Winter im Allgäuer Hochgebirge
Der Winter im Gebirge, besonders hoch oben in den abgelegensten Winkeln und Thälern, ist ein wilder, ungestümer Geselle, dessen eisiger Hauch als tobender Schneesturm die uralten Wettertannen oben auf den Felsschrofen erzittern macht, zugleich aber auch die Zacken und Hörner der hochragenden Berge mit unvergleichlicher Pracht versilbert. Wenn er im Spätherbste einzieht in die Berge und von ihrem eisbehängten Lockenhaupte den ersten Schnee in die stillen Thäler schüttelt, so beginnt für die Bergbewohner die lange Zeit stiller, abgeschlossener Zurückgezogenheit. Während in der fernen Großstadt mit dem ersten Schnee die genußreiche Saison beginnt, in welcher die glänzenden Theater und Concertsäle sich füllen und unter rauschenden Klängen der Musik im Kreise froh genießender Gesellschaft die langen Winterabende rasch entschwinden, kehren in den Hütten der Bergbewohner Ruhe, Einförmigkeit und Einsamkeit ein und wird deren ganzes Leben und Treiben nebst Lust und Leid in die engbegrenzten Räume des Hauses gedrängt.
Der Mensch in den Bergen ruht aus im Winter gleichwie die Natur. Die im Sommer von zahlreichen Heerden und dem Jauchzen der Sennen belebten Hochalpen sind vereinsamt und still; die steilen Bergwiesen, auf denen noch im Herbste die Sensen und Sicheln erklangen, womit das duftende Alpenheu gewonnen wurde, liegen unter tiefem Schnee – nur noch in den Wäldern regt sich hier und da Leben, wenn „die Holzer“ mit dampfenden Rossen auf rohgezimmerten Schlitten mächtige Baumstämme und Scheitholz zu Thale befördern und der hartgefrorene Schnee unter den harzduftenden Holzlasten knirscht.
Verwöhnten Städtern würde ein Winter im Hochgebirge freilich nicht besonders behagen. Wenn es so recht wettert und stürmt und die Jahreszeit ihre rauhesten und unangenehmsten Seiten hervorkehrt, so geht selbst der abgehärtete Bergler nicht vor die Thüre hinaus in das „wüste kehle Wetter“ und bleibt ruhig in seiner niedrigen Stube am mächtigen Ofen sitzen, in welchem schwere Fichtenklötze prasseln. Ein echter stürmischer Wintertag zeigt den Kampf der Elemente in voller Kraft und Lebendigkeit und bietet ein hochinteressantes Schauspiel. Millionen von Flocken, vom Winde gepeitscht, wirbeln durch die Luft, eilen in tausendfach verschlungenen Linien von den düstern Wolken zur Erde und weben die schimmernde Decke, in welche Mutter Erde sich hüllt, um nach blüthe- und fruchtreichen Monaten langen Winterschlaf zu halten. Einzelne Windstöße zerwühlen die aufgehäuften Schneemassen, fegen mit Macht über die steilen Höhen und durch die engen Thäler, durchziehen rauschend die dunklen Tannenwälder und führen von den niedrigen steinbelasteten Schindeldächern den Schnee in langen wehenden Schleiern durch die Luft. Hier baut der Wind in wenigen Minuten mannshohe Schneewälle auf; dort stürzen morsche Tannen krachend unter der eisigen Last zusammen, und die Schneekrystalle hüllen unter unaufhörlich wechselndem Spiele und in lustigem Tanze Feld und Flur, Wälder und Gipfel in das schneeige Kleid. Hoch auf den Bergen zieht sich das Murmelthier in die Felsklüfte, um den Winterschlaf zu beginnen; die schnelle Gemse flüchtet in geschützte Schluchten und die Alpenkrähe in ihr versteckt liegendes Nest. Oed und scheinbar leblos ist die Natur. –
Tagelang dauert oft dieses Stürmen und Stöbern, so daß aller Verkehr zwischen den höchstgelegenen Orten unterbrochen wird und derselbe selbst in dem geschützten Innern der Gebirgsstädtchen auf das Nothwendigste beschränkt wird. Dann erscheint allerdings das Leben im Gebirge manchmal sehr einförmig und einsam, und wenn der Blick sinnend durch die Fenster auf die wirbelnden Flocken fällt, regt sich wohl die Sehnsucht nach den sonnigen Tagen des Sommers und vor dem Geiste steigen die Berge auf mit alpgrünen Matten, rothen Felsen und Schrofen und hochragenden Gipfeln, auf welchen das Alpenglühen thront. Dann weiß man aber auch das trauliche Heim mit seinen gemüthlichen Räumen zu schätzen und freut sich doppelt auf die Herrlichkeiten sonnenbeschienener Bergnatur.
Der Winter äußert selbstverständlich bedeutenden Einfluß auf die Lebensweise der Bergbewohner. Wir reden hier nicht von den Gebirgsstädtchen, in welchen der Winter in ähnlicher Weise wie in den übrigen Kleinstädten zugebracht wird, wo die in engbegrenzter Anschauungsweise befangenen Bewohner mit naiver Selbstgefälligkeit sich gewaltig anstrengen, durch Veranstaltung „feiner Abendunterhaltungen, geistreicher Spielpartien und urfideler Kneipereien“ die Winterabende „höchst gemüthlich“ auszufüllen, – sondern wir wollen uns umsehen, wie es in den verschneiten abgelegensten Gebirgswinkeln aussieht und was da die Menschen thun und treiben. Die Bewohner der oft von allem Verkehr abgeschnittenen Gebirgsdörfer und hoch gelegenen Einzelhöfe kommen tage- und oft auch wochenlang nicht aus ihren Häusern, die im tiefsten Schnee halb vergraben liegen. Die ländlichen Beschäftigungen im Freien sind größtentheils eingestellt, und die Arbeit des Gebirgsbauern ist auf die Räume im Innern des Hauses beschränkt.
In den Gebieten des Allgäu und der angrenzenden Gebirgsbezirke von Vorarlberg concentrirt sich die Hauptthätigkeit auf die Besorgung des Viehstandes, der Haupterwerbsquelle der meisten Gebirgsländer. Aufzucht und Pflege desselben, Gewinnung von Milch, Butter, Käse und Eiern, sowie Verkauf von Kühen und Kälbern bilden die Angelpunkte, um welche sich daselbst sämmtliche Interessen der Landbevölkerung drehen und die auch im Winter nicht aus dem Auge gelassen werden. Unmittelbar hinter den Wohnräumen, von denselben nur durch die zum Theil als Küche benutzte Hausflur getrennt, befinden sich die Stallungen, über welchen geräumige Böden die Lasten des würzigen Alpenheues bergen. Sorgsam werden diese Futtervorräthe gesammelt und aufbewahrt, denn von ihnen hängen die Erhaltung und das Gedeihen des werthvollen Viehstandes während der langen Wintermonate ab.
In diesem Vereintsein der Stallungen mit den Wohnräumen unter einem Dache des schmucken Gebirgshauses drückt sich die hohe Bedeutung aus, welche der Bergbauer seinen gehörnten Zöglingen beilegt. Er will das Vieh in seiner Nähe und unmittelbar unter seiner Aufsicht haben und hat sich schon aus diesem Grunde die Bauart seines Hauses so eingerichtet, daß er nur wenige Schritte zu gehen braucht, um von der Wohnstube in den Stall zu gelangen. Dieser ist für ihn überhaupt der wichtigste Bestandtheil des Gebäudes; daher baut er ihn auch bei Aufführung eines neuen Gehöftes zuerst fertig und geht erst nach Vollendung desselben an den Ausbau der Wohnräume. Der Stall ist auch im Winter vorzugsweise der Schauplatz seiner Thätigkeit, und er besucht denselben täglich mehrmals, um die Fütterung und das Melken des Viehes zu besorgen. In den Zwischenstunden hat er allerdings wenig zu thun und Zeit genug, einen Theil des Tages auf der sogenannten Gautsche, einem in der Nähe des Ofens befindlichen Sopha von höchst primitiver Form, in behaglichem Nichtsthun zu verbringen.
Die Wintermonate sind somit für den Gebirgsbauer eigentlich die Zeit der Ruhe, welche er größtentheils in einer Art von Winterschlaf zubringt. In seinem hölzernen Hause ist er wohlgeschützt gegen Wind, Kälte und Schneegestöber, denn das Holzhaus hält warm, und wenn es recht arg wettert und die Schneestürme an den Pfosten des Gebäudes rütteln, so verschließt er die Fenster mit den bemalten Holzläden und schiebt auch wohl in der Wohnstube ein weiteres Ladenpaar vor, welches sich auf Falzen aus dem Getäfel schieben läßt. Wintervorräthe, bestehend in Brod, Mehl, Kraut und Rauchfleisch, hat der Gebirgsbauer schon im Herbste gesammelt, und der mächtige, oft nahezu den vierten Theil der Wohnstube einnehmende Ofen verbreitet die behaglichste Wärme. Unter diesen Umständen kann er dem Winter in seiner reinlich gehaltenen, niedrigen Stube getrost entgegensehen. Hat er vielleicht einmal Langeweile – und das kommt beim Bauer ohnehin selten vor – so holt er ein Paquet vergilbter Karten aus der Lade, steckt sich eine frische Pfeife an und macht mit seinen Hausgenossen oder Nachbarn einige Spiele, oder wenn es gut geht, liest er im Kalender oder in einem Zeitungsblatte und studirt allenfalls auch noch in einem alten Flurplane. Eingeweihte versichern übrigens, daß die meisten Processe, welche der [118] Gebirgsbauer führt, in den langen Wintermonaten während seines Nichtsthuns ausgeklügelt werden.
Die häuslichen Beschäftigungen des Gebirgsbauern werden übrigens durch Arbeiten in den Wäldern, den Transport des Bergheues und die Besorgung des Milchverkaufes unterbrochen. Von hochgelegenen und mit wilden tiefen Schluchten durchzogenen Waldparcellen wird das im Sommer gefällte Holz meist im Winter abwärts geführt, da der Transport desselben in vielen Fällen wegen ungünstiger Terrainbeschaffenheit nur dann vorgenommen werden kann, wenn eine feste Schneedecke den Gebrauch von Schlitten gestattet. Im Sommer würden die schweren Holzfuhren und mehr noch das Abwärtsschleifen der Stämme über die steilen Bergwiesen den weichen Boden aufwühlen und die Holzbeförderung sehr erschweren. Das Bergheu, welches auf den steilsten, hochgelegenen Wiesen im Herbst gemäht und in kleinen Städeln, den sogenannten Schinten, die zu Tausenden im Hochgebirge zerstreut liegen, aufbewahrt wird, bringt man ebenfalls erst im Winter thalabwärts. Man bedient sich dabei kleiner Schlitten oder wendet noch häufiger das „Schalenkern“ an, eine originelle, allerdings nur den Bergsöhnen gefahrlos erscheinende Speditionsweise. Man bindet dabei das Heu zu großen, centnerschweren Ballen zusammen, verschnürt diese fest mit Stricken und reiht dieselben zu drei bis vier mit Seilen aneinander. Diese zusammengehängten Bündel bringt man an steile und tief gegen das Thal absteigende, schneebedeckte Bergblößen. Ein starker Ruck reicht hin, um die Ballen in sausenden Galopp zu versetzen; mit Windeseile gleiten dieselben über die glatte gefrorene Fläche, und hoch stieben die glänzenden Schneeflocken in die Luft; nach wenigen Secunden hat das eigenthümliche Fuhrwerk einen Weg von vielen tausend Fuß zurückgelegt. Will sich nun der Bergler einen besondern Spaß machen, so setzt er sich auf einen dieser Bündel und fährt mit ihm jauchzend in die Tiefe. Allerdings kommt es vor, daß durch Unebenheiten des Bodens oder unrichtige Vertheilung des Gewichtes der einzelnen Ballen der Schlittenfahrer plötzlich aus dem Sattel geworfen wird und dann über die steile Schneefläche mit größter Geschwindigkeit abwärts kollert. Wenn ihm dies passirt, so gewärtigt er übrigens nur, daß er von seinen Cameraden, die, hoch oben am Ausgangspunkt der Schlittenbahn stehend, seine Fahrt aufmerksam verfolgten, tüchtig ausgelacht wird.
Wie schon erwähnt, beschäftigt den Gebirgsbewohner, besonders im Allgäu, auch während des Winters der Verkauf von Milch und die Käseproduction. In den meisten Gebirgsdörfern bildet die „Sennkuchn“ das Centrum, in welchem alle Bestrebungen des Bauern zusammenlaufen. Dieselbe stellt gleichsam die Sennhütte des Thales vor. Wie man im Sommer hoch oben in der auf grüner Fläche gelegenen Alpenhütte die Milch, das Haupterträgniß der Viehzucht in den Bergen, in Käse und Butter verwandelt, so wird auch im Winter in der Sennküche die aus allen Stallungen des Dorfes zusammengetragene Milch zum größten Theil in dem riesigen kupfernen Kessel zu Käse verarbeitet, zum geringeren Theil im blanken Butterfasse zu Butter gerührt. Täglich zweimal zu bestimmten Stunden tragen junge Mädchen und Bursche die frischgemolkene Milch auf dem Rücken in blechernen oder hölzernen Butten zur Sennerei, und selbst von entfernteren Gehöften wandeln die jugendlichen Träger und Trägerinnen durch den tiefen Schnee zur Sennküche. Schon Morgens prasselt das Feuer lustig unter dem rußigen Kessel, der mit Ketten am mächtigen hölzernen Krahnen aufgehängt ist. Der Obersenn, dem die Leitung der Käserei obliegt, eine wichtige Persönlichkeit, ist sich seiner Würde und Bedeutung wohl bewußt. Mit Leichtigkeit wendet der starke Bergsohn die über einen Centner schweren Käslaibe, welchen er in Bezug auf Aufbewahrung, Einsalzen etc. die größte Sorgfalt zu Theil werden läßt. In seinem Reiche herrscht er mit unumschränkter Machtvollkommenheit, welche nur durch die von den klugen Gebirgsbauern mit ihm abgeschlossenen Verträge über seine Regentenpflichten einigermaßen eingeschränkt wird. Mit Vorliebe trägt er gleichsam als Zeichen seiner Herrscherwürde eine rothe fezartige Kappe mit langer Troddel auf dem mit kräftigem Vollbart umrahmten Kopfe. Unmittelbar unter seinen Befehlen stehen im Sommer Hirten, Melker und der Untersenn, welch Letzterer auch im Winter seinen Gehülfen bildet.
Wenn es während der Wintermonate in den einsamen Dörfchen auch sonst still und ruhig ist, so entwickelt sich doch immer in der Sennerei einiges Leben. Aus dem niedrigen Gebäude leuchtet der rothe Feuerschein auf die fest gefrorenen Schneeflächen; am Kessel hantiren hemdärmelig die kräftigen Gestalten der Sennen, und um das flackernde Feuer versammeln sich die Milchträger mit ihren Butten und verplaudern unter lustigen Scherzen manches Stündchen in dem rußigen, niedrigen Raume.
Mit den geschilderten Beschäftigungen ist übrigens das Leben und Treiben der Bergbewohner während des Winters noch nicht vollständig abgeschlossen. Es werden nämlich außerdem in vielen Gegenden des Hochgebirges auch verschiedene Arten von Hausindustrie gepflegt, wozu jedenfalls die Wintermonate, in welchen die Arbeiten im Freien größtenteils eingeschränkt werden müssen, Veranlassung gegeben haben. Im Allgäu wurde früher besonders lebhaft Leineweberei betrieben, und dieselbe bildete die Hauptbeschäftigung während der strengen Jahreszeit. Der Webstuhl schnurrte in jedem Hause, denn damals hatte dieser Industriezweig nahezu dieselbe Bedeutung, wie gegenwärtig die Käseproduction. Alljährlich wurden die gefertigten Gewebe zur Leinwandbeschau gebracht, mit welchem Namen man die Leinwandmärkte bezeichnete, die vorzugsweise in Immenstadt abgehalten wurden. Mit dem Emporblühen der Käserei gewann die Graswirthschaft mehr und mehr an Bedeutung, der Anbau von Flachs wurde aufgegeben und die Leineweberei eingestellt. Dafür rief die Käseproduction eine andere Winterbeschäftigung hervor, nämlich die Fertigung hölzerner Geräthschaften für die Sennerei. Aus dem weißen Holze der Bergtannen und dem festen, mit engen Jahresringen durchzogenen Holze des Gebirgsahorns schnitzte man besonders im Allgäuer Oberlande Butter- und Milchfässer, Milchkübel, Stotzen, in welchen die Milch zum Aufziehen des Rahmes im Keller aufbewahrt wird, Käseschueffen zum Abnehmen der Sahne, Melkstühle u. dgl.
Der weibliche Theil der Gebirgsbevölkerung beschäftigt sich im Allgäu, besonders aber in den Bergen des Bregenzerwaldes mit Weißstickerei. Die Stickerinnen, welche im Sommer vor dem schindelgepanzerten Gebirgshause unter schattigen Bäumen ihre Beschäftigung ausüben, sammeln sich im Winter in der gemüthlichen Wohnstube und kommen in Dörfern abwechselnd in dem einen oder anderen Hause in größerer Zahl zusammen um mit munterem Geplauder ihre Arbeit zu verkürzen. Tritt man in ein Bregenzerwälderhaus, so trifft man oft ein Dutzend Mädchen und Frauen in emsiger Thätigkeit vor ihrer Stickerei, welche über einen kreisrunden Rahmen, das Tambourin, gespannt und auf einem drehbaren senkrechten Stocke befestigt ist. Hier begegnet man jenen feingeschnittenen, von dichtgeflochtenen Zöpfen eingerahmten Gesichtern mit den meist dunkeln Augen, welche dem Typus der weiblichen Bevölkerung des reizenden Bregenzerwaldes eigen sind. (Siehe Abbildung in Nr. 12, Jahrgang 1872.) Die graciösen, jugendlichen mit schwarzen und enggefalteten Röcken bekleideten Gestalten der meist hübschen Arbeiterinnen beugen sich in anmuthiger Haltung über das weiße feine Linnen, flechten in dasselbe mit kunstfertiger Hand die schönsten Blumen und durchweben den Stoff mit Früchten und lieblichen Arabesken. Eine solche Stickgesellschaft in der getäfelten Stube, in welcher die Schwarzwälderuhr in braunem Holzkasten mit ihrem gemessenen Ticktack und das Gezwitscher einer Anzahl von Singvögeln das muntere Geplauder der Mädchen begleiten, gewährt ein Genrebild voll Alpenfrische und Originalität, zumal wenn durch die hellen kleinen Fensterscheiben die schneeglänzenden Berge leuchten. Die kunstgeübteren Stickerinnen oder eine mit Hornbrille bewaffnete würdige Matrone, die gröbere Muster ausführt, überwachen die jungen Anfängerinnen, welche als ersten Versuch kleine vereinzelte Blümchen in den weißen Stoff einzusticken haben. Die ersten Künstlerinnen im Fache der Weißstickerei, die besonders bedeutend im benachbarten Appenzellerlande getrieben wird, führen dagegen mit unverwüstlicher Geduld Stickereien aus, welche durch unendliche Zartheit die Bewunderung jedes Kenners herausfordern.
Wie wenige der Damen, die mit dem in feinster, durchwobener Arbeit ausgeführten Spitzenschmucke im strahlend erleuchteten Ballsaale glänzen, denken an die einfachen Stickerinnen, die vielleicht zur selben Stunde fern in den verschneiten Gebirgsdörfchen des Bregenzerwaldes und Appenzellerlandes beim Scheine [119] einer kleiner Lampe Tausende und Abertausende von Stichen ausführen, um die bevorzugten Schwestern in der Großstadt schmücken zu helfen.
Mit der Außenwelt steht der Mensch in den Bergen zur Winterszeit in geringem Verkehr. Doch ist dieser, die höchstgelegenen Orte und Einzelhöfe abgerechnet, nur zeitenweise ganz eingestellt. Schon im Spätherbste werden die zum Hauptdorf führenden Pfade mit aufgesteckten Stangen bezeichnet, welche hoch genug sind, um auch nach dem stärksten Schneefalle aus den Schneemassen hervorragen zu können. Auf den Hauptverbindungswegen in den Thälern wird zuweilen der Schnee ausgeschaufelt oder mit großen hölzernen Schneepflügen beseitigt, und zu diesen winterlichen Arbeiten vereinigen sich oft sämmtliche Bewohner einer Gemeinde. An Sonn- und Feiertagen wandeln die Bergler zur Kirche, und treffen sich dann in den Wirthschaften des Pfarrdorfes, um in denselben einige Stunden zuzubringen, gemeindliche Angelegenheiten zu besprechen u. dgl. Hier und da kommen auch wohl Jäger in die abgelegenen Winkel, um Alpenhasen und Füchsen nachzuspüren und kehren dann auch in den einsamen Gebirgshäusern ein, in denen sie sich nach frostiger Wanderung erwärmen. Kindstaufen und Hochzeiten geben auch im Winter willkommene Gelegenheit zu ländlichen Festen, wodurch ebenfalls einige Abwechselung in das einförmige Leben der Bergbewohner gebracht wird. Auch Gevatter Tod, welcher bekanntlich weder Sonnengluth, noch das wildeste Schneegestöber scheut, macht zuweilen seine Wanderungen in die Hochalpen und giebt hierdurch ihren Bewohnern Veranlassung, zusammenzukommen, um Leid und Trost bei der letzten Thalfahrt eines Dahingeschiedenen auszutauschen. Von allen Seiten steigen dann die schwarzbekleideten Gestalten auf den beeisten Bergpfaden von den beschneiten Höhen herunter und wandeln dem Pfarrdorfe zu, dessen Kirchthurm tief unten im Thale die niedrigen wetterbraunen Holzhäuser überragt. Es ist übrigens schon vorgekommen, daß haushohe Schneewälle den Transport und die Beerdigung der Leichen aus hochgelegenen Berghütten unmöglich machten, und in solchen Fällen werden dieselben in den oberen Räumen des Hauses bis zum Eintritte günstiger Witterungsverhältnisse aufbewahrt. Die schneidende Kälte, die monatelang in solchen unzugänglichen Bergwinkeln herrscht, schützt die Leichen vor Verwesung.
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Nicht blos das Leben der Bergbewohner im Winter bietet manche originelle Eigenthümlichkeiten dar, auch die Hochgebirgsnatur zeigt in ihrem Schneekleide interessante Seiten. Eine Wanderung in die Berge und in die stillen Hochthäler mitten im tiefsten Winter gewährt unstreitig hohen Genuß, der allerdings in der Regel mit nicht geringer Anstrengung erkauft werden muß. Da es dem freundlichen Leser keine besondere Mühe verursachen wird, im gemüthlich durchwärmten Zimmer zu sitzen und dabei im Geiste eine solche Winterfahrt mitzumachen, so dürfen wir es wagen, denselben hierzu einzuladen. Allerdings wird von allen Seiten von einer solchen Schneetour abgerathen. Haushoher Schnee, unübersteigliche Schneewehen, „Gehwinden“ wie der Allgäuer sagt, sollen die Wanderung und besonders den Aufstieg zum Schrofenpaß, der auf dem Wege der projectirten Route liegt, gefährlich machen. Doch der Himmel ist so blau und rein, und die Berge glänzen in so wunderbarer Pracht, daß der Lust, in den stillen Hochgebirgswinkel einzudringen, nicht widerstanden werden kann. Pfeilschnell fliegt der Schlitten auf festgefrorner Bahn von Oberstdorf zum Dörfchen Birgsau, jenem reizend gelegenen, im Sommer von Touristen zahlreich besuchten Orte, bei welchem der Blick auf die im südöstlichen Winkel des Rappenalpenthales majestätisch emporragenden Zacken der Mädelegabel sich öffnet. Neben ihr blickt der hohe Felskoloß des Wilden Mannes auf das steile Thal hernieder. Seine Felsstirne ziert ein schimmerndes Diadem von blendendem Schnee, und unwillig scheint er sein finsteres Haupt über das frevle Beginnen der kleinen Erdenmenschen zu schütteln, welche es auch im Winter nicht unterlassen können, in das Bergheiligthum einzudringen. Von Birgsau beginnt die Fußwanderung nach Einödsbach, um daselbst den als tüchtigen Bergführer und Kletterer bekannten „Moosrainer-Sepp“ zum Mitgehn zu bewegen; denn ohne Führer im Winter die Tour über den Schrofenpaß zu unternehmen, möchte wohl Keinem anzurathen sein.
Auf dem schmalen Pfade knirscht der festgefrorne Schnee unter den Füßen. Die scharfe Winterluft beschleunigt die Schritte; bald zeigen sich die wenigen Häuser des Weilers Einödsbach, des südlichst gelegenen Wohnorts im gesammten deutschen Reiche. Die blauen Rauchsäulen, welche senkrecht in die klare Luft emporsteigen, bezeichnen die Stellen, wo die an die äußersten von erhabenen Felsgipfeln gebildete Marken des großen Vaterlandes vorgeschobenen Herdstätten liegen. Moosrainer Sepp leistete der Aufforderung Folge, trotz der in Oberstdorf und Birgsau wiederholten Prophezeiung: „Es gaht koi Mensch üb’rn Schrofen“. Die nötigen Reise-Vorbereitungen waren bald getroffen und besonders wurde nicht vergessen, ein paar tüchtige Schneereife, ein unentbehrlicher Ausrüstungsgegenstand für Hochgebirgswanderungen im Winter, mitzunehmen. Die „Wobsbilder“, wie Sepp die weiblichen Bewohner seines Hauses nannte, sorgten auch noch für eine „Buttl ächten Enzioners“, jener Branntweinsorte, mit der man nach Behauptung des Berglers alle Uebel, Seuchen und Pestilenzen beschwören kann. – Hinter Einödsbach endete bald jegliche Pfadspur, und die Schneemassen mehrten sich in dem Maße, als man in dem engen Rappenalpenthale aufwärtsstieg. Das im Sommer von Heerdengeläute und den Jodlern der Sennen belebte Thal ist nunmehr höchst einsam und still. Die ernsten weißen Berggestalten scheinen noch feierlicher und mächtiger auf das unbewohnte Thal niederzublicken. Da, wo sonst kleine Wasserfälle rauschten, hängen starre Eismassen und groteske Eiszapfen, und die dunklen Tannen beugen ihre Aeste unter schweren Schneelasten zur Erde.
Die Darstellung der Schwierigkeiten der Wanderung über den stellenweise erweichten Schnee, aus dem kaum mehr die Firste [135] der Heustädel ragen, und des Aufstieges zu dem fünftausendzweihundertsechsundzwanzig Fuß hohen Schrofenpasse werden die Leser um so weniger vermissen, als heut zu Tage kühne Gipfelstürmer ohnehin mit zahlreichen Schilderungen von Berg- und Gletscherfahrten die Menschheit beglücken; doch kann das Geständniß nicht unterdrückt werden, daß, wenn nicht Sepp mit seiner Bärenkraft über zahlreiche wilde Schneewehen und höchst fatale Stellen hinweggeholfen hätte, die Schlußhälfte dieses Aufsatzes buchstäblich im Schnee stecken geblieben wäre. Nach vielen Mühen rückten endlich die gewaltigen Wände des Biberkopfes näher, nach und nach verschwanden auch die höchst gelegenen Zeugen alpiner Baumvegetation, und nur hier und da ragten noch einzelne Wettertannen aus dem Schnee hervor. Diese gewähren einen eigenthümlichen Anblick durch die hohen Schneewälle, welche sich am Stamme anlehnen und diesen so wie die unteren Aeste gleichsam vor den rauhen Winterstürmen schützen. Die aus dem Schnee hervorragende obere Hälfte ist bis an die äußersten Spitzen der Tannennadeln mit schimmernden Schneekrystallen behangen, die im Sonnenscheine die prachtvollsten Lichteffecte und Farbenspiele zeigen. Wem fällt beim Anblicke einer solchen silberweißen, halb im Schnee vergrabenen, wetterfesten Tanne nicht der Vers Heine’s ein:
Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh!
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.
Der Anblick der Berge im Winter von solchen Höhen ist ein unvergleichlicher. Mit ungemein klaren Contouren ragen die majestätischen Felsgipfel in die Luft und werfen tiefblaue Schatten in die verschneiten Schluchten und Thäler. Ringsum glitzern und funkeln auf dem Schnee Millionen von Sternen, die bei jedem Schritte mit wechselndem Lichtgefunkel aufleuchten. Ueber den Rand der Felshänge, die im Herbste vom Rosenschein der untergehenden Sonne erglühen und an denen sonst die purpurne Alpenrose leuchtet, ragen weit hinaus hartgefrorne Schneewände, in denen Wind und Sonne die bizarrsten Figuren geformt haben. Von der Paßhöhe fällt der Blick auf die mächtigen Berge des obersten Lechgebietes. Der kleine Kirchthurm von Warth ragt mit den wenigen Häusern des Dörfchens aus der mit hohem Schnee bedeckten jenseitigen Bergterrasse unmerklich hervor, und tief zu Füßen des Beschauers bezeichnen emporsteigende bläuliche Rauchwölkchen die Lage des einsamen Weilers Lechleiten. Schnee, nichts als Schnee erblickt das Auge und die Stille der ganzen Natur erhöht den Ernst der Landschaft. Würde nicht die Sonne so schön leuchten und das Blau des Himmels lächeln, man könnte sagen: hier sieht es traurig aus.
In Lechleiten erregte die Ankunft der „Städtler“ das unverhohlene Erstaunen nicht blos des Wirthes, der sich ob dieses unverhofften Besuches sogar entschloß, für einige Minuten die qualmende Tabakspfeife aus dem Munde zu nehmen, um die mit weißem Reife dicht überzogenen Ankömmlinge besser anstaunen zu können, sondern auch aller Anwesenden in der Wirthsstube. Diese war nämlich gedrängt voll und ein dichter Tabaksrauch erfüllte den niedrigen Raum, in welchem die Gluthhitze eines Backofens herrschte. Ein Dutzend Bursche und Mädchen gaben sich Sonntags-Vergnügungen hin und tanzten auf dem beschränkten Platze, welchen der ungeheure gemauerte Ofen und drei bis vier rohgezimmerte Holztische frei ließen. Die Tänzer stampften mit wahrhaft bewunderungswürdiger Ausdauer mit den schweren nägelbeschlagenen Bergschuhen auf den Dielen und schwenkten bei dem Klange einer Cither ihre Mädchen wirbelnd im Kreise, so daß die Fensterscheiben der Stube erzitterten. Die Bauern des Dorfes saßen, unbekümmert um den Höllenspectakel, eng aneinander gedrängt mit Pelzkappen oder spitzen Hüten auf dem Kopfe um die schweren Tische und sprachen dem „Tiroler“ fleißig zu. Sie unterhielten sich einsilbig und richteten ihr Hauptaugenmerk auf ihre dampfenden Pfeifen, die, mit österreichischem Knaster gefüllt, gerade nicht das feinste Parfüm in der Wirthsstube verbreiteten. Ab und zu trugen der Wirth und die Wirthin, ein knochiges Mannweib, deren ungeschlachte Gestalt auf die Prädicate graziös und zart gewiß keinen Anspruch machte, die „Seidel“ und „Halben“.
Der gräuliche Spectakel, welcher die dumpfe Wirtsstube erfüllte, wurde plötzlich noch vermehrt, als der Kraxen-Michel eintrat und sich bei der Unterhaltung betheiligte. Dieser, seines Gewerbes ein Maurer, der im Sommer sein Geschäft in den hoch gelegenen Orten des Lechgebietes ausübt, im Winter dagegen seinen Verdienst verjubelt, war eine Art von Dorfdemokrat, wie aus seinen lärmenden Aeußerungen hervorging. Mit herausfordernden Mienen zog er seinen Geldbeutel und ließ dem Spielmann eine Halbe kommen, damit dieser einen Extratanz für ihn aufspiele. Dabei betheuerte er hoch und theuer, kein Mensch hätte ihm etwas einzureden, wenn er auch sein ganzes Geld vertrinke, er habe es im Sommer verdient und die reichen Bauern – dabei warf er einen zweiten herausfordernden Blick auf die an dem Tische sitzenden Dorfaristokraten – hätten ihm noch nie etwas zu schenken gebraucht. Mit einem Zuge leerte er hierauf ein Glas, bestellte eine frische Halbe und tanzte wie toll nach dem Tacte des lustig klingenden Ländlers, den der alte Citherspieler anschlug, in der Stube herum. Da er in seinem stolzen Selbstbewußsein keine der Tänzerinnen beachtete, so machte er sich das Privatvergnügen, allein herumzuhüpfen, die verwegensten Capriolen auszuführen, dabei die wunderlichsten Gesichter zu schneiden und die Gäste mit Jauchzen und Schnaderhüpfeln zu vergnügen.
Diese Sonntags-Belustigungen dauerten bis spät in die Nacht. Kraxen-Michel wurde zum Schlusse von den Burschen an die Luft gesetzt und schimpfte noch weidlich auf die Reichen und die ganze Dorfschaft. Nach und nach verließen auch die Zecher die Schenke. Allmählich wurde es ruhiger im Wirthshause und die Tanzpaare eilten über die vom Monde beleuchteten beschneiten Pfade. So endete ein Sonntagsball in Lechleiten.
Lechleiten gehört mit Warth, Hochkrummbach, Zürs, Bürselegg, Zug und Anger zu den höchstgelegenen Orten von Vorarlberg und Westtirol und zu dem Bergbezirke, der mit dem Namen Thamberg bezeichnet wird. Dieses Bergland liegt im rauhesten Gebiete der Lechthaler- und Vorarlberger Alpen. Die ungewöhnlich hohe Lage über der Meeresfläche (Hochkrummbach liegt fünftausendzweihundertzweiundsiebzig, Bürselegg fünftausendzweihundertzweiundachtzig Fuß hoch) bedingt ungemein strenge, schneereiche Winter, und besonders Hochkrummbach ist in dieser Beziehung berüchtigt. Der Schnee liegt oft mehr als zwanzig Fuß hoch auf dem öden Plateau, über welches sich die ärmlichen Häuser des Dörfchens zerstreuen. Da die Höhenlage und die rauhen Winde jegliche Baumvegetation unterdrücken, so müssen die Einwohner die Holzvorräthe für den Winter während der bessern Jahreszeit von tiefern Lagen herauftransportiren, und traurig genug ist es, wenn bei ungewöhnlich lang dauerndem strengem Winter das gesammelte Holz zu früh zu Ende geht und starker Schneefall den Verkehr mit den nächst gelegenen Orten unterbrochen hat. In einem solchen Winter soll sich der Pfarrer des Ortes nur dadurch vor dem Erfrieren gerettet haben, daß er, als sein Holzvorrath verbraucht war, Betstühle und zuletzt die hölzernen Heiligen des Kirchleins zum Einheizen benutzte. Der ehrwürdige St. Petrus und die übrigen Apostel mußten den Feuertod erleiden und sollen im mächtigen Ofen des Seelenhirten gar gräulich geprasselt haben. In solchen strengen Wintern, die in ähnlicher Weise auch im Orte Balderschwang, dem sogenannten baierischen Sibirien vorkommen, werden unter dem haushohen Schnee förmliche Tunnel ausgeschaufelt, welche den nothdürftigsten Verkehr zwischen den einzelnen Häusern des Ortes vermitteln. Uebrigens ziehen die meisten Bewohner im Herbste von Hochkrummbach nach Warth, da hier das Klima etwas milder ist. Welchen Begriff von mildem Klima man in diesen Gegenden hat, möchte aus der Höhenlage von Warth, die nicht weniger als viertausendsechshundert Fuß beträgt, hervorgehen.
Von einer Wanderung nach Hochkrummbach wurde um so mehr abgesehen, als nach glücklich vollbrachter Uebersteigung des Schrofenpasses die Sehnsucht nach wirthlicheren Gegenden erwachte. Moosrainer-Sepp machte noch bis Anger, dem Hauptorte des ganzen Hochlandes, den getreuen Begleiter. Von da besserte sich der Weg einigermaßen, indem der Pfad von genanntem Orte nach Stuben häufiger begangen und daher auch mehr ausgetreten wird.
Auf dem Flexenjoche zwischen Zürs und Stuben kam eine Anzahl von Bauern mit Schaufeln bewaffnet den Berg herauf; unter der rasch dahin schreitenden Schaar befanden sich [136] auch ein paar Gebirgsschöne, die gleich ihren männlichen Begleitern aus mächtigen Pfeifen rauchten, denn es gehört beim zarten Geschlechte dieses rauhen Hochlandes zur allgemeinen Sitte, den ganzen Tag dieser Passion nachzuhängen. Wie in Stuben, dem obersten Orte des Klosterthales, zu hören war, kam die Schaar eben vom Arlberge herunter, wo auf der Höhe bei St. Christoph, dem höchst gelegenen Kirchlein der österreichischen Monarchie, der Postschlitten im Schnee stecken geblieben war. Die Bewohner der umliegenden Orte eilten daher zur Freimachung der Straßenbahn mit Schaufeln und Schneepflügen herbei. Schon sechs Tage lang war die Postverbindung unterbrochen. Passagiere, Postillon und Pferde mußten im Hospiz von St. Christoph untergebracht werden, und erst nach angestrengtester Arbeit gelang es, die Straße prakticabel zu machen. Gegen hundert Personen arbeiteten im Schnee auf den Höhen des Arlbergs, und der mit zwanzig Pferden bespannte große Schneepflug wurde durch die hoch aufgehäuften Schneewälle gezogen. Im Posthause zu Stuben herrschte in Folge dieses Zwischenfalls das regste Leben; die schmucken Wirthstöchter hatten vollauf zu thun, den Hunger und Durst der vom Arlberge zurückgekommenen Schneearbeiter zu befriedigen, und im Herrenzimmer erholten sich die eben angekommenen vom unfreiwilligen Aufenthalte auf den Höhen von St. Christoph erlösten Passagiere und Conducteure an den Erzeugnissen der Postküche.
Der Postillon blies zum Aufbruche. Alles stieg ein, und die lustigen Klänge des Posthorns verkündeten laut, daß die Verbindung wieder hergestellt sei. Rasch eilte der mit vier Pferden bespannte Schlitten abwärts gegen Bludenz.
Das links an der Straße aus dem Schnee hervorragende Vermessungssignal, welches den Ausgang des projectirten großen Tunnels durch den Arlberg bezeichnete, lenkte den Blick in die Zukunft, wo das geflügelte Dampfroß auf Tausende von Fuß langen Strecken durch den Berg brausen wird, und in durchwärmten Waggons die Reisenden die Tunnelfahrt verschlafen können, während hoch oben das Kirchlein von St. Christoph und der verödete Arlberger Paß unter Eis und Schnee begraben liegen.
Die Eisenbahn führt von Bludenz in wenigen Stunden an die Spiegelfläche des Bodensees. An seinen schönen milden Ufern reihen sich freundliche Landhäuser, Villen und Schlösser aneinander. Die Weinberge sind in lichtes Weiß gekleidet; auf der spiegelnden Eisfläche der freundlichen Inselstadt tummeln sich muntere Schlittschuhfahrer, und von den Lippen gewandter Eisläuferinnen hört man wohl auch den Ausruf: wie schön sie doch sind, die silberglänzenden Berge und die eisumstarrten Gipfel des Hochgebirges im Winter, die fern im Hintergrunde hoch über den blauen Fluthen emporsteigen! –