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Wie gefällt Ihnen meine Braut?

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Autor: Heinrich Smidt
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Titel: Wie gefällt Ihnen meine Braut?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21–22, S. 274–276; 285–287
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[274]
Wie gefällt Ihnen meine Braut?
Von Heinrich Smidt.

I.

Peter Liebener war ein glücklicher und ein unglücklicher Kerl zu gleicher Zeit. Im gewissen Sinne winkten ihm alle Güter des Lebens vollauf und wieder im gewissen Sinne hatte er nicht einen überflüssigen Groschen.

Onkel Bastian und Tante Emerentia waren die beiden Pole, zwischen denen er sich bewegte, denn von ihnen hing sein Schicksal ab, das sich sehr glänzend gestalten konnte, da Beide mit Glücksgütern gesegnet waren. Onkel war ein alter Junggeselle, Tante eine alte Jungfer, und obgleich leibliche Geschwister, konnte es doch kaum zwei Personen von verschiedenerer Sinnesart geben.

Onkel Bastian war früher viel gereist, und auf diesen Reisen mit vornehmen und lebenslustigen Leuten zusammen gekommen. In seiner Heimath wieder angelangt, beschloß er, es ihnen gleich, wenn nicht zuvor zu thun, und traf sofort alle Anstalten, um ein Haus zu machen. Herrschaftliche Wohnung, brillante Equipage, kostbare Tafel, fürstlicher Wein, was brauchte es mehr, um dies neueste Haus der Residenz zugleich zu einem der vielbesuchtesten und berühmtesten zu machen? Onkel Bastian befand sich wohl, wie der Fisch im Wasser, ließ seine zahlreichen Gäste in Champagner schwimmen und schwamm gelegentlich mit.

Tante Emerentia war von alledem das Gegentheil, und darum harmonirte sie mit ihrem Bruder ganz und gar nicht. Sie war gerade so häßlich, als schielende Augen und citronengelber Teint ein Frauenzimmer machen können. Da sie klug genug war, zu begreifen, daß die Männer, welche sich um ihre Gunst bewarben, dies nur ihrer harten Thaler wegen thäten, beschloß sie, auch ihr Herz zu verhärten und ledig zu bleiben. Etwas aber muß der Mensch haben, woran sein Herz, und sei es noch so verknöchert, hängt. Da sich für Tante Emerentia kein anderer Gegenstand finden wollte, so liebäugelte sie mit ihrem Golde, und sann darüber nach, wie sie es möglichst rasch verdoppele. Darum wurde sie von allen Menschen für einen Geizteufel gehalten, und Jeder wiederholte es so oft und so laut, daß sie selbst es endlich glaubte und so lebte, als ob sie oft den Groschen zu Brot oder Holz nicht für sich selbst, geschweige denn für Andere im Hause hätte. Nebenbei pflegte sie auch wohl – und dies war ihre eigentliche und einzige Ergötzlichkeit – armen, nothleidenden Mitbrüdern und Mitschwestern kleine Summen darzuleihen, versteht sich, gegen dreifache Sicherheit, und wenn die Empfänger sich verpflichteten, den erwiesenen Liebesdienst durch zweifache Zinszahlung zu vergelten.

Trotz dieser verschiedenen Sinnesart fand sich doch ein Moment in dem Leben der Geschwister, wo diese vollständig mit einander übereinstimmten, und das war in ihrer Abneigung, um nicht zu sagen, ihrem Widerwillen gegen den Bruder Robert.

Bruder Robert war der Aelteste der Geschwister. Kein Schlemmer und Prasser, wie Onkel Bastian, kein Geizteufel und keine Wucherseele wie Tante Emerentia. Robert war durch und durch eine Künstlernatur. Seine Malerwerkstatt, die herrliche freie Natur und ein frohes Zusammenleben mit Gleichgesinnten waren seine Welt. Er fand ein schönes, liebenswerthes Mädchen und heirathete sie, ohne viel nach Herkunft und Vermögen zu fragen. Er vertraute einem Freunde, der ihm goldene Berge versprach, den größten Theil seiner Habe, und als dieser das Geld in gewagten Spekulationen verlor, hatte der Leichtsinn es in wenigen Wochen vergessen. Obgleich arm geworden, blieb er doch reich und nur, als sein Weib ihm starb, brach auch sein Herz und er ließ den Geschwistern seinen einzigen Sohn, den kleinen Peter, als ein unerwünschtes Erbe zurück.

Er wurde nicht besonders freundlich angesehen, der arme Junge. Zu Hause wollte ihn Keiner haben, weder der Onkel noch die Tante, also mußte er anderweitig untergebracht werden. Die Geschwister besaßen ein gemeinsames Eigenthum, ein kleines Gut, welches als eine Familienstiftung nicht veräußert werden durfte, und daher verpachtet war. Zu dem Pächter dieses Gutes wurde der Peter geschickt, und hatte bei demselben eine harte Lehrzeit durchzumachen. Aber auch das Schlimmste findet ein fröhliches Ende. Der Pachter war ein strenger, aber zugleich ein gewissenhafter Mann. Peter hatte auf dem Pachthofe keine Freudentage verlebt, aber er war ein tüchtiger Landwirth geworden. In einem Anfall verwandtschaftlicher Schwäche gestatteten Onkel und Tante, daß, als der Pachter dem Peter ein glänzendes Zeugniß ausstellte, diesem die Pacht übergeben wurde, und er war nun der gehorsame Diener seiner Verwandten.

Peter war Tag und Nacht auf den Beinen und sorgsam ohne Aufhören. Aber auch der eifrigste Landwirth kann sich nicht stets mit Knechten und Mägden herumzanken; er muß zeitweise mit andern Menschenkindern verkehren, die nicht seine Knechte und Mägde sind. Dann ging Peter in den nahen Wald spazieren, wo unter den uralten Bäumen die Försterwohnung gar anmuthig lag. Und da der Förster, der über den jungen, anstelligen Nachbar ein rechtes Vergnügen hatte, ihn stets freundlich grüßte, so [275] kehrte er zuweilen bei demselben ein, und ward immer willkommen geheißen.

Der Alte, der viele Jahre als Jäger in der hochfürstlichen Leibcompagnie gedient, und dann ein beschauliches Waldleben geführt hatte, wußte viel zu erzählen von Krieg und Frieden. Peter hörte aufmerksam zu und schwatzte gern mit dem Alten. Noch lieber aber sprach er mit des Försters holdseligem Töchterlein, der schönen Johanna, die ein lebenslustiges, fröhliches Waldkind war und von städtischen Manieren, so wie von den guten und schlimmen Begleiterinnen derselben keine Ahnung hatte.

Johanna zeigte für den Peter eine gleiche Vorliebe, und kaum konnte sie die sechste Abendstunde erwarten, zu welcher Zeit der junge Herr Nachbar sich täglich einzufinden pflegte. Der Förster, der trotz seiner vorgerückten Jahre noch ein paar gesunde Augen hatte, merkte bald, wie hoch es an der Zeit sei, und daß die Stunde seines Töchterchens geschlagen habe. Darum, als sie einst traulich neben einander saßen, Hand in Hand, Auge in Auge, keines Wortes mächtig, ihre tiefinnersten Gefühle mit leserlicher Schrift in allen Mienen ausgeprägt, trat der Förster hinzu, legte seine Hände auf ihre Häupter und sagte:

„Gott segne Euch, Kinder. Und wenn eines alten Mannes Fürbitte etwas gilt, werdet Ihr glücklich bei einander sein. Mir kommt es vor, als müßte ich bald von hinnen und da ist es mir eine Beruhigung, meine liebe Johanna von treuer Hand beschützt zu wissen.“

Und als ob der alte Herr mit prophetischer Zunge gesprochen hätte, traf ihn mit dem Beginn des Jahres das Schicksal, von einem Wilddiebe hinterrücks erschossen zu werden. Kummer und Trübsal herrschten im Forsthause.

Das Begräbniß war vorüber und Johanna begriff, daß sie nicht im Forsthause bleiben und die Besuche ihres jungen Freundes annehmen dürfe. Zur rechten Zeit erinnerte sie sich, in der Residenz eine alte Muhme zu haben. Diese willigte ein, die Verwaiste bei sich aufzunehmen, bis eine Versorgung für sie gefunden wäre und Peter, der gerade dahin wollte, um seinen Verwandten den Pacht zu zahlen, und über den Zustand des Gutes den gewohnten Jahresbericht abzustatten, bot sich zum Begleiter an. Kaum war dies besprochen, als er sowohl an den Onkel, als an die Tante schrieb, daß er ihnen seine Braut vorstellen werde, und sie bat, ihm ihren Segen zu seiner ehelichen Verbindung zu geben. Es erfolgte darauf mit wunderbarer Uebereinstimmung der Bescheid, daß man eine solche Zusage nicht ohne Weiteres ertheilen könne, sondern dies erst geschehen werde, wenn man die Braut kennen gelernt, und sie ihnen gefallen habe. Der Neffe möge ihnen deshalb das junge Mädchen zuführen, worauf der Bescheid seiner Zeit erfolgen werde. Peter theilte diese Nachricht seiner Geliebten mit, und die Reise, welche demnächst angetreten wurde, verursachte Beiden ein nicht geringes Herzklopfen, das immer beängstigender wurde, je näher sie der Residenz kamen.

Onkel Bastian hatte gerade mit seinem alten Diener die wichtige Frage erledigt, welche Arrangements für die künftige Woche zu treffen wären, und begab sich, mit der Aussicht auf sieben anderweitige fröhliche Tage in sein Garderobezimmer, als Peter sich melden ließ, um den Pachtzins zu bringen, und zugleich seine Braut vorzustellen.

Johanna war in einer neuen Welt. Der Glanz, die Pracht, welche sie hier umgaben, und von der sie nicht die entfernteste Ahnung hatte, verblendeten sie. Es wurde ihr unter dieser Fülle von Sammet und Seide, diesen Statuen und Bildern fast unheimlich, und sie sah dem Eintreten des Onkels mit großer Angst entgegen.

Herr Bastian kam. Ein kleiner, zierlicher Herr, wohl frisirt, toupirt und mit großer Sorgfalt gekleidet. Er musterte die fortdauernd knixende ländliche Schöne durch das Augenglas, und hörte nicht darauf, daß sein Neffe mit steigender Ungeduld zwei bis drei Mal nach einander fragte:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Hm! Hm!“ sagte Onkel Bastian nach einer Pause. „Sie sind willkommen, mein liebes Kind. Und da wir, wenn es Gottes Wille ist, nahe mit einander verwandt werden sollen, ist es nicht mehr als billig, daß wir uns genauer kennen lernen. Darum, Neffe, gehe getrost Deiner Wege und besorge Deine Geschäfte; ich werde unterdessen schon auf die Unterhaltung der jungen Dame bedacht sein.“

Peter ging mit schwerem Herzen, denn er fürchtete, daß die Unterhaltung mit dem Onkel möglicherweise schlimm ausfallen könne. Unterdessen fand diese vorerst gar nicht statt, denn Johanna vermochte vor lauter Respekt kein Wort hervorzubringen. Als aber die erste Scheu überwunden war, holte sie das Versäumte redlich nach. Sie horchte den Mittheilungen des Onkels, der ihr einen hohen Begriff von seiner glänzenden Lebensweise beibringen wollte, und mit seinen Beschreibungen stets das totale Gegentheil erreichte. Johanna schlug vor Verwunderung die Hände zusammen und lachte aus vollem Halse, als sie hörte, daß man hier statt früh mit der Sonne aufzustehen, bis gegen Mittag im Bette bleibe, und wenn man auf dem Lande abgegessen hätte, den Morgenkaffee trinke, wobei man Bilderbücher lese und sonstige Possen treibe. Sie begriff nicht, wie man sich beim Dunkelwerden zum Mittagessen begeben, drei bis vier Stunden am Tische sitzen bleiben und von zwanzig Gerichten essen könne. Am Lächerlichsten aber kam es ihr vor, daß zu der Zeit, wenn im Forsthause schon Alles längst eingeschlafen war, die Damen und Herren große Toilette machten und sich anschickten, Gesellschaften zu besuchen, die oft erst mit dem anbrechenden Morgen endeten.

Onkel Bastian hatte Unglück. Was er auch vorbrachte, um Johannens Theilnahme zu erregen, schlug in das gerade Gegentheil um. Er war außer aller Fassung, wußte nichts weiter zu sagen und hielt inne, indem er in stummer Verzweiflung mit der flachen Hand auf der Stirn trommelte.

Das that Johanna leid. Sie hielt den Onkel für krank und indem sie ihn trösten wollte, schüttete sie, ohne es zu ahnen, eine Fluth von Oel in das ohnehin hell aufprasselnde Feuer.

„Das kann ich mir wohl denken, lieber Herr,“ sagte sie freundlich, „daß Sie bei einer solchen Lebensweise elend und miserabel werden müssen. Man sieht es Ihnen ja auch auf den ersten Blick an.“

„Was?“ rief Onkel Bastian und machte eine gewaltige Anstrengung, um den aufsteigenden Zorn niederzukämpfen. Der alte, eitle Herr, der gern noch für einen Stutzer gelten wollte, der hinreißend und unwiderstehlich sei, sollte so miserabel und elend sein, daß eine hergelaufene Bauerndirne ihm das Siechthum bei dem ersten Blicke von der Stirn abläse? Johanna, die den zornigen Schreckensruf für einen Schmerzenslaut hielt, legte, wie beschwichtigend, ihre Hand auf seinen Arm und sagte begütigend:

„Da wollen wir bald Rath schaffen. Wenn es Gottes Wille ist, daß der Peter und ich ein Paar werden, machen Sie sich von allem hiesigen Wirrwarr los und ziehen zu uns auf das Gut. Da will ich Sie hätscheln und pflegen, daß es eine Lust ist. Sie erben meines Vaters großen Sorgenstuhl. Wenn Sie allein nicht fort können, will ich Sie führen. Sie dürfen sich getrost auf mich stützen, denn ich bin gesund und stark. Sie sehen vom Kohlgarten aus, da wo die blau angestrichene Bank steht, die Sonne über den Berg aufgehen, und des Abends spielen Sie mit dem Peter eine Parthie Deutsch-Solo, wie er es früher mit meinem seligen Vater gethan. So treiben wir es einen Tag wie alle Tage, außer des Sonntags, wo wir mitsammen zur Kirche gehen, und bald bei dem Herrn Pastor, bald bei dem Herrn Schulzen, oder diese bei uns das Mittagsbrot essen. Das soll ein Leben werden.“

Johanna hielt erschreckt inne, denn der Onkel fuhr so plötzlich vom Stuhl auf, als sei er von einer Tarantel gestochen. Länger hielt er es nicht aus. Er rasete im Zimmer auf und ab, und rief ein Mal über das andere:

„Tollheit! Wahnsinn! Verrücktheit in optima forma! Und das will in die Familie hinein? Alter Balthasar, wo bist Du? Ich ersticke! Balthasar! Balthasar!“

„Hier, Herr!“ rief der alte Diener, erschrocken herbeieilend, und Johanna rief händeringend:

„Ach Gott! Was ist doch nur das! Ich habe es so herzlich gut gemeint.“

In diesem Augenblicke kam Peter, der es nicht länger hatte aushalten können, zurück, und mit Mühe den auf- und abrennenden Onkel festhaltend, fragte er mit versetztem Athem:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Ganz und gar nicht!“ platzte der Alte heraus. „Ganz und gar nicht, Monsieur Peter. Und wenn Er noch irgend Etwas auf Seinen Onkel giebt, wenn Er in der Verwandtschaft bleiben und den fetten Pacht behalten will, schlage Er sich diese Heirath aus [276] dem Sinne, zu der ich nun und nimmer meine Einwilligung gebe. Da hat Er Seinen Bescheid.“

Mit diesen Worten rannte der alte Bastian aus dem Zimmer, und Peter, der selbst nicht wußte, wie ihm geschah, hatte alle Mühe, die lautweinende Johanna zu beruhigen, und sie von dem Onkel Bastian weg, zu der Tante Emerentia zu bringen.

Es war vierundzwanzig Stunden später und noch zu ziemlich früher Tageszeit, als Tante Emerentia sich heimlich selbst gestehen mußte, daß sie, wenn es so fortginge, einen sehr glücklichen Tag habe. Zwei böse Schuldner, die nach und nach so viele Zinsen bezahlt hatten, als das ursprüngliche Anlehen betrug, hatten auch das Anlehen selbst zurückgegeben. Ein Dritter hatte gegen Hergabe eines Pfandes, welches dreihundert Thaler werth war, Einhundert von ihr empfangen. Sie lächelte der alten Dienerin zu, was sie sonst nie that, und gab dieser den Befehl zur Bereitung einer Milchsuppe; welche ungewohnte Freigebigkeit die Dienerin in ein solches Erstaunen setzte, daß der Befehl ihr eigens mit dürren Worten wiederholt werden mußte. Kopfschüttelnd ging die alte Barbara hinaus, fest überzeugt, es sei mit der Herrschaft nicht recht richtig.

Zu dieser höchst glücklichen Stunde traf Peter mit seiner Johanna bei der Tante ein. Er stellte ihr das junge blühende Mädchen vor und fragte bedeutender zaghaft als gestern bei dem Onkel: „Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

Die alte Dame nickte zum Gruße mit dem Kopfe und sagte dann:

„Reden wir zuerst von Geschäften und lassen die Windbeuteleien einstweilen bei Seite. Wo ist der Pachtschilling? Wo sind die Rechnungen und Beläge? Wie steht es draußen auf dem Gute? Eines nach dem Andern, umständlich und deutlich.“

Peter mußte mit der größten Ausführlichkeit berichten. Tante Emerentia erließ ihm nicht das Geringste. Als endlich der kleinste Umstand erschöpft, und die Quittung für den gezahlten Pacht unterschrieben war, wiederholte Peter schüchtern seine Frage:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Wie kann ich das jetzt schon wissen?“ entgegnete die Tante fast verdrießlich. „Um das zu sagen, müssen wir erst einen Scheffel Salz mit einander verzehrt haben.“

Barbara, die eben durch das Zimmer ging, bekreuzte sich ob solcher Verschwendung und die Tante fuhr fort:

„Ich will der Mamsell schon auf den Zahn fühlen, und dabei braucht der Herr Neffe nicht zu sein. Gehe Er Seinen Geschäften nach. Unterdessen werde ich discursive erfahren, was ich erfahren will, und Ihm dann meine Meinung ganz offen sagen.“

Peter mußte, wohl oder übel, seines Weges gehen, was nicht ohne schwere Seufzer geschah, denn er war des gestrigen Auftrittes bei dem Onkel eingedenk und fürchtete, derselbe könne sich hier, wenn auch in etwas anderer Weise wiederholen, und dann sei all’ und jede Hoffnung für immer verloren.

Ehe aber noch das inquisitorische Frage- und Antwortspiel beginnen konnte, war die Barbara mit der Suppe fertig, und Tante Emerentia mußte, wohl oder übel, die Fremde zum Mitessen einladen, was die Barbara sehr ungnädig aufnahm, weil sie dabei den Kürzeren zog, denn das Bereitete reichte nicht für Zwei, geschweige denn für eine Dritte.

Man setzte sich zum Essen. Tante Emerentia, welche scharf beobachtete, fragte mit aufgeworfenen Lippen:

„Ist Ihr etwas an der Suppe nicht recht?“

„Nehmen Sie es mir nicht übel,“ sagte Johanna, nur mühsam das Lachen bezwingend, „aber Ihre Köchin muß sich das Lehrgeld wiedergeben lassen. Sie hat die Suppe ordentlich zu salzen vergessen und Butter hat sie auch nicht hinein gethan.“

Barbara schrie laut auf. Die Tante aber erwiederte:

„Butter und Salz! Warum nicht gar Zimmt oder Vanille und Marzipan zum Zubeißen. Wie müßte denn die Suppe nach Ihrem Recept gekocht werden? Ich setze voraus, daß Sie überhaupt eine Suppe kochen kann.“

„Ob ich das kann!“ sagte Johanna, vor Freude strahlend, denn nun war sie in ihrem Elemente. Sie entwickelte ihre Ansichten von der Kochkunst mit überraschender Sicherheit, und war von ihrem Gegenstände so sehr erfüllt, daß sie gar kein Arges daraus hatte, welche Wirkung diese Offenbarungen auf ihre Zuhörerinnen hatte.

Barbara wäre vor Entsetzen fast taub geworden und wünschte es ganz und gar zu werden, denn sie schnitt jämmerliche Gesichter und hielt sich beide Ohren mit den Händen zu. Tante Emerentia aber lehnte sich immer weiter vor, den Kopf seitwärts gebogen, damit der Zornesblick ihrer schielenden Augen das junge Mädchen desto tödtlicher treffe; sie wechselte die Farbe zu dreien Malen und kreischte ihr endlich zu:

„Halte ein! Halte endlich ein, unseliges Geschöpf. Das ist die offenbarste Verschwendung, die, mit dem weißen Stocke in der Hand, in’s Elend führt.“

„O, nicht doch!“ entgegnete Johanna unbefangen. „Das Gesinde darf nicht verkürzt werden, sonst leidet die Herrschaft selber Noth. Arbeiten, wenn es nöthig ist, vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, dafür aber auch Krug und Schüssel allezeit; bis zum Rande gefüllt. Was haben denn Knecht und Magd für ihr mühseliges Dasein, wenn nicht das Bischen Essen und Trinken? Sie müssen ja für uns arbeiten, also müssen wir auch den Ueberfluß mit ihnen theilen.“

„Bettelpack!“ stöhnte die Tante, welcher der Zorn die Sprache raubte.

„Ach ja!“ entgegnete Johanna, die den Sinn dieses Wortes mißdeutete. „Armuth giebt es, Gott sei es geklagt, übergenug, und man weiß nicht, wie man dem Uebel steuern soll. Da thut denn Jeder nach Kräften das Seine. Das hätten Sie sehen sollen, wie es Sonnabends bei uns auf der Försterei zuging. Vom frühen Morgen an kamen die Armen von den umliegenden Dörfern. Der Vater gab Jedem einen Dreier, Sechser oder Groschen, die Mutter stand am Herde und hatte für die Kranken und Gebrechlichen stets ein Näpfchen bei der Hand; die Kinderchen kamen zu mir, denn sie wußten, daß sie da wohl aufgehoben waren. Ja, meine liebe Madame, es ist wohl schön bei uns draußen, wenn wir Sonntags in der Kirche sitzen und der Herr Pastor uns mit ernsten Worten das Christenthum predigt, aber es ist noch schöner, wenn man die Hungrigen gespeist, die Durstigen getränkt, die Kranken gepflegt hat, und sie nun mit hundert Segenswünschen auf den Lippen getröstet von dannen ziehen. Das ist die köstlichste Erinnerung, die ich aus dem Vaterhause mit mir genommen habe, und die ich, wenn es Gottes Wille ist, daß ich den Peter bekomme, in seinem Hause wieder herstellen will.“

„Will Sie das?“ fragte scharf die Tante.

„Ja, gewiß will ich es;“ sagte Johanna treuherzig, „denn das bringt dem Hause Heil und Segen für Kind und Kindeskind. Wie sollte ich das meinem lieben Peter nicht gönnen?“

„Noch habe ich keinen Athem wieder,“ sagte Tante Emerentia im vollen Zorn, „sonst würde ich Ihr meine Meinung sagen, daß Sie zittern und beben sollte. Mit solchen Ansichten ist Sie im Stande, Millionen, ja, ein ganzes Königreich zu vergeuden, geschweige denn ein kleines Gut, welches nicht einmal dem Herrn Liebsten gehört, sondern der Familie, und welches er nur aus Gnade und Barmherzigkeit verwalten darf. Versteht Sie mich? Der Familie, in welche Sie sich gern drängen möchte, aber zu der Sie keinen Zutritt haben soll, so lange ich noch den Mund bewegen und die Zunge rühren kann. Sie gewissenlose Verschwenderin, Sie!“

„Du mein himmlischer Vater, was ist doch nur das?“ rief in Thränen ausbrechend, die geängstigte Johanna. „Dort werde ich verstoßen, weil ich eine dumme Gans bin, die spart und auf Ordnung hält und hier – O, Peter! Peter! Wo bist Du? Komm doch und bringe mich von hier weg!“

Peter, der von seiner Ungeduld getrieben, eben eingetreten war, eilte auf Johanna zu und schloß sie in seine Arme. Obgleich Alles ihm zeigte, daß hier nichts Tröstliches vorgefallen sei, fragte er doch, wenn auch mit großer Zerknirschung:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“ !

Da brach die Tante los. Unaufhaltsam, wie eine Schleuse ergoß sich ihr Zorn. Sie verbot dem Neffen auf das Strengste jede Fortsetzung eines Verhältnisses, das nicht nur eine Familie, sondern Land und Leute zu Grunde richten könne, und verlangte, daß die schreckliche Person, welche solche verderbliche Grundsätze predige, ihr Haus sogleich verlassen solle.

[285] Unterdessen war es dem Onkel Bastian im Kopfe herumgegangen, daß der Peter mit seiner Waldgans zur Tante Emerentia gegangen sei und diese günstig für seine Pläne stimmen könne.

Da ihm der Gedanke unerträglich war, die Einfalt vom Lande in der Familie zu haben und sie vielleicht in seinem Hause empfangen zu müssen, machte er sich sofort auf den Weg, um dies Schreckliche zu verhindern, und trat in das Zimmer der Schwester, als diese gerade über die arme Johanna das Anathema ausspräch. Er blieb unfern der Thür stehen, den Hut auf dem Kopf behaltend und rief:

„Was geht hier vor?“

„Ich sterbe!“ sagte Tante Emerentia plötzlich schwach.

„Das wäre kein Unglück!“

„So ein junger Naseweis!“

„Aha, der Neffe! Um seinetwillen bin ich hier. Da steht er und hat die Mamsell Liebste bei der Hand. Er will sie heirathen. Was sagst Du?“

„Nimmermehr!“

„Du willst es nicht? Bravo! Ich will es auch nicht. Bravissimo! So eine Duckmäuserin!“

„So ein Weltkind!“

„So eine Kopfhängerin!“

„So eine Sabbathschänderin!“

„So eine Bauerneinfalt!“

„So eine Kokette!“

„Soll nicht in die Verwandtschaft!“

„In Ewigkeit nicht!“

„Schwester Emerentia!“

„Bruder Bastian?“

„Wir sind selten einig!“

„Niemals!“

„Aber diesmal sind wir es. Die Jungfer da –“

„Wird Peter’s Frau nicht. Punktum!“

„Abgemacht! Ich komme sobald nicht wieder daher.“

Onkel Bastian sprach es und war auf und davon.

Johanna schwamm in Thränen, und Peter, dem selbst das Weinen näher war als das Lachen, führte sie, ihr tröstlich zusprechend, in das Haus der Frau Muhme.

Geduldig hörte diese die Klagelieder der jungen Leute an und sagte darauf: „Nichts ist so schlimm als es Anfangs aussieht. Man muß nur den Muth nicht verlieren. Als ich von meinem Vater, der bei einer kleinen Truppe Schauspieler war, gezwungen ward, auf dem Theater zu tanzen und zu springen, wollte ich mir auch die Augen aus dem Kopfe weinen, weil die Eltern des jungen Mannes, mit dem ich halb und halb versprochen war, von einer Theaterprinzessin nichts wissen wollten. Am Ende ging es leidlich; mein’ Bischen Comödienspielen hat mir oft genützt und den guten Franz habe ich doch schließlich zum Manne bekommen. Darum sage ich Dir, mein Kind, daß Du Deine Sache dumm gemacht hast. Was der Mensch nicht ist und nicht sein kann, muß er den Narren zu gefallen oft scheinen – das will ich Dir später deutlich machen. Jetzt bleibst Du bei mir und der Peter geht auf das Gut zurück. Wenn er über’s Jahr wieder kommt, um den Pacht zu bringen, wollen wir weiter von der Geschichte sprechen.“

Das wollte weder dem Peter noch der Johanna in den Kopf; aber sie mußten sich fügen. Nach einem herzbrechenden Abschiede fuhr Peter zur Stadt hinaus, und wer kann sagen, wie lang ihm das nun folgende Jahr geworden. Endlich aber, wie denn Alles einmal ausläuft, kam auch der lang ersehnte Tag heran, und Peter fuhr, was seine beiden Rappen laufen konnten, vom Pachthofe herunter.




II.

„Brr!“ rief der Kutscher zur Mittagsstunde, und die Kalesche hielt, statt bei dem Onkel oder der Tante, vor dem Hause der Muhme. Peter sprang heraus und meinte, die Johanna werde ihm nun gleich um den Hals fallen. Aber sie kam nicht. Verdutzt ging er in das Haus und in die Stube, wo die Muhme auf seine stürmischen Fragen gelassen antwortete, die Nichte sei nicht daheim, denn Onkel Bastian gebe heute ein Gala-Diner, und Johanna mache daselbst schon seit längerer Zeit die Honneurs des Hauses. Kopfschüttelnd entfernte er sich und kam, wie im wachen Traum in dem Hause des Onkels an.

Das war ein Durcheinander und Uebereinander, und wie viele galonnirte Diener auch umherliefen, er fand kaum Einen, der ihm Rede stand und halb hinhorchend erwiederte:

„Sprechen Sie doch selbst mit dem gnädigen Fräulein! – August, führen Sie diesen Mann, der mit dem gnädigen Fräulein zu sprechen hat.“

August that es und ging mit ihm durch mehrere Zimmer; fragte Jeden, wo das gnädige Fräulein sei, und ob Keiner dieselbe gesehen habe?

[286] „Das gnädige Fräulein ist im Salon und zeigt dem alten Herrn die neuen Tafelaufsätze, welche sie aus Paris hat kommen lassen,“ antwortete ein Anderer. „Komm nur, es ist genug zu thun. Der Mann kann ja hier warten.“

Die Diener liefen weg. Peter stand da und faßte sich an den Kopf. Er glaubte, daß er träume. Der Lärmen dauerte fort, aber es kam Niemand, der ihn zu dem Onkel führte, wie es doch sonst der alte Balthasar stets gethan. Der aber war nirgend zu sehen und überall im Hause fremde Gesichter.

Endlich kam Johanna und mit ihr der Onkel. Der alte Herr war nicht wieder zu erkennen. Sein ganzes Gesicht strahlte wie Sonnenschein, und zu Johanna sprach er nie anders, als: „Mein Püppchen! Wie willst Du das blaue Zimmer arrangirt haben?“ Oder: „Sage mir, mein Herzchen, was räthst Du mir für Mittwoch Abend?“

„Mittwochs nach der Oper habe ich Spiel und Souper angeordnet,“ sagte sie leichthin. – „Ah! Guten Tag, Peter! Läßt Du Dich auch einmal sehen? – Ueberhaupt,“ fuhr sie wieder gegen den Onkel gewendet fort, „ist die ganze Woche besetzt und höchstens über den Donnerstag wäre zu disponiren. Aber auch für den Abend können Sie nichts voraus bestimmen, denn der Baron Verbreuil wird von Paris zurückkommen, und Sie wissen wohl, er nimmt es übel, wenn man seine erste Soiree nicht wenigstens eine Stunde besucht. Es ist zwar langweilig da, aber was will man machen.“

„Du hast ganz recht, mein Täubchen,“ sagte der Onkel, ihr einen Kußfinger zuwerfend. „Wie gesagt, Deine Ideen sind immer die besten. Weiß der Himmel, wie Du es nur anfängst! Ah, da ist ja auch der Vetter vom Pachthofe. Guten Tag, Vetter Peter.“

„Guten Tag, Onkel Bastian,“ sagte dieser stotternd. „Ich bringe –“ das Wort blieb ihm in der Kehle stecken.

Petit paysan!“ sagte der Onkel, wie entschuldigend zu Johanna. „Man muß es ihm zu Gute halten.“

„O, nicht doch!“ entgegnete sie rasch. „Man muß ihn im Gegentheil informiren, und ich denke, es soll bald gethan sein.“

„Da hörst Du es, was Dir bevorsteht!“ sagte Onkel Bastian lachend. „Was bringst Du denn, kleiner Peter?“

„Den Pachtzins, wenn es erlaubt ist!“ antwortete er kleinlaut, und Onkel Bastian, die Brieftasche nehmend, sprach: „Hier, Täubchen! Ein Beitrag zu Deiner Garderobe. Es wird nöthig sein, denke ich.“

„Sehr nöthig!“ entgegnete sie, mit einem leichten Knix dankend. „Ich war mit meiner Börse fast am Rande, und die Modistin schickte mir gestern ein bedeutendes Conto. Nun, ich lasse die Herren allein!“ Darauf sich ausschließlich zum Peter wendend, sagte sie: „Wir sehen uns wohl bei der Tafel?“ und war alsbald im nächsten Zimmer.

Der Onkel lachte: „Das hättest Du Dir wohl nicht gedacht? Ja, ja! So kann man sich in Leuten irren. That der armen Johanna im vorigen Jahre himmelschreiendes Unrecht. Freilich habe ich es ihr später abgebeten.“

„Ist es denn nur möglich?“ fragte Peter kopfschüttelnd. „Das Mädchen, auf das Sie so gescholten, ist jetzt bei Ihnen Alles in Allem? Ach, Onkel, Herzensonkel, wie gefällt Ihnen denn nun meine Braut?“

„So über alle Maaßen, daß ich sie selbst heirathete, wenn sie nur einen so alten Kerl möchte. Aber Braut? Was will ein solcher Bauer mit dieser Perle der Gesellschaft? Schwatzen wir keinen solchen Unsinn. Du hast gehört, daß Du bei Tafel erscheinen sollst; darum gehe in Deinen Gasthof, und mache eine möglichst anständige Toilette. Allons! Punkt vier Uhr wird bei mir servirt. Und dann ist auch Johanna zurück, die wohl jetzt bei der Tante Emerentia sitzt und scheinbar ihrem Geize huldigt, eigentlich aber, um ihr den Geschmack am Weltleben beizubringen, was mein größtes Gaudium sein soll, wenn es gelingt.“

Peter ging wie im Rausche davon und kam in gleicher Weise zurück. Er stand wie verloren unter der Menge und wurde nicht bemerkt. Johanna hatte für ihn kaum einen flüchtigen Gruß. Sie war so sehr von Herren umlagert, die sich eifrig um sie bemühten; sie hatte für Jeden ein freundliches Wort, eine witzige Pointe, ein angenehmes Kompliment, und als der Kammerdiener anzeigte, es sei angerichtet, wäre schier ein gefährliches Ueberstürzen eingetreten, denn Alle wollten ihr den Arm bieten. Sie aber zog sich mit Grazie zurück, ging allein voran und nahm ihren gewohnten Platz an dem obern Ende der Tafel ein.

Peter hatte sich auf den unscheinbarsten Platz gesetzt, und da sich kein Mensch mit ihm abgab, hatte er vollauf Gelegenheit, zu sehen, was um ihn her vorging. Er gewahrte, daß Försters Johanna in diesem reichen Hause der Anfang und das Ende aller Dinge sei; die einzige Sonne, um welche sich die übrigen als gehorsame Planeten drehten; und daß hier von dem untersten Diener an bis zu dem Onkel hinauf Alle nach ihrer Pfeife tanzten. Zuletzt wurde ihm ganz wirr im Kopfe. Eben so unbemerkt, wie er sich niederließ, stand er auf und ging zum Saal und zum Hause hinaus. Schweigend saß er in seinem Stübchen. Er hatte so vieles Unerwartete erlebt, und konnte den Schlüssel dazu nicht finden. Die Johanna sah noch eben so gut und herzig aus, wie sonst im Forsthause und doch war sie ganz anders; sie stand ihm so fern, daß es ihm schien, als habe er sie gar nicht gekannt, oder sie doch fast bis auf die Erinnerung vergessen. Endlich erbarmte sich seiner der Schlaf und versetzte ihn in das heimische Forsthaus, wo er mit dem alten Herrn Förster seine Pfeife rauchte und eine Parthie Deutsch-Solo spielte, während Johanna am Spinnrade saß und freundlich zu ihm hinüber lächelte.

Mit dem anbrechenden Morgen waren freilich diese lieblichen Bilder verschwunden, und Alles mahnte ihn dringend an seine Pflicht. Hatte er doch gestern in der Verwirrung ganz vergessen, zur Tante Emerentia zu gehen, die dies Versehen gewiß sehr übel vermerkte. So steckte er denn das nöthige Geld ein und machte sich zur schicklichen Stunde auf den Weg zur Tante. Die alte Barbara, die ihm schon auf der Schwelle entgegen kam, sagte auf die Bitte, ihn zu melden, daß sie hier nichts mehr zu sagen habe, und nur noch aus Gnade und Barmherzigkeit im Hause geduldet werde. Sie werde es aber sogleich dem Fräulein sagen. Damit ging sie hinein, kam aber alsbald in Johannens Gesellschaft wieder.

Peter fuhr bei diesem Anblick vor Staunen und Schrecken zurück. War das die prächtige Dame von gestern? So scheu, so demüthig und mit einem so armseligen Fähnchen bekleidet, daß der härteste Stein ein Erbarmen gefühlt hätte.

„Bist Du es denn wirklich, Johanna? fragte er stotternd.

„Ja, mein lieber Peter, ich bin es,“ antwortete sie in einem singenden Tone. „Gott hat große Dinge an mir gethan, als er mich in dies fromme, christliche Haus gesandt hat, wo ich Alles kennen lernte, was allein zum wahren Heil dient, und der guten Barbara hier, die ich wie eine Schwester liebe, sowie der tugendsamen Jungfrau Emerentia, die ich wie eine Mutter verehre, bin ich dafür ewig dankbar.“

Es ist ein braves Kind,“ sagte Barbara, sich die Augen trocknend. „Und sie braucht so wenig, fast noch weniger als ich.“

„Man kann den wahren Beruf des Lebens nicht eher würdig erfüllen, bis man sich von allen irdischen Bedürfnissen losmachte,“ fuhr Johanna fort. „Darnach strebe ich, bin aber noch weit vom Ziele entfernt. Von tausend Dingen, die der Mensch zu seinem Dasein nöthig glaubt, macht er sich leicht bis auf die unentbehrlichsten los, und auch diese lassen sich noch beschränken. Du, mein armer Freund, schmachtest freilich noch in den Banden des schnöden Weltlebens. Aber höre auf mich, die zur Erkenntniß gekommen ist, und ich werde das Glück haben, Dich auf die Bahn des Heils zu leiten, die allein zum wahren Frieden führt. Jetzt aber wird es schicklich sein, daß Du Dich zu der Tante begiebst. Folge mir.“

Tante Emerentia empfing den Neffen in der gewohnten Weise.

Johanna aber sprach: „Es ist Vieles in ihm, was mir mißfällt. Aber wenn er mich wahrhaft liebt, wird er es ablegen und als ein anderer Mensch vor uns erscheinen. Jetzt aber würde es zunächst an der Zeit sein, von Geschäften zu reden, wenn Sie es ihm erlauben.“

Tante Emerentia warf einen freudestrahlenden Blick auf das Mädchen, und gab dem Neffen die Erlaubniß, zu reden. Dieser zählte das Pachtgeld auf und stattete den gewohnten Bericht ab. Die Tante erklärte sich zufrieden und bat Johanna, die Quittung zu schreiben. Zu diesem Zwecke verlangte das junge Mädchen von dem Peter die vorjährige Quittung, und als dieser sich entschuldigte, er habe sie nicht mitgebracht, weil er das nicht für nöthig gehalten, sagte sie strenge: „Nicht mitgebracht? Da sieht man es, wie gedankenlos Du doch eigentlich bist. Wäre sie jetzt zur Stelle, könnte man auf der Rückseite derselben die neue Quittung schreiben. Nun muß ich [287] ein neues Stück Papier nehmen, was recht gut gespart werden konnte. Du bist sehr unbedachtsam, lieber Peter.“

Die Tante lächelte beifällig; Barbara bekreuzte sich und Peter schaute darein, wie der Hammel durch die Stallthür. Johanna hatte unterdessen die Quittung geschrieben und sie der Tante zur Unterschrift darreichend, sagte sie: „Er hat ziemlich gut gewirthschaftet, aber perfekt ist er doch nicht. Wenn es erlaubt ist, mache ich ihn darauf aufmerksam, wo noch hier und da hätte gespart und ein höherer Ertrag erzielt werden können.“

Und nun fing sie an, das Licht ihrer ökonomischen Weisheit leuchten zu lassen, daß die Gesichter der beiden alten geizigen Weiber vor Freude wiederstrahlten und dem Peter grün und gelb vor Augen wurde. Als darauf die Tante das aufgezählte Pachtgeld einstrich und Johanna ihr einen Plan vorlegte, aus welchem sie bewies, wie der Pachtzins in kurzer Zeit zu verdoppeln sei, brach Jene gerührt in die Worte aus: „Du bist ein braves Kind!“ und schloß sie in ihre Arme.

Da hielt es den Peter nicht länger auf dem Stuhl. Er sprang auf und fragte sich: „Bin ich verrückt oder sind sie es?“

Johanna hatte der Tante die Hand geküßt und sagte: „Erlauben Sie es mir, so verlasse ich Sie jetzt und gehe meinem Berufe nach, so sauer es mir auch ankommt.“

„Ja, mein Kind,“ entgegnete Tante Emerentia. „Thue, was Dein Herz Dir zu thun befiehlt. Geh’ zu dem ergrauten Sünder und sprich ihm in’s Gewissen, damit er nach und nach dem weltlichen Tand entsage. Wenn Du das endlich zu Stande bringst, hast Du Dir einen ganz besonderen Platz im Himmel verdient.“

Sie begleitete sie mit den Augen bis über die Schwelle und sagte dann, zu dem Neffen gewendet:

„Mein Triumph ist, daß ich das Mädchen in das Haus meines Bruders gebracht habe. Sie hat Gnade vor seinen Augen gefunden, und es wird ihr über kurz oder lang gelingen, ihn vollständig zu bekehren. Dann soll große Freude in meinem Hause sein und ich will –“

Barbara schaute bedenklich darein, denn sie glaubte, ihre Herrin werde in der Herzensfreude allerlei leichtfertige Versprechungen machen. Aber, wenn sie es auch gewollt, sie kam nicht dazu, denn Peter unterbrach sie mit der hastigen Frage:

„Wie gefällt Ihnen meine Braut?“

„Ausnehmend, mein Söhnchen. Aber gegen die Heirath habe ich ein Bedenken, denn die Johanna ist für Dich viel zu gut. Mit dem Bescheid kannst Du Dich trollen.“

Peter war zum Hause hinaus, er wußte nicht wie. Aber auch draußen fand er nirgend Ruhe; ebenso wenig in seinem Gasthause, noch bei diesem oder jenem Bekannten. Als es zu dämmern begann, stand er, er wußte selbst nicht, wie er dahin gekommen, in der Stube der Muhme, die seine Herzensergüsse ruhig anhörte und dann sagte:

„Es ist gekommen, wie ich es mir dachte und ich es Euch sagte, als Ihr im vorigen Jahre in Kummer und Leid unterzugehen glaubtet. Der Mensch findet sich in Alles, und die Johanna, das muß ich sagen, hat sich ganz besonders zurecht gefunden. Wenn es mit der Pächterin einmal nicht mehr recht fort will, kannst Du Deine Zukünftige zuversichtlich auf das Theater schicken, sie wird Dir alle Ehre machen. Was aber sonst zu sagen wäre, das magst Du von ihr selbst hören, denn da kommt sie eben, und ich bin eine viel zu wohl erzogene Muhme, als daß ich Euere Vertraulichkeiten stören sollte.“

Peter hatte in den letzten beiden Tagen vieles Ungewöhnliche erlebt. Als er nun aber die Johanna vor sich sah, so blühend wie immer, aber in derselben Tracht, wie er sie daheim im Forsthause stets gesehen; als sie, ihn treuherzig grüßend, die Hand reichte und ihm einen herzigen Kuß gab, wie in früheren schöneren Tagen, da hatte er ganz den Kopf verloren und war in Gefahr, ihn nicht wieder zu finden.

„Setze Dich zu mir, lieber Peter; ich will Dir Alles sagen, und ich hoffe, Du wirst mit mir zufrieden sein.“

Das that Peter, und wie Johanna erzählte, fiel es ihm nach und nach wie Schuppen von den Augen. Die Muhme-Comödiantin als Lehrerin und das aufgeweckte Försterkind als Schülerin, der betrogene Onkel und die betrogene Tante tanzten an ihm vorüber. Er begriff Alles, und als Johanna endete, schloß er sie in seine Arme und rief jubelnd:

„Das danke ich Dir und werde zeitlebens darnach trachten, es Dir zu vergelten, Du liebe, herzige Johanna, Du!“

Sie hatten sich noch vieles zu erzählen, und als Peter endlich spät zu Hause anlangte, erließ er an Onkel Bastian und an Tante Emerentia ein feierliches Schreiben, worin er wiederholt um ihre Einwilligung zu seiner Heirath bat. Am andern Tage aber sprach er zur verabredeten Zeit zunächst bei der Tante ein, um selbst die Antwort zu holen, und fand seine Johanna bereits auf dem Schemel vor der Tante sitzend, und ihr aus einem erbaulichen Buche vorlesend. Mitten in dies fromme Werk aber platzte der Onkel Bastian herein und vor seine Schwester hintretend, sprach er in der polternden Weise, die er ihr gegenüber annahm:

„Schwester Emerentia!“

„Bruder Bastian?“

„Ich bin wieder daher gekommen.“

„Mitten in die Andacht, wie ein Heide.“

„Will aber das Christenthum predigen.“

„Predige! Ich höre.“

„In der Jungfer da habe ich mich geirrt.“

„Ich auch. Sie ist ein Schatz.“

„Eine Perle.“

„So häuslich, so wirthschaftlich.“

„So manierlich, so elegant.“

„So enthaltsam, so fromm.“

„So geistreich und witzig.“

„So demüthig und christlich.“

„So bezaubernd und bestrickend.“

„Ein Edelstein für das Haus.“

„Ein Diamant für die Gesellschaft.“

„Der Neffe wirbt um sie.“

„Wollen wir es zugeben?“

„Unbedenklich!“

„Schwester Emerentia!“

„Bruder Bastian?“

„Wir sind schon wieder einmal einig.“

„Es ist erstaunlich.“

Johanna und Peter ließen die beiden alten Leute nicht weiter reden. Sie zogen sie mit in ihre Umarmung, und es wurde in der stillen Stube der Tante Emerentia ungewöhnlich lebendig.

Als aber drei Monate später der Peter wieder in die Residenz kam; als er in dem Stübchen der Tante getraut war, und der Hochzeitsschmauß bei dem Onkel endete; als er mit seinem jungen Weibe zur Stadt hinaus und in die ländliche Einsamkeit hineinfuhr, sagte er, sie an sein Herz drückend:

„Du hast vortrefflich Comödie spielen gelernt; aber es wird mir doch lieb sein, wenn Du Dein Talent nicht weiter benutzest.“

„Sei ohne Sorgen,“ antwortete sie heiter. „Ich werde fortan nur auf einem einzigen Schauplatz auftreten und auch dort nur in der Rolle Deiner Geliebten.“