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Wie die Menschen bauen lernten

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Autor: Paul Wislicenus
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Titel: Wie die Menschen bauen lernten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, 6, S. 79–81, 94–96
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie die Menschen bauen lernten.

Von Paul Wislicenus.

Erst vor wenigen Jahren hat die deutsche Nation das Fest der Einweihung des Hermanns-Denkmals gefeiert, und erst vor wenigen Monaten standen wir bewundernd vor dem vollendeten Kölner Dom. Welch erhabenen Anblick bietet der gewaltige Bau dem Beschauer! Abgesehen von seiner Größe - der Kölner Dom übertrifft an Höhe alle bestehenden Bauwerke der Erde - zeichnet er sich besonders durch die Zartheit seiner Glieder aus. Der gothische Stil, in dessen Spitzbögen, Phialen und Strebepfeilern er ausgeführt ist, hat es dem alten, vor 600 Jahren lebenden Baumeister ermöglicht, hier ein Gebilde zu entwerfen, welches zu den wunderbarsten der Erde gehört. Man denke sich die riesigen Steinmassen in ihrer ganzen Schwere, und man sehe nun mit Erstaunen, wie kunstvoll der Meister sie gefügt hat! Durch die Spitzen der Thürme scheint die Sonne; zwischen dem zierlichen Maßwerk der Pyramiden blickt das Blau des Himmels hindurch. Stehst du in der Kirche, so hast du über dir schwebend in einer Höhe von 150 Fuß ein Dach von Steinen, so sorgsam und klug zusammengesetzt, daß jeder einzelne derselben den andern verhindert, auf dich niederzufallen Und das ganze Gewölbe trägt sich selbst, ohne die Stütze einer Wand; denn wenn du nach den Wänden der Kirche blickst, so kannst du sie nirgends finden. Die Riesenmauern, welche das Gewölbe tragen sollten, sind einfach nicht da. Der ganze Kölner Dom hat überhaupt keine Wände - die Kirche ist statt ihrer von zwei Reihen gewaltiger Glasfenster eingefaßt - das Gewölbe aber ruht nur auf den dünnen, 150 Fuß hohen Pfeilern, welche die Fenster einfassen und von außen durch angemauerte Strebebögen gestützt sind. Wenn man das Glas aus den Fenstern nehmen würde, so wäre das steinerne Gerüste der Kirche in seiner Luftigkeit und zierlichen Leichtigkeit einer aus hölzernen Latten zusammengenagelten Laube zu vergleichen.

Wenn wir vor diesem Dome stehen, rufen wir, von dem Eindruck seiner Größe überwältigt, aus. „Was für Wunder sind das, Wunderwerke von Menschenhand!“ Mit seinem Genie konnte der Mensch derartiges erreichen, ehe er aber Genie dazu besaß – hat er da die ganze Kunst des Bauens nicht erst erlernen müssen? Gewiß – werden wir aus diese Frage erwidern – es ist selbstverständlich, daß die Menschheit nur langsam zu so erhabenen Zielen gelangte; bevor sie gothische Dome bauen konnte, hat sie sich romanischer und byzantinischer Kirchen bedient; vor dem gab es nur Säulentempel und plumpe Königspaläste, und früher hat es gar nur massive Pyramiden, rohe Steinhäuser, Holzhütten und im Anfang sogar lediglich Höhlen gegeben. Ich will es versuchen, die Entstehung der Baukunst im Folgenden zu beleuchten.



1. Die Urzeit.


Jedes Volk der Erde hat seine Urzeit gehabt, und noch heute können wir das Wesen der Urmenschen an den Völkern studiren, welche wir als die „wilden“ bezeichnen: sie bieten uns noch gegenwärtig Urzustände und Urfähigkeiten dar, die uns lebhaft an die vorgeschichtlichen Menschengeschlechter erinnern.

So finden wir z. B. bei den Völkerstämmen, welche das Festland von Neu-Holland bewohnen, die wunderlichsten Zustände und Sitten. In Melbourne haben diese Wilden sich an der Weltausstellung betheiligt. Sie haben jedoch nichts ausgestellt, als – hölzerne Waffen. Außer diesen lieferten sie nur noch ein Erzeugniß: aus Gras geflochtene Beutel, in denen sie ihre Fourage unterbringen. Sonst brachten sie nichts herbei; denn außer hölzernen Waffen (die sie mit Hülfe von scharfen Steinen schnitzen) und den erwähnten Beuteln besitzen sie nichts. Vollständig nackt, nur mit elenden Holzwaffen versehen, schweifen sie in Rudeln in der Wildniß umher, und des Nachts schlafen sie unter freiem Himmel auf dem Haideboden. Thierisch sind ihre Bewegungen; thierisch scheint uns ihre ganze Existenz. Es soll wunderbar genug aussehen wenn sie am Feuer hocken und sich die glühenden Kohlen nicht mit den Händen, sondern mit den Fußzehen herauslangen. Und doch sind die Austral-Neger Menschen; sie sind es nicht nur körperlich, sondern auch geistig; denn sie kennen das Feuer und verfertigen sich Waffen.

Die Kunst zu bauen kennen sie jedoch nicht; sie ahnen kaum die schüchternsten Anfänge derselben. Dies gilt besonders von den im Süden des Erdtheils hausenden Horden; weiter im Norden fängt der Trieb zum Bauen doch schon an. Das nördliche Neu-Holland nämlich gehört bereits zur heißen Zone; es giebt dort also keinen Winter, sondern statt seiner herrscht monatelang die berüchtigte tropische Regenzeit. Unaufhörlich strömt das Wasser vom Himmel herunter, und gegen dieses Wasser verschafft sich der Austral-Neger eine Art Schutz. Er gräbt sich eine Grube und deckt dieselbe mit starkem Reisig zu. Nun könnte man denken, er krieche unter das Reisig, in die Grube hinein. Aber nein, so unpraktisch ist er gar nicht. er setzt sich hübsch mitten auf das Reisig, schmiert sich die bloße Haut tüchtig mit Fett ein und läßt den Regen von seinem Körper hinunter in die Grube laufen. Die Grube hat er nur gegraben, um nicht auf der bloßen Erde in einer Schlammpfütze zu sitzen. Man möchte diese geniale Erfindung beinahe unseren bivouakirenden Soldaten empfehlen.

In unseren nordischen Klimaten, bei Schneegestöber und Winterkälte, reichten jedoch derartige Schlammkellerbauten schon den Urmenschen zu ihrer Existenz nicht aus. Auch sie hatten keine Häuser und verstanden sich keine zu bauen. Da half ihnen gütig die Natur; sie bot ihnen in den deutschen Mittelgebirgen eine Menge Felsenhöhlen, aus denen sie wohl oft genug den Höhlenbär erst vertreiben mußten. Hier wohnten sie nun mit ihren Familien unter einem schützenden Dache, und vielleicht verhängten sie mit einem Fell nothdürftig den Eingang.

Allein die Höhlen, welche die Natur gebildet hatte, reichten auf die Dauer nicht aus, und man war genöthigt, sich solche künstlich zu bilden. Man schweifte also in der Umgegend umher und suchte einen passenden Felsen. Eine denselben durchklaffende Spalte wurde der Einwirkung des Feuers ausgesetzt und gegen den heißen Stein Wasser gegossen, sodaß er barst und Stücke herunterbrachen. So wurde der Spalt weit genug, um eine ganze Familie zu beherbergen.

Ein merkwürdiges Exemplar einer derartigen künstlichen Felsenhöhle fand man im südlichen Württemberg. Dort steht irgendwo ein Stein an einem Bergeshange, der künstlich ausgehöhlt ist. Von dem Felsblock sind nur die Außenseiten stehen geblieben, wie die Schale eines hohlen Eies. Im Vordergrunde, nahe am Eingange (welcher vermuthlich mit einem Fell verhängt war), deuten eine Anzahl geschwärzter Steine den Feuerherd an, der hintere Theil des Raumes dagegen ist hoch und schwer zu erklettern Dort hat vermuthlich die Familie, sicher vor wilden Thieren geschlafen.

Derartige Höhlen in natürlichem Fels finden sich nur in den gebirgigen Theilen von Deutschland. Allein auch in jenen Districten, in welchen es weder Berge noch Felsen giebt – also in dem [80] ebenen Norden unseres Vaterlandes – wußten die wilden Urmenschen sich zu helfen. Sie schleppten dort eine Anzahl gewaltiger Blöcke zusammen, wie man sie als „Feldsteine“ im Freien findet, Steine, welche in der Eiszeit auf schwimmenden Eisschollen von den nordischen Gebirgen herangesegelt kamen und, über den Norden Deutschlands, der damals noch unter der Meeresfläche lag, hintreibend, durch das Zerschmelzen des Eises zu Boden sanken – sogenannte „erratische (verirrte) Blöcke“. Solche Steine wälzten die Urbewohner Germaniens in einen Kreis zusammen und überdachten den dazwischen eingeschlossenen Raum mit flacheren Steinen.

Da man aber an ein Behauen des Steinmaterials damals überhaupt nie gedachte, so paßten die Steine nicht an einander, und zwischen ihnen blieben Lücken offen. Diese füllte man mit kleineren Steinen aus. Gleichwohl fanden Wind und Schnee durch die engen Ritzen Eingang. So warf man denn über dem Steinunterbau einen Hügel von Sand auf. Um aber auch den Eingang gegen Schnee und Wind zu schützen, welche durch das vorgehängte Fell doch noch in das Innere hereinstoben, baute man vor dem Eingänge aus kleinen Steinen bis an die Peripherie des runden Sandberges einen niedrigen Gang, durch den man kriechen mußte. Schon in dem äußeren Ende des Ganges fing sich der Wind, sodaß er das Innere der Höhle, respective das dasselbe beschützende Fell, nicht erreichen konnte.

Solcher Höhlen hat man z. B. mehrere in dem westlichen Schleswig entdeckt. Man hielt dieselben ursprünglich für Heiden- oder Hünengräber; denn sie waren diesen von außen gleich. Von oben in die Tiefe hinuntersteigend, fand man in der ersten Höhle Menschen begraben; dabei aber die Spuren eines Feuerherds; in den anderen dagegen war Niemand bestattet. Man hat also in jener Epoche der Höhlenbauten als Grabstätte offenbar gelegentlich eine menschliche Wohnung benutzt. – Auch heutzutage werden diese Art Höhlenhäuser noch gebaut: die Eskimos leben in solchen Bauten. Doch machen sie dieselben schon geschickter: sie benutzen bereits kleinere Steine dazu, die sie so kunstvoll aufschichten, daß sie keinen Mantel von Erde oder Sand darüber zu werfen brauchen. Befindet sich der Eskimo auf Reisen, so ahmt er behufs Herstellung eines Nachtquartiers seine Höhle in hartem Schnee nach, und in dem Schneehotel zündet er seine Thranlampe an. Die Ähnlichkeit der Eskimohöhlen mit denjenigen in Deutschland kann jedoch nicht etwa beweisen, daß früher Eskimos in unserem Vaterlande gewohnt hätten. Der Mensch wird in gleichen Lebenslagen überall wesentlich auf dieselben Erfindungen verfallen.

Höhlenhäuser findet man auch in Mecklenburg, dort sogar in Massen, in der Form von Dörfern. Allein die mecklenburgischen unterscheiden sich wesentlich von denjenigen, welche ich soeben beschrieben habe. Hier hat man sich zwar auch einen Berg aus Erde – diesmal Lehmerde – gemacht, um darin zu wohnen, allein der feste Unterbau, zu dem der Erdberg nur die Umhüllung bildet, bestand nicht aus Steinen, sondern aus Holz.

Diese hölzernen Höhlen richtete man auf folgende Weise her: Vor Allem grub man eine Grube in den Boden, einige Fuß tief. Dann schleppte man Aeste aus der Wildniß herbei, wie man sie gerade passend bekommen konnte. Diese Aeste wurden rings um die Grube aufgerichtet und aus ihnen Wände sowie aus den horizontal darüber gelegten ein Dach gebildet, welches man mittelst Reisig und Baumzweigen zu einer festen Masse verflocht. Dann verschmierte man die Laube von außen mit einer dicken Lehmschicht, welche Kraft genug besaß, dem Regen Widerstand zu leisten. Man hat vor Jahren diese Niederlassungen in Ruinen gefunden: das Holz ist verfault und die ganze Herrlichkeit in die Gruben hineingestürzt. In den letzteren verlohnt es sich aber, nachzugraben: man findet steinerne Waffen, Handmühlen, Speisereste und allerhand Scherben darin.

Auch solche Holzhöhlen sind heutzutage noch vielfach in Gebrauch. Wenn z. B. die amerikanischen Pioniere in die unbewohnten Distrikte des Landes kommen, wo sie sich niederzulassen und den Boden urbar zu machen gedenken, so bauen sie sich ein solches Haus. Nur machen sie es etwas besser: sie belegen das Gebäude von außen mit Rasen. Erst wenn die Wohnung fertig ist, beginnen sie, ein ordentliches Blockhaus zu zimmern. Ein solches Urhaus nennt man dort „dug out“ („Ausstich“).

Auf einer meiner Reisen in Polen mußte ich einstmals zu Wagen durch einen großen Wald, in dem eine neue Chaussee gebaut wurde. Es war ein schöner klarer Herbsttag; leise fielen die Blätter. Auf den waldigen Hügeln und Schluchten lag duftiger Sonnenschein. Da sah ich in der Waldeinsamkeit eine Anzahl Rauchwölkchen aus dem Boden aufsteigen. Es waren Steineklopfer, beim Chausseebaue beschäftigt; sie hatten sich sammt und sonders in mit Lehm überschmierten Holzgrubenbauten angesiedelt. – In gleicher Weise hausen bekanntlich noch heute die Bauern in Rumänien und der armenischen Türkei. Eine elende, ur-uralte Art zu existiren! Die Armenier bedecken ihre Grubenbauten gar mit Mist.

Aus diesen Höhlenwohnungen von Erde und Stein oder Holz entstanden durch sorgfältigere Aufschichtung der Wände allmählich die Häuser. Man baut solche noch heute aus allen drei Materialien: aus Lehm werden die Bauernhäuser in Nordthüringen errichtet; aus Holz baut der Schweizer seine Alphütten, der Nordländer seine Häuser, und der Stein findet sich, als beliebtestes Baumaterial, überall. Ich werde diese Frage in einem zweiten Artikel beleuchten.


2. Die ältesten Häuser.


In dem vorigen Artikel haben wir auf die Urzeit der Menschheit einen Blick geworfen und gesehen, wie aus dem Bedürfniß der vorgeschichtlichen Menschen in kalten Gegenden zunächst der Höhlenbau entstand. Diese Höhlen waren bereits aus den drei ursprünglichen Baumaterialien: Holz, Lehm und Stein errichtet, und wir verfolgten ihre Entwicklung bis zu dem Punkte, wo sie in den eigentlichen Hausbau übergehen. Auf diesen wollen wir jetzt einen Blick werfen.

Was zunächst das Lehmhaus betrifft, so entsteht dasselbe aus der erdigen Verkleidung der steinernen oder hölzernen Höhlen. Indem man nämlich den Lehm mit Sorgfalt senkrecht aufschichtet und ihn ordentlich mit Stroh untermengt, erhält man eine zwar unförmlich dicke, aber doch so feste Mauer, daß man des hölzernen Unterbaues entbehren kann. Man macht nun die ursprüngliche Höhlengrube zum Keller, deckt denselben mit Holz und wohnt über der Erde in einem mit Stroh überdeckten Hause.

Diesen Fleiß wendete der Mensch jedoch erst sehr spät an seine Wohnung – er that dies nicht, bevor er den Ackerbau betrieb und als ansässiger Bewohner des ihn ernährenden Bodens sich einer verbesserten Lebensweise erfreuete.

Von dem Triebe beseelt, die Form der Steine in Lehm nachzumachen, um auf diese Weise dünnere und schlankere Lehmwände zu gewinnen, formte man später große Backsteine, welche an der Sonne getrocknet wurden. Um sie gegen das Abbröckeln zu schützen, untermengte man den Lehm auch mit Sand. Je heißer die Sonne brannte, desto fester wurden natürlich die Steine, während der Regen ihnen schadete. Deshalb ersetzte man den Sonnenbrand bald durch das Feuer. Man schichtete die Steine zu einem großen hügelartigen Ofen auf, durch welchen in künstlichen Windungen die Feuercanäle hindurchgingen. Von außen verkleidete man den Bau mit einem „Mantel“ von Lehm. Dann steckte man das Holz, welches alle Feuercanäle reichlich erfüllte, am Eingang des Baues an und vermauerte auch diesen. Binnen vierzehn Tagen brennt so ein Ofen aus; darauf schlägt man den Mantel herunter und nimmt den ganzen, Bau aus einander. Die Ziegel sind nun fester als die an der Sonne getrockneten – sie sind hart gebrannt. Diese Art von Ziegelöfen ist noch jetzt in verschiedenen Gegenden Deutschlands in Gebrauch.

Uralt ist bereits diese vorgeschrittene Ziegelbereitung, und frühzeitig sind die Lehmsteine schon zu großen Palast- und Tempelbauten verwendet worden. Doch finden wir die Ziegel nur bei solchen Völkern, welche entweder schon civilisirt oder doch im Begriffe sind, es zu werden. Bekanntlich wurden schon im grauen Alterthum die Juden in Aegypten und Babylonien zur Ziegelbereitung gezwungen. In beiden Ländern war der Ziegelbau auch für große Bauwerke gebräuchlich; ganz besonders blühte er in Babylonien. Dort wurden sogar die Todten in thönernen Särgen bestattet, welche aus einer wohlgebrannten oberen und einer unteren Hälfte (Sarg und Deckel) bestanden. Nachdem man den Todten zwischen beiden eingeschlossen hatte, verschmierte man die Ritze vorsichtig mit Lehm und setzte das Ganze wiederum dem Feuer aus. Einen solchen Sarg konnte man einfach auf das Feld hinstellen. Die Babylonier thaten dies auch: auf ihren Kirchhöfen lagen die Thonsärge unter freiem Himmel.

Weniger großartig konnte sich das eigentliche Holzhaus entwickeln. Allerdings ist dasselbe noch heute bei einer großen Anzahl [81] von Völkern in Gebrauch: die Bauern in Rußland, Polen und Ostpreußen, die Farmer und Goldgräber in Amerika, wie die Aelpler in der Schweiz wohnen in Häusern von Holz. Allein dieses Material ist nicht zu großen Monumentalbauten geeignet. Zwar giebt es zwei intelligente und hoch civilisirte Nationen, die nicht nur ihre ländlichen und theilweise städtischen Wohnhäuser, sondern auch ihre öffentlichen Gebäude aus Holz errichten; es sind die Norweger und die Japanesen Die ersteren erfanden einen wunderlich-seltsamen, aber nicht üblen hölzernen Kirchenbaustil, während bei den letzteren nicht nur die Tempel und selbst die Brücken in den größten Städten von Holz sind, sondern auch die Fürsten in hölzernen Schlössern wohnen.

Gleichwohl konnte das Holz auf dem Gebiete der Baukunst den Lehmstein natürlich ebenso wenig verdrängen wie den Bruchstein; denn eine Wand von Holz kann an Dauerhaftigkeit und Kühnheit sich der eigentlichen Mauer nicht vergleichen. Diese Holzwände entstanden aus dem Unterbau der Grubenhöhle ebenfalls auf einfache Art. Man wollte hier durch Anwendung dickerer Stämme die äußere Lehmverkleidung unnöthig machen und so suchte man sich, schon mit besseren Instrumenten als jene urmenschlichen Höhlenbewohner bewaffnet, glatte und gerade Stämme aus, fällte sie, schleppte sie zur Baustelle und legte – um eine Wand aufzuschichten – je einen Stamm der Länge nach horizontal auf den anderen, bis die auf diese Weise emporgewachsene Wand hoch genug war. Freilich mußte jeder Stamm einen festen Halt haben, damit er nicht von seinen unteren Nachbarn herunterrollte. Um den Stämmen diesen Halt zu geben, baute man die viereckiger Häuser so, daß die beiden Seitenwände die Vorder- und die Hinterwand gleichermaßen an den Enden durchschnitten, sodaß die Balkenköpfe aller vier Wände über die Ecken hinausragten. Durch einfache Verfugung der Balken wurde dieses Ziel erreicht, und jetzt hielt jede Wand ihre Nachbarwände.

So entstand das Blockhaus. Leicht konnte man in der Vorderwand eine Thür aussparren, leicht den ganzen Bau mit Balken decken. Die eigentlichen Dachsparren wurden indessen schräg ausgerichtet, damit das Wasser ablaufen konnte. Auf diese Art – aus rohen unbehauenen Stämmen – errichtet noch heute der Schweizer seine Alpenscheuer.

Ich kann nicht vom Holzbau scheiden, ohne einer Bauweise der Urmenschen zu gedenken, deren Entdeckung viel Aufsehen gemacht hat – ich meine die Pfahlbauten. (Vergl. voriger Jahrrgang, Seite 614!)

Ein gelehrter Alterthumsforscher, Dr. Ferdinand Keller in Zürich, erhielt einstmals von einem Freunde die Nachricht, daß die in dem Orte Meilen am Züricher See wohnenden Fischer an einem bestimmten Punkte des Sees wiederholt dadurch Aergerniß erfuhren, daß ihnen im Wasser die Netze zerrissen. Man hatte nach der Ursache geforscht und eine Menge eigentümlicher Pfahlstümpfe im Boden des Sees wahrgenommen, zwischen denen wunderliche alte Werkzeuge und Waffen von Stein lagen. Keller begab sich nun selbst nach Meilen und stellte die umfassendsten Nachforschungen an. Man fand Reste schlechter irdener Geschirre, theilweise aufgespaltene Knochen von Thieren, welche heutzutage die Schweiz nicht mehr bewohnen, verkohlte Holzäpfel und Holzbirnen, verkohlte Aehren, rohe Gewebe und Netze u. dergl. m.

Es war klar, man hatte es hier mit den Ueberresten einer menschlichen Ansiedelung zu thun, welche in grauer Vorzeit an dieser Stelle des Sees, und zwar auf Pfählen gestanden haben mußte. Ferdinand Keller hielt die hier im Wasser versunkenen Pfahlbauten zunächst für eine Ansiedelung der alten gallischen Helvetier, welche zu Zeiten der Römer die Schweiz bewohnten bis sie in der Völkerwanderung den gewaltsam eindringenden Alamannen, den Vorfahren der heutigen deutschen Schweizer, weichen mußten. Julius Cäsar hat seiner Zeit diese Helvetier genau kennen gelernt. Während er römischer Statthalter in Genf war, wollte das Volk bereits einmal die Schweiz verlassen, und mit Mühe fing es Cäsar auf seiner Wanderung auf und brachte es in seine alte Heimath zurück. Bei Erzählung dieses Ereignisses erwähnt der römische Feldherr zwar, daß die Helvetier, ehe sie ihr Land verließen, ihre Dörfer und Weiler niedergebrannt hätten, allein mit keinem Worte deutet er an, daß diese Dörfer und Weiler im Wasser auf Pfählen gestanden. Ueberdies wissen wir aus der früheren römischen Geschichte, daß zu Cäsar's Zeit die Gallier erst vor circa zweihundert Jahren in Süddeutschland, der Schweiz und Frankreich eingewandert waren, und wir müssen somit jene Bewohner der „Pfahlbauten“ wohl denjenigen Urmenschen zuzählen, welche schon vor der Einwanderung der jetziger europäischer Nationen den Norden von Europa schwach bevölkert haben.

Diese Pfahlbauten waren, wie es scheint, auf folgende Art eingerichtet. Man rammte nähe beim Ufer in seichtes Wasser roh zugespitzte und am Feuer geschwärzte circa zehnzöllige Pfähle, welche mit leidlicher Regelmäßigkeit in Reihen geordnet wurden. Selbstverständlich machte das Einrammen den Wilden viel Mühe; mit Hülfe ihrer aus ausgehöhlten Baumstämmen bestehenden Kähne konnten sie die Rammarbeit schwerlich bewerkstelligen. Sie bedurften dazu wahrscheinlich kleiner Flöße, und es wird richtig sein, wenn man vermuthet, daß sie mit großen Steinen, welche rings um den Pfahl von zahlreichen Händen emporgehoben wurden, die Balken mühsam in den Grund[WS 1] des Sees trieben. Auf den Spitzen dieser Pfähle wurde nun ein ausgedehnter Rost – vielleicht aus Balken, Flechtwerk und Erde bestehend – angebracht. Denselben verband man mit dem Lande durch eine transportable Brücke, auf dem Roste aber errichtete man Häuser (Blockhäuser?) und an der Seeseite der Niederlassung banden die Leute ihre Kähne fest. So waren sie sicher vor der Kraft wilder Thiere und vor der „schlimmeren der Menschen“.

Man hat diese Pfahlbauten in den meisten Seen und auch in Sümpfen der sogenannten „ebenen Schweiz“ gefunden, und die Funde wiederholen sich zahlreich in den schottischen Seen und in Mecklenburg. Sonderbar genug sind einige der neuesten Ansichten gelehrter Forscher über diese Bauten. Danach sollen sie sehr spät und zwar nach der einen Version von wandernden Steinwaffenfabrikanten gegründet, nach der anderen sogar nur eine Art Schutz des am Ufer liegenden Dorfes gegen feindliche Angriffe vom See her gewesen sein.

Die Unhaltbarkeit beider Ansichten liegt auf der Hand. Wandernde Steinwaffenmacher legen sich keine mühsamen Pfahlbauten an. Auch sieht man nicht ein, wie derartige leichtfüßige Gewerbetreibende zu solchen Anlagen genöthigt worden seien. Um aber eine bestimmte Stelle des Ufers gegen Angriffe zu Wasser zu schützen, war eine Reihe von Pfählen bereits ausreichend. Der wahre Grund der Errichtung von Pfahlbauten läßt sich leicht aus der Thatsache erkennen, daß noch heute von wilden Völkerstämmen in beinahe allen Erdtheilen solche Pfahlbauten errichtet werden und zwar aus Furcht vor Feinden. Manche Stämme bauen sie sogar auf’s Land und umgeben sie mit hölzernen Mauern. Der Feind kann da freilich leichter Feuer anlegen, als wenn man die hölzerne Burg in’s Wasser stellt. Friert um eine Pfahlbaute herum das Wasser zu, so kann man sich durch Aufhacken des Eises gegen Angriffe schützen. Auch ragten die Bauten vermutlich ziemlich hoch über das Wasser empor.

[94] Die bisher betrachteten beiden Baumaterialien – Holz und Lehm – haben jedes in seiner Art der Entwickelung der Baukunst Vorschub geleistet; das Holz hat in Form des Japanischen Palastes und der Norwegischen Kirche sogar stilistische Vollendung erhalten, während der Lehm als Ziegel nur der Vertreter des Steins genannt werden kann. Ohne dieses dritte unserer ältesten Baumaterialien, ohne den Stein selbst, würde jedoch die Entwickelung der Baukunst niemals die gothische Form erreicht, nie einen Kölner Dom ermöglicht haben. Das Steinmaterial ist das erste der Welt. Der mit Quadern arbeitende Baumeister verließ schon frühzeitig die einfachen Formen, und seine Schöpfungen strebten himmelan. Betrachten wir zunächst die Entwickelung des Steinbaues, und zwar die Entstehung des steinernen Hauses aus dem Höhlenbau! Durch regelrechtere Aufschichtung der in der Höhle verwendeten Steinblöcke entsteht allgemach die steinerne Wand. Diese älteste Form der Mauern bietet uns ein merkwürdiges und interessantes Bild.

In Griechenland finden sich Ruinen, welche in nichts anderem bestehen, als in einem gewaltigen halbzerstörten Mauerring. Riesige unbehauene Blöcke finden sich hier zu einer Festungsanlage emporgethürmt, sodaß sie leidlich genau auf einander passen; die übrig bleibenden Lücken sind mit kleineren Steinen ausgefüllt, und Thore führen in das Innere des Mauerrings. Drinnen ist Alles wüste; auf Steinhaufen, über welche Schlangen schlüpfen, wuchern dornige Ranken. Die Mauern, welche den Trümmerhaufen einfassen, sind von einer auffallenden Massivität, und die rohen Blöcke, aus denen sie bestehen, scheinen zu schwer, als daß Menschenhände sie hätten emporwinden können. Deshalb nennt der Grieche diese Steinwälle „Cyklopenbauten“. Auch auf unseren deutschen Bergen finden sich ähnliche Urbefestigungen, „Teufelsmauern“ genannt. Der Teufel soll ja auch die bekannte Brücke in der Schweiz gebaut haben, weil man nicht begreift, wie Menschen sie über dem Abgrund errichten konnten.

Jede dieser Ruinen trägt jedoch den Namen einer versunkenen Stadt, deren einstige Königsherrlichkeit in den Märchen und Liedern des alten Griechenland eine große Rolle spielt. Diese Städte und Burgen waren die Schlupfwinkel jener alten Helden, die nach Homer theilweise von den Göttern abstammten. So war unter Anderem „das herrliche Mykenä“, die Residenz der Atriden, eine solche Cyklopenburg.

In weniger verfallenem Zustande als die griechischen Städte der späteren Zeit sind die Reste dieser uralten Bauten auf uns gekommen, obwohl man dies bei der Construction der Mauern nicht erwarten sollte; denn die großen Blöcke, welche dieselben verbinden, sind nicht gekalkt. Man könnte vermuthen, die Vorfahren der Griechen hätten sich bei Errichtung ihrer Festungswerke den Kalk erspart, weil diese Werke aus so großen Steinen zusammengesetzt wurden, daß ihre eigene Schwere sie hielt. Allein dieser Annahme stehen eine Anzahl von neuerdings erfolgten Entdeckungen gegenüber.

Unser berühmter Landsmann Schliemann (vergl.: „Der Schatzgräber von Troja“, Jahrgg. 1878, S. 712), welcher auch in dem soeben genannten Mykenä umfassende Ausgrabungen hat anstellen lassen, ist eine der eigenthümlichsten Erscheinungen unserer Zeit. Ursprünglich nicht selbst Gelehrter, sondern Kaufmann und sehr wohlhabend, ist er aus reiner Schwärmerei zu seiner heutigen Beschäftigung übergegangen, und zwar – aus Schwärmerei für die Gesänge des Homer.

Er machte sich also an die Ausgrabung von Troja. Dort fand er in der Tiefe unter Anderem zwei Kröten und meinte, sie säßen bereits seit Priamus’ Zeiten da unten; ein kupfernes Schild, über eine Sammlung kostbarer Gegenstände gestülpt, sei von Priamus selbst aus Vorsicht darüber gedeckt worden. Was aber auch eine erhitzte Phantasie dem berühmten Manne für Traumbilder mag eingegeben haben – Schliemann hat doch Troja, hat die alte „Veste des Priamus“ wirklich gefunden., Seine Erfolge sind überall reell und großartig. Schliemann grübelt und untersucht nicht viel – aber er findet, findet mehr als alle Andern.

Nachdem er Troja aufgedeckt und Mykenä ausgebeutet, also die Residenzen des Priamus und Agamemnon gründlich untersucht hatte, trieb es ihn weiter. Auf Ithaka liegt heutzutage ein Städtchen und daneben ein alterthümlicher Trümmerhaufen; diesen ließ nun Schliemann nach den Schätzen des Odysseus untersuchen. Aber er fand nichts, das heißt er fand keine Schätze, und gab alsbald das Werk wieder auf. Und doch hat gerade diese Ausgrabung auf Ithaka von allen Schliemann’schen Resultaten das merkwürdigste zu Tage gefördert: man fand dort eine ganze aus Steinen erbaute Stadt, mit Häusern und Zwischenwänden, Höfen und Gassen, und in all den zahlreichen Mäuerchen und Mauern fand sich nirgends eine Spur von Kalk.

Ein ähnlicher, aber an Ausdehnung nicht so bedeutender Fund ist bereits vor längeren Jahren auf einer anderen griechischen Insel gemacht worden. Im Aegäischen Meer liegt das kleine Eiland Santorin oder Thera. Ein größerer Bogen Landes befindet sich einem kleineren gegenüber, und zwischen beiden fluthet eine runde Meeresbucht. Diese Insel – der aus dem Meereswasser hervorragende obere Kraterrand eines erloschenen Vulcans – sank vor mehreren Jahren aus unbekannten Gründen langsam in’s Meer, sodaß die am Strande stehenden Wohnhäuser in Gefahr kamen. Nach einiger Zeit stieg die Insel jedoch wiederum empor, und zwar höher als zuvor, sodaß heute einige Theile des früheren Meeresbodens vom Wasser entblößt sind. Da fand man im Schlamme eine versunkene Niederlassung steinerner Häuser mit Höfen, Zwischenwänden und Zimmerabtheilungen, alles verfallen. Die Mauern bestanden, gleich den Schliemann’schen auf Ithaka, sämmtlich aus unbehauenen Steinen, welche natürlich viel kleiner waren als die in den Cyklopenmauern verwendeten Blöcke, und diese Steine – vermuthlich mit Hülfe von Feuer und Wasser aus den Ursteinbrüchen gewonnen – waren ebenfalls nicht gekalkt.

Diese Häuserfunde bilden eine vortreffliche Ergänzung zu den Resten von Mykenä. Das in Trümmern liegende Innere der alten Königsstadt ist jedenfalls auch mit steinernen Häusern nach Art derjenigen in Ithaka und Santorin gefüllt gewesen – den Menschen jener griechischen Urzeit war der Kalk eben noch nicht bekannt. Die zwischen den Steinen offen bleibenden Fugen haben sie dann entweder mit Moos zugestopft oder mit Lehm verschmiert. Erst die Wahrnehmung, daß der mit Sand vermischte Lehmmörtel doch viel zu wünschen übrig ließ, hat sie dann veranlaßt, nach einer besseren Mauerspeise zu suchen, und da ihnen die wahrscheinlich rein zufällige Entdeckung der Eigenschaften des Kalkes dabei entgegenkam, so ist ihnen endlich die gediegene Herstellung steinerner Wände gelungen.

So wurde der Mensch zur Entfaltung einer wirklich genialen Baukunst befähigt, nachdem er, durch den Höhlenbau zu dem bequemeren Wohnhaus geleitet, sich im Bauhandwerk bereits ein gewisses Geschick angeeignet hatte. Freilich waren die ältesten Wunderwerke der eigentlichen Baukunst noch sehr roh und ungeschlacht, wie wir in dem folgenden Artikel sehen werden.


3. Die Pyramiden in Aegypten und Babylon.

Nach einem kurzen Einblick in die Höhlenbauten der menschlichen Urzeit und die daraus entstehenden ältesten Häuser wenden wir uns nun dem Beginn der eigentlichen Baukunst zu. Da treten uns alsbald die ältesten Monumentalbauten der Menschheit entgegen. Sie haben nicht wie Höhlen und Häuser den praktischen Zweck, den Menschen als Schlupfwinkel zu dienen, sondern sie verfolgen bei Veredelung des Geschmackes ein ideales Ziel. Hat doch ein „Monument“ den Zweck, uns an einen Menschen oder an ein Ereigniß zu „gemahnen“ – daher der lateinische Name. Stehen wir betrachtend vor einem „Monument“, so erfüllt eine Erinnerung unser Herz; wir gedenken der Veranlassung, welche dieses Bauwerk hervorgerufen hat, und auf diese Weise erhält das Gedächtniß selbst für uns eine Bedeutung, welche sich nach der Erhabenheit des Monumentes bemißt.

Die ältesten menschlichen Monumentalbauten sind Grabhügel gewesen. Die in unserem Vaterlande hausenden vorgeschichtlichen Völker hatten die Gewohnheit, dem Todten, den sie noch immer unter die Lebenden zählten, ein Haus zu bauen. Man legte den Leib des Entschlafenen auf die Erde, wälzte Steine um ihn [95] her, deckte die Kammer mit flachen Steinen zu und warf einen Berg von Sand, Erde, Lehm oder auch von kleineren Steinen über ihr auf. So entstand aus der Höhlenwohnung das Hünengrab.

Diese Gräber sind theilweise uralt; sie sind roh, einfach und klein; in einem von uns entfernten Theile der Erde aber sollte das Hünengrab sich schon frühzeitig zu außerordentlicher Pracht entfalten. Dieses Land ist Aegypten. Von der Natur reicher gesegnet, als viele anderen, ist es das älteste Culturland der Welt. In ihm haben sich frühzeitig große Staaten entwickelt; gewaltige Könige beherrschten dort das zahlreiche Volk. Merkwürdig ist die alt-ägyptische Civilisation: überall können wir in ihr die Spuren der kaum erst überwundenen „Urzeit“ erkennen.

Die Aegypter bestatteten ihre Todten in Felshöhlen, welche uns an die künstlich in den Stein gebrochenen urmenschlichen Höhlenbehausungen im deutschen Mittelgebirge erinnern. In solchen „Todtenkammern“ brachte die große Masse des Volkes ihre Verstorbenen unter, und um den abgeschiedenen Seelen – von denen man glaubte, daß sie sich bei ihren Leibern so lange aufhielten, bis dieselben zu Staub zerfielen – eine Unterhaltung zu bereiten, ließ man die Todtenkammern reichlich mit Gemälden schmücken, welche die Geister an das vergnügliche Diesseits erinnern sollte. Man malte allerhand Bilder aus dem Leben, z. B. Jagden mit abgerichteten Katzen, Volksfeste, Gastmähler etc. Bei letzteren fehlen sogar die widrig-komischen Scenen nicht, welche dem allzu reichlichen Genusse von Trank und Speise zu folgen pflegen. Anders handelten des Volkes Könige: Jeder von ihnen baute sich bei seinen Lebzeiten als Wohnung nach seinem Tode ein Hünengrab, so groß und so prachtvoll aufgeführt, wie seine Macht groß und prächtig war.

In der That sind die Pyramiden – in großem Maßstabe genau wie das Hünengrab construirt. Auf einer mächtigen steinernen Unterlage ruht das „letzte Kümmerlein“ des Königs, und in demselben steht der gewaltige steinerne Sarg. Vor der Kammer, etwa in der Mitte der Pyramide, befindet sich ein kleiner Saal, welcher durch einen langen schmalen Gang mit der Außenwelt in Verbindung steht. Durch den Gang, dessen Eingang bis zum Tode des Königs offen blieb, wurde die Leiche in den Mittelsaal getragen, wo man die Todtenfeier abhielt. Am Ende der Handlung legte man den König in den Sarg, und verschloß den Eingang. Oft bildete die Pyramide eine königliche Familiengruft, sodaß in ihr mehrere Nischen mit Mumien vorhanden waren. Dort ruhte nun der Todte unter einer Last von Steinen, welche nach Art der Hünengräber die Grabkammer hochanstrebend bedeckten. Denn die ganze Pyramide bestand – außer dem schmalen Gange, der engen Todtenkammer und dem kleinen Saale – in einem massiven Berge aus großen Steinblöcken und erhob sich bis zu einer Höhe von über 120 Meter. Nahe an 90 Meter Steinblöcke liegen also ausgebaut über der Grabkammer.

Der einzige nennenswerthe Unterschied zwischen dem nordischen Hünengrab und der ägyptischen Pyramide beruht in der Größe der letzteren und in ihrer regelmäßigen Form. Diese Form ist aber selbst wiederum nur eine Folge der ungeheuren Größe. Schon die ältesten, nur circa 46 Meter hohen Pyramiden, welche in Stufenform gebaut waren, mußten regelrecht aufgeschichtet werden – sonst hätte man sie in dieser Höhe nicht gut herstellen können. Noch mehr war dies aber bei den dreimal so großen glattseitigen Königspyramiden nöthig; es war geradezu unerläßlich. Um sie in ihrer Kolossalität herzustellen, bedurfte man sehr großer behauener Blöcke, die man in Form der quadratischen Basis neben einander legen konnte. Auf ihnen wurde eine zweite nach allen vier Seiten verjüngte Basis errichtet, auf dieser eine dritte noch mehr verjüngte, in welcher man den Gang, den Saal und die Grabkammer aussparte. Um diese Lücken herum, sowie über dieselben hinweg, thürmte man nun wiederum die sich immer weiter verjüngenden, immer höher anwachsenden und immer mehr zur Spitze anstrebenden quadratischen Steinmassen. Allerdings wurden die Pyramiden nicht genau so, wie ich es hier beschreibe, aufgerichtet, sondern man baute zunächst auf dem Felsboden einen wenig umfangreichen Steinkern, wand auf denselben eine zweite Lage von Quadern hinauf, legte’ um die untere Lage an jeder Seite eine Reihe von Blöcken herum und ließ auf diese Weise die Pyramide zugleich nach oben und nach den vier Seiten hinaus wachsen. Hatte man den Bau aber im Rohen fertig, sodaß die kolossalen Steinstufen, welche die Pyramide bildeten, auf allen Seiten zu Tage traten, dann wurden diese Stufen durch Reihen halb so hoher Blöcke verkleidet, sodaß die ganze Pyramide nur halb so hohe Stufen zu bieten schien; man wiederholte dieses Werk der Stufenhalbirung und -Bekleidung so oft, bis die Stufen klein genug waren, um den ganzen Pyramidenbau mit glatten Steinplatten bekleiden zu können, damit er prächtig in der Sonne glänze.

Diese Pyramiden scheinen für die Ewigkeit gebaut. Noch heute stehen sie da, unversehrt in ihrer Größe, wie vor sechstausend Jahren; nur ihres Schmuckes, der glatten Granitplatten, sind sie meist entkleidet; die Platten sind herabgeholt worden; denn die späteren Geschlechter konnten sie anderweitig verwenden. Vor uns steht wieder der kahle Steinstufenbau, und wir können das Hünengrab besteigen. Vielfach sind auch die Blockreihen, welche zur Verkleinerung der Stufen dienten, herabgefallen, und die Besteigung verursacht Mühe: erst nach langer Wanderung kommen wir oben an.

Auf dem Rückwege lassen wir uns, wenn die Pyramide bereits geöffnet, etwa in der Höhe eines mittleren deutschen Kirchthurmes, in die Pforte hineinführen. Nacht umgiebt uns; es werden Fackeln angezündet. Im engen Gange geht es sacht bergauf. Rechts und links finden sich Nischen, in denen Mumien gestanden haben. Rückwärts blickend, sehen wir die Pforte kleiner und kleiner werden. Plötzlich stehen wir in dem Saal und, nachdem wir diesen durchschritten, gelangen wir durch einen kurzen Gang in die enge Todtenkammer. Wir glauben in Katakomben unter der Erde zu sein, während wir doch hoch über ihr stehen.

Vor uns ragt der steinerne Sarg; wir wollen ihn öffnen, allein die Steinplatte ist fest hineingepreßt. Wollen wir die Königsmumie sehen, so müssen wir die Platte zerschlagen. Da liegt der Todte im Holzkasten verschlossen, den vertrockneten Körper mit Bändern dick umwickelt. Vielleicht sagt uns kein Buch, keine in der Todtenkammer angebrachte Inschrift, wer der König war. Sein Name und seine Thaten sind verweht und vergessen. Das Volk, welches er regierte, hat nach zahllosen Schicksalen das Land den erobernden Arabern überlassen müssen, und die elenden Reste desselben sind in die Wüste übergesiedelt, aber das Grab dieses Königs hat seinen Ruhm und das Leben seines Volkes selbst überdauert. Man baute es vor 6000 Jahren, und es steht noch.


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Allein nicht nur in Aegypten wurden im Alterthume Pyramiden gebaut. In Vorder-Asien, an dem Gestade des von Schiffen belebten Euphrat, lag in seiner herrlichen Fruchtebene das „hundertthorige Babel“. Etwa 2000 Jahre nach dem Entstehen der ägyptischen Pyramiden zur bedeutenden Stadt erwachsen, wurde Babel der beliebteste Völkermarkt der alten Welt. Dort strömten der gewaltthätige Assyrer und der weibische Lyder, der kräftige Perser und der verwöhnte Meder, der leichtfüßige Araber, der gewinnsüchtige Phönicier und der reiche Indier zusammen, und selbst Aegypter, Griechen, Skythen und Aethiopen erblickte man in der Menge der handelnden und feilschenden Marktbesucher.

Ueber dem bunten Treiben aber ragten majestätisch die Pyramidalterrassen des sogenannten „Babylonischen Thurmes“. Dieses Bauwerk, dessen Ruine man noch heute auf dem Trümmerfelde Babylons findet, war nichts anderes als eine kolossale, sehr breite und noch viel längere Pyramide, welche aus sieben senkrecht und steil über einander aufragenden bunten Stufen von je 22 bis 28 Meter Höhe bestand.

An den Seiten der Stufen führte eine Treppe von Terrasse zu Terrasse, bis zu der großen obersten Plattform empor. Dort oben stand, die Pyramide krönend, ein Tempel, der leuchtenden Sonne näher als das Gewühl unten in der Stadt, und eben dieser Sonne – dem Sonnengotte Baal – geweiht.

Prächtig und farbenreich müssen die Stufen in der Sonne geglimmert haben, um so prächtiger, je origineller die Zusammenstellung der Farben war. Jede Stufe war nämlich einheitlich gefärbt, und zwar jede andere wieder anders: die eine grün, die andere roth, die dritte blau, die vierte gelb, eine schwarz, eine mit Silber- und eine andere mit Goldplatten behängt.

Man kann im Alterthum in den Wüsten überall Sternanbetung finden, die Babylonier aber, vor deren Thoren die Wüste lag und deren Karawanen sie unausgesetzt nach allen Seiten durchschnitten, standen in Vorder-Asien an der Spitze der religiösen Astronomie. Ihre Sternenpriester, die da oben über dem Treiben der Welt [96] auf der Plattform der babylonischen Thurmpyramide standen, hatten sogar eine Art astronomisches System. Allein dem Volke kamen diese Entdeckungen nicht zugute. Ihm wurde das Ganze zur Religion, und darum betete es die fünf selbstständig wandelnden Sterne (die damals bekannten Planeten) an und widmete jedem von ihnen eine besonders gefärbte Stufe des Thurms, eine sechste aber weihete es der Sonne und eine siebente dem Mond.

Die babylonische Stufenpyramide war das höchste Gebäude der Welt. Sie maß mit der achten Etage (dem Tempel auf ihrem Gipfel) mindestens 190 Meter in der Höhe. Ihre Grundfläche war viereckig und rechtwinkelig, aber kein Quadrat. Freilich ist die Größe des ganzen Baues weit übertrieben worden – so geben die Talmudisten dieselbe mit nahezu 2 Millionen Fuß an, während Andere bescheidener von 10,000 Ellen sprechen. Immerhin war der „Thurm“ von gigantischer Größe. Seine untersten Terrassen stammen jedenfalls aus uralten Tagen – vielleicht aus der Zeit von 2300 v. Chr. Geburt – damals aber ist er, wie es scheint, nicht vollendet worden. Nebukadnezar, der Begründer des sogenannten „jungbabylonischen“ Reiches, stellte ihn um 600 v. Chr. Geburt wieder her. Noch heute findet sich seine Ruine in der babylonischen Ebene. Die Stadt zwar ist gänzlich zerfallen; die Lehmziegel, aus denen sie errichtet war, sind im Laufe der Zeit vom Regen erweicht und wieder zu Erde geworden. Aber man findet noch im Umfange von 9 bis 12 Meilen (!) den dreifachen Mauerring, und die eine dieser Mauern soll 350 Fuß hoch und 35 Fuß dick gewesen sein. Jetzt sehen diese Ringe aus wie niedrige Hügelketten.

Innerhalb der Mauern liegen vier große Ruinenhügel. Der eine, „Bab el Mudschel-lebbe“ genannt, erhebt sich auf der rechten Euphratseite und bildet die Reste der altbabylonischen sogenannten „nördlichen Burg“. Eine halbe Stunde davon liegt ein zweiter, „el Kasr“, dessen Umfang 875 Meter beträgt, die Ruine der alten Königsburg. Nicht weit davon sieht man einen dritten Hügel, „Amram ibn Ali“, die Ruine der „hängenden Gärten der Semiramis“; diese Gärten errichtete übrigens nicht Semiramis um 2000 v. Chr. Geburt, sondern Nebukadnezar um 600 v. Chr. Geburt für seine Gemahlin, die Tochter des Königs Kyaxares von Medien; sie lagen auf einem künstlich aufterrassirten Berge und hingen keineswegs in der Luft.

Etwa zwei Meilen weiter liegt stattlich in der Ebene, etwa 50 Meter hoch, der Berg „Birs Nimrud“ (Nimrodsthurm), die Ruine des babylonischen Thurmes. Er hat noch jetzt einen Umfang von circa 710 Meter und bildet ein Rechteck. Noch sind zwei der sieben Terrassen vorhanden, auch die Reste der Treppe sind noch da, auf welcher man auf die erste circa 25 Meter hohe Terrasse hinaufreiten kann. Die zweite Terrasse ist dagegen so zerstört, daß man sie zu Fuß erklettern muß. Ihr oberster Theil ist der Rest der nördlichen Mauereinfassung und hat allein 13 Meter Höhe.

Derartige Pyramidalbauten findet man – wenn auch in viel bescheidenerer Größe – in allen Ländern der Welt, sogar bei den rothhäutigen Azteken in Mexico. Immer aber wurden diese Gebäude nur in solchen Zeiten errichtet, welche den unmittelbaren Uebergang aus der Wildheit der Völker zu den ersten Triumphen der Cultur bildeten.

So haben die Menschen das Bauen gelernt; aus Höhlen und Hürden sind Häuser und Monumentalbauten geworden auf dem Wege langsamer Entwickelung, den die Menschheit in allen Dingen durchgemacht hat und fernerhin durchmachen muß.

Die Menschen werden weiter schaffen und streben; sie werden unermüdlich fortfahren, ihre Lage zu verbessern. Vervollkommnung ist das große Gesetz der Welt, Vollendung aber wird man nie erreichen: immer wird es noch Etwas zu verbessern, Etwas zu erfinden geben. Das aber ist, genau genommen, ein großes Glück; denn wenn jemals die Menschheit, wahrhaft zufrieden mit dem, was sie hat, die Arme sinken lassen wollte, so verfiele sie mit all ihren geistigen Triumphen wieder dem öden Nichts, aus dem sie einst entstand, wie die Baukunst selbst, die der strebende menschliche Geist erschaffen hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schwund