Wie schützen wir uns vor giftigen Pilzen?

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Autor: Paul Kummer
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Titel: Wie schützen wir uns vor giftigen Pilzen?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 563–564
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie schützen wir uns vor giftigen Pilzen?

Ein Wort zur Bekämpfung des Küchenaberglaubens. Von Paul Kummer.

Der schlimmste Aberglaube ist derjenige, welcher alle Spuren seines dunklen Ursprungs, alle seine Beziehungen zu dem Teufel und sonstigem Geisterspuk längst abgestreift hat und nur als harmlose Lebensregel oder allgemein anerkannte schlichte Meinung uns entgegentritt. Er ist der schlimmste und gefährlichste zugleich. Ein solcher Aberglaube hat sich seit alter Zeit in unseren Küchen eingenistet und bringt noch heute sehr vielen leider – Tod und Verderben.

„Nur keine Furcht vor Pilzen!“ raunt dieser Kobold mit beruhigendem Tone der gewissenhaften und darum beim Ankauf von Pilzen mit Recht sehr ängstlichen Hausfrau zu, „man muß nur das überaus einfache Merkmal kennen, wodurch beim Kochen die giftigen sich jederzeit kenntlich machen. Thue einen silbernen Löffel hinein und achte sorgsam darauf, ob er beim Kochen durch die Pilze schwarz wird: ist das der Fall, so sind sie giftig, bleibt der Löffel weiß, so sind sie eßbar. Sage, was willst Du noch mehr? Giebt es ein einfacheres Mittel, Gutes und Böses zu unterscheiden? Und ein uraltes Mittel ist es, welches man Dir offen oder geheimnißvoll mittheilte, von Generation zu Generation verkündete es Einer dem Andern.“ Und doch ist dieses Mittel ganz trügerisch und hat den Gläubigen schon gar manches Unheil bereitet. So sagt z. B. der berühmte Chemiker Emil Boudier, welcher sich viel mit der Erforschung der Pilzgifte beschäftigte: „Diese bequemen Recepte sind wahrscheinlich die Ursache eines großen Theiles der Vergiftungen, die noch jedes Jahr zur Beobachtung gelangen.“

Das Schwarz des Löffels ist weiter nichts, als ein ganz harmloser chemischer Vorgang, den all und jeder Pilz bewirken kann, und zwar wird ein silberner Löffel häufig schwarz anlaufen, wenn der betreffende Pilz schon alt und deßhalb verdorben ist. Der schwarze Vorgang beruht nämlich darauf, daß die in jedem Pilze enthaltenen Eiweißstoffe bei verdorbenen Pilzen sich zersetzen und Schwefelwasserstoffgas entwickeln, das im frei gewordenen Zustande sich mit dem Silber zu einem schwärzlichen Stoff verbindet. Mannigfache schlimmste Giftpilze hat man im jugendlichen frischen Zustande versuchsweise zu dem Zwecke gekocht und niemals einen Löffel in der heißen Giftbrühe schwarz werden sehen. Wie nun also, wenn eine Hausfrau ihrem Mittel vertraut? Sie wird, wenn der Löffel sich nicht schwärzt, im besten Glauben solches Giftgericht den Ihren vorsetzen – und das ist öfter als einmal geschehen!

Allerdings ganz ohne schlimme Bedeutung ist die Schwärzung auch nicht, sie deutet uns nämlich in jedem Fall doch an, daß der Pilz, welcher sie verursachte, etwas verdorben und deßhalb nicht mehr zum Genusse geeignet sei; aber ob er giftig sei, das ist eine ganz andere Frage, damit hat die Schwärzung eben gar nichts zu thun.

Aberglaube der schlimmsten Art ist das, und zwar wirklicher Aberglaube! Fragen wir nämlich nach der Herkunft dieser so verderblichen Küchenmeinung, so weist uns die kulturgeschichtliche Antwort auf mittelalterliche Vorstellungen von dem Teufel und seinen argen Werken. In jener finsteren Zeit ahnte man in allen den Menschen schädlichen Vorgängen der Natur das Wesen und Wirken des dunklen Fürsten der Finsterniß. Aber zu einigem Trost der Abergläubigen war er doch vielfach gekennzeichnet, so daß man seine bösen Absichten rechtzeitig entdecken konnte. Vor Allem war das Schwarz die Farbe, welche er trug und oft auch an den Dingen bewirkte; besonders wenn die schwarze Farbe einmal irgendwo plötzlich auftrat, galt es, vor seiner feindlichen Macht auf der Hut zu sein. Wenn nun ein silberner Löffel, in eine Speise gestellt, schwarz anlief, mußte da nicht selbstverständlich des Teufels Hand mit im Spiel sein? Es galt darum für ganz zweifellos, daß solche Pilze, welche das bewirkten, sich als teuflische erwiesen, als giftige Satanspilze, denn alles Gift so gut wie Seuche und Hagelschlag stammte von dem Teufel.

Darum werden auch auf Grund der damaligen Volksauffassung noch heute einige der bekanntesten Giftpilze bezeichnet als Teufelspilz, Teufelsei, Satanspilz, Speiteufel, Hexenpilz etc. Im frischen Zustande sehen sie oft ganz verlockend aus, wie um zu täuschen, aber wenn sie gekocht werden, macht sich ihre Satansnatur jederzeit doch kund. Von dieser Anschauung ausgehend beobachtete man später jede Veränderung, welche irgendwelche Stoffe erlitten, die mit Pilzen gekocht wurden, und jede solche Veränderung galt als Beweis von der Giftigkeit der mitgekochten Pilze; so entstanden unter manchen andern die gleichfalls viel verbreiteten und ebenso unzuverlässigen Recepte, daß die Zwiebel unter giftigen Pilzen schwarz werden und das Eiweiß eine Bleifarbe annehmen soll.

[564] Weg aber mit diesen verhängnißvollen Recepten allen! Mag immerhin mancher andere harmlose Aberglaube des Volkes entschuldigt werden durch eine gewisse Poesie, die er in unser nüchternes, allzu verständiges Leben bringt: aber wo er in das Gebiet der Küche und unserer Ernährung noch immer sich hineindrängt, da muß er rücksichtslos vernichtet werden, als ein Feind des Leibes und Lebens.

Woran soll aber die vorsorgliche Hausfrau erkennen, ob Pilze giftig sind? Nun, da alle Recepte hinfällig geworden sind, freut sie sich wohl, wenn ein gelehrter Naturfreund sie einmal auf die Farbe der frischen Pilze aufmerksam macht und ihr den Rath giebt: „Koche keine grellfarbigen, also keine rothen, blauen, violetten Pilze, denn diese sind giftig!“ Thöricht aber auch das! Diese Meinung stimmt wohl zu dem rothen Fliegenschwamm und den meisten giftigen Täublingen, aber man könnte sich dabei doch an manchen auch schlichtfarbigen Giftpilzen den Tod essen.

Ebenso unzuverlässig sind die oft angepriesenen Merkmale des Wohlgeruchs und Wohlgeschmacks. Giebt es aber kein Mittel, durch welches der Giftstoff im rohen oder gekochten Zustande offenbar wird? Wir müssen entschieden antworten: Nein! Wer dennoch auf ein solches vertrauen wollte, würde stets der größten Gefahr ausgesetzt sein und könnte seinen Küchenaberglauben mit schwerem Leide büßen.

Wollen wir darum die Pilze gänzlich als Speise verwerfen? Auch darauf wiederum wird jeder Verständige mit Nein! antworten. Man möge sich nur bemühen, die eßbaren Sorten selbst kennen zu lernen, und das dürfte eine angenehme Aufgabe der vielen Hausfrauen sein, in deren Haushalte die Pilze ein beliebtes und häufiges Gericht bilden. Wald und Feld locken ja überall ins Freie, und ein Spaziergang ins Grüne wird unterhaltender, wenn Frauenhand eine Blume, einen Feld- und Waldstrauß am Wege gepflückt. Im Spätsommer und Herbst scheiden die letzten Blumen aus Wald und Aue dahin, aber nun tritt die bunte Schaar der Pilze auf. Warum nun nicht diese anstatt der Blumen pflücken und sie bewundern, da in der That kein einziger Pilz so giftig ist, daß man ihn gar nicht anfassen dürfte; warum sie nicht auch einmal mit heimnehmen, um mit Hilfe eines kundigen Freundes oder unter Anleitung eines praktischen Buches auch die besonderen Merkmale der verschiedenen Sorten kennen zu lernen? Warum sollte man sie nicht kennen und unterscheiden lernen wollen mit derselben Klarheit, wie man die Rosen, die Lilien, Veilchen und die Vergißmeinnicht von einander unterscheiden lernte? Bei einiger Aufmerksamkeit auf ihre Eigenthümlichkeiten sind die mannigfachen Pilzsorten in der That fast ebenso verschieden und leicht wieder zu erkennen wie eine jede Blume des Gartens, die schon das Kindesauge sicher unterscheidet. Jeder eßbare Pilz hat wirklich so viel Charakter in seiner äußern Tracht, daß er nur einmal genau erkannt zu werden braucht, um stets sicher wieder erkannt zu werden. Verfasser dieser Zeilen hat vor wenigen Jahren selber ein kleines Büchlein: „Praktisches Pilzbuch für Jedermann, in Fragen und Antworten“ zu Nutz und Frommen lernbegieriger Frauen verfaßt und nicht nur manchen Dank dafür geerntet, sondern auch oftmals vernommen: es sei eine gar reizende Beschäftigung auf Spaziergängen, die Pilze, gleich wie die Blumen, zu beachten und kennen zu lernen und dann mit mancher edlen Sorte ohne Angst und Bangigkeit das im Herbst blumenleere Körbchen zu füllen. Welche Freude, wenn die Sammlerin einen neuen Pilz findet, den sie vordem nicht beachtete, und der sich als eßbar und vielleicht als ganz besonders delikat erweist!

Im Laufe der Zeit wird die Zahl der bekannten Arten ganz erheblich wachsen, denn 15 bis 20 Sorten dürften in jeder Gegend sich auffinden lassen, welche eßbar sind und zugleich durch ihre Menge das Sammeln auch lohnen. Jedes Jahr vermehren so die Waldspaziergänge das Wissen. Die Hausfrau fragt dann nicht mehr nach jenen geheimen Mitteln, welche vordem in Geltung wären; das praktische Wissen machte sie auch frei von dem Küchenaberglauben.