Werder und seine Braven

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Titel: Werder und seine Braven
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 176–178
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Werder und seine Braven.


Der gegenwärtige Krieg hatte von Anfang an das Wesen eines Volkskriegs. Die Leitung desselben von Seiten der deutschen Heeresführer ist eine meisterhafte gewesen, vom ersten Zusammenstoße bis zum letzten Schusse. Das wird die Weltgeschichte freudig anerkennen, das muß der Neid, die Feindschaft des Tages unbeleckt zugestehen. Aber eines wird die Weltgeschichte ebenfalls anerkennen, wird der Neid, der Haß, die Furcht des Tages nicht weniger zugestehen müssen, – daß es kaum je ein Heer gegeben hat, welches gekämpft wie das deutsche des Feldzuges von 1870 bis 1871, daß kaum je einem Feldherrn ein „Kriegsmaterial“ zu Gebote gestanden hat, wie das, dessen Laufbahn heute mit dem Waffenstillstand von Paris sein Ziel, den Frieden, hoffentlich erreicht haben wird.

Das ganze Heer, vom ersten bis zum letzten Soldaten, kämpfte mit Bewußtsein, mit persönlicher Entschlossenheit und persönlichem Siegesmuthe. Die Massen dieses Heeres waren vom ersten Tage bis zum letzten wahrhaft bewundernswürdig. Wir haben einen englischen Officier gesprochen, welcher der Schlacht bei Wörth als echter Engländer aus Liebhaberei beiwohnte. Er hat keine Kriegsberichte für Zeitungen geschrieben, auch keine Depeschen an irgend eine Regierung abgeschickt; aber vom Schlachtfelde von Wörth aus schrieb er einem Freunde: „Die Franzosen sind verloren. Das sind keine Bataillone, das sind Mauern, die mit unwiderstehlicher Macht vordringen. Man sieht gar nicht, daß die Kanonen, Mitrailleusen, Gewehre sie berühren. Jede Lücke schließt sich augenblicklich. Nur hinter den Reihen merkt man, daß sie gelichtet wurden. Jeder Mann, vom ersten bis zum letzten, ist ein Held. Frankreich ist verloren, und um so mehr, je länger der Krieg dauert!“

Das war der Eindruck der ersten Schlacht in diesem Kriege, das ist der Eindruck der letzten – denn wir hoffen, daß die Schlachten bei Belfort oder Montbeliard die letzten in diesem Kriege gewesen sein werden. In diesen letzten Schlachten ist aber der Charakter, das Wesen dieses Krieges nur noch lebendiger an den Tag getreten. Das „Werder’sche Corps“, das so eigentlich kein besonderes Corps war, sondern nach und nach zu einem kleinen Heere von Heeresabtheilungen aus allen Gauen Deutschlands, Baden, Württemberg, Westphalen, Holstein u. A. zusammengelesen ward, hat ein sehr einfaches, aber wunderbar großartiges Schauspiel von festem Muthe und unerschütterlicher Standhaftigkeit der Massen dieses kleinen Heeres, des gemeinen Mannes, des Volkes, das in ihm vertreten war, gegeben. Vier Tage haben die deutschen Krieger hier nicht nur wie die Helden gekämpft, – das hätten auch andere Völker gekonnt, die Franzosen vor Allen vielleicht auch, – ja, nicht nur gekämpft, sondern auch gewacht, gehungert, gefroren, gedurstet, gelitten und überstanden, was je irgend einem

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General v. Werder.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.


Heere geboten worden ist. Wer darüber von den Mitkämpfenden sprechen, die Einzelnheiten erzählen hört, – dem wird es heiß und kalt im Herzen, der staunt und bewundert diese eisenfesten Männer. Es ist das Volk, es ist die deutsche Volkskraft, der deutsche Volksgeist, der so zu leiden, zu dulden, zu darben, zu hungern, zu frieren vermochte und dann wieder Tag um Tag unerschüttert und unerschütterlich dem tapferen doppelt und dreifach starken Feinde festen Fußes Widerstand leistete. Es überlief uns ein Schauer, als ein Verwundeter dieser Heldenschaar schlicht und einfach erzählte: „Wir sagten uns: Hier kommt Niemand durch! Und es ist Niemand durchgekommen!“

Es war das Volk, das kämpfte, es war das deutsche Volksbewußtsein, [178] zum Heldenmuthe erwacht, das sich den ganzen Feldzug hindurch bewährt hat, das vom ersten bis zum letzten Schuß sich sagte: „Hier kommt Niemand durch!“

Der General von Werder wird einen schönen, klangreichen Namen in der Geschichte haben, das „Werder’sche Corps“ einen schönern. Gerne freuen wir uns, wenn der König-Kaiser dem Führer seinen Lohn in dem höchsten Orden zuschickt; wir werden auch ihm eine Dotation freudig gönnen, die ihm etwa bevorsteht. Lohn dem General – Dank dem Heere! Dank! Dank! Sonst nichts?

„Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen!“

Diesmal wird er nicht mit dem „Schönen Dank!“ zufrieden sein. Denn der Mohr ist – das deutsche Volk in Waffen. Nicht nur der Führer hat außer Dank auch den Lohn verdient, sondern auch das Volk, dieses wunderbar unüberwindliche Heer. Sein Dank – wird die Freiheit sein. Sie wird ihm werden. Das Selbstbewußtsein des deutschen Volkes wird aus diesem Kriege so stark hervorgehen, daß – man bald, sehr bald auch allerhöchsten Ortes einsehen wird, wie diesmal das Volk nicht mit einem leeren „Dank“ abgespeist werden kann; daß auch das deutsche Volk seinen Lohn erwartet, daß es klug sein wird, ihm denselben freiwillig zu geben, da es sich ihn sonst doch gelegentlich mit der Kraft nehmen würde, die es in sich selber auf den Schlachtfeldern von Wörth bis Montbeliard erkennen gelernt hat.

Der Dank, den das Volk erhalten muß, heißt Freiheit, heißt Grundrechte der deutschen Nation. – –

Die vorstehenden herrlichen Worte sind die letzten, welche der alte Kämpfer für Recht und Freiheit, welche Jakob Venedey wenige Tage vor seinem jähen Hinscheiden an das deutsche Volk gerichtet hat, und welche dieses als ein theures, heiliges Vermächtniß bewahren möge, des Dankes harrend und zuversichtlich wartend. Das rückhaltlose Lob aber und die rückhaltlose Bewunderung jenes wahrhaft altrömischen Heldenmuthes, mit welchem unsere Braven bei Belfort und Montbeliard gekämpft und gesiegt haben, ist um so werthvoller, als Venedey dem Schauplatz jener blutigen, erbitterten Kämpfe in unmittelbarer Nähe gestanden hat und als er mit zuerst die Schrecken empfunden hätte, welche eine in ihren Folgen ganz unberechenbare Niederlage unserer Armee bei Belfort über das südliche Deutschland würde gebracht haben. Darum aber auch glaubten wir keine bessere Einleitung, als Venedey’s „letztes Wort“ zu den biographischen Mittheilungen über den Mann geben zu können, der diese Armee von Helden geführt hat und der für immer „einen schönen, klangreichen Namen in der Geschichte haben wird.“

Der General August von Werder steht heute im zweiundsechszigsten Jahre, nachdem er seine Militärlaufbahn schon 1825 beim Regiment der Garde du Corps begonnen, um im folgenden Jahre zur Infanterie überzugehen. Trotz seiner Beschäftigung in dem topographischen Bureau und der Kriegsschule mochte dem jungen, strebsamen Officier der friedliche Dienst der Garnison nicht ganz behagen; wenigstens wohnte er 1842 und 1843 den Feldzügen im Kaukasus bei, wo er im Gefecht bei Kefar verwundet wurde. In die Heimath zurückgekehrt, avancirte er zum Hauptmann, vom Hauptmann zum Major, vom Major zum Oberstlieutenant, und bei dieser letzteren Gelegenheit ereignete sich eine kleine Scene, die, wie der Erzähler derselben richtig bemerkt, zum Beweise dient, wie die Bedeutung des trefflichen Mannes und Heerführers auch von solchen früh erkannt worden ist, die seinem militärischen Berufe ferne standen. Als der Major v. Werder in Sangerhausen Oberstlieutenant geworden und, ihm zu Ehren, mit ihm ein kleiner Kreis seiner dortigen Freunde zu einem Festmahle geladen war, erhob sich der Superintendent der Stadt mit den Worten: „Wir reichen dies Glas dem Oberstlieutenant v. Werder, dem Werder.“ – „Wie,“ unterbrach der Wirth, „ist er denn noch in den Kinderschuhen, ist er nicht schon was?“ – Worauf der Superintendent erwiderte: „Ich sehe in dem, was er ist, daß er dereinst Großes werden und Großes vollbringen wird. Wir weihen dies Glas der deutlich signalisirten, bedeutungsvollen Zukunft des Oberstlieutenant v. Werder.“

Und wirklich, diesmal war der geistliche Herr von Sangerhausen wahrhaftig ein Prophet, ein guter Prophet zu Nutz und Frommen unseres Vaterlandes. Seine Prophezeiung sollte sich rasch erfüllen. Denn schon im Jahre 1866 führte der General v. Werder die ihm anvertraute dritte Division bei Gitschin mit höchster Auszeichnung, wie denn auch bei Königsgrätz seine Mitwirkung die bedeutendste und weitreichendste war. Bei Beginn des Krieges mit Frankreich fiel ihm das Commando des ersten Reservecorps zu, um nach der Erkrankung des badischen Generals v. Beyer zugleich zum Befehlshaber des gesammten wider Straßburg aufgebotenen Belagerungscorps ernannt zu werden, zu welchem sein Corps schon früher gestoßen war. Am 28. September hielt der General seinen Einzug – er hatte Straßburg wieder zu einer deutschen Stadt gemacht. Was General v. Werder, der sich mit seinem Corps nun südwärts wandte, in jenen Tagen leistete, da ganz Deutschland mit ängstlicher Spannung auf die Kämpfe um und bei Belfort sah, das hat Jakob Venedey in den obenstehenden Zeilen besser und eindringlicher geschildert, als wir es hier vermöchten und als daß wir eine Wiederholung hier versuchen dürften.