Waisenkinder auf der Haide
Waisenkinder auf der Haide.
Kein Obdach! Birg in meinem Schooße
Das liebe Lockenköpfchen dein
Und schließ’ das Aug’, das dunkle, große,
Zu gold’nem Traum, mein Brüderlein!
Die Nacht bricht an – die Vögel schweifen
Zu Nest, zu Nest mit letzter Kraft;
Der Nebel wallt in langen Streifen
So grau daher – und märchenhaft
Ziehn Glockenklänge auf der Haide.
[25]
Da liegt es ja im Abendscheine,
Das stille kleine Gotteshaus,
Und rings herum viel Leichensteine,
An manchem Kreuz ein Blumenstrauß.
Wie muß es sich doch unter’m Hügel
So heimlich lauschen und so sacht,
Wenn traumhaft senkt den weichen Flügel
Und lautlos horcht die Sommernacht
Den Glockenklängen auf der Haide!
Der Tod so süß, so hart das Leben –
Träum’ fort, träum’ fort, mein Brüderlein!
In Winterfrost, in Sturmesweben
Wer thut uns auf, wer läßt uns ein?
Wie schön, dem Glück in’s Auge sehen,
In’s Auge warm und strahlenhell –
Uns winkt’s nur im Vorübergehen
Und kommt und flieht, wie Träume schnell,
Wie Glockenklänge auf der Haide.
Träum’ fort, träum’ fort – und doch! wie heute
So wundersam sich hebt mein Muth,
Als grüßt’ uns Gott aus dem Geläute:
„Getrost! Es wird noch Alles gut“,
Als ging’ er mit des Tages Scheiden
Die Haid’ entlang von Ort zu Ort
Und spräch’ zu Allen, die da leiden,
Ein freundlich Wort, ein Vaterwort
Aus Glockenklängen auf der Haide.
Ernst Ziel.