Wie Du mir, so ich Dir!
[48] Wie Du mir, so ich Dir! Vor nicht zu langer Zeit wurde eines Abends im Pariser Théâtre français das wunderhübsche und ergreifende Stück „la joie fait peur“ gegeben, das auch auf unseren deutschen Bühnen unter dem Titel „die Furcht vor der Freude“ nicht unbekannt ist. Der Kaiser und die Kaiserin wohnten der Vorstellung bei und die Kaiserin Eugenie hatte sich sehr bewegt bereits einige Mal mit einem mikroskopischen Spitzentaschentuch die Augen getrocknet. Es war klar, daß dies kleine Viereck von Alençenspitzen von Minute zu Minute ungenügender wurde bei dem immer wachsenden Interesse an dem Stücke. Der Kaiser, welcher, ohne ein Wort zu sagen, diese kleine stumme Scene neben sich betrachtete, drehte mit stillem Lächeln seinen Schnurrbart; endlich zog er sacht, fast hinterlistig sein eigenes Taschentuch aus der Tasche und hielt es seiner Nachbarin hin, die sich rasch desselben bemächtigte.
Inzwischen wurde immer weiter gespielt, die Intrigue verwickelte sich immer mehr, die Scenen wurden immer ergreifender, und alle Welt in der kaiserlichen Loge war bewegt und aufgeregt geworden. Plötzlich bemerkte die Kaiserin, daß die allgemeine Rührung selbst das Staatsoberhaupt ergriff, noch ein Weilchen Geduld und eine Thräne rollte in den kaiserlichen Bart – da gab sie schnell und triumphirend mit einem malitiösen Lächeln dem Gemahl das ihm gehörige Batisttuch zurück, dessen er jetzt selbst bedurfte.