Wie Gifte in die Küche geschmuggelt werden können
[258] Wie Gifte in die Küche geschmuggelt werden können. Wer hätte nicht als Schuljunge einmal die zur Erziehung des schönen Abendfalters gesammelten Wolfsmilchraupen, besonders nachdem ihm der ätzende Milchsaft Blasen an den Fingern erzeugt, um ihren guten Magen beneidet, da sie dieses scharfe Futter, welches den Menschen die heftigste Cholerine zuziehen würde, auf’s Beste verdauen und dabei groß und feist werden? Das ist nun so in der Welt; dem Einen bekommt, was dem Andern schädlich ist, und die Kirchenväter Ambrosius und Basilius suchten die Giftpflanzen vor dem Vorwurfe, Teufelssalat zu sein, zu retten, indem sie erzählten, die Staare nährten sich mit Vorliebe von dem Gifte, welchem Sokrates unterliegen mußte, und die Wachteln ließen sich die scharfe Nieswurz trefflich munden. Ich weiß nicht, ob den Kirchenvätern in diesen besonderen Beispielen zu trauen ist, aber im Allgemeinen ist es ganz richtig, daß viele Thiere ohne Schaden, ja wohl selbst mit Vorliebe genießen, was uns Gift ist. Da genossene Giftstoffe allgemein in die Aussonderungen der Thiere übergehen, so hat es für uns ein besonderes Interesse, die Giftfestigkeit solcher Thiere kennen zu lernen, deren Ausscheidungen (Milch und Honig) wir genießen. Daß die Bienen von giftigen und ungiftigen Pflanzen Honig einsammeln, war schon den Alten bekannt, und Xenophon sah einst eine ganze Armee durch den Genuß giftigen Honigs zu Boden geworfen, als ob eine Schlacht geschlagen worden wäre. Sie erholten sich aber Alle wieder von der narkotischen Betäubung. Gefährlicher kann den Menschen, wie eine Reihe im Borgo Rione zu Rom vorgekommener Vergiftungsfälle beweist, die Giftfestigkeit der Ziege werden. Die Ziegen gehören, wie es scheint, zu den zähen Naturen, die mancherlei Pflanzengifte verdauen können, ohne merklichen Schaden an ihrer Gesundheit zu nehmen. Im genannten römischen Stadtviertel waren vor nicht langer Zeit eine große Anzahl von Personen von einer heftigen Cholerine befallen, die mehrere Tage anhielt, und es stellte sich heraus, daß alle Erkrankten von der Ziegenmilch eines und desselben Händlers genossen hatten, und daß die Heftigkeit des Anfalls sich nach der Menge richtete, die sie genossen. Die Ziegen wurden untersucht und völlig gesund befunden, aber als man das Futter in Augenschein nahm, sah man eine große Menge der scharfgiftigen Herbstzeitlose darin. Und nachdem dies einmal festgestellt war, gelang es dem Professor Ratti, in der noch vorhandenen Milch wie in den Entleerungen der Kranken den äußerst scharfen Giftstoff jener Pflanze, das Colchicin, nachzuweisen. Die Ziegenhirten werden also künftig ein Staatsexamen über Giftpflanzen machen müssen, um verdächtige Weideplätze meiden zu können. C. St.