Weinblüthe
Weinblüthe.
O wilde Nacht! Wie flogen die Blitze hin und her! –
Nun ist der Sturm verzogen, kein Lüftchen regt sich mehr,
Erquickung deckt und Schweigen die mondbeglänzte Flur;
Schwer tropft es von den Zweigen, verweint noch liegt Natur.
Vom Falter träumt die Rose, im Grase schläft der Wind.
Das Lied nur wacht und leise erklingt am Wasserfall
Fern – fern die Sehnsuchtsweise einsamer Nachtigall.
Von Osten, überm Weiher, am Berge schreitet hin
Ein Schimmer, nicht zu sagen, strahlt auf, wohin sie späht,
Und Balsamwölkchen tragen die Feen-Majestät.
Sie neigt das Haupt, das holde, sie lächelt wie im Traum
Und senkt den Stab von Golde in jeder Blüthe Flaum,
Harzgeist und Sommerlüfte zu würzigem Arom,
Mischt drein die Wundersäfte aus diamantnem Krug,
Geheimnißvolle Kräfte, Lorbeer und Freiheitsflug,
Ein Tröpflein Gift und Lieder, Schlafkraut und Poesie,
Vom Vaterland die Träume, der Liebe Rosengluth,
Herzheil und süße Schäume, Siegwurz und Drachenblut.
Ein Strahl nun, wie auf Erden kein Auge je gesehn,
Durchleuchtet all das Werden: der Zauber ist geschehn!
Sie schwebt in heil’gem Walten, unhörbar, elfengleich;
Und wo an Pfahl und Gitter ein Weinstock grünt im Rund,
Da faßt’s ihn wie Gewitter bis auf der Wurzel Grund:
Um seine goldnen Schosse wandelt die Königin
Das kleinste Blatt erschauert, berührt vom süßen Gruß,
Weinblüthe, grün vermauert, wacht auf beim Weihekuß,
Die zarten Triebe regt sie und sprengt das enge Haus,
Ihr winzig Sein bewegt sie verschämt ins All hinaus,
Im Purpurlichte malen sich Berg und Waldeshag.
Im Lichte, Blüthe, lebe! Gesegnet sei dein Lauf
Vom Mutterarm der Rebe bis in das Glas hinauf!
Die Welt kann nicht zerfallen, so lang dein Feuerblut,
Doch dir, bewährter Zecher, sei immerdar erblüht
Ein Rosenkranz am Becher, Weinblüthe im Gemüth!
Ida John.