Wilhelm der Reiche speist bei einem Bauern
Wilhelm II., Landgraf von Thüringen, der im J. 1415 starb, hat gewöhnlich in Altenburg Hof gehalten. Nun hat er einstmals, als er von ohngefähr an dem Hause eines armen Mannes, Namens Freund, zu Unterpauritz zur Eichen, der an der Straße, die nach Leipzig führt, wohnte, vorbeikam, einen lieblichen Geruch gespürt. Es war dies Montag nach Egidius am 8. Septbr., an welchem Tage nach altem Gebrauch man in St. Bartholomäi Pfarre Kirmeß zu halten pflegt. Er ist nun an das Haus herangeritten und hat gefragt: „Männlein, was hast Du Gutes zu essen?“ Freund aber antwortet: „eine Gans mit Zwiebeln im Backofen gebraten.“ Da spricht der Fürst: „Lieber, lasse mir dieselbe bringen!“ Wie dies geschehen, erbietet sich Freund, er wolle Semmeln in der Stadt holen lassen, weil er nur schwarzes Brod habe. „Nein“, sagte der Fürst, „was Du issest, das will ich für dieses Mal auch essen!“ Darauf bringt Freund das Brod, der Fürst ißt mit Lust davon und verzehrt die Gans fast halb und fragt nach gehaltener Mahlzeit, als er vom Essen aufsteht (er hatte nämlich im Garten gesessen) „was er ihm geben solle?“ Freund sagt: „Gnädiger Herr, ich begehre nichts!“ darauf fragt der Landgraf den Freund, was denn sein Haus und Garten zinse? Dies berichtete denn [315] derselbe auch, wie damals dieser Garten sowohl als andere Gärten da herum hohen Zins gäben. Der Fürst aber sagte: „nun forthin sollst Du und alle die Deinen, so diesen Garten innehaben, ins Amt jährlich auf Michaelis Tag nicht mehr zinsen als eine halbe Gans und ein Viertel Wachs!“ Und so ist es auch geblieben.