Von unsern sächsischen Landsleuten im Osten/Nr. 2. Auch ein verrathener Bruderstamm

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Autor: Albert Fränkel
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Titel: Von unsern sächsischen Landsleuten im Osten
Nr. 2. Auch ein verrathener Bruderstamm
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 274–277
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von unsern sächsischen Landsleuten im Osten.


Nr. 2. Auch ein verrathener Bruderstamm.


In den Gedenkbüchern des deutschen Volkes findet sich vom Jahre 1870 ab ein recht unerquickliches Blatt, das wir aus Gründen der Versöhnlichkeit gerne herausreißen und vergessen möchten, wenn es nicht Winke und Lehren gäbe, die uns nöthig sind. Das Blatt erzählt von neidvoller Bosheit und gehässiger Schmähung, deren verschiedene Völkerschaften des Auslandes wider den deutsche Namen sich befleißigten, von heimlichen Genickstößen und offenen Beschimpfungen und Mißhandlungen, welche die als friedliche Mitbürger unter diesen Völkerschaften lebenden Deutschen erdulden mußten, weil ihr Vaterland es gewagt hatte, einen feindseligen Bedroher ihrer Existenz niederzuwerfen und wider den Willen desselben zu Eintracht und Macht sich aufzuringen. Die Liste der betreffenden Thatsachen ist groß, und überblickte man sie noch vor Kurzem, so zeigte sie eine so vielseitige Blumenlese des unverständigen Uebelwollens, der Schnödigkeit und Ungerechtigkeit, daß man wirklich glauben durfte, es sei genug des vermessenen Spiels und wir könnten durch Neues aus diesen Windrichtungen eines frevelhaften Nationalhasses nicht mehr überrascht werden. Dennoch befinden wir uns heute in diesem Falle.

Kaum jemals hat Deutschland von bedrängten Volksgenossen des Auslandes einen so tief begründeten, so machtlos aus den Herzen quellenden, so erschütternd in die Seelen greifenden Angst- und Verzweiflungsschrei gehört, wie denjenigen, der soeben aus den fernen Grenzlanden Ungarns in den bewegendsten Tönen unserer Muttersprache zu uns herüberdringt. Und was diesen Nothruf aus weiter Ferne für uns noch ergreifender macht, das ist der Umstand, daß er in schonungsvoller Berücksichtigung unseres eigenen Werdekampfes nicht speciell an uns sich wendet, sondern ein Appell unterdrückter Deutscher an die öffentliche Meinung des gesammten Europas und an das Sittengesetz der richtenden Geschichte ist.

Ungarn ist nach seiner Geschichte und nach der Art seiner Bevölkerung kein Magyarenland. Wenn die Magyaren auch einen großen und hervorragenden Haupt- und Kernstamm der ungarischen Bevölkerung bilden, so besteht die Gesammtmasse dieses Volkes doch aus verschiedenen, zusammen an Seelenzahl den Magyaren überlegenen Nationalitäten, unter denen sich auch beinahe zwei Millionen Deutsch-Ungarn befinden, die notorisch das eigentliche Culturvolk sind. Daß sie das sind, zeigt sich in vielen dortigen Erscheinungen, besonders aber in dem Vorherrschen der deutschen Sprache. Immer mehr und mehr ist sie in Ungarn die Sprache der Bildung, des Handels und Völkerverkehrs geworden, und es lesen und schreiben dort viel mehr Menschen deutsch als ungarisch. Ganz ohne innere Reibungen freilich ist es zwischen den verschiedenen Nationalitäten im Laufe der Zeit nicht immer abgegangen, im Ganzen aber war das Verhältniß ein friedliches; die Völkerschaften lebten ruhig beieinander, weil jede unberührt blieb in ihrer nationalen Sprache, Tracht und Sitte, und sie dabei fast sämmtlich dem gemeinsamen Vaterlande eine treue Anhänglichkeit und Liebe bewahrten. So war es bis zu den preußischen Siegen im Jahre 1866, welche Ungarn unerwartet zu jener selbstständigen Stellung verhalfen, für die es in der Revolution von 1848 unter der warmen Theilnahme der europäischen Völker so mannhaft geblutet, welche in den folgenden Zeiten der Niederwerfung und des Reactionsdruckes das Ziel seines Ringens und seiner heißesten Wünsche geblieben war. Nun war das Ziel erreicht und eine neue Aera des Aufschwunges heraufgezogen, die Früchte aber kamen nicht allen Bewohnern des Landes zu Gute, sondern fielen ausschließlich den Magyaren in den Schooß. In ihre Hände legte der Ausgleich mit Oesterreich die volle Herrschaft über Ungarn. Niemand mißgönnte ihnen das im Anfange; es war auch in der That eine andere Stellung des Verhältnisses kaum denkbar, und das Arrangement enthielt nichts, was nicht zum Segen für das neugebildete Staatswesen hätte führen können, wenn nur die Magyaren neben ihren vielen vortrefflichen Eigenschaften, neben ihrer Energie und ihrem politischen Talent auch jene weise Mäßigung besäßen, jener mitfühlenden Rücksicht auf die Rechte Anderer fähig wären, jener großmüthigen und edlen Gesinnung, welche die Völker oft schon in der Schule des Unglücks für die Tage aufsteigenden Glanzes erworben haben.

Davon aber zeigte das Verhalten der Magyaren während ihrer nunmehr siebenjährigen Staatsführung keine irgend merkbare Spur. Indem sie die Zügel der Regierung ergriffen, ließen sie ihrer selbstsüchtigen Nationaleitelkeit, ihrem bis zur Ueberspanntheit leidenschaftlichen, bis zur Krankhaftigkeit reizbaren Nationalstolze den zügellosesten Lauf. Nicht die wahre Förderung des Landeswohls durch Lösung großer Culturaufgaben, denen vor Allem ihre Aufmerksamkeit sich hätte zuwenden sollen, sondern die Magyarisirung des Landes, die bis zur Exaltation gesteigerte Sucht, Anderen gewaltsam das eigene Volksthum aufzupfropfen, wurde die Richtschnur ihrer inneren Politik und all ihres Planens und Denkens. Und je weniger dieses Unternehmen ein leichtes war, je mehr es rings umher und weit und breit im Umkreise namentlich das überlegene Deutschthum, die deutsche Cultur und Bildung als ein schweres Hinderniß auf seinem Wege fand, um so mehr wuchs die eigenartige und wilde Hartnäckigkeit, vor Allem diesen so stark sich ausprägenden Gegensatz mit nachdrücklicher Kraft hinwegzufegen. Alles, was bisher deutsch gewesen, sollte nun im Sturme magyarisch werden, die Gesetzbücher und Gerichte, die höheren und mittleren Schulen, selbst die Amtssprache der Gemeinden. Ueberall wurden die deutschen Professoren und Beamten vertrieben, überallhin Magyaren oder ihre Lakaien geschickt, gleichviel, ob sie für die Aufgabe befähigt waren oder nicht. Was diesem Treiben widerstand, wurde verdächtigt, verfolgt, untergraben. Das brennende [275] Verlangen nach dem „großen magyarischen Nationalstaat“ war der Quell geworden, aus welchem sich in übersteigender Hast Gesetze, Einrichtungen und Unternehmungen ergossen, welche Ungarns übrige Völkerschaften bis zum Grunde aufwühlten und bei keiner einzigen nur den Schimmer einer Befriedigung erreichten.

Auf Seiten der Hunderttausende in Ungarn zerstreut wohnender, unter die übrigen Bevölkerungen gemischter Deutscher – oft der Mehrzahl großer Stadt- und Dorfgemeinden – hat freilich bisher das mit allen Mitteln der Regierungsgewalt betriebene Entnationalisirungswerk eine thatkräftige Gegenwehr nicht finden können. Nicht Wenige dieser Deutschen haben sogar durch liebedienerisches Ueberlaufen in das Lager der herrschenden Macht ihren Vortheil wahrzunehmen gewußt, spielen mit oder ohne Geschick die Rolle der heißspornigen Magyaren und beißen eine wüthige Deutschenfresserei heraus, ohne sich daran zu kehren, daß sie wegen dieser ehrlosen und vielfach sehr lächerlichen Verleugnung ihrer Abkunft der Verachtung preisgegeben und ihre magyarisirten Familiennamen – denn so weit geht die Erbärmlichkeit dieser Renegaten – wiederholt an den Schandpfahl geschlagen wurden. Ein anderer Theil hat allerdings den Wünschen und Forderungen der neuen Oberherren nicht eine so entgegenkommende Fügsamkeit gezeigt; er leistet vielmehr eine Art passiven und grollenden Widerstandes, der sich zuwartend verhält, aber den Fortschritt der Unterdrückung nicht hindern kann. Ein zusammenhangslos über ein ganzes Land sich verbreitendes Volkselement, mag es durch seine Zahl und seine höhere Cultur immerhin die gerechtesten Ansprüche besitzen, wird doch nur selten im Stande sein, den feindselig auf seine Vernichtung ausgehenden Maßregeln eines regierenden Stammes mit irgend einem durchgreifenden Erfolge Trotz zu bieten. War bisher in Ungarn von einer tapfern Gegenwehr des Deutschthums die Rede, so fand sich dieselbe nur bei der sogenannten „Sächsischen Nation“, jenen zweimalhunderttausend Sachsen Siebenbürgens, die hier, verbunden durch ein fest organisirtes Gemeinwesen, auf einem und demselben Territorium beieinander leben. Hat jemals ein der Heimath entrückter Stamm in vollständig fremder Umgebung die unzerstörbare Kraft seines Volksthums offenbart, so ist es Seitens dieser Deutschen im entlegensten Lande der österreichischen Monarchie, an dem äußersten Endpunkte der europäischen Civilisation geschehen. Vor sechshundert Jahren haben ihre Väter als friedliche Colonisten auf dem fernen Boden sich angesiedelt, und sechs Jahrhunderte hindurch haben alle ihre weiteren Geschlechter, oft genug von wilden Kämpfen umwogt, die von den Vätern ihnen gegründete Heimath als eine stolze Heim- und Pflanzstätte deutscher Cultur und Bildung, deutscher Sprache, Sitte und Sittlichkeit mit einer Ausdauer ohne Gleichen zu behaupten gewußt.

Von deutschen Reisenden, welche in jene Gegenden gekommen und sich hier plötzlich in deutsche Städte und Dörfer versetzt sahen, von deutschem Laut und Wesen sich angeheimelt fühlten, ist uns der überraschende Zauber dieses Eindruckes inmitten einer rumänischen Welt, sowie die ergreifende und schicksalsreiche Geschichte des wunderbar zäh seine Eigenart bewahrenden Völkchens längst in den wärmsten Farben geschildert worden. Seinem Ackerbau und seinem emsigen Landwirthschaftsbetriebe, seinem rüstigen und rührigen Gewerbfleiße, dem verständigen und gesitteten Ernste seines Charakters ist der behagliche Wohlstand des wahrhaft „prangenden“ Gebietes zu danken, und auf diesem Gebiete streuen vortreffliche deutsche Volks- und Mittelschulen, sowie höhere Lehranstalten den Samen geistiger Erweckung aus, ertönt in den Kirchen aus meistens freisinnigem Munde das deutsche Predigtwort, spricht eine wohlgeleitete Presse in reinem und schönem Deutsch zu einer Bevölkerung, deren gebildete Classen ihr Wissen und ihr Geistesleben durch einen innigen und regen Zusammenhang mit den Bewegungen der deutschen Literatur, der deutschen Wissenschaft und Kunst in frischer Strömung zu erhalten suchen. Niemals haben die deutschen Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen Siebenbürgens aufgehört, sich mit nachdrücklichem Stolze als Deutsche zu bekennen; das Bewußtsein ihrer Abkunft ist ihnen keine bloße geschichtliche Erinnerung, es ist der lebendige Kern ihres Daseins, die innerste Richtschnur ihres Denkens und Fühlens geblieben. Als es sich im Jahre 1870 für Deutschland um Sein oder Nichtsein handelte, da merkten wir die ganze Innigkeit der Wärme, mit welcher dort fern an den Karpathen ein längst versprengter Theil der deutschen Volksfamilie ob der uns drohenden Gefahren bangte und jubelnd das Hochgefühl der Rettung mit uns theilte wie einen Sieg der eigenen Sache.

Irgend ein verständiger politischer Grund, der eine Staatsregierung veranlassen könnte, den Frieden dieses Menschenhäufleins durch einen Angriff auf ihre nationale Besonderheit zu stören, irgend ein Nutzen, der aus solchem Angriffe dem Bestande und dem Wohle des Gesammtlandes erwachsen sollte, läßt sich bei ruhiger und unbefangener Erwägung der Verhältnisse nicht finden. Die Siebenbürger Sachsen sind kein Staat im Staate, treu dem Boden anhängend, auf dem sie wohnen, sind sie seit Menschengedenken hingebend treue Bürger des Reiches, zu dem sie gehören, mit dem sie durch Bande der Liebe, der Gewohnheit und der Interessen verwachsen sind. Ihre Geschichte verzeichnet manche That der Nothwehr, aber keine That der Auflehnung oder Feindseligkeit gegen Oesterreich und Ungarn. Wie sie heute anerkannt die pünktlichsten Steuerzahler, die pflichtgetreuesten Patrioten sind, sind sie auch stets mit Herz und Hand opfervoll und aus ureigenem Eifer dabei gewesen, wo es das Gesammtland zu vertheidigen, seine Freiheit zu erringen, sein Wohl zu fördern galt. Verlangen sie also Selbstständigkeit, so ist es eine wesentlich ideale und besteht nur in der Wahrung innerer Güter: unbeschränkt wollen sie das Recht behalten, Deutsche zu bleiben in Sprache und Bildung, Sitte und Cultur, wollen sie weiter innerhalb des Staates gleichsam eine einheitliche Familie, eine zu Culturzwecken vereinigte Gemeinschaft bleiben, wollen sie die freie Verfügung über ihr althergebrachtes, in Stiftungen bestehendes gemeinsames Privateigenthum, das sächsische Nationalvermögen behalten, mit dem sie bisher die Kosten ihres blühenden Schul- und Bildungswesens gedeckt haben. Alle diese natürlichen Rechte sind ihnen denn auch früher nicht bestritten, sondern in zahllosen Urkunden ausdrücklich verbrieft, durch Gesetze, Verträge und Krönungseide gewährleistet, auch bei dem Ausgleiche des Jahres 1867 von Neuem feierlich bewilligt worden. Nüchterne und tiefer blickende Staatsmänner haben stets erkannt, daß der Staat von der sorgfältigen Erhaltung eines so edeln Gemeinwesens, eines solchen Cultureinflusses inmitten halbbarbarischer Umgebungen nur Vortheil, aber keinerlei Schaden hat. Nur die Magyaren verschließen sich dieser Einsicht, und von welcher Seite man ihr Verhalten auch betrachten mag, es läßt sich für dasselbe kein anderer Grund erkennen, als eben die Verblendung des zur Leidenschaft gewordenen Nationaldünkels, ein engherziger Widerwille gegen alles fremde Verdienst, der eingefleischte National- und Deutschenhaß. Seitdem die Magyaren an’s Ruder gekommen, ist ihnen das selbstbewußte Deutschthum Siebenbürgens ein Dorn im Auge, haben sie ihm den Strick immer fester um den Hals gelegt, so daß es in den letzten Jahren nur eine Frage der Zeit war, wann der Henker die in seinen Händen befindliche Schlinge anziehen und seine Vernichtungsarbeit vollbringen würde.

Dieser Augenblick scheint jetzt gekommen zu sein, und wenn die Magyaren in ihren gegenwärtig so schweren Wirrsalen zu einer so gänzlich unnöthigen, so weit von ihren wichtigsten Lebensfragen ablenkenden und die Verwirrungen nur vermehrenden Grausamkeit sich entschlossen haben, so zeigt das am besten, daß es hier nicht um ein Resultat besonnenen Ueberlegens sich handelt, sondern um die Befriedigung eines stürmischen und blinden Verlangens, die unwiderstehlich treibende Macht einer fixen Idee. Vielleicht rechneten sie auch darauf, daß gerade bei den heute so vielfachen Erregungen der europäischen Völker die Erdrosselung da draußen im fernen Winkel ganz in der Stille und ohne alles Aufsehen vollführt werden könnte und die Welt dann nachher der vollendeten Thatsache eine sonderliche Beachtung nicht schenken würde. Um aber das Urtheil des befreundeten Deutschlands schon im Voraus gegen das etwa herüberdringende Geschrei der Mißhandelten unempfänglich zu machen, wurden von Ungarn aus sogenannte aufklärende Artikel in die liberale deutsche Presse gespielt, welche den Sachverhalt beschönigen und das schnöde Attentat mit einem Walde großer Redensarten umhüllen sollte.

Darin aber hatten die diplomatischen Herren in Pest sich geirrt. Die Zeit der heimlichen Unterdrückungen ist vorüber, und wenn man heut in Europa Gewaltthat und Rechtsbruch verüben will, so muß man sich wenigstens darauf gefaßt machen, seinen Namen fortan mit einem unsterblichen Flecken behaftet zu sehen. Ob die Magyaren den traurigen Act ausführen werden, steht noch dahin; daß sie es wollen, ist unzweifelhaft. Man [276] höre. Im December vorigen Jahres legte plötzlich das Ministerium in Pest dem ungarischen Reichstage den Entwurf eines Gesetzes vor, durch welches eine neue Eintheilung und Abrundung der Bezirke und Kreise herbeigeführt werden soll. Das Gesetz ist angeblich im Interesse des Landes und der Verwaltung beantragt und zeigt dem Unkundigen kaum etwas Verfängliches. Sieht man es aber mit einiger Kenntniß der Verhältnisse an, so ist auf den ersten Blick zu erkennen, daß es in der Form einer als nothwendig und nützlich bezeichneten Administrationsmaßregel nichts Geringeres als einen Völkermord bezwecken, gegen die nichtmagyarischen Nationalitäten Ungarns und namentlich gegen das sächsische Gemeinwesen in Siebenbürgen den längst beabsichtigten Todesstreich unter dem Scheine der Gesetzlichkeit vollführen will.

Nachdem man ihnen Jahre hindurch schon einen Mangel an Wohlwollen gezeigt, ihnen quälerisch zugesetzt, allen ihren Klagen und Bitten verletzenden Hohn entgegengesetzt hat, ohne ihre Gesinnung ändern und ihren Willen brechen zu können, will man jetzt durch einfache Zerstückelung ihres Gebietes ihre Gemeinschaft auseinanderreißen und die losgetrennten Theile mit den Bruchstücken ganz ungleichartiger Bezirke in einer Weise zusammenkoppeln, daß die einzelnen Volksfetzen entweder in magyarischen Volksmehrheiten verschwinden, oder in der Zusammengebundenheit mit anderen Nationalitäten allmählich aufgerieben werden. Daß das Gesetz diesen Sinn und keinen andern hat, wird kein irgend ehrlicher magyarischer Politiker zu leugnen wagen. Sollte aber Jemand noch einen Zweifel hegen können, so würde er eines Besseren durch den unscheinbar unter alle anderen Bestimmungen gemischten § 97 des sogenannten Arrondirungsgesetzes belehrt werden, der in trockener Gelassenheit das große Wort spricht: „Ueber das unter Aufsicht und Verwaltung der Siebenbürger Sachsen-Universität stehende gemeinschaftliche Vermögen wird ein besonderes Gesetz verfügen.“ Wir haben oben bereits von diesem Vermögen gesprochen, das bisher ein sorgsam gehütetes, von Geschlecht zu Geschlecht überpflanztes, niemals von einer Regierung angetastetes Kleinod des sächsischen Stammes, sein wohlerworbenes Privateigenthum gewesen und von ihm nur zu den höchsten und edelsten Zwecken verwendet worden ist. Seit wann verfügen Gesetze über die längst als rechtmäßig anerkannten Besitztümer von Personen oder Corporationen? Indem der Magyarismus sich hier das Recht einer etwaigen Confiscation zuspricht, setzt er seiner gewaltthätigen Anmaßung die Krone auf. Was man damit will, liegt ja auf der Hand. Sind diese so beharrlichen Deutschen auseinandergesprengt, da- und dorthin verstreut, und hat man ihnen obendrein auch ihr Geld genommen, so mögen sie zusehen, wie sie ihr Deutschthum und ihre überlegene Cultur ferner aus eigener Kraft erhalten und auf ihre Nachkommen verpflanzen wollen!

Als die erste Nachricht dieser schnell hereingebrochenen Gefahr mit Windeseile nach Siebenbürgen drang, bemächtigte sich ein unbeschreiblicher Schmerz, eine heiße Angst und bittere Entrüstung der in ihren geliebtesten und heiligsten Gütern bedrohten Sachsen. In früheren Schilderungen amerikanischer Sclavenmärkte hat man mit Entsetzen von der fühllosen Grausamkeit gelesen, mit der hier die Familienglieder der unglücklichen Opfer von einander gerissen und ihrer herzzerreißenden Proteste nicht geachtet wurde. Was aber die Magyaren gegenwärtig dem ihnen verhaßten Sachsenvolke anthun wollen, das steht moralisch mit jener Handlungsweise brutaler Seelenverkäufer auf gleicher Stufe. Ihr Angriff ist ein Angriff auf die ersten Natur- und Menschenrechte eines durch Bande des Blutes, der Lebensinteressen und Sitte vereinigten, durch Verdienst und Herkommen geheiligten Familienwesens, das bisher dem Staate niemals einen Anlaß zu Beschwerde, wohl aber an hingebender und aufopfernder Pflichterfüllung stets dem Kaiser gegeben hat, was des Kaisers ist.

Auf jahrelange Kämpfe, auf endlose Nörgeleien und Störungen von Pest aus waren die Sachsen allerdings gefaßt, aber einen so plötzlich herniederfahrenden, so listig ausgesonnenen, gegen ihre Zusammengehörigkeit und auf die völlige Zernichtung ihrer gemeinsamen Culturwerke gerichteten Schlag hatten sie nicht erwartet. Sollten sie fügsam der tödtlichen Gefährdung den Nacken beugen und schweigend das Unerhörteste und Unerträglichste über sich ergehen lassen? Kann denn jede übermüthige Herrscherlaune des Starken ohne Weiteres das unwidersprechlich klare Recht des Schwachen zu einem bloßen Spielball seiner abenteuerlichen Wünsche machen? O nein, das kann er ohne ein Umwerfen der gesetzlich entgegenstehenden Hindernisse gegen die Sachsen in Siebenbürgen nicht. Ihr Recht auf Erhaltung ihrer Nationalität ist ihnen nicht blos durch vollgültige Verträge gewährleistet, seit einem halben Jahrtausend besitzen sie auch in der bereits oben erwähnten sogenannten „Nations-Universität“ einen erwählten Vertretungskörper, eine Art Provincial- oder Communallandtag, der stets bei wichtigen politischen Differenzen sein ehrwürdiges und altbewährtes Ansehen in die Wagschale geworfen und der Stimme der Gemeinden den gesetzlichen Ausdruck gegeben hat.

Wenn jemals, so war jetzt für die vierunddreißig Mitglieder dieses Bezirksparlaments der Augenblick gekommen, wo sie handeln mußten. In einem energischen, aber bescheiden und maßvoll gehaltenen Schreiben an den Minister des Innern, Graf Julius Szapary, erhoben sie am 19. December 1873 mit Gründen belegten Einspruch gegen die beabsichtigte Vergewaltigung. Der Minister erwiderte erst nach einigen Wochen, aber seine Worte waren schneidend und voll kalten und abweisenden Hohnes. In derbem Tone kanzelte er die an ihn ergangene Vorstellung als eine ungehörige herunter, nahm einen verschollenen Wiener Hofukas aus der Zeit der tiefsten Erniedrigung des Magyarenthums in die Hand und sprach der Vertretung der sächsischen Nation unter Berufung auf jene einstmalige Maßregel der Reactionsperiode geradezu das Recht zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten ab, indem er den von der Regierung ernannten Vorsitzenden dafür verantwortlich machte, daß die Nations-Universität durch Verhandlungen „solcher Art“ ihren Wirkungskreis nicht wieder überschreite.

Und nun spielte sich am 16. Februar 1874 im altehrwürdigen Berathungssaale des sächsischen Nationshauses zu Hermannstadt eine erschütternde Scene ab, die als einzig in ihrer Art bezeichnet wurde, seitdem ein Sachsenstamm in diesem Lande besteht. Die Mitglieder der Landesvertretung hatten, der ministeriellen Warnung nicht achtend, von ihrem niemals angetasteten Rechte Gebrauch gemacht und versammelten sich, um ihrer Pflicht gemäß eine Angelegenheit zu berathen, bei der es sich um Leben oder Untergang der von ihnen vertretenen Gemeinschaft handelt. Was konnte ihnen näher liegen und sie tiefer bewegen? Bevor sie aber die Besprechung eröffnen konnten, wurde ihnen jede Verhandlung des Gegenstandes im Namen des Ministers untersagt. Mit geknebeltem Munde mußten sie von dannen ziehen, ihre Versammlung wurde geschlossen, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, falls Alles sich nach den Wünschen der magyarischen Deutschenfresser gestalten sollte. Eine Bestürzung und ein Wehklagen ohne Gleichen ging durch die Gemeinden der Sachsen ob solchen unverdienten Fußtrittes der Gewaltigen. Selbst das verfassungsmäßige Recht der Petition und Beschwerde, dieses Grundrecht jeder Dorfgemeinde und jeder einzelnen Person, hatte man ihnen also entzogen, ihnen eigenmächtig das Organ genommen, das bisher ihre Sachen in allen Wirrnissen der Geschichte geführt und vertheidigt hatte. Wahrlich, aus dieser Handlungsweise spricht noch etwas Anderes als eine rücksichtslose, von Haß und Hochmuth eingegebene Politik, es spricht aus ihr die widerwärtige Feigheit eines bösen Gewissens.

Die Abgeordneten der mundtodt gemachten Nations-Universität sind jedoch nicht auseinander gegangen, ohne eine „Verwahrung“ zu erlassen, die ihren Weg in unsere Zeitungen gefunden und bei uns bereits Aufregung hervorgerufen und die Aufmerksamkeit vieler denkenden Patrioten auf den bittern Ernst des außerordentlichen Vorganges gelenkt hat. Um jedoch über jenes Schriftstück und andere über diese Sache verbreitete Mittheilungen eine volle Klarheit zu erlangen, muß man eine ausführliche Darlegung gelesen haben, die unter dem Eindrucke der furchtbaren Verfolgung, aus der Mitte des Sachsenstammes hervorgegangen ist. Es ist dies jener Verzweiflungsschrei, der gegen die heraufdrohende Gewaltthat an die öffentliche Meinung Europas sich wendet und von dem wir am Eingange unseres Artikels gesprochen haben. Unter dem Titel: „Das Erwürgen der deutschen Nationalität in Ungarn“ ist das gewaltige, von Franz von Löher warm bevorwortete Denkschriftchen (in München bei Ackermann) erschienen, und es wäre traurig, wenn es in Deutschland nicht die ihm gebührende Beachtung fände.

[277] Noch freilich ist das düstere Vernichtungsgesetz nur ein weiser Vorschlag, eine Willenskundgebung, ein verschmitztes Hamansplänchen der Regierung, noch ist darüber im ungarischen Reichstage nicht berathen und entschieden worden. Im Reichstage sitzen auch sächsische Abgeordnete, die für das längst schon geknickte Recht der Ungarn ihres Stammes mit aller Kraft eines reinen Bewußtseins in die Schranken treten werden. Da sie aber mit den Mitgliedern der anderen, gleichfalls bedrohten Nationalitäten nur einen Bruchtheil der Versammlung bilden, deren Mehrheit eine magyarische ist, so liegt die Befürchtung sehr nahe, daß die neue „Arrondirung“ demnächst beschlossen wird. Gelangt sie zur Ausführung, so hat ein deutsches Volksthum in Ungarn und namentlich in Siebenbürgen aufgehört zu existiren, nur weil es den Magyaren so beliebt. Ist die lebenskräftige sächsische Gemeinschaft über den Haufen geworfen und räuberisch über ihre Geldmittel verfügt, so muß auch das höchste und edelste Product ihres Strebens, ihr ausgezeichnetes deutsches Schul- und Bildungswesen, rettungslos dahinsinken.

Als im vorigen Jahre Franz von Löher schon erstaunliche Thatsachen dieses unterdrückerischen Treibens zusammenstellte, sprach er noch die Hoffnung aus: „Todtschlagen kann man ja diese treuen Deutschen doch nicht!“ Nun, daß es jetzt auch an das „Todtschlagen“ im moralischen Sinne des Wortes geht, glauben wir durch unsere ganze Darstellung hinlänglich bewiesen zu haben. Kann ein solcher Streich auf das Haupt eines Gliedes der deutschen Nation, eines wichtigen Außenpostens unserer Cultur fallen, ohne daß eine Zuckung des Schmerzes erweckend durch alle Nerven unseres Volkes zittert? Die Siebenbürger Sachsen sind nicht Angehörige unseres Reiches und werden es niemals sein; die deutsche Regierung kann ihnen nicht beistehen, da sie nicht amtlich in die Angelegenheiten und inneren Kämpfe eines fremden Landes sich mischen kann. Gewiß aber ist es hohe Zeit und eine heilige Ehren- und Gewissenspflicht des deutschen Volkes, daß es in seiner Presse, in seinen Vereinen und Versammlungen durch Kundgebungen aller Art laut und unablässig Zeugniß ablege wider die Beschimpfer seines Namens für jene verfolgten Brüder, die hülflos unter den Fußtritten eines Unterjochers sich winden und flehend ihre Hände ausstrecken mit dem Rufe: „Solche schnöde Frevelthat will man an uns verüben, weil wir Deutsche sind und von unserm Deutschthum nicht lassen können!“

A. Fr.