Vor der Berufswahl/Das Kunstgewerbe
Vor der Berufswahl.
Es klingt wie ein Gemeinplatz und kann doch nicht oft genug wiederholt werden: nicht was man treibt, giebt den Ausschlag und schafft das Glück im Leben, sondern wie man es treibt. Im Sinne dieser Wahrheit giebt es überhaupt keinen schlechten Beruf; und besonders die handwerklichen Beschäftigungen, die man mit einem etwas unbestimmten Worte als „Kunstgewerbe“ bezeichnet, müssen hiernach sämtlich als gute und lohnende Berufsarten bezeichnet werden. Denn der Schreiner, der sich Kunstschreiner, der Töpfer, der sich Kunsttöpfer nennt, stellt damit schon gewissermaßen ein Programm auf, in welcher Weise er sein Geschäft betreiben will: er will nicht in der Masse der hunderttausend Flickschreiner, Ofensetzer etc. mitschwimmen; seine Leistungen, denen er ein künstlerisches Gepräge geben will, sollen ihn aus der Masse herausheben. Der Besteller, der ein künstlerisch durchgeführtes Stück Arbeit verlangt und dafür entsprechend höhere Preise zu zahlen bereit ist, soll wissen, daß er sich nur an den Kunsthandwerker zu wenden hat. So kann dieser von vornherein auf eine „feinere“ Kundschaft und auf bessere Preise rechnen: wozu noch kommt, daß die Konkurrenz geringer ist, da doch nur einer sehr beschränkten Anzahl von Handwerkern die Mittel zu einer höheren Ausbildung und jene höhere Veranlagung zu Gebote stehen, die sie dem Ziel, sich „Kunsthandwerker“ nennen zu dürfen, entgegenführt.
Wie wird man Kunsthandwerker? – Es giebt einen ganz geraden, normalen Weg, der nach unserer langjährigen Erfahrung fast immer zum Ziele führt; versuchen wir ihn mit einigen kurzen Strichen zu zeichnen. Ein gesunder, kräftiger Junge von Durchschnittsbegabung, aus bescheidener Bürgerfamilie, dem von Haus aus keine Marotten von „höherem Beruf“ in den Kopf gesetzt sind, der aber vom Vater den Respekt vor der Arbeit gelernt hat, tritt nach Erledigung seiner Schulpflicht bei dem Meister eines Handwerks in die Lehre, welches seiner Natur nach zu einem Betriebe im „kunstgewerblichen“ Sinne geeignet ist. Welches diese Handwerke sind, werden wir später sehen. Den Lehrmeister wird der Vater nicht bloß nach einer Zeitungsannonce auswählen, sondern er wird sich persönlich umthun, um einen solchen zu finden, der [334] es mit der Ausbildung seiner Lehrlinge ernst nimmt, der sie nicht als Hausknechte oder männliche Kindermägde betrachtet. Zum Glück für unser deutsches Handwerk giebt es in jeder Stadt noch solche Meister, und wir haben auf absehbare Zeit noch nicht nötig, an den traurigen Behelf zu denken, den z. B. in Amerika die bittere Not gezeitigt hat, sogenannte Lehrlingswerkstätten, Drillanstalten für das Handwerk, aus Staatsmitteln einzurichten. Gleichzeitig mit dem Beginn der Lehre tritt der Knabe in eine „Fortbildungsschule“ ein, in welcher er in den Abendstunden oder zu anderer Zeit, welche der Meister nach Vereinbarung dazu frei giebt, Zeichnen, Modellieren, vielleicht auch kaufmännisches Rechnen u. dergl. lernt. Solcher Anstalten bestehen in Deutschland unzählige, so daß selbst in den kleinsten Städten der Handwerkslehrling die Gelegenheit zur Ausbildung findet.
Hat der Junge seine drei- oder vierjährige Lehrzeit bestanden, so besitzt er das feste Fundament für sein Leben, auf dem er weiter bauen kann: entweder ein bescheiden Haus, wenn seine Handgeschicklichkeit, sein Formentalent beschränkt waren und ihm keinen höheren Flug gestatten – oder einen Prachtbau, wenn wirklich etwas vom Künstler in ihm steckt, was sich während der Lehre und namentlich während des Schulbesuchs deutlich genug gezeigt haben wird. Im letzteren Falle beginnt für den jungen Mann, der jetzt etwa im siebzehnten oder achtzehnten Jahre steht, die eigentliche kunstgewerbliche Ausbildung: statt als Gehilfe in ein Geschäft einzutreten, besucht er die entsprechende Fachklasse einer Kunstgewerbeschule, in welcher er während des ganzen Tages in seinem speziellen Berufe arbeitet, d. h. die Aufgaben, welche ihm in der Praxis gestellt werden, unter der Leitung künstlerischer Kräfte mit allem Wie und Warum lösen lernt. Ein theoretischer Unterricht, der ihn mit den Merkmalen der Stilarten und anderen notwendigen Hilfswissenschaften vertraut macht, also seine allgemeine Bildung höher hebt, pflegt nebenher zu gehen. Derartige kunstgewerbliche Fachschulen mit Einzelklassen für Maler, Bildhauer, Holzschnitzer, Ciseleure, Gold- und Silberschmiede, sowie für die tektonischen Fächer (Schreiner, Schlosser, Steinmetzen, Töpfer etc.) bestehen ebenfalls in Deutschland in großer Zahl. Wo sie nicht als selbständige Kunstgewerbeschulen organisiert sind, wurden sie wohl mit den städtischen Handwerkerschulen als kunstgewerbliche Tagesklassen verbunden, wie in Köln, Hannover, Magdeburg u. s. w.
Die durchschnittliche Lehrzeit in diesen Schulen beträgt drei Jahre – eine lange Zeit für einen jungen Mann aus bescheidenem Bürgerhause, um seine Füße noch unter Vaters Tisch zu strecken. Ohne Schwierigkeit wird wohl nur der gutgestellte Handwerksmeister seinen Sohn solange „studieren“ lassen. In den minder bemittelten Kreisen muß sich manch armer Bursche mit Hängen und Würgen durchbringen. Allerdings ist vom Staate und aus privaten Kreisen viel gethan, um durch Stipendien auch den ganz Armen die Bahn zum Höheren zu eröffnen.
„Die Kunstgewerbeschulen,“ sagt Julius Lessing,[1] „haben während der 25 Jahre ihres Bestehens ihre Schuldigkeit gethan, Handwerker sind wieder fähig geworden, künstlerisch zu empfinden und nach Entwürfen, Skizzen oder Angaben eines leitenden Architekten selbständig zu arbeiten. Aber nicht jeder besitzt die Fähigkeit, eine solche Skizze zur ausführbaren Werkzeichnung umzugestalten. Das sind eben nur die besten, welche eine eigentümliche Zwischenschicht zwischen Kunst und Handwerk bilden und die frühere Aufgabe des Architekten zum Teil selbständig übernehmen. Ein derartig ausgebildeter Zeichner bleibt zugleich ein praktischer Arbeiter, er kann in jedem Augenblick mit anfassen und kann als Werkführer die Arbeit eines jeden Gesellen aufs genaueste beurteilen und regeln. Anderseits weiß er dem Architekten gegenüber, der mit einer Aufgabe an ihn herantritt, bestimmt die Grenzen zu bezeichnen, in welchen sein Handwerk nach Material und Technik leistungsfähig ist.“
Ein junger Mann von zwanzig, einundzwanzig Jahren, der den vorstehend skizzierten normalen Weg gemacht hat, braucht für seine Zukunft keine weitere Sorge zu haben. Wohl werden, wie es überall vorkommt, in manchen Geschäftszweigen schlechte Konjunkturen eintreten können, die ihn vorübergehend hindern, das, was er gelernt hat, voll zu verwerten; besonders Holzschnitzer, Stuccateure, Ciseleure sind solchen Schwankungen ausgesetzt. Da er aber in seinem Geschäft „von der Pike auf gedient“ hat, so hindert ihn nichts, für die mageren Jahre als gewöhnlicher Arbeiter an die Werkbank zurückzukehren. Im allgemeinen aber nimmt die Nachfrage nach der von Lessing erwähnten „Zwischenschicht“ zwischen Architekten und Handwerkern, besonders nach fachlich geübten Zeichnern, immer mehr zu. Noch vor zwanzig Jahren mußte der Architekt für sämtliche Details der inneren und äußeren Dekoration seines Baues selbst die Zeichnungen anfertigen, um darauf von den submittierenden Handwerkern die Preise abgeben zu lassen. Heute hat sich überall der Brauch eingebürgert, daß der Kunsthandwerker, der Kunstschmied, der Dekorationsmaler, der Glasmaler etc. dem Architekten mit seiner Preisabgabe schön ausgeführte Zeichnungen seiner Arbeiten vorlegt, und beide Teile befinden sich wohl dabei. Daß die Anfertiger solcher Zeichnungen, welche sich in jedem größeren Geschäft in festen Stellungen befinden, nicht schlecht bezahlt werden, versteht sich von selbst.
Wie wir gesehen haben, war die praktische Erlernung eines Handwerks das Fundament, auf dem sich die kunstgewerbliche Ausbildung aufbaute. Sehen wir zu, welche Handwerke nun besonders geeignet sind, in kunstgewerblichem Sinne betrieben zu werden! Von den mit dem Bau zusammenhängenden sind es die Tischlerei, Schlosserei, Töpferei, Stuccaturarbeit, Dekorationsmalerei, Glaserei, Klempnerei, Tapezierarbeit. Von sonstigen Handwerkern ist es der Buchbinder, der Graveur, der Gold- und Silberschmied, der Ciseleur, der Posamentier, der Holz- und Elfenbeinschnitzer, der Porzellanmaler, der Lithograph, vielleicht auch der Konditor, die, wenn ihnen bei künstlerischer Anlage Gelegenheit zu der oben geschilderten Schulausbildung gegeben wird, ihr Geschäft als Kunstgewerbe betreiben und damit ihre Erwerbsfähigkeit auf eine wesentlich höhere Stufe bringen können. Eine besondere Stellung nehmen die Dessinateure für Stoff- und Tapetenmusterung und die allgemeinen „kunstgewerblichen Zeichner“ ein.
Das ist eine bunte Gesellschaft, aus welcher wir einige als Beispiel herausheben wollen, da uns der Raum gebricht, alle einzeln durchzunehmen. Zunächst können wir zwei Gruppen unterscheiden: die eine, deren Entwicklungsfähigkeit nach oben hin begrenzt ist, bei welcher es also darauf ankommt, die Aufgaben von vorwiegend handwerklichem Charakter mit besonderem Geschmack und Kunstverständnis zu lösen; die andere, die unmerklich in die sogenannte hohe Kunst überleitet. Zur ersteren gehören Tischler, Schlosser, Töpfer, Klempner, Buchbinder, Posamentiere, Porzellanmaler, Lithographen u. a. In dieser Gruppe von Arbeiten wird ein junger Mann, der sich in der oben dargestellten Art kunstgewerblich entwickelt hat, meist eine Verwertung seines Könnens als Zeichner finden. Beim Entwerfen eines reicher ausgestatteten Mobiliars, eines ornamental verzierten Eisengitters wird ihn die genaue Kenntnis des Materials und seiner Verarbeitung, die er sich früher als praktischer Arbeiter erworben hat, davor bewahren, Formen zu erfinden, deren Ausführung dem Charakter des Arbeitsstoffes widerstrebt, die daher schwierig und teuer sind. Eine ganze Anzahl der genannten Gewerbe ist heutzutage in Fabrikbetrieb übergegangen; so werden die Töpferarbeiten, welche Oefen und Wandkacheln zum Gegenstand haben, Posamenten, auch die gangbaren Möbel, die Arbeiten des Kunstdrucks, wie Tisch- und Gratulationskarten etc., wohl kaum noch in kleinem Einzelbetrieb, sondern in Fabriken mit durchgeführter Arbeitsteilung betrieben. Werkführer- und Zeichnerstellen in solchen Fabriken können daher auch entsprechend hoch, mit 2 bis 4000 Mark im Jahr, bezahlt werden. Auch die Buchbinderei ist für die von den Verlegern selbst besorgten Originalbände Gegenstand des Fabrikbetriebs geworden; der Erfinder der Einbanddecken pflegt der Graveur zu sein, während an die ausführenden Kräfte keine kunstgewerblichen Anforderungen gestellt werden. Daneben aber ist in den letzten Jahren die Klasse der „Bücherliebhaber“ wieder angewachsen, die Wert darauf legen, und hohe Preise dafür aufwenden, ihre Bücher mit der Hand binden und vergolden zu lassen. Dies ist ein recht dankbares Feld für den kunstgewerblich ausgebildeten Kleinmeister, der die kunstschönen Ledermosaiken und Handvergoldungen selbst entwirft und ausführt. Wenn man hört, daß renommierte Künstler dieser Art in Paris und London einen Einband mit 200 bis 500 Franken bezahlt bekommen – in Deutschland ist man allerdings an diese Liebhaberpreise noch nicht gewöhnt – so kann man wohl von dem „goldenen Boden“ des Handwerks sprechen. Eine Spezialschule für dieses Kunstgewerbe besteht bei uns in Gera, mit drei- bis viermonatigem Kurs für im übrigen fertig ausgebildete Buchbinder.
[335] Diejenigen kunstgewerblichen Zweige, deren Entwicklung nach oben hin unbeschränkt, bei denen also die Grenze gegen die „hohe Kunst“ ziemlich verwischt ist, sind die Dekorationsmalerei, die dekorative Bildhauerei, die Glasmalerei, die Arbeit des Graveurs, des Ciseleurs und Silberschmiedes und die Holz- und Elfenbeinschnitzerei. Wie das zu verstehen ist, werden wir am besten am Beispiel des Malers sehen. Ein begabter junger Mann, der eine Kunstgewerbeschule lange und fleißig genug besucht hat, um sich auch in der figuralen Komposition auszubilden, wird durchaus befähigt sein, den Auftrag eines Kunstfreundes, der sich seinen Musiksaal mit Figurenfriesen ausmalen will, zu übernehmen. Ja, er wird dieser Aufgabe günstiger gegenüberstehen als der akademisch gebildete Maler, den sein Studium auf die Herstellung inhalts- und stimmungsvoller Staffeleibilder gewiesen hat, weil ihm die Beherrschung der Technik, sei es Oel-, Tempera- oder Kaseinmalerei in großen Flächen schon von seiner handwerklichen Lehre her mehr im Blute sitzt. Aehnlich verhält es sich mit dem kunstgewerblich ausgebildeten Bildhauer, den sein Studium mit dem großen Gebiete des Ornamentes besser vertraut gemacht hat, als es die Akademien zu thun pflegen. Die mit reichem Figurenschmuck ausgestatteten silbernen Tafelaufsätze und sonstigen Ehrengeschenke, welche die Aufgaben des Ciseleurs von Ruf zu bilden pflegen, gehören ohne weiteres der Kunst an und sind von jeher – wir erinnern an Cellini, Eisenhoit und andere Meister der Vergangenheit – zu dieser gerechnet worden. Aber stets ist bei diesen Aufgaben eine sicherere Gewähr des Gelingens gegeben, wenn sie der mit der sogenannten Kleinplastik vertraute Ciseleur in der Hand hat, als wenn ein Bildhauer der Großplastik, der an Helden- und Siegesdenkmälern geschult ist, sich erst mit Mühe in den kleinen Maßstab einarbeiten muß. Selbstverständlich erfreuen sich derartige monumentale Aufgaben, die allerdings nur den hervorragendsten Vertretern ihres Fachs zuzufallen pflegen, auch einer entsprechenden Bezahlung. Aber auch bescheidenere Arbeiter dieser der hohen Kunst verwandten Fächer finden, wenn sie sich über das Maß des Handwerklichen erheben, in einigermaßen guten Zeitläuften regelmäßige und lohnende Beschäftigung.
Wir haben bisher den geraden und schwer zu verfehlenden Weg zu zeichnen versucht, auf dem ein begabter junger Mensch zuerst eine handwerkliche und darauf eine künstlerische Ausbildung erwirbt, um später das erlernte Handwerk in kunstgewerblichem Sinne und mit einer lohnenderen Ausnutzung seiner Fähigkeiten zu betreiben. Leider begegnen dem Leiter kunstgewerblicher Anstalten nicht selten Leute, die sich darauf verbeißen, den umgekehrten Weg zu gehen, die das Haus gleichsam beim Dach zu bauen anfangen möchten. Da stellt uns der Vater (in schwereren Fällen die Mutter!) einen Jungen vor, der solch großes Talent – „solch arges Schenie“ heißt’s oft wörtlich – zum Zeichnen habe. Zum Beweis bringen sie eine Kopie nach einem Holzschnitt aus der „Gartenlaube“ oder die Vergrößerung einer Photographie der Großmutter mit, die der Junge „ganz allein, ohne jede Hilfe“ gemacht hat; wir glauben es meistens gern! Eigentlich möchte man ja den Jungen Kunstmaler werden lassen, aber das kostet viel Geld und ist auch ein unsicheres Brot. Da wird denn das „Kunstgewerbe“ als solch anständiges Mittelding angesehen, das den Jungen nicht gerade verurteilt, mit dem Schurzfell oder dem Farbtopfe über die Straße zu gehen, das aber doch noch soviel von der Kunst hat, um das „Schenie“ zur rechten Verwertung zu bringen, und das ein hinreichend neuer und unklarer Begriff ist, um an dasselbe die Hoffnung auf eine sehr schnell zu erlangende Selbständigkeit zu knüpfen. Man will den Jungen gern zwei bis drei Jahre in die Schule schicken, damit er dann als „Kunstgewerbler“ sein gutes Brot finde.
Es ist meist außerordentlich schwer, die Eltern von der Verkehrtheit dieses Vorgehens zu überzeugen und sie auf den normalen Ausbildungsweg zu weisen, zumal die dringende Frage, ob es denn gar nicht möglich sei, auch auf die andere Weise zu einem Resultat zu gelangen, nicht unbedingt verneint werden kann. Gewiß, es giebt Menschen von solch ungewöhnlicher Begabung, besonders von einem gewissen instinktiven technischen Gefühl für die Besonderheiten der in den verschiedenen Handwerken zur Verarbeitung kommenden Materialien, daß unter einem tüchtigen Lehrer und bei eisernem Fleiß sich aus denselben brauchbare Zeichner für verschiedene Zweige des Kunstgewerbes bilden lassen! Weiter als zum Entwerfer wird es aber ein solcher kaum bringen, ein Beruf, der immerhin in einer industriereichen Stadt seinen Mann ernährt. Steht ihm von Hause aus Kapital zur Verfügung, so wird er auch wohl einen tüchtigen praktischen Handwerker finden, mit dem er ein kunstgewerbliches Geschäft, eine Möbel- oder Silberwarenfabrik, eine Glasmalerei, lithographische Anstalt oder dergl., gemeinschaftlich begründen kann. Aber immer wird man mit ziemlicher Bestimmtheit sagen können, daß derselbe begabte Mensch sicherer, d. h. unter Ersparung des ihm durch die Praxis später auferlegten Lehrgeldes, und selbständiger sein Ziel erreicht haben würde, wenn er die paar Jahre einer normalen Handwerkslehre nicht gescheut hätte.
Unter den Kunstgewerbezeichnern, welche ihr Ziel durch eine schulmäßige Ausbildung erlangen wollen, hat man zwischen denen zu unterscheiden, die ihre Dienste für alle Zweige des Kunstgewerbes anbieten, und denen, die sich auf ein bestimmtes Gebiet beschränken. Das im letzteren Falle am meisten bevorzugte ist das der graphischen Künste, was uns nicht wundern darf, da ein phantasiebegabter Mann, wenn ihm auch jede Fühlung mit dem praktischen Handwerk fehlt, sich am ersten imstande fühlen wird, eine ornamentale oder figürliche Komposition zu entwerfen, die um ihrer selbst willen da ist oder die vom Lithographen oder Lichtdrucker unmittelbar vervielfältigt wird. Im Verlage von A. Seemann in Leipzig ist kürzlich ein Adreßbuch der Kunstgewerbezeichner Deutschlands mit Leistungsproben der einzelnen Künstler erschienen. Unter den zweihundert Namen finden sich fast hundertfünfzig, die als ihre Spezialität „Diplome, Plakate, Adreß-, Tisch- und andere Karten“ angeben. Wenn nun auch der mit diesen Sachen beschäftigte Kunstdruck eine große Industrie darstellt, so muß man doch wohl zu der Ueberzeugung kommen, daß mit der genannten großen Zahl von Erfindern der Bedarf ziemlich gedeckt und die Konkurrenz auf diesem Gebiet einigermaßen scharf ist. Um so mehr, als gerade die größten Kunstdruckanstalten für den Export arbeiten und naturgemäß, um den Geschmack ihrer überseeischen Besteller sicher zu treffen, die Originale zu ihren Kunstdrucken aus dem Ausland, namentlich aus England, beziehen.
Ein anderer Zweig, auf dem man vielfach glaubt, mit einer ausschließlich schulgemäßen Ausbildung Erfolge erzielen zu können, ist der Beruf des „Dessinateurs“, des Musterzeichners für Webemuster, Zeug- und Tapetendruck und Stickerei. Besonders das weibliche Geschlecht, welches sich durch Besuch einer Kunstgewerbeschule einen Lebensberuf zu schaffen wünscht, glaubt ihn hier am ersten zu finden. Meist ist hier das Resultat eine arge Enttäuschung. Die Musterzeichnerei bildet ein geschlossenes Gewerbe; um Brauchbares in derselben zu leisten, bedarf es vielerlei: einer genauen Bekanntschaft mit der Webetechnik für Hand- und Maschinenbetrieb, für Wolle, Seide, Baumwolle und Leinen; ferner einer ununterbrochenen Fühlung mit der Mode. Der Eintritt in ein solches Atelier als bescheiden bezahlter Gehilfe muß durch eine lange Lehrzeit erworben werden. Selbst ein im Ornament gewandter Dekorationsmaler oder eine junge Dame, die eine Kunstgewerbeschule drei Jahre hindurch fleißig besucht hat, ist damit höchstens auf dem Standpunkt angelangt, als Lehrling angenommen zu werden. Aehnlich steht es mit der Stickerei; diese ist fast ganz von der Maschine in Anspruch genommen; auch die Muster für Handstickerei werden auf mechanischem Wege vervielfältigt und auf den Stoff übertragen.
Diese Betrachtungen führen uns zur Erörterung der Frage, ob und in welcher Weise das Kunstgewerbe für das weibliche Geschlecht in der Berufswahl in Frage kommt. Wir sehen immer wieder Versuche in dieser Richtung machen, zahlreiche Kunstgewerbeschulen den Mädchen Gelegenheit zur Ausbildung im Musterzeichnen und Blumenmalen geben, und dennoch sind praktische Fälle, in welchen ein Mädchen dem Kunstgewerbe eine selbständige Lebensstellung verdankt, verschwindend gering. Die Schuld dieser bedauerlichen Erscheinung tragen zum kleineren Teile die weiblichen Aspiranten des Kunstgewerbes selbst, zum größten unsere geschäftlichen und gesellschaftlichen Zustände. Auf dem normalen Weg zum Kunstgewerbe, den wir oben bezeichnet haben, findet man ein Mädchen fast nie. Was der begabte Junge in dreijähriger Lehrzeit und ebenso langem Schulbesuch erwirbt, das glaubt ein junges Mädchen, dem die Aussichten auf Verheiratung zu schwinden anfangen, in zwei Jahren durch den Besuch einer Kunstgewerbeschule zu lernen, der leider auch nur zu oft die [336] Regelmäßigkeit vermissen läßt, die wir beim jungen Mann als selbstverständlich fordern. Es sind eben noch zu viel Pflichten gegen den Haushalt der Eltern, Sorgen für die Toilette zu berücksichtigen. So nimmt die junge Dame aus der Schule im besten Falle die Fähigkeit mit, Blumen und Stillleben zu malen und ein Muster für Flachornament zu entwerfen. Wie soll sie diese Fähigkeit nun praktisch verwerten? Sie bietet sich einem Quincailleriegeschäft zum Fächer-, Leder- oder Seidemalen an; der Inhaber sagt ihr, daß gemalte Fächer gerade voriges Jahr aus der Mode gekommen sind und für die nächsten Jahre nur Feder- oder Spitzenfächer gehen. Will sie sich entschließen, Sportbilder auf Cigarrentaschen zu malen, so bezahlt der Händler für das Dutzend vielleicht vier Mark, was einem Tagelohn von einer Mark gleichkommt. Denselben Bescheid erhält sie in dem Porzellangeschäft: die Bouquets auf den Desserttellern werden von Bauermädchen in thüringischen Dörfern gemalt, die zufrieden sind, wenn sie am Tag fünfzig Pfennige verdienen. Ueber das Musterzeichnen für Gewebe und Stickereien wurde schon oben gesprochen.
Es wäre traurig, wenn man nicht hoffen dürfte, daß es für solche Mißstände einmal eine Besserung gäbe. Unzweifelhaft sind weibliche Arbeitskräfte in einer Menge kunstgewerblicher Fächer zu verwerten. Wir greifen nur folgende heraus: die graphischen Fächer (Lithographie, Kupferstich, Holzschnitt, Federzeichnung für Lichtreproduktion); Anfertigung künstlicher Blumen, Buchbinderei in ihrem künstlerischen Teil (Lederdekoration und Vergoldung); Email- und Glasmalen; Kleinplastik für Metallguß und Porzellan; Ciselieren und Gravieren. So sicher ein begabtes und gut ausgebildetes Mädchen in diesen Berufsarten mit den Männern wetteifern könnte, so unmöglich ist es heute noch für sie, eine derselben fachgemäß zu erlernen und zu betreiben – unmöglich oder doch hinter solchen Schwierigkeiten verschanzt, daß die Willenskraft der meisten bei dem Versuch erlahmt. Die von uns als unbedingt nötig bezeichnete praktische Lehre versetzt sie in die häufig rohe Atmosphäre der Handwerksstube; schwer findet sich ein Meister, der die Verantwortung übernimmt, männliche und weibliche Lehrlinge zusammen arbeiten zu lassen. Wozu auch? heißt’s da. Ist doch das Angebot männlicher Arbeitskräfte groß genug – sollen die Frauen auch hier noch die Preise drücken? Und hätte selbst ein Mädchen es erreicht, unter denselben Bedingungen wie ein Mann seine Leistungen anzubieten – sie würde immer einer tiefgewurzelten Abneigung der Geschäftsleute, Händler, Kommissionäre begegnen, mit einer „Dame“ in Geschäftsverbindung zu treten. – Man muß wie gesagt hoffen, daß die zurückgedrängte Stellung der Frau auf diesem wie auf andern Gebieten sich durch die energischen Anstrengungen bessern wird, die von einzelnen Vorkämpferinnen wie von Frauenvereinen in so tapferer Weise gemacht werden: heute hat sich ein Mädchen, welches vom Kunstgewerbe eine Lebensstellung erhofft, leider noch auf die Kämpfe, Mühsale und Enttäuschungen gefaßt zu machen, die keinem Bahnbrecher erspart bleiben. F. Luthmer.
- ↑ Das Kunstgewerbe als Beruf. Berlin, L. Simion, 1891.