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Wie Georges Sand jetzt lebt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Wie George Sand jetzt lebt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 352
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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Bearbeitungsstand
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[352] Wie Georges Sand jetzt lebt. Georges Sand lebt nicht mehr auf ihrem reizenden Schlosse Nohant, das sie ihrem Sohne Maurice Sand überlassen hat; sie bewohnt gegenwärtig in Paris, Rue des Feuillantines Nr. 97, eine neue Wohnung in einem neuen Hause. Damit haben wir zugleich gesagt, daß sie sich daselbst äußerst unbehaglich fühlt. Ihr Arbeitszimmer scheint sie zu geniren wie ein Kleid, dessen Aermelausschnitt zu eng ist. An den Wänden hängen einige sehr mittelmäßige Gemälde, die nicht von berühmten Meistern herrühren können. Georges Sand wird am 5. Juli zweiundsechszig Jahre alt; es ist jetzt vierundvierzig Jahre her, seit sie sich mit dem Baron Dudevant vermählte, von dem sie seit dreißig Jahren gesetzlich geschieden ist. Trotz dieses Alters hat sie noch immer etwas Jugendliches in ihrem Aussehen, was sie der Schönheit ihrer lebhaften Augen und dem kaum ergrauenden Haar verdankt, welches in kleinen, krausen Löckchen Stirn und Schläfen umgiebt. Sie bedient sich einer Brille, aber nur zum Schreiben.

Georges Sand hat eine sanfte, angenehme Stimme und drückt sich mit vieler Leichtigkeit und Einfachheit aus. Erhält sie Besuch, so ist ihr Erstes, dem Besucher eine Cigarette anzubieten und sich selbst eine anzuzünden, worauf sie mit großem Behagen die weißen Rauchwolken in die Luft wirbelt. So nimmt die Unterhaltung sofort einen vertraulichen Ton an, den sie überhaupt liebt, vorausgesetzt, daß der Besucher ein geistreicher Mann ohne große Prätensionen ist. War sie jemals schön? Es existiren viele Portraits von Georges Sand, und die Urtheile der Schriftsteller, welche sie in ihrer Jugendblüthe gekannt, sind völlig verschieden und unklar darüber. Heinrich Heine hat sich über diesen Punkt am deutlichsten ausgesprochen; er erblickte in der Verfasserin der „Consuelo“ ein Wunder von unvergleichlicher Schönheit, eine Art leidender und doch strahlender Gottheit, welche alle Anbetung verdiente. Wenn man heute diesen ausdrucksvollen Kopf, dieses Gesicht betrachtet, dessen Züge durch das Alter von den Verheerungen der Leidenschaft gereinigt und nur noch von Geist verklärt sind, so fühlt man sich versucht, zu glauben, daß er Recht hatte und daß er allein richtig gesehen hat.