Westphälische Sagen und Geschichten/Das Kruzifiz zu Stromberg
Auf der Spitze des Stromberges in Westphalen nicht weit von der jetzt verfallenen Burg, auf der einst die mächtigen Burggrafen von Stromberg hauseten, steht eine schöne Kirche, in der ein hölzernes Kruzifix ist, das fromme Leute jetzt mit Silber haben beschlagen lassen. Dieses Kruzifix wurde dort, wo die Kirche jetzt steht, vor ungefähr tausend Jahren in der Erde gefunden. Man brachte es in die Kirche, die in dem am Fuße des Berges liegenden Dörfchen Stromberg
[102] erbaut war, und stellte es dort auf den Altar. Allein am anderen Morgen war es von da verschwunden, und an der Stelle wo man es gestern entdeckt, fand man es wieder. Man wollte es wieder in die Kirche zurückbringen; aber jetzt war es auf einmal so schwer, daß man es nicht aufheben, viel weniger von der Stelle bringen konnte. Da spannte man zwey Ochsen daran, doch auch diese konnten es nicht fortziehen; erst als man sechs Ochsen mit Ketten daran spannte, konnten diese es zu der Kirche unten im Dorfe zurückziehen. Aber am folgenden Morgen war es wiederum aus der Kirche verschwunden, und wieder auf seinem alten Platze oben auf dem Berge, und keine Macht der Erde war jetzt im Stande, es von da fortzubringen. Da sagte ein alter, frommer Einsiedler, der herbeygekommen war, dieß sey ein Zeichen von Gott, daß das Kruzifix nicht von hier fort, sondern hier eine Kapelle haben müsse. Und er selbst sammelte Gaben bey Reichen und Armen, bey Vornehmen und Geringen, und bauete nach Jahresfrist eine schöne Kirche auf dem Platze. Die Kirche steht noch, und das Kruzifix ist sehr wunderthätig, weshalb jedes Jahr Prozessionen zu ihm wallfahrten. Aber von der Stelle kann man es noch nicht bringen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Kruzitix