Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere
Gehalten in Genf während des Winters 1860-61.
Von Carl Vogt.[1]
Seit längeren Jahren schon werden in Genf allwinterlich öffentliche Vorlesungen verschiedenen Inhaltes für Leute aller Stände in dem Saale des großen Rathes gehalten, zu welchen beide Geschlechter Zutritt haben. Auf den Antrag eines seiner Mitglieder, des Herrn A. Carteret, den das demokratische Genf mit Liebe als einen seiner Vorkämpfer nennt, beschloß der große Rath einstimmig, der Regierung alljährlich einen Credit zu solchen Vorlesungen zu eröffnen, der genügend sei, die Professoren für ihre Mühe und Aufwand zu entschädigen. Den Unterzeichneten traf im Winter 1855–56 das Loos, diese Vorlesungen mit Vortragen über die Geologie zu eröffnen. Die Stunde wurde so gewählt, daß die Arbeiter nach Schluß ihrer Werkstätten, die Geschäftsleute nach Beendigung ihrer Tagesarbeit sich in den Hörsal begeben konnten. Der Anfangs gewählte Saal, die Aula, war bald zu klein – die erste Serie der Vorlesungen mußte schon in einem größeren Locale, dem jetzt gewählten Saale des großen Rathes, in welchem 5–600 Personen Raum finden, wiederholt werden.
Die Einrichtung dieser Vorlesungen ist anders, als in den meisten deutschen Universitätsstädten, wo einzelne akademische Vorträge über einen isolirten Gegenstand, meist sogar gegen Eintrittsgeld, Statt finden. In Genf werden dem Vortragenden zehn bis zwölf Vorlesungen eingeräumt – er kann also einen Gegenstand erschöpfend behandeln und dem Zuhörer nicht nur ein einzelnes [106] wissenschaftliches Portrait, sondern ein ganzes compenirtes Bild vorführen. Das Programm dieser Vorträge wird mit der Direction des öffentlichen Unterrichts vereinbart, von welcher auch meist die Initiative ausgeht; man sorgt dafür, daß jeden Abend von 8–9 Uhr eine Vorlesung Statt habe und daß in der Wahl der Stoffe naturwissenschaftlichen, politischen und literarischen Inhaltes die nöthige Abwechslung gegeben sei. Zum Verständniß dieser Einrichtung erlaube ich mir hier, das Programm der diesjährigen Vorlesungen mitzutheilen – vielleicht, daß auch anderwärts das Streben Genfs Nacheiferung findet.
Erste Serie. Vom 10. November bis 22. December 1860 Montags und Donnerstags. Professor Privat über Experimentalchemie. Zehn Vorlesungen. Dienstags und Freitags. Professor Dameth, Geschichte des Handels. Zehn Vorlesungen. Mittwochs und Samstags. Doctor Claparède. Physiologie des Menschen. Zehn Vorlesungen.
Zweite Serie. Vom 7. Januar bis 9. Februar 1861. Montags und Donnerstags. Professor Vogt über nützliche und schädliche Thiere. Zehn Vorlesungen. Dienstags und Freitags. Professor Amiel über Philosophie der Muttersprache. Zehn Vorlesungen. Mittwochs und Samstags. Professor Humbert über die französischen Moralisten. Zehn Vorlesungen.
Man kann sagen, daß diese Vorlesungen jetzt, nach mehrjähriger Uebung, eine Gewohnheit des Volkes, der höheren Stände wie der Arbeiterclassen, geworden sind. Das durch Maueranschläge, Anzeigen in allen Journalen und besonderen Blättern veröffentlichte Programm detaillirt den Gegenstand jeder einzelnen Vorlesungsstunde und läßt Jeden zum Voraus wissen, worüber der Vortragende sprechen wird. Man bemerkt sehr bald, daß sich für jeden Vertrag ein besonderes Publicum bildet, welches für den besprochenen Gegenstand ein specielles Interesse zeigt und häufig durch Briefe und Anfragen nach der Vorlesung seine Sympathie oder seinen Widerspruch zu erkennen giebt. Der Eifer, womit man sich zu den Vorlesungen drängt, das Interesse, womit dieselben in der Presse, in öffentlichen und Privatcirkeln besprochen werden, zeigen jedenfalls, daß die Einrichtung an und für sich keine verfehlte, der Einfluß derselben ein bedeutender sei.
Die ersten Vorlesungen, welche ich vor einigen Jahren über allgemeine Geologie hielt, liegen schon seit längerer Zeit gedruckt vor mir in Gestalt eines elegant ausgestatteten Buches in französischer Sprache, dessen Erscheinen leider durch widrige Verhältnisse bis jetzt verhindert wurde. Zur Bearbeitung der nachfolgenden Vorlesungen in deutscher Sprache, also in Uebersetzung (denn trotzdem, daß Genf denselben Reichsadler im Wappen führt, ist es doch in Sitten, Leben und Sprache eine französische Stadt), gab der Verleger und Herausgeber der Gartenlaube, durch eine Freundes-Aeußerung bestimmt, die Veranlassung. Wenn auch das Niederschreiben eines durchaus frei gehaltenen Vortrages einige Schwierigkeiten haben mag und das Fehlen der Illustrationen, die in den Vorlesungen selbst durch große Wandmalereien ersetzt sind, einen Reiz weniger veranlassen mag, so hoffe ich doch für die Vorträge in dieser Gestalt eine eben so vortheilhafte Aufnahme, als die gesprochenen Vorlesungen bis jetzt in der freilich sehr zu ihrem Vortheil geänderten Stadt Calvin’s gefunden zu haben scheinen.
Genf den 22. Januar 1861.
- ↑ Es bedarf wohl nur der Namensanführung des berühmten Verfassers, um unsere Leser auf die Wichtigkeit der nachfolgenden Vorlesungen aufmerksam zu machen. Wir werden die einzelnen Abschnitte einer geschlossenen Vorlesung stets hintereinander folgen lassen. Die Red.