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Wie Stropp der Hund wieder freikam

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Textdaten
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Autor: Ernst Lenbach
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Titel: Wie Stropp der Hund wieder freikam
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 364–367
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Wie Stropp der Hund wieder freikam.

Von Ernst Lenbach.0 Mit Abbildungen von Aug. Mandlick.

Stropp der Hund war in eine ganz neue Stellung getreten.[1] Bis jetzt hatte er das menschliche Leben eigentlich nur von der Junggesellenseite kennengelernt. Sein erster Herr war nicht bloß Hagestolz, sondern sogar Redakteur gewesen, und bei dem alten Ehepaar Schmitz in der Milchwirtschaft oben am Berge, dem Stropp eine Zeitlang Milch und Eier teils bewachte, teils stahl, war auch nicht viel von Haushalt zu spüren gewesen. Jetzt aber war Stropp in einen wirklichen Haushalt gekommen, und noch dazu in einen ganz frisch gegründeten, mit neuen Möbeln und jungfräulich leuchtenden Teppichen. Gleich nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise hatte ihn sein Herr, Doktor Karl Sassen, feierlich abgeholt und in das neue Heim eingeführt als wesentlichsten Bestandteil seiner eheherrlichen Aussteuer, die an weiteren Hauptstückes noch eine Bibliothek, einen Schaukelstuhl, zwei Tabakstöpfe, vier kunstvoll gezierte Bierseidel und eine Sammlung angerauchter Meerschaumköpfe aufwies. Alle diese wertvollen Dinge verwies Frau Ulla in das Studierzimmer ihres Gatten und ließ ihm die Herrschaft über sie; Stropp aber nahm sie sogleich unter ihre ganz besondere Obhut und verteilte ihre erzieherische Thätigkeit unparteiisch auf ihn und seinen Herrn. Zunächst unternahm sie es, nach einer sorgfältig ausgedachten, von täglichen Waschungen unterstützten Diät ihren vierfüßigen Adjutanten von seiner zunehmenden Beleibtheit zu befreien, die sie schon lange mit Mißfallen betrachtet hatte. In dem weitläufigen Hause, wo sein Herr als Junggesell gewohnt, hatte Stropp der Hund sich durch sein in jeder Hinsicht einnehmendes Wesen und seinen schriftstellerischen Ruf die Herzen aller Bewohner, insbesondere weiblichen Geschlechtes, gewonnen und dies sehr umsichtig ausgenutzt, so daß er, kleinere Imbisse abgerechnet, durchschnittlich immerhin fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag einnahm. Der Herr Doktor ärgerte sich selbst wohl einmal darüber – „was macht das?“ dachte Stropp; „er ist ja Gott sei Dank tagsüber meist in seinem Bureau, und gegen den vereinten Willen mehrerer Weiblichkeiten vermag ein Mensch doch nichts, das weiß ich!“ Mit Wehmut erinnerte er sich vor der einfachen und wohlabgemessenen Haushundskost, die ihm seine Herrin jetzt vorsetzte, an jene Fleischtöpfe Aegyptens. Allmählich aber fügte er sich philosophischen Sinnes in das Unabänderliche, zumal es ihm doch schmeichelte, von einer so schönen Dame bedient zu werden, und schließlich lernte er selbst die Vorteile einer schlanken Leibesgestalt schätzen. Schwerer hielt es, ihn von einigen irrigen Ansichten zu bekehren, denen er bis dahin zwanglos gefolgt war und welche die Natur selbst mit der ganzen Anlage seines krummbeinigen Gestells begünstigt zu haben schien. Seine unschuldigen Versuche, auch im neuen Reiche nach seiner Väter Sitte Löcher in frischbestellte Gartenbeete zu graben und in den Ecken der Sofas und Polsterstühle Knochen für etwaige schlechte Zeiten zu verstecken, schlugen ihm übel aus. Mit unwilligem Erstaunen erfuhr er, bei solchen und anderen Missethaten erwischt, daß auch die Berührung einer zarten Frauenhand unter Umständen in der Muskulatur schmerzhafte Empfindungen hinterlassen kann. Bei alledem entschädigte ihn aber doch die Fülle von lehrreichen Wahrnehmungen über menschliche Verhältnisse, mit der er in der neuen Umgebung seinen Wissensschatz noch bereichern konnte, und nach einigen Monaten war er ein ganz lieber Hund nach dem Herzen seiner Herrin geworden, lag still und bewegt, im zufriedenen Austausch verständnisvoller Blicke zu ihren Füßen vor dem Arbeitstischchen und begleitete sie mit angeborener Würde auf Einkäufe und Besuchsgänge, wo er dann vor der fremden Hausthür auf sie wartete und die Wiedergewonnene mit Wedeln und Tanzen begrüßte.

Eines Tages aber ließ sie ihn ungewöhnlich lange warten. Sie war auf einen Augenblick zu einer Freundin hineingegangen, die auch erst seit kurzem verheiratet war, und Frauengespräche unter diesen Umständen dauern meist etwas länger. Unterdessen saß Stropp der Hund vor der Hausthüre und langweilte sich. Es war ein sehr schöner Frühsommervormittag, die Sonne brannte ihm heiß auf den schwarzen glänzenden Pelz, und die Vögel in den Bäumen der Allee sangen so schön, wie er es schöner selbst im Walde nicht gehört hatte. Das alles ließ in seinem von überflüssigem Fett befreiten Herzen süße Empfindungen und Träume erwachen. Da streifte eine silbergraue Möpsin vorüber und sah schon von fern schalkhaft und verlockend aus ihren Achataugen zu ihm hin. Stropp der Hund unterlag der Versuchung, er ließ sich von der Schönen bethören und folgte ihr, die ihn mit lustigem Necken und Springen bis in die große Hauptallee entführte. Dort trafen sie noch Gesellschaft, Damen und Herren, alles sehr gebildete Hunde aus guten Häusern, und wurden freundlich aufgenommen. Die anderen Herrschaften trugen sämtlich Maulkörbe, denn die Hauptallee gehört bereits zur Stadt und in dieser gilt der Maulkorbzwang, während Stropp und die Möpsin aus der Vorstadt kamen, wo man den Hunden das Maul nicht verbindet. Im Vollbewußtsein seines Reservatrechtes schnüffelte er stolz und mitleidig an den Fesseln seiner städtischen Freunde herum. Plötzlich aber sah er, wie ein wildaussehender Mann mit schwarzem Bart ein Netz über seine graue Freundin warf und die laut jammernde [365] in einen Karren schleppte. Mit zornmütigem Gebell warf er sich dem Räuber entgegen, indes die erfahrenen Stadthunde sich darauf beschränkten, aus der Ferne Einsprache zu erheben. Aber unversehens erwischte ihn ein Gehilfe des Schrecklichen an seinem geräumigen Nackenfell und schleppte auch ihn in den Kerkerwagen, wo bereits mehrere Leidensgefährten stumpfsinnig glotzend sie empfingen.

Eine Stunde darauf hockte Stropp der Hund in einem engen und unsaubern Drahtkäfig, der in der Ecke eines ebenso ungastlichen Schuppens stand. Um ihn herum lagen die Möpsin und seine anderen Mitgefangenen, alle teilnahmlos für einander, ganz besessen und gelähmt von der Angst für ihr eigenes wertes Leben. Selbst Stropp vermochte nur mit Mühe seine große Seele in etwas aufrecht zu halten. Was ihn am meisten beunruhigte, war der Anblick gewisser dunkler Gegenstände, die an Stangen in dem Schuppen hingen, mit Schaudern erkannte er in ihnen die frisch abgezogenen Felle von Angehörigen seines Volkes. Sein einziger Trost war das muntere Gebell, welches ab und zu von der Straße herüber klang. Es gab also doch noch eine Freiheit für das Geschlecht der Hunde. Fest nahm er sich vor, diese Freiheit wiederzugewinnen, es koste, was es wolle.

Indessen dauerte es noch manche lange heiße Stunde, bis sich die erste Gelegenheit zu bieten schien. Der schwarzbärtige Feind der Hunde trat an den Käfig heran, mit ihm ein alter würdiger Herr in feinen Kleidern mit einer mächtigen Brille auf der Nase. Dieser spähte durch das Drahtgitter und rief mit sanfter kummervoller Stimme. „Alinde! Alinde!“

Stropp überlegte nur einen Augenblick. „Eigentlich hat mich ja noch nie einer so gerufen,“ dachte er, „aber gleichviel, wenn er mir nur hinaushilft.“ Somit kroch er beherzt über seine unthätigen Genossen an die Gitterthür und wedelte recht liebenswürdig.

„In der That, das ist sie!“ rief der greise Herr erfreut. „Könnte ich das Tier, bitte, schon gleich mitnehmen? Meine Droschke wartet draußen, ich würde es mit hineinnehmen, damit es nicht noch einmal dem Strafparagraphen verfällt.“

„Wenn der Herr Geheimrat mir die Auslieferung bescheinigen wollen,“ erwiderte der schwarze Mann, „das Strafmandat kommt später – ich bitte nur um eine Mark fünfzig Pfennig Futterkosten.“

Stropp traute seinen Ohren nicht, als er diesen Mann von Futter reden hörte. Indes begnügte er sich, ihm einen bezeichnenden Blick zuzuwerfen, denn schon hatte der alte Herr die Bescheinigung unterschrieben, das Geld bezahlt und trug ihn nun vor die Thür, in die Droschke.

Neugierig beschnüffelte Stropp die Kleider seines Retters, der dies für Zärtlichkeit hielt und ihn freundlich streichelte. „Gänzlich unbekannt,“ dachte Stropp. „Neugierig bin ich, wo das hinausläuft. Es scheint übrigens ein sehr netter Onkel zu sein. Die Hauptsache ist, daß ich heraus bin und mir keiner den Rock abzieht.“ Zufrieden putzte er sein dunkles Fell.

Vor einem schönen großen Hause hielt der Wagen. Unter der Thür standen eine würdige alte Dame, ein schönes junges Mädchen, und dahinter lugte eine schmucke Magd hervor. „Hast Du sie, Papa?“ rief das junge Mädchen.

„Natürlich, mein Kind!“ sagte der alte Herr zufrieden und lockte seinen Schützling heraus. „He, Alinde, komm her!“ Schweifwedelnd sprang Stropp der Hund aus dem Wagen und stellte sich den Damen vor, indes der alte Herr den Kutscher bezahlte und wegschickte.

Die Damen belohnten Stropps Reverenzen mit zärtlichen Liebkosungen. Da sagte auf einmal die Magd:

„Gnädige Frau, das ist gar nicht unsere Alinde.“

„Na nun wird’s gut!“ dachte Stropp und schmiegte sich einstweilen respektvoll an das junge Mädchen.

Erst jetzt betrachteten die Damen den Hund mit kritischen Blicken. Die Entdeckung entfesselte einen Sturm entrüsteter Reden, vor dem der kurzsichtige alte Hausherr sein graues Haupt hilflos neigte. Seine Verteidigung beschränkte sich auf den einzigen Hinweis, daß sonst kein Dackel beim Hundefänger gewesen und das fremde Tier auf den Namen gefolgt sei.

„Sieh ’mal, Mama,“ meinte die Tochter, „die Aehnlichkeit ist aber wirklich sehr groß, und wie freundlich er thut! Vielleicht ist es ein Bruder von unserer armen Alinde!“

Die Mama seufzte. „Vorläufig müssen wir ihn denn wohl behalten. Es ja nur ein Glück, daß wir für alle Fälle die Anzeige in die Zeitung gesetzt haben. Aber ein artiges Tierchen ist es wirklich. Sieh ’mal, jetzt giebt er mir von selbst Pfötchen, es ist ordentlich, als ob er mir danken wolle, daß wir ihn einstweilen hier behalten.“

Sie hatte Stropps Empfindungen vollkommen richtig gedeutet.

„Die Sache macht sich,“ dachte er, und in der That wurde ihm nun sogleich die beste Verpflegung zu teil, so daß er sich, zufrieden die Nase leckend, sagte. „Diese Alinde hat beinahe eine so gute Herrschaft wie ich. Schade, daß wir mit den Leuten nicht in näherem Verkehr stehen.“

Auch die Damen fanden in Stropps Gesellschaft einigen Trost, und nur der Herr Geheimrat blieb höchst mißgestimmt. Schmerzlich empfand dies ein Student, den er gerade auf diesen Nachmittag bestellt hatte, um für das demselben bevorstehende Examen eine kleine Vorprüfung mit ihm anzustellen. Es war ein hübscher junger Mann aus guter Familie, Fräulein Ida, die Tochter, schätzte ihn sehr, und auch den Geheimrat hatte er bis jetzt keinen Grund zu fürchten. Heute

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aber stellte der alte Herr so kitzliche Fragen und war so unwirsch, daß dem Studenten angst und bange wurde. „O weh,“ dachte er, „heute komme ich auf den Hund!“

Der Herr Geheimrat schien den Gedanken seines Examinanden zu erraten. „Wenn ich nur wüßte, was wir mit dem Hund anfangen sollen!“ brummte er mitten zwischen eine ziemlich verworrene Auseinandersetzung des Studenten.

„Ja, wenn Sie mir das wenigstens sagen könnten!“

Der Student erkundigte sich respektvoll nach der Sachlage. Er glaubte, Alinde sei vielleicht erkrankt, und war fest entschlossen, auf alle Fälle Schwefelblüte vorzuschlagen, das einzige Mittel aus der Hundeheilkunde, welches er kannte.

Der Geheimrat setzte ihm auseinander, um was es sich handle, und rief seiner Tochter, daß sie den fremden Hund heraufbringe. Die Tochter kam, die falsche Alinde lockend, die ihr willig aber vorsichtig folgte, und warf dem Studenten einen Blick ermutigender Zärtlichkeit zu.

„O,“ sagte der Beglückte, „den Hund glaube ich zu kennen. Ich habe ihn mehrmals mit einer Dame in den Promenaden gesehen, es ist, glaube ich, die junge Frau des Doktor Saffen vom Altertumsmuseum. Wenn ich mich einmal in die Wohnung des Herrn Doktors verfügen dürfte – er wohnt draußen hinterm Botanischen Garten –“

„Ach ja, thun Sie das, mein lieber junger Freund,“ sagte der Herr Geheimrat, „thun Sie es gleich, wir können unsere Angelegenheit ja später erledigen, es war ja soweit alles ganz gut – nehmen Sie den Hund gleich mit, nehmen Sie eine Droschke, ich habe ihn auch so hergebracht.“

„Wenn er aber nicht dorthin gehört, so bringen Sie ihn wieder, nicht wahr?“ bat Ida.

„Ich werde auf jeden Fall sogleich Nachricht bringen,“ erwiderte ihr Verehrer mit verständnisvollem Blick.

„Das wäre also die dritte Wagenfahrt heute,“ dachte Stropp der Hund, als er mit seinem neuen Geleitsherrn in der Droschke saß, „nun bin ich gespannt, wohin es diesmal geht.“ Allmählich aber erkannte er befreundete Gefilde und fing an, hoffnungsfroh zu wedeln. Wie ward ihm erst, als der Wagen um den Botanischen Garten bog und im Abendschimmer die heimatliche Stätte vor seinen Augen lag! Mit einem gewaltigen Satze sprang er vor dem Hause seines Herrn über den Wagenschlag, und als Herr und Frau Doktor die Thüre öffneten, gab es einen Auftritt gerührten Wiedersehens, welcher dem Studenten sogleich die Richtigkeit seiner Vermutung bewies.

Während dieser nun aber Bericht erstattete, hatte Stropp der Hund im Hause einen neuen Besuch entdeckt, ein Mitglied seines Stammes, krummbeinig, schlappohrig und schwarz mit gelben Handschuhen wie er. Grimmig knurrend fuhr er auf den Fremdling los, sein Zorn aber legte sich und machte zärtlicheren Regungen Platz, als er merkte, daß er es mit einer Dame zu thun habe.

„Ja, denken Sie sich, wie komisch,“ sagte die Frau Doktor zu dem Studenten, „das Tierchen hat uns der Milchjunge vor ein paar Stunden gebracht. Er hat es draußen auf einem Bauhof gefunden, und weil er meinte, es sei unser Hund, hat er es hierher gelockt.“

„Ich möchte wetten,“ sagte der Student, „daß es des Herrn Geheimrat Hund ist.“

„Wenn das ist, so könnten Sie ihn vielleicht gleich mitnehmen,“ bemerkte Doktor Sassen.

Der Student überlegte, er schien dabei auf einen sehr angenehmen Einfall zu kommen. „Ach,“ meinte er lächelnd, „wenn Sie gestatten, so bitte ich doch lieber den Herrn Geheimrat das Tier erst hier agnoscieren zu lassen. Es ist ja in so guten Händen. Auch weiß ich ja nicht, wie der Hund des Herrn Geheimrat heißt,“ schwindelte er ein bißchen. „Ich glaube Juno. – He, Juno, Juno, hierher!“ rief er dem Teckel zu. Der klappte nur verächtlich mit den langen Hängeohren und setzte seine Unterhaltung mit Stropp fort. „Sehen Sie, am Ende ist er es doch nicht.“

Als der Student wieder vor dem Hause des Geheimrats vorfuhr, erwartete ihn Fräulein Ida vor der Thür. Sie. bat ihn, im Namen ihrer Mama, doch in seinen Bekanntenkreisen über die Hundegeschichte zu schweigen, Papas wegen. Das versprach er natürlich. Im Hereintreten wechselten sie noch leise ein paar Worte – die Droschke hielt noch draußen. Dann gingen sie hinauf. Dem Geheimrat fiel ein Stein vom Herzen, als er hörte, daß der fremde Hund wieder bei den Seinen sei, und er belobte seinen klugen Schüler sehr. „Es ist auch dort ein Hund zugelaufen, ganz wie der andere,“ berichtete der Student, „vielleicht ist es der Ihrige.“

„Ach, Papa,“ bat Ida, „dann möchte ich doch am liebsten gleich ’mal hin und nachsehen. Denk’ ’mal, wenn es unsere Alinde wäre!“

„Wenn ich das gnädige Fräulein hingeleiten dürfte, der Wagen hält noch?“ fragte der höfliche junge Mann, und richtig saßen sie fünf Mannen später in der Droschke und fuhren hinaus nach der Vorstadt. Alinde feierte mit ihrer jungen Herrin ein stürmisches Wiedersehen, nahm aber auch von Stropp zärtlich Abschied, welcher betrübt die Ohren senkte. Dann gingen die Drei durch die laue Juninacht zu Fuß heim, alle sehr zufrieden und zukunftsfreudig.

Ein paar Monate nach diesem ereignisvollen Tage saßen der Herr Geheimrat mit Frau Gemahlin und Tochter im volkreichen Stadtgarten auf der Restaurationsterrasse um eine Pfirsichbowle, und der Student saß auch bei ihnen. Er hatte aber mittlerweile sein Rigorosum bestanden, hieß Doktor und bereitete sich jetzt auf die akademische Laufbahn vor. Im Haufe des Geheimrats war er seit jenem Tage ein häufiger und bei den Damen sehr willkommener Gast geworden. Auch der alte Herr hatte den bescheidenen, netten und gescheiten jungen Mann recht lieb gewonnen, und bereits begannt man in befreundeten Familien zu überlegen, ob man wohl noch in diesem oder im nächsten Jahre dem jungen Doktor und Ida zur öffentlichen Verlobung zu gratulieren habe.

Während die Familie nun so behaglich um die Bowle herum saß, bemerkte der Herr Geheimrat neben seinem Stuhle einen Hund, den er durchaus für seine Alinde halten mußte. Das wunderte ihn, denn seines Wissens lag Alinde zur Zeit daheim [367] und konnte die Herrschaft nicht begleiten, wegen eines Hindernisses in Gestalt von sechs jungen blinden Hündchen, krummbeinig, schwarz mit gelben Handschuhen. „Alinde!“ rief er leise, um sich zu vergewissern.

„Aber Papa,“ lachte Ida, „das ist ja Stropp, der Hund von Doktor Sassens, sie haben gerade drüben an dem Ecktischchen Platz genommen,“ und zugleich nickte sie freundlich nach den Genannten hinüber.

„So, so,“ machte der Geheimrat nachdenklich, „also Stropp heißt dieses Tier. Merkwürdig. Damals hieß er doch Alinde …“



  1. Die Leser der „Gartenlaube“ erinnern sich gewiß mit Vergnügen des braven Hundes, mit dessen früheren Schicksalen und Verdiensten sie Ernst Lenbachs Novelle „Stropp der Hund“ im Jahrgang 1892, S. 874 u. f., bekannt gemacht hat. D. Red.