewachsenen Felszunge, überragt von der Hünenkoppe, herüberleuchten sehen.

[429] Eine neue Thalwindung, neue Wald- und Felspracht und ein viel engerer Kessel, rings düster abgeschlossen, in den der Himmel nur um so herrlicher hereinlacht. Aber vorwärts drängt es, denn es winkt über alle Wipfel herüber der höchste Schmuck des Thals. Je mehr wir um die Biegung herumkommen, desto herrlicher breitet es sich aus und da steigt es empor, Schritt um Schritt mächtiger, überwältigender – bis wir endlich vor der wundervollen Majestät des anderthalbtausend Fuß hohen Kirchenfelsen in Staunen und Andacht stehen bleiben. Ja, das ist ein Dom, den die Gottheit sich selbst in gothischem Lapidarstil aufgebaut. Kuppeln und Thurmzacken leuchten im Sonnengold, aber die Orgel liegt unten im Wasser: das steinerne Wehr, ein Felsenkamm, der sich quer über das Thal gelegt und die Schwarza zwingt, mit den schäumenden Wellen sich Orgelpfeifen in das Gestein zu wühlen und den Grundbaß zu brausen zu dem Rauschen und Flöten und Singen des Waldes.

Neben dem Kirchfelsen erhebt sich ein kleinerer, aber durch die Sage interessanter Koloß: der Adafelsen, denn hier oder auf der gegenüberliegenden Hünenkoppe soll eine Hünenfürstin gehaust und vor vielen tausend Jahren schon die schöne Aussicht genossen haben.

Imposanteres bietet das Thal nun nicht mehr bis zum Trippstein, obwohl wir noch sechs Thalwindungen vor uns haben. Das nächste Felsbild gewährt die hohe, zackenreiche Wand des „Fuchsstein“. Weiterhin erinnert uns der „Floßrechen“ daran, daß die Schwarza auch der Arbeit der Holzbeförderung dienstbar ist. Gleich dabei labt sich das Auge am köstlichen immer quellerfrischten Grün einer kleinen Wiese, die der dunkle Fichtenwald beschattet. Eine Einsiedelei aus rohen Baumstämmen ladet zur Ruhe ein. Aber wir suchen diese lieber in der sogenannten „Oppelei“, einem Wildwärterhäuschen im Schweizerstil, das uns nicht blos daran erinnert, daß wir uns längst in dem großen fürstlichen Wildpark von Schwarzburg befinden, sondern das uns auch mit Speise und kühlem Trank erfrischt, und zwar beim Rauschen eines lustig herabstürzenden Gießbachs. Von da an steigt das Thal, den „Kienberg“ zur Rechten, der Laubwald wird vorherrschend, die Wiesen dehnen sich aus, bis endlich links die Schwarzburg hellleuchtend von ihrem Fels herüberschaut.

Ehe man auf dem bald von den ehrwürdigsten Tannen überdachten Wege zum Schwarzburger Gasthof eilt, setzt man lieber der Wanderung die Krone auf durch die Besteigung des Trippstein. Diese sechshundert Fuß über dem Spiegel der Schwarza emporragende Felsklippe trägt einen einfachen Pavillon, aber jedes Fenster desselben bietet ein interessantes Bild, das seines Gleichen sucht. Man schwimmt hier in der reinsten Waldwonne. Und tief unten, die helle Perle im dunklen Kranz, thront die Schwarzburg mit ihren Zinnen, Thürmen und Dächern und um sie her die Hütten und Häuser der „Männer im Thale Schwarzburg“, wie seit alten Zeiten sich die Bewohner des Dorfes Schwarzburg nennen. Auf lieblich verschlungenen Parkwegen gelangt man zu all diesen Herrlichkeiten hinab.

Zum Schlosse Schwarzburg wie zum Greifenstein führt uns in der Gartenlaube wohl eine andere Gelegenheit. Das Eine ist aber hier dem Schwarzathal zum Preise noch nachzusagen: es verliert nicht beim Vergleich mit vielem später Gesehenen, und auf dem Gange zum Chrysopras zurück bleiben uns vor jedem der Naturbilder, die uns herwärts entzückt haben, die alten Gefühle treu. Sind wir aber aus den Wald- und Felswindungen wieder da angekommen, wo der Blick frei wird über das weite Thal und vor uns die fruchtbare Ebene bis zu der künftigen Saal-Eisenbahnstation Schwarza und in’s breite Rudolstädter Thal sich erstreckt, so eilen wir in den lieblichen Winkel, wo die Gesundheitspflege sich ein Asyl gegründet und gerechter Weise dazu den Schweizer Stil gewählt hat. Wir stehen vor der „Klimatischen Curanstalt“ des Medicinalraths Dr. J. Schwabe.

Diese schon durch ihre Lage und ihr geschmackvolles Aeußere außerordentlich anmuthende Curanstalt enthält zweiunddreißig Zimmer, die sämmtlich herrliche Aussicht haben. Sowohl klimatische Curgäste (die eigentlichen „Luftschnapper“) als auch an Rheumatismus, Blutarmuth, Nervosität etc. Leidende und Reconvalescenten beiderlei Geschlechts bilden das Contingent der Besucher. Die Hauptcurmittel sind hier gesunde und reichliche Kost, die herrliche milde Waldluft, Bäder aller Art in der zum Hause gehörigen Badeanstalt, Elektricität, Heilgymnastik etc. Besonders heilkräftig bewährten sich bisher gegen rheumatische Leiden Kiefernadelextract- und Dampfbäder. Ein heiteres geselliges Leben herrscht im Hause. Bei gutem Wetter lockt von selbst die reizende Umgebung zu gemeinschaftlichen Ausflügen, und auch bei schlechtem Wetter ist man nicht in Verlegenheit um Zeitvertreib; bei Musik, lebenden Bildern, Costüm-Kaffees und anderen geselligen Unterhaltungen in den geräumigen Salons trotzt man mit Vergnügen dem finstersten Himmel. Und so kommt’s, daß es den Gästen dieses Asyls wie den Schwärmern im Schwarzathale ergeht: Alle verlassen es ungern und denken beim Scheiden schon am liebsten an das Wiederkommen.

Leider soll der Chrysopras neuerdings von Berliner Gründern in Besitz genommen sein. Wenn auch dem alten Wirthshause etliche Renovation und gepflegtere Reinlichkeit nicht hätte schaden können, so war’s doch für den ehrlichen Berg- und Waldfreund sicherlich ein entsprechenderer Aufenthalt, als ihn künftig große, stattliche, überglänzende Räume mit Kellnern, deren Bartcotelettes und Haarölduft den besten Appetit schon von Weitem verderben, hier werden bieten können. Hoffen wir, daß der ernste schöne Wald so viel Einfluß auf den Geschmack der neuen Besitzer ausübt, daß ihre Speculation nicht gar zu ausschließlich dem Wohlgefallen einer „modernen“ Gesellschaft mit ihrer verkrüppelten Bildung huldigt.

H. v. C.