Wer bewegt die Uhren?

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wer bewegt die Uhren?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 608
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[608] Wer bewegt die Uhren? Der hübsche Aufsatz, welchen die Gartenlaube unter der Überschrift „Das Wunder in der Westentasche“ brachte, hat allgemein gefallen und angesprochen. Mich hat er daran erinnert, wie oft ich gerade die Taschenuhr als Beispiel angeführt habe, wenn es mir bei gemeinnützigen Vorträgen darauf ankam nachzuweisen, wie Vieles wir sehen, gebrauchen und täglich, ja stündlich in Händen haben, ohne daß wir uns Rechenschaft darüber geben, was das eigentliche Wesen dieser Dinge ausmacht und wie Vieles wir lernen könnten, wenn wir uns daran gewöhnen wollten, auf den Grund der gewöhnlichsten unserer täglichen Hülfsmittel, Werkzeuge und Vorrichtungen zu sehen.

Bleiben wir bei der Uhr stehen, so sehen wir, daß Tausende von Menschen sie vom Erwachen bis zum Schlafengehen als treuesten Begleiter durch das ganze Leben bei sich tragen, und wie Viele von Allen sind denn im Stande, auch nur annähernd den innern Zusammenhang dieser interessanten Maschine zu verstehen oder gar zu erklären? Es scheint das fast unbegreiflich und doch ist es nicht anders sind zwar auch in den zahlreichsten anderen Beziehungen. Ohne weiter auf solche einzugehen, möchte ich eine andere Thatsache erwähnen, welche mir beim Lesen des gedachten lehrreichen Aufsatzes einmal wieder in den Sinn kam und die gewiß ebenfalls interessant genug ist, da wohl noch seltener Jemand über sie sich Rechenschaft geben dürfte, als über das Wesen so vieler Dinge, die uns stündlich dienen.

Wenn man Jemanden fragen würde, welche Kraft denn seine Taschenuhr in Bewegung setzt, so würde man die schnelle Antwort erhalten, daß dies ohne Zweifel die Feder, noch besser die Federkraft, sei. Wollte man fragen: „Was treibt denn Deine Schwarzwälder Wanduhr oder Deinen sogenannten Regulator?“ so erhielte man sehr schnell die Auskunft, daß die Gewichte dies besorgten. Und wenn man hierüber etwas weiter katechisiren würde, so könnte man die Antwort erhalten, daß die Schwerkraft es sei, welche mittelst des Gewichtes die Uhr in Bewegung erhalte. Das sind denn in der That die beiden Theile der Uhren aller Arten, welche augenscheinlich das Werk zu treiben bestimmt sind, und sie wiederholen sich bei der verschiedensten Construction derselben. Aber hat denn eine Uhrfeder an und für sich Kraft? Oder hat ein Gewicht unter allen Umständen die Fähigkeit, irgend eine Bewegung hervorzubringen? Keins von beiden; die Taschenuhr bleibt stehen, sobald sie nicht mehr aufgezogen ist, und ebenso die Wanduhr, wenn das Gewicht abgelaufen ist. Welche Kraft treibt denn nun aber die Uhr, sei es vierundzwanzig Stunden lang oder vierzehn Tage lang? Das sagt sich eben Niemand, weil man nicht gewohnt ist, auf den Grund der täglichsten Dinge zu gehen. Thut man dies aber in diesem Falle, so ist einfach zu ersehen, daß die Kraft, welche die Uhr in Bewegung erhält, von demjenigen allein ausgeht, welcher die Uhr aufzieht.

Bei den Uhren, welche mit Federn versehen sind, wird diejenige Kraft, welche man anwenden muß, die Feder zu spannen, von dem Aufziehenden in dieser Feder angesammelt und letztere giebt sie langsam, in kleinen Theilen die vierundzwanzig Stunden hindurch an das Werk ab. Die Uhr gebraucht also zu ihrem Gange in vierundzwanzig Stunden gerade soviel Kraft, als das Aufziehen der Uhr erfordert. Ebenso die Uhr mit Gewichten. Hier hebt der Aufziehende das Gewicht bis zu einer bestimmten Höhe und dieses erhält durch das langsame Herabfallen die Uhr im Gange. Auch hier bedarf die Uhr zu ihrem täglichen, acht- oder vierzehntägigen Gange gerade so viel Kraft, als das Aufziehen der Gewichte erfordert. Also weder mit Federkraft noch mit der Kraft der Gewichte werden die Uhren getrieben, sondern mit Menschenkraft, die durch das Aufziehen der Uhr in Feder und Gewichten sich ansammelt. Das ist eine Thatsache, welche sich erst Wenige klar gemacht haben, daß ein Theil ihrer eigenen Kraft die Betriebskraft ihrer Uhren ausmacht.

Als Seitenstück zu den Berechnungen über die Wege, welche die Unruhe einer Uhr zu machen hat, wollen wir hier erwähnen, daß auch bei Betrachtung der Kräfte, welche hier in Frage kommen, sich ganz überraschende Zahlen herausstellen. Nimmt man an, daß in einer Stadt fünftausend Wanduhren mit Gewichten vorhanden sind, welche täglich aufzuziehen sind, und hat jede Uhr ein Ganggewicht von einem halben Kilogramm oder einem Zollpfund, welches ein Meter hoch aufzuziehen ist, so würde, wenn dieses Aufziehen in zwei Secunden erfolgt, für alle diese Uhren die zwei Secunden lang eine Kraft von 16,5 Pferdekräften nöthig sein. Das Ablaufen dieser Uhren vertheilt sich auf vierundzwanzig Stunden, und es würde daher für jede Uhr eine auf diese Zeit vertheilte Betriebskraft von 38/100000 Pferdekräften sich ergeben. Bedenkt man nun, welche Massen von Uhren auf der ganzen Erde täglich im Gange sind, so wird man sich verwundern dürfen über die großen Kräfte, welche angewendet werden müssen, um diese kleinen Maschinen im Gange zu erhalten.