Von einigen, noch wenig bekannten, deutschen „Sängeracademien“
Pfingsten naht, Pfingsten lockt uns wieder hinaus in die Feiertagswelt der grünen Natur, hinaus zu dem ewigen Jubel des hellsten Sängerchors, des gottgesegneten, fröhlichsten Völkleins der Wälder, und dem Menschen, der Monden lang in dumpfen Mauern eingeschlossen war und im Drange der Geschäfte „Saatengrün und Lerchenwirbel, Amselschlag, Sonnenregen und linde Luft“ vergaß, dem Menschen sind ein paar Tage geschenkt, wo er einmal wieder ganz Mensch sein darf, ein paar Tage, wo er seine Werkeltagssorgen hinter sich wirft. „Gesegnet, noch im Grabe gesegnet – sagte einmal Jean Paul – sei der Mann, der die Ferien erfand und könnte ich, noch wollte ich seinen weißgebleichten Schädel streichen.“
Auch mich führte jüngst meine Reiselust mit einigen Freunden auf das herrliche, anmuthige Thüringerwaldgebirge. Noch seh ich die schattigen Buchenhallen; noch seh’ ich die gesunden, blühend schönen Gebirgsleute, noch die grünen ober blauen Blousen, den runden, schwarzen Filz der Männer, noch den weiten, kattunenen Frauenmantel, das keck flatternde, auf der Seite geknüpfte, seidene Tuch der Mädchen; noch klingt das harmonisch gestimmte, oft nach [250] verschiedenen Gemeinden in besonderen Accorden eingekaufte Schellengeläute von den Waldwiesen der Tanzbuche und des Inselsbergs herüber. Was ist’s, was zumeist dem thüringer Waldgebirge den specifischen Reiz verleiht und ihm einen ganz besonderen Character giebt? – Nicht die Großartigkeit des Riesengebirges oder gar der deutschen Alpen, nicht die Rauhheit und Abgeschroffenheit der Röhn und des Spessart, nicht die rasche, mannigfaltige Abwechselung des Harzes, auch nicht eine besondere naturhistorische, etwa geologische Eigenthümlichkeit, wie beim Fichtelgebirge vorzugsweise, nein, der eigenthümliche Reiz liegt in der Anmuth der Natur, in der eigenthümlichen Industrie seiner Bewohner und in der Geschichte dieses Bodens. Die Anmuth ist anderwärts auch zu finden, aber nicht so allgemein; das Erzgebirge hat auch geologische und geognostische Eigenthümlichkeiten, aber auch andere Industriezweige und sein – leider – charakterisirendes Elend. Und die Geschichte? Die Geschichte des deutschen Volkes rankt sich um kein Stück, um kein Gebirge des vaterländischen Bodens wohl mehr, als um diese Colonnade des himmlischen Architekten.
Auf Anrathen zweier lieber Begleiter gaben wir für heute unsern Plan, das „weißenburger Häuschen“ und den „Bürschenweg“ erreichen zu wollen, auf, verließen, den uralten, wahrscheinlich von Karl dem Großen schon angelegten „Rennstieg“ und bogen vom Ungeheuergrunde hinter Reinhardsbrunnen nach Tabarz ein. Tabarz und Cabarz sind zwei saubere Dörfer mitten im Waldgebirge, in engen Gebirgsecken gelegen; sie sind Beide, still der Natur am Herzen liegend, mit Waldduft, Waldkräutern und Waldgesang zusammengewachsen, ein paar rechte Plätzlein für Romantik. Die Bewohner sind ein eigenthümlicher Menschenschlag, durch Mundart und Kleidung von den Nachbarn verschieden, jedenfalls wendischer Abkunft. Sie erinnern auch in vieler Beziehung an den altenburger Bauer, und die Namen ihrer Ortschaften nehmen sich höchst seltsam aus mitten unter ächtdeutschen Ortsnamen.
Hier war’s, wo wir ziemlich ermüdet unsere Reisetaschen abwarfen und zuerst in dieser Gegend so recht auffällig auf einen neuen Charakterzug der thüringer Waldbewohner hingewiesen wurden. Eine ihrer liebsten Beschäftigungen, eine allgemeine Volksliebhaberei ist der Vogelfang und was damit zusammenhängt: Vogelzüchterei und Abrichten dieser Vögel. Diese Beschäftigung ist ein Stück thüringer Volksindustrie.
Vom Harze herüber klingt zwar auch aus alter Zeit die Sage von fleißigem Vogelfange; Heinrich der Vogler wurde ja dort vom Finkenfange hinweg zum großen Fange geholt. Auch sonst allerwärts giebt’s Vogelsteller und Vogelherde; aber nie so gründlich gebildete und wachsame und stolze Vogelsteller als hier. Auch mag kein Gebirge so leicht eine so bedeutende Anzahl derselben aufstellen können, als der thüringer Wald. Von Jugend auf sitzen hier die Knaben um den alten Vogelsteller her, lernen frühe schon Sprenkel stellen, Ruthen streichen, dann die Gebauer schnitzen, Pappe ausschneiden, Draht und Weidenruthen flechten; dann geht’s mit in den Wald. Da wird nun gelugt, „ausgeschaut, wo der Krinitz, der Weinzapfer, der Schniel“ etc. sein Nest baut; da lernt der Junge klettern; der Vogelflug, der Nestbau, der Lockton des Vogels ist ihm, oft schon hinreichend, den Vogel, den er vor sich hat, zu bestimmen; Wissenschaften, die nur er, der Sohn des Waldes, kennen mag und die uns meist ganz abgehen. Ja, der ächte Vogelsteller weiß an der Beschafffenheit, an der Mischung des Waldes, an der Oertlichkeit überhaupt, welche Vögel in der Nähe nisten müssen.
Dann muß man die Pflege der Vögel erlernen, ihr Futter und ihre Lebensweise wissen und das kostet Jahre; und soll’s noch Etwas mehr einbringen, als gewöhnlich, nun so muß der Vogelsteller auch etwas Markt verstehen und den Handel einleiten oder selbst auf Märkte ziehen.
In unserem Hause wohnte solch ein alter, ergrauter Waldbruder, der mich, als ich ihn unter seinen menschlichen und thierischen Schülern sah, unwillkürlich an Kind’s Gedicht: „Der Stieglitz“ erinnerte. Er saß vor einem alten, buchenem Tische und schabte Möhren; daneben stand ein ziemlich großer, hölzerner Futterkasten mit mancherlei Futtersorten in kleinen Kästen; auf dem Tische saß ein kirrer Gimpel und hülfte Sommerrosenkörner mit ebenso großem Appetite aus, wie ein rothbäckiger Junge neben ihm sich wacker in seine Butterschnitte vertiefte. Ein älterer schnitzte Holzstäbchen aus fichtenen Aestchen. Die Seite der Stube war über und über mit Vogelbauern tapezirt: groß und klein stand und hingen sie da. Die untersten waren „Brutkäfige“ und deshalb groß; oft waren sie aus Weidenruthen geflochten; darüber standen Gebauer aus Holzstäbchen, Eisendraht und durchbrochener Pappe gefertigt. Nicht immer bleibt die Form und der Stoff der Gebauer dem Zufalle überlassen; Vögel, die gern laufen, anlaufen und dann aufstoßen, bekommen lange, schmälere und mit Wachsleinwand weich gedeckte Käfige. Vögel, die gern „knappern“ (an einer Sache herumhacken) bekommen selten Gebauer von Eisendraht, weil sie den Rost „abputzen“ und sich den eigenen Schnabel oft zu Schanden machen. Noch weniger – meinte unser alter Kenner – würde er den Vögeln einen Bauer von Kupferdraht, wie sie jetzt häufig sind, geben; Holz sei rathsam und solle das nicht sein, so gebe man den dünn geschnäbelten Insektenfressern, den Grasmücken, Fitis und ähnlichen, Pappwände in die Gebauer. Einen „Bollenpick“ (so heißt der Kernbeißer dort) freilich dürfte man nicht Pappe geben.
„Wohin geht denn Euer Handel, liebe Leute, vorzüglich?“ fragen wir.
„Viel wird nach Preußen geschafft; wieder Viel geht aber nach dem Süden über Bamberg und mit den Saamenhändlern von da weiter. Wir ziehen aber auch auf die Märkte und Messen und in Fröttstädt und Waltershausen werden große Bestellungen gemacht.“ –
„Seid Ihr denn Viele im Ortem die sich damit nähren?“ –
„Herr, hier treibt man allerweil den Vogelfang, wenn man Muse hat und ich bin doch nicht der erste Vogelfänger im Orte.“
„So! Wer ist denn der erste Vogelfänger?“
„Das ist der Finkenmärten am obern Steg. Der zieht Sommer und Winter und ist blos Vogelsteller; der kann Euch mehr sage, wenn’s nur höre wollt!“ –
Wir gingen zum obern Steg hinauf. Der Finkenmärten war daheim. Wir traten in die Hausflur, wo Netze, Ruthen, Pferdehaare und Tirasse lagen. Der alte Züchter war ein freundlicher, gesprächiger Mann, wie es schien, erfreut über den Besuch. Er stand auf und kam uns freundlich entgegen; auf unsre Bitte aber, sich doch ja nicht stören zu lassen, setzte er sich wieder und begann auf der Serinette, jener kleinen Drehorgel, zu spielen. Es war gerade in seiner Hauptarbeit, als Professor artis musicae seinen kleinen gefiederten Musensöhnen Melodien einzulernen. Man benutzt außer dem Vorpfeifen und Vorsingen gar häufig noch die Serinette; vorzüglich geschieht dies bei er Gimpelzucht, wozu man oft eine kleinere Art mit bloßer oder wenigstens stark vortönender Melodie angewendet. Jetzt sahen wir auch die Wirkung auf die kleinen Sänger. Sie wohnten in ähnlichen Zellen, wie wir sie vorher gesehen hatten; nur schien hier Alles mehr auf Abrichtung und Zucht berechnet zu sein und ihr Musaget, ihr grauhaariger Musenführer, war in dieser Beziehung ein höchst interessanter Patron.
Nicht alle Conservatoristen nehmen diesselbe Notiz von der ihnen vorgepfiffenen Melodie; am Meisten und zunächst gilt dies von den Gimpeln, Sperlingen, Ammern und Staaren. Aber selbst Canarienvögel, Zeisige und Stieglitze nehmen Neues an, wenn es auch wenig ist.
„Sehen Sie“ – meinte der Alte – „dieser Canariensänger hat lange neben diesen Schniel (Gimpel) gehangen, um ihm als Cantor zu dienen. Aber zuletzt hat mir der Gelbe noch vom Schniele angenommen. Hören Sie’s?“ – Und eben ließ der Canarienvogel seinen vom Gimpel entlehnten Lockruf: „Diu, diu! Poipoipoipoipoi“ ertönen. Und um einem Gimpel drei Melodien beizubringen, kostet es oft Dreivierteiljahre, ja auch ganze Jahre; aber wenn der Gimpel ausstudirt hat, so ist auch diesem herzensguten, zutraulichen Vögelein kaum einer der häufigeren Sänger an Eleganz der Töne gleichzustellen.Allerdings ist es ein Eingriff in die Natur, was seine einfach-schöne Waldweise abtrillerte, etwa den dessauer Marsch oder ein: Wohlauf noch getrunken – einzuüben. Theilweise macht auch die Natur ihr Recht wieder geltend; denn schließt er eine Strophe ab oder kommt er zu seinem eigenen Colloraturen, seinen schnellen, tirilirenden Figuren, seinen Passagen, Läufern , Triller und Tremulanten, so erlaubt er sich immer ein Zwischenspiel, eine neue, pikante Wendung, die mehr [251] oder minder an seinen alten Waldsang mahnt, wo ihm kein Drehorgler oder Pfeifer Lehrmeister sein konnte.
Was die Finken anbetrifft, so gilt von ihnen allen, ganz vorzüglich aber vom Buchfinken oder Edelfinken, daß sie, so gut wie die Handwerksburschen, die Studenten, die Mädchen und anderes frohes, sanglustiges Volk ihre Melodien haben. Heute singen die Finken eines und desselben Holzes noch ihr altes, eingeübtes Lied. Es ist der Gruß einer Verbindung, das Kennzeichen der Landsmannschaft, die Parole. Siehe da! Ein Sturm, ein Spatzenschießen oder sonst ein Ungefähr, vielleicht selbst ein schüchternes Finkenjüngferchen, hat auf ein Mal einen Fremdling gebracht; es ist ein stolzgebrüstetes, frisches Männchen. Das bringt eine andere Weise mit, Alles lauscht und prüft rings in den schweigenden Zweigen. Und hat er gefallen, der neue Sänger, bei seiner ersten Gastrolle, so singt jeder Finke in der Nachbarschaft nach wenigen Tagen eben so. Es ist bekannt, und jeder thüringer Bube weiß es, daß, so gut wie die Himmelslerche (unsere gemeine Leerche, A. arvensis) nur ihr erstes Morgen- und letztes Abendlied an der Erde oder im niedrigsten Strauche sitzend, singt, oder, so gut wie die große Schnarr- und die Ziemerdrossel (T. viscivorus und pilaris) hoch droben vom Wipfel herabjubelt, ebenso gut sich der Fink zu seinem klaren, bestimmten, kurzen und zuweilen schmetternden Liedchen am liebsten überhängende Aeste wählt. Frei will er singen, vom Blatte zwar, wie alle übrigen, aber auch in freister Stellung. Sie können mir’s glauben – fügte der Alte hinzu – der Fink ist der resoluteste, klügste Vogel; er hat seine Moden, seine Leidenschaften, seine Launen, seine Studirzeit und seine Sprache.
„Es ist wohl Euer Hauptvogel und Euer Liebling?“
„Warum nicht, Herr? O, es giebt auch gar Vieles dabei zu sinne, wenn’s ma sieht, auch’s Thierl hat sein G’satz und Rechte.“
„Ihr sagtet, Leidenschaften und Launen hätten Euere Finken?“
„Ja, und nicht blos meine, sonbern alle ringsum! Verstehends, der Fink ist gesellig, aber dennoch futterneidisch; er thut gar ehrbar schwätze und ist doch eifersüchtig auf die Andern. Sind g’rad wie die Stutzer, woll’n gefallen und rauf’n sich um’s Madel, wie die Bursche im Dorfe. Da binden wir einem Männel die Flügelspitzen aneinand’, stecken d’rüber, über dem Rücken, eine Leimruthe auf und lassen’s nun los, wo sich ein ander Männel singend aufschwingt. So wie’s das gewahr wird, stößt’s auf den Gefangenen herab und verklebt sich’s ganze Gefieber. Das ist’s Finkenstechen bei uns, und ein Lerchenstechen giebt’s außerdem noch, und d’rum haben Finken und Lerchen Leidenschaften. Und Launen hat der Fink auch, denn ein Mal liebt er mehr Nadel-, ein Mal mehr gemischtes Holz; einmal baut er mit Moos, Wurzeln, Halmen und Pferdehaaren und behangt sein Alles mit Baumranke (Flechten), daß dem Spitzbube Niemand sein Nestl auslugt und dann läßt er’s Gerank wieder weg, wo er’s g’rad recht haben könnte. Draußen thut er wie Zuckerplätzle gegen den Gatten und die Jungen und drinnen im Weidrich, mit den Jungen zugleich eingesperrt, will er Nichts von ihnen wisse, und aus Erbarmen muß man’s junge Geziefer allein aufziehe. Sieht das nicht aus wie Laune?“
„Und wissen’s denn, wenn Lern- und Studirzeit ist? Wenn’s arr err arr losgeht, im Frühjahr, im März, nach der Ankunft. Do sieht man’s doch, daß man frühe lerne muß, soll’s was werde. Und jed’s Frühjahr wird auf’s Neun einstudirt, so daß ich manchmal g’docht hab’, mag wohl ein ew’ges Lernen bebeuten solle; die Junge fange manchmal schon im Herbste noch zu stimme und zu dichte (das erste Singen) an; freilich thut’s sich noch nit kläre. Wenn’s dann no wird, klingt’s aber pink, pink, trink, trink ringshin; andere sagen fink oder jäck jäck und jüpp jüpp. Sprechens doch die Leut’ im deutschen Reich auch nit all’ Eins. A Voater redt anders mit seinen Kindern; der Fink a schnärrt und lespert zu seine Kleine „„rrüip,““ zum Weibel „„zir zirr.““ kommt’s ihn ängstlich an, ruft er laut „„rrüip pink pink““ und wenn’s regnen wird, sagt er’s a.“
„Sagen’s Euch denn nicht die Spechte und Wendehälse lauter?“
„0 ja! Aber ’n Fink sieht und hört man allweil und ’s schwüle Wetter schreit er an: „„Trifh, jrerrk, jeck,““ ’s kommt bald Dreck.“
„Wie viel Finken habt Ihr denn in Eurem Gewahrsam?“
„35 Stück Finken, aber 70 Vögel in Allem, Mancher gilt ’n Dreier, manchen möcht’ ich nit um Gold verfeilschen.“
Wir waren völlig befriedigt. Die Vogelhäuser mit ihrem munteren Leben, der gemüthlich plaudernde Alte mit seiner ächt thüringischen Mundart dazu. Alles hatte uns einen bleibenden Eindruck von einer thüringer Sängerakademie hinterlassen. – Ein abgerichteter Staar rief uns mit superklugem Schnabel noch ein Lebewohl nach.
Noch lange konnten wir nicht des Gezwitschers, der schreienden Serinette, der eigentümlichen, derben Sprache des Vogelstellers vergessen.
In keinem Lande der Welt lassen sich vielleicht Beobachtungen über die Singvögel leichter anstellen als hier, wo diese so gern zu Hause sind. Drum haben wir auch tüchtige Werke der Art, diesem Boden entsprossen. Drum hat auch die klassische Literatur der Deutschen dem thüringer Vogelsange ihre Verehrung gezollt, und Ernst Wagner in seinen Briefen aus Liebenstein gar die Finkenschläge in vier Kategorien gebracht, unter denen die Finken mit den Schlußformeln Paraduppia Gabir und dann Jajaja Sparbarapierpet und die mit dem Kunsttriller Rrrrrr Jiiiiiii Zeeeeer, die besten sein sollen.
In ganz Thüringen hat man vorzüglich drei Ortschaften als Hauptstapelplätze der Vogelzucht und des Vogelhandels anzusehen; nämlich Breitenbach im südlicheren Gebirgstheile, Tabarz, in der Mitte am Inselsberge und Waltershausen, jetzt der Wohnort des bekannten Dichters Ludwig Storch, welches so reizend an der Berglehne liegt und in dessen Nähe das berühmte Schnepfenthal aufblühte. Diese Ortschaften sind unsere rechten Sängerakademien; denn nicht nur in Dörfern, selbst in größeren Städten finden wir diese Vogelliebhaberei leidenschaftlich betrieben. Waltershausen und Breitenbach vertreten zugleich als äußerste Pole des Geschmacks zwei Lieblingsvögel aller Welt. Indeß nämlich in Breitenbach die berühmtesten Finkenzüchter von der Welt wohnen und man im ganzen Orte oft über 4200 Finken zieht, so hat Waltershausen einen bedeutenden Ruf, nicht blos durch seine guten Würste, sondern auch durch seine hochstudirten, froh und schwermüthig singenden Gimpel, so daß dort eigentlich der Gimpel kein „Gimpel“ mehr ist. Mancher einzelne Vogelzüchter hält über hundert Vögel. Dann ziehen die Breitenbacher fort vom Heimathshause, wie alle Gebirgsbewohner, die ihre Waaren hinab in’ s Thal tragen. Und so gut wie der Westerwälder seine Thonwaaren, der Schwarzwälder seine Uhren, der Erzgebirger seine Blechlöffel und Posamente feilbietet, so hockt Bruder Breitenbacher seine Vogelwelt in vielen kleinen Gebauern auf und zieht, ein Seitenstück zu dem Tyroler aus dem Imster-Thale, der mit den Canarienvögeln feilscht, weit fort auf die Märkte. Zieht er doch nicht allein; denn aus dem nachbarlichen Masserbach kommen die Hefenhändler und aus dem nahen Königsee die Salben-, Pommaden- und Fleckseifenhändler, diese lauten Straßencantoren auf unseren Märkte und Messen.
Man glaube aber nicht, die Vogelstellerei werde ausschließlich nur um der kleinen Sänger wegen betrieben. O nein! Man hegt und pflegt in Allem über achtzig Arten von Vögeln als Stubenvögel, welche zum Theil wegen ihrer Schönheit oder wegen des Gesanges ober aus beiden Gründen oder endlich auch wegen ihrer drolligen Geschicklichkeit und Geselligkeit gehalten werden. Zur ersteren Classe, zu denen, die mit schönem Gefieder den angenehmen Gesang vereinigen, gehört der Pirol, der gemischte Vorhölzer liebt, sein Nest so äußerst kunstvoll baut und es geschickt und fest mit Bast, Halmen und Merg an niedrige Zweige bindet. Er heißt Bülow wegen seines ähnlichen, heerlich flötenden Rufes zur Paarungszeit. Häufig und beliebt ist auch der Schniel oder Lohfink (Laubfink, Gimpel), den man in Geseltschaft seines seltneren Verwandten des „Girlitz“ (Karmingimpel, F. Erythrina) zuweilen vor den Fenstern hangen sieht. Ebenso wird der obengenannten Vorzüge halber der Bollenpäk oder Kernbeißer (F. coccothraustes) mit Schlingen, Netzfallen und Dohnen gefangen. Die Krinitze und Talbite (Kreuzschnäbel) sind ebenfalls durch Farben, feinen Gesang, aber auch durch drolliges, Papageien-ähnliches Gebahren zu Lieblingen geworben. Roth- und Blaukehlchen folgen; selbst Sperlinge (vorzüglich Feldsperlinge, F. campestr.) zieht man, und der wüste, nur wenig Liebliches sagennde „Rohrsperling“ nimmt dennoch Politur an, welcher Erfolg mir zuweilen als ein Meisterstück der Züchter zu gelten scheint. Zwuntsche oder Grünlinge (Fr. chloris), Bluth- und [252] Karminhänflinge, Zeisige, ebenso zärtlich als gelehrig, denn sie werden häufig zum Wachestehen, Wasserziehen etc. abgerichtet, die immer rührigen Sanguiniker, die Stieglitze, Stein-, Zaun- und Rohrammern, Gilbersche (Goldammern), seltner Ortolane und Lerchen werden überlistet und verkauft. Unter den Lerchen ist an den Abhängen zuweilen auch die Baum- oder Haidelerche, welche ihres fleißigen Singens wegen sprüchwörtlich geworden ist, aber schwer fortgebracht wird. Man fängt die Lerchen mit dem gewöhnliche Lerchennetze, durch den sogenannten „Lerchenspiegel,“ einem sich quirlförmig drehenden Holze, welches mit Spiegelstückchen belegt ist und wornach die Lerchen stechen, indeß das Netz zuklappt; oder – freilich selten – durch’s Tirassen, wobei man ein Stangennetz über die sich furchtsam duckenden Lerchen deckt, indeß man einen Merlin auf der Hand flattern ließ.
Der Geschicklichkeit und Geselligkeit wegen hält man aber auch Staare, Turteltauben, Dohlen und Meisen. Drosseln aber und Seidenschwänze, Fliegenschnäpper, auch die im Allgemeinen seltneren Weidenmückchen und Wisperlen (S. abietina und trochilus), Zaunkönige, Goldhähnchen, Grasmücken, Wachteln, selbst Rebhühner sieht man häufiger in den Hütten oder vor den Fenstern der freundlichen, aber derben Waldbewohner. Sind doch selbst mehrere Falken und Eulen, Drosseln und Enten Thüringen so recht eigen. Die Königin, die Primadonna des leichten, befiederten Geschlechts aber, die Nachtigall, will auch nicht fern sein von ihrem reichen Hofstaate. Sie hat ihre Wohnung in den nordwestlichen Vorthälern des Gebirgs, welche sich nach der reichen, thüringischen Ebene hin öffnen, aufgeschlagen und läßt dort, oft beschützt durch Landesgesetze, ihren Schlag rein und schwungvoll ertönen, so daß sie den gefeierten wörlitzer Schwestern wenig oder nicht nachstehen wird. Dort hörte auch Schreiber dieses den erhebensten Nachtigallenschlag, dessen er sich entsinnen kann. Der kleine, würdevolle Graurock saß drüben auf einem Baume; ich lag hüben auf dem breiten Aste einer dickbemoosten Buche, der Freund im Grase unter mir. Wir schlürften Göttergenuß. Und der Vogel saß auf einer Birke und sang seinem Vater ein Lob und uns frohen Wanderern einen Reisemuth zu, daß es nur so aus der tief ergreifenden, seelenvollen Melodie und dem raschen, wechselvollen Vortrage hervorquoll.