Wie man in Paris Größen macht
[595] Wie man in Paris Größen macht. Ziemlich sicher vertraut mit den Anstalten, die dem hiesigen Volke Quellen einer geistigen Strömung sind, unternehme ich es heute am Spätabende, aus meinem Stübchen in der Rue Rivoli Ihnen einen Bericht über die saubere Wirthschaft zu senden, welche in den meisten und achtbarsten Theatern der Kaiserstadt herrscht. Hier rauschen die Tage unter Speculationen dahin, von denen eine immer geschraubter als die andere ist. Eine Theatergesellschaft spielt, um ihren Director frei zu haben, der nebst achtzehn Geranten verschiedener Actiengesellschaften festgenommen worden ist. In einem anderen kleinen Theater sind die Decorationen von den Gläubigern belegt worden. Ein Fünftheil aller Billets in sämmtlichen Pariser Theatern sind Freibillets für Ehrengäste, Kritiker und Lobhudler, die sogenannten „Amateurs“, und vor Allem für die berüchtigte „Claque“, von denen ich ausführlicher erzähle, soweit es für Ihre Leser interessant ist. Ein einziges Theater mit 500,000–600,000 Francs Jahreseinnahme gab an 100,000 Freibillets aus, und die meisten verschlang die heulende Charybdis der „Claque“, indeß der kleinere Theil als Honorar für Billeteurs, Entrepreneurs, Journalexpeditionen und Beamte des Theaters verfluthete.
Sonderbar ist’s, wie in dieser Theaterwelt Größen geschaffen werden. Bei Euch ist’s doch nicht wohl möglich, das Gute schlecht und Schlechtes gut zu heißen. Hier geht’s; und selbst Männer wie Roger, die, bei Licht besehen, gar nicht so bedeutende Helden sind, verdanken dem mächtigen Institut der Claque ihren Glorienschein. – Es mag bei Ihnen auch wohl vorkommen, daß eine welkende Coulissenrose oder ein laues Talent, um seines äußeren Erfolges sicherer zu sein, zwanzig oder dreißig Billets an gute Freunde, „Amateurs“, austheilt, welche nun bei Effectstellen, oder wohl gar schon beim Auftreten tapfer klatschen. Dies Manöver aber zu einem förmlichen Geschäft, zu einem Ding der Speculation, des Gelderwerbs auszubilden, das will in Deutschland nicht gut angehen, vielleicht am ehesten noch in Berlin, der „Stadt der Intelligenz“ – In Paris heißt die große Gesammtheit der miethbaren Klatscher mit einem Worte la claque, und wenn sie auch den Kenner nicht besticht, die Menge wird oft hingerissen. Seit zwanzig Jahren etwa besteht dies einträgliche Gewerbe mit all seinen Gesetzen und seinen Vortheilen, dem sich sogar fremde Gesellschaften fügen müssen. So litt im Sommer 1857 das damals hier spielende „deutsche Theater“, unter dessen Mitgliedern Frau Schuselka-Brünning glänzte, gar sehr unter solchen Einflüssen.
Da die meisten Pariser Theater eine gesellschaftliche Speculation sind und keinerlei Selbstständigkeit durchdringen kann, so liegt es auf der Hand, daß man alle Mittel in Bewegung setzt, sich Kundschaft zu machen und sich diese, wenn sie errungen, zu erhalten. Erst wurde aus Vorliebe applaudirt, dann „aus Freibillets.“ Endlich gab man den Klatschern stehendes [596] Entrée und außerdem Gehalt. In der Probe wurden schon damals die Stellen angegeben, wo geklatscht werden sollte; ein Mann von „esprit“ mußte immer den Schwarm leiten. 1820 legte Sauton ein förmliches Bureau an, das hieß: „Assurance de succès dramatiques“ oder auf ehrlich Deutsch: „Versichrung von dramatischen Erfolgen.“ Bei ihm meldeten sich die schamlosen Claqueurs; die Theaterdirectionen machten ihre Visiten, gaben Aufträge und Sauton bestimmte dann für so und so viel Franken und Freibillete die größere oder kleinere Heerde von Klatschern; der geschlossene Vergleich enthielt z. B. Bestimmungen, wie oft und wie stark geklatscht werden sollte. Man unterschied drei Grade der Stärke, welche in der Spitzbubensprache der Claqueurs also bezeichnet wurden: Petit (klein, gering), modéré (mäßig, eingezogen), assaut (Sturm, voller Anlauf.) – Als Veron die Pariser Oper dirigirte, war der Heros der Claque ein gewisser Herr Auguste, welcher die Claque sachkundig disciplinirte, leitete und ihr vor allen Dingen Ensemble lehrte. Für drei Pelotons Klatscher à funfzehn Mann bekam Auguste 45 Billets, wovon er die Hälfte billig an Leute verkaufte, die sich verpflichteten, Abends zu arbeiten; auf die andere Hälfte gingen seines Stammtruppen in’s Feuer. Die eitle Tänzerin M. Noblet zahlte ihm für jedes Auftreten mit hellem Empfange (assaut) durch 45 Mann 50 Francs, was ihm in funfzehn Jahren das Sümmchen von 55,000 Francs eingebracht hat.
Einem Schauspieler war aus Versehen an einer anderen Stelle, als er wünschte, Zuruf geworden. Aergerlich darüber kam er zu Hrn. Auguste und drohete, sich Herrn Sauton zum Klatschen zu bestellen.
„Gehen Sie, mein Herr,“ rief Auguste stolz, „ich weiß, Sie werden gar bald meine Dienste wieder aufsuchen.“
Als die Hugenoten einstudirt waren, schrieb Auguste folgenden, in weiten Kreisen bekannt gewordenen Brief:
„Herr Director!
„Ich bin mit der neuen Oper sehr zufrieden; für solche Werke zu arbeiten ist ein Genuß. Man kann bei allen Arien und fast bei allen Duetten etwas machen; für das Duett im vierten Acte sichere ich drei Salven zu, für das Trio im letzten einen Hervorruf. Was die Sänger, und die Verfasser anlangt, erwarte ich Ihre Befehle.“
Scribe, Macquet und Andere gingen bei ihm ein und aus, wenn sie Beklemmungen fühlten.
Graf B. gab ihm einst den Auftrag, für 500 Francs eine treulose Sängerin auszupochen und auszupfeifen. Als Sängerin war sie nur mittelmäßig. Am Abende applaudirte Herr Auguste mit seinen Truppen so stark, daß er in Zwiespalt mit dem ganzen Publicum gerieth und man, um die Claque zu dämpfen, pochte und pfiff. Der Graf war verdutzt und nannte am andern Tage Auguste und dessen Pelotons Verräther.
„Mein Herr Graf,“ sagte Auguste, „meine Bildung verbietet mir, eine Dame auszupochen. Ich habe aber dafür so laut applaudirt, daß das empörte Haus es für mich gethan hat.“
Als Fanny Elsler in Paris war, fand sie unsern Auguste zu kühl und bestellte sich ebenfalls Herr Sauton, der damals gerade im Théatre second und Gymnase zu klatschen hatte. Sauton erschien mit seiner derben Schaar, erhielt vierzig Billete und sechzig Francs, versäumte aber, selbst entzückt und vom Glanze des Theaters trunken, mehrmals seine Pflicht, so daß es nach mehreren Wochen Herrn Auguste zu Ohren kam, Fanny werde Sauton wieder entlassen. Da bat Auguste um eine Audienz bei Fanny.
„Mademoiselle,“ sagte er, „ich, Sie, Direction, Publicum, alle Welt leidet; denn Sauton ist ein Cretin. Setzen Sie mich wieder ein, ich beschwöre Sie. Hier sind 50,000 Francs, die Sie unter die Armen vertheilen mögen.“
Die Künstlerin, deren Ehrgeiz durch letzteres Angebot verletzt war, warf ihm zwar seine angebotene Brieftasche, die nichts, als Theaterzettel enthielt, entrüstet vor die Füße, nahm ihn jedoch wieder zu Ehren an.
Auch galt Herr Auguste, soviel es gehen wollte, im Publicum; seine strenge Disciplin, seine Höflichkeit gefiel; keiner seiner Leute durfte scheel sehen oder in die Hitze kommen, wenn man schwieg oder gar zischte, indeß alle drei Peletons Unsterblichkeitsverleiher wie ein Mann klatschten. Auguste starb 1844 und ließ seiner Tochter ein bedeutendes Erbe, nachdem er zuerst Chauffeurs, Chatouilleurs und Bisseurs geschaffen hatte. Ich muß den verwunderten Lesern diese Schöpfungen erklären, denn sie sind in diesen Tagen zu den größten Ehren gestiegen.
Will man mit Applaus empfangen werden, so schickt man die bestimmte Summe hin, d. h. soigner l’entrée (für Aufnahme Sorge tragen). Den Nebenbuhler auspfeifen, kostet jetzt die gleiche Summe. Faire mousser, moussiren machen, heißt die Claque bezahlen; unter dem Kronleuchter, Jedermann sichtlich, sitzt gewöhnlich das Centrum dieser Theaterablaßkrämer. Man nennt diese offenen Herren darum „Chevaliers du lustre“, d. h. Ritter vom Kronleuchter. Die übrigen Claqueurs vertheilen sich. Zuerst nenne ich hier die Tapageurs; diese klatschen beim kleinsten Anlaß auf’s Heftigste; es sind also die rechten Tümmler, wahre Quecksilberleute! Nach ihnen kommen die feineren Connaisseurs oder Kenner. Sie müssen sich fein kleiden, sitzen auf theuren Plätzen, murmeln dann und wann in vornehmer Ungenirtheit beifällig, machen auf Schönheiten und interessante Steigerungen aufmerksam, indeß die Rieurs die alte „biederbe“ Ehrlichkeit, selbst die philisterhafteste Gutmüthigkeit heucheln und beim flachsten Spaß auf’s Herzlichste lachen – und plötzlich, wie sich besinnend, noch einmal, bis es ansteckt. Man sieht, jede Seite des Menschen ist belagert. Die Pleureurs, welche man in den Trauerspielen P. Corneilles im Théatre français bewundern kann, sind die Weinerlichen, die Gerührten. Ihre weißen Taschentücher trocknen unaufhörlich die trocknen Augen.
Die schon unter Auguste florirenden Chatouilleurs bringen ihre Chatouillen und Bonbonnièren hervor, und stimmen durch Darbieten von Bonbons, Prisen Schnupftabaks, Leihen von Theaterzetteln und Opernguckern schon empfänglich und heiter. Die Chauffeurs aber bringen des Mittags und Nachmittags die Gaffer am Theaterzettel in Gluth, wenn sie vor dem Zettel stehen und rufen: „Ach, heute wird’s wundervoll werden! Der Engel singt und spielt heute wieder! Wie ein Gott schreitet er über die Bühne!“ – Sie lesen auch in Restaurationen laut die Recensionen vor, erkundigen sich fleißig nach Portraits in allen Läden, bis sie der Händler aushängt, arbeiten Kritiken für Winkelblätter, entfernen schlechte Kritiken schlau und dergl. Die Bisseurs endlich sind die unermüdlichen Biß- (d. i. zweimal) Rufer, deren da capo nimmer stirbt.
Nun – heißt das nicht Ordnung in dieser Armee von Lügnern? Macht jetzt manche Apotheke ein solch’ Geschäft, wie ein Bureau der Claque, das gar nicht mehr unter 10,000 Francs, oft aber für 18–19,000 Francs verkauft wird? – Eine strenge Justiz gibt’s für solche Leute, welche auf die Dauer der klaren Vernunft immer weichen müssen, in Frankreich jetzt noch nicht; aber man tröstet sich billigerweise immer damit, nur die plumpe Einfalt wird von dem Lärm der Claque geblendet. Aber Angesichts solcher Thatsachen thut’s uns doch im Innersten wohl, deutsche Treu und Ehrlichkeit noch nicht zur bloßen Redensart herabgesunken, noch die Meinungen Anderer in Dutzenden verhandelt zu sehen.