Warum die Armuth nicht aufhört

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Titel: Warum die Armuth nicht aufhört
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 188
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[188] Warum die Armuth nicht aufhört. In Deutschland giebt es bekanntlich eine große Anzahl sogenannter Volksbücher und Schriften „gedruckt in diesem Jahre“; noch zahlreicher als bei uns sind solche Schriften in Frankreich, wo sie fast die einzige Lektüre des Volkes ausmachen. Wenige in Deutschland kennen solche französische Volksbücher und zu den allerunbekanntesten gehört „die Geschichte des guten Elend“, die ihres sehr poetischen Inhalts wegen wenigstens kurz erzählt zu werden verdient.

Zwei Wanderer, Peter und Paul, wurden einmal, vor langer, langer Zeit, in einem Dorfe von einem Regenguß überfallen. In mehreren Häusern suchten sie ein Obdach und Nachtquartier, aber vergebens; die Reichen ließen sie von ihren Knechten von der Thür jagen und die Armen hatten keinen Platz. Endlich fanden sie Aufnahme in einer Hütte, bei dem „guten Elend“, dem ärmsten Manne im Orte, der auf einem Bündel schmutzigen Strohes schlief. Seinen Hauptunterhalt hatte Elend von einem Apfelbaum an seiner Hütte, aber jetzt gerade hatte ihm ein Dieb die meisten Aepfel gestohlen. Die Geschichte des guten Elend erregte das Mitleid der Fremden und zum Lohn für ihre Aufnahme gewährten sie ihm seinen Wunsch, daß von nun an ohne seinen Willen Niemand von dem Apfelbaum wieder herunter steigen könne. Der Erste, der so auf dem Apfelbaum gefangen wurde, war der erste Dieb, der noch mehr Aepfel hatte haben wollen. Elend sah ihn oben, lachte ihn aus und ging fort, um im Walde dürres Holz zu suchen. Zwei Nachbarn, die den Dieb schreiben hörten, wollten ihn befreien, stiegen zu ihm hinauf und blieben ebenfalls hängen. Als Elend zurückkam, ließ er die beiden Nachbarn frei ohne ein Wort zu sagen, den Dieb aber nach dem Versprechen, den Baum nun in Ruhe zu lassen. Bald darauf kam der Tod zu dem alten Manne, und er wunderte sich sehr, daß dieser ihn ohne Furcht, ja freudig empfing. „Warum sollte ich mich vor Dir fürchten?“ sagte er. „Welche Freude hat mir das Leben gewährt? Das Einzige, was ich ungern verlasse, ist mein Apfelbaum, der mich mildthätig genährt hat.“ Er bat denn auch, sich noch ein Paar Aepfel holen zu dürfen, dann wolle er gern mitgehen. Der Tod bewilliget das und geht mit dem Alten hinaus. Der gute Elend blickt sehnsüchtig nach einem Apfel, der am Ende eines Zweiges hängt und bittet den Tod, ihm doch einen Augenblick die Sense zu borgen, damit er den Apfel herunterholen könne. „Meine Sense darf ich nicht aus der Hand geben,“ sagte der Tod; „steige hinauf.“ – „Das kann ich nicht, ich vermag ja kaum zu stehen und zu gehen.“ – „Nun gut, so will ich Dir den Apfel holen,“ sagte der Tod und stieg hinauf, – konnte aber nicht wieder herunter. Er und Tausende von Jammernden warteten auf den ausbleibenden Tod, daß er sie erlöse. Endlich versprach der Tod dem guten Elend, wenn er ihn herunter lassen wollte, werde er ihn bis zum jüngsten Tage nicht wieder stören. Das gab der gute Elend zu und daher kommt es, daß Elend nicht stirbt. Der Tod geht wohl bisweilen an der Thür vorbei, sieht aber gar nicht hin, und so lange die Welt steht, wird es die ärmliche Hütte und in ihr – Elend geben.