Westphälische Sagen und Geschichten/Das Erdmännchen auf Hardenstein

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Textdaten
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Autor: H. Stahl alias Jodocus Temme
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Titel: Das Erdmännchen auf Hardenstein
Untertitel:
aus: Westphälische Sagen und Geschichten
Seite 113–115
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: Büschler’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Elberfeld
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[113]
XII.


Das Erdmännchen von Hardenstein.


Zur Zeit Kaisers Wenzeslaus lebte auf seiner jetzt verfallenen Burg Hardenstein an der Ruhr der Ritter Neveling von Hardenberg; zu diesem gesellte sich einstens ein Erdmännchen, welches sich König Goldemar nannte, und lebte lange Zeit vertraulich mit ihm auf der Burg. Der Goldemar redete mit ihm und anderen Menschen, er spielte sehr lieblich auf der Harfe, imgleichen mit Würfeln, setzte dabei Geld auf, trank Wein, und schlief oft bei Neveling in Einem Bette.

[114] Als nun Viele, sowohl Geist- als Weltliche ihn besuchten, redete er zwar mit allen, aber also, daß es besonders den Geistlichen nicht immer wohlgefiel, indem er durch Entdeckung ihrer heimlichen Sünden dieselben oft schamroth machte. Neveling, welchen er seinen Schwager zu nennen pflegte, warnete er oft vor seinen Feinden, und zeigte ihm, wie er deren Nachstellungen entgehen könnte. Auch lehrete er ihn, sich mit diesen Worten zu kreuzigen, und zu sagen: Unerschaffen ist der Vater, unerschaffen ist der Sohn, unerschaffen ist der heilige Geist!

So pflegt er zu sagen: Die Christen gründeten ihre Religion auf Worte, die Juden auf köstliche Steine, die Heiden auf Kräuter. – Seine Hände, welche mager, und, wie ein Frosch und Maus, kalt und weich im Angriff waren, ließ er zwar fühlen; keiner aber konnte ihn sehen.

Nachdem er nun drey Jahre bey Neveling ausgehalten hatte, ist er, ohne Jemand zu beleidigen, weggezogen. Es hatte aber Neveling eine schöne Schwester, um welcher willen Viele argwohneten, daß sich dieses Erdmännchen bey ihm aufgehalten habe. –

Eine andere Sage erzählet diese Wundergeschichte folgendermaßen:

Auf dem Hause Hardenstein hat sich vor Zeiten ein Erdmännchen aufgehalten, welches sich König Vollmar genennet, und diejenige Kammer bewohnet hat, welche von jenen Zeiten an bis auf den heutigen Tag die Vollmars Kammer heißet. Dieser Vollmar mußte jederzeit einen Platz am Tische, und einen für sein Pferd im Stalle haben; der denn jederzeit die Speisen, wie auch Hafer und Heu verzehret wurden, vom [115] Menschen und Pferde aber sahe man nichts als den Schatten.

Nun trug es sich zu, daß auf diesem Hause ein Küchenjunge war, welcher begierig diesen Vollmar, wenigstens seine Fußstapfen zu sehen, hin und wieder Erbsen und Asche sträuete, um ihn solcher Gestalt fallend zu machen. Allein es wurde sein Vorwitz sehr übel bezahlet; denn auf einen gewissen Morgen, als dieser Knabe das Feuer anzündete, kam Vollmar, brach ihm den Hals und hieb ihn in Stücken, da er die Brust an einen Spieß steckte und briet, etliches röstete, das Haupt aber nebst den Beinen kochte.

Als der Koch bey seinem Eintritt in die Küche dieses erblickte, wurde er sehr erschrocken, und wollte sich fast nicht in die Küche wagen. Sobald die Gerichte fertig, wurden solche auf Vollmars Kammer getragen, da man dann hörte, daß sie unter Freudengeschrey und einer schönen Musik verzehret wurden. Und nach dieser Zeit hat man den König Vollmar nicht mehr verspüret. Ueber seiner Kammerthür aber war geschrieben, daß das Haus künftig so unglücklich seyn solle, als es bisher glücklich gewesen; auch daß die Güter versplittert und nicht eher wieder zusammen kommen sollten, bis daß drei Hardenberge vom Hardenstein am Leben seyn würden. Der Spieß und Rost sind lange zum Gedächtnisse verwahrt, aber 1651, als die Lothringer in diesen Gegenden hauseten, weggeplündert worden; der Topf aber, der auf der Küche eingemauert, ist noch vorhanden.

(v. Steinen IV. S. 777–779.)