Wiederkäuer

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Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Wiederkäuer
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aus: Das Lächeln der Mona Lisa, S. 309–311
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Erscheinungsdatum: 1929
Verlag: Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Die Weltbühne, 9. August 1927, Nr. 32, S. 228
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Wiederkäuer

Käut ihr manchmal wieder –? Ich für meinen Panterteil kaue. Nämlich so:

Wenn ich ganz allein bin, steigen mitunter, wie bunte glänzende Bälle, alte gute Witze in mir hoch, und, „selig lächelnd wie ein satter Säugling“ belächle ich sie alle noch einmal, ein kindliches Gemüt. Manche haben erst dann die volle Reife, wenn sie ein bißchen abgelagert sind; wenn man sie schon zweimal belacht hat; wenn sie noch einmal auftauchen …

An den letzten, den S. J. noch redigiert hat, denke ich oft; wie Liebermann erzählt, er habe Hauptmann im Tiergarten getroffen und ihm gleich gesagt: „Sie sind doch zu beneiden!“ – „Er fracht warum. Nu wird er denken, ick wer sagn: Weil Sie so talentvoll sind oder: weil Sie so viel Erfolch ham. Ick sage: Weil Sie so schön sind, Herr Hauptmann!“ Dazu höre ich immer noch den kleinen Mann lachen … Und dann den andern, der einmal vor dem Krieg bei uns gestanden hat; wie da ein Backfisch von sechzehn Jahren seinen lieben Eltern zur silbernen Hochzeit gratuliert hat – der Backfisch und seine zwei jüngern Geschwister. Blumen, Kranzüberreichung, Ansprache in Versen.

„Wir nahen uns an diesem Tage
als Kleeblatt, das ihr selber habt gepflückt,
wir machten euch beim Bücken viele Plage,
denn dreimal habt ihr euch nach uns gebückt.“

[310] Das ist eine stille, glucksende Freude, die man bei solchen alten Witzen empfindet – das Gesicht glänzt, man muß leise lachen, der Mund wird noch breiter als er schon von Natur ist. Manchmal denke ich auch an ganze Szenen. So an die unsterbliche im Goldrausch, wo Chaplin an des Abgrunds Rand einherwackelt, auf steiler Felsen Grat, und sich umsieht, ob nicht Gefahr dräut. Nein, dräut keine. Da geht er weiter – von hinten, aus einer Höhle tappt ein Bär hinter ihm her, er immer weiter, der Bär verschwindet in der nächsten Höhle, der Wandrer sieht sich wieder um, ob keine Gefahr dräut. Es dräut, wie gehabt, keine. Also hat er recht. Ich kann gar nicht sagen, wo dieses Maximum an ästhetischem Vergnügen steckt: in dieser Überhüpfung eines Gliedes der Kette, in der absoluten Ahnungslosigkeit vor der Gefahr – Diese Stelle ist eine der reinsten Verkörperungen dessen, was man Humor nennt. Er ist eben doch unser Größter, da gibts nichts.

Und manchmal belache ich mich privatim auch noch über die ganz, ganz alten Soldatenscherze („Det mach du man. Die Kaiserin runter von der Elektrischen, dir ’n paar in die Fresse jehauen, wieder ruff uff die Elektrische –“) ja, ich schäme mich nicht, zu sagen, daß ich ein paar Freunde habe, mit denen ich manchmal alte Witze abschmecke – wir machen gewissermaßen eine Schau und reichen uns dies und das. „Kennen Sie diesen hier?“ Es ist eigentlich keine Witzeerzählerei, das wäre schrecklich. Es ist eine wirkliche Weinprobe, ein Nachgenießen, ein Echo des Echos. Wobei es denn keinen, aber auch keinen meiner Generation gibt, der: „Da ist ja auch der Morgenstern – das Schwein!“ nicht als besten aller Jahrgänge hoch verehrt.

Diese Flasche liegt gleich neben jener … wie da einer in ein rituelles Lokal kommt und sich gefüllte Milz bestellt. [311] „Milz ist alle“, spricht der Kellner. Da sieht der Gast den Kellner mit feuchten Augen an und sagt ganz leise: „War sie fett –?“

An dem „goldnen deutschen Humor“ ist so viel Messing. Laßt uns von Zeit zu Zeit die paar Goldkörner, die im Ledersäckchen ruhen, heimlich herausnehmen, sie betrachten und selig lächeln.