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Zedler:Teutsche Rechts-Verbesserung

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Teutsche Rechts-Stühle

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Teutsche Redekunst

Band: 43 (1745), Spalte: 93–117. (Scan)

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Teutsche Rechts-Verbesserung oder Verbesserung des Teutschen Justitz Wesens, und derer darzu gehörigen Rechts Sachen, ist zwar an und vor sich selbst eine so nöthige und zu wünschende, als im Gegentheile, wegen der gar zu grossen Menge derer Teutschen Rechte und Gesetze, und anderer Hindernisse, wo nicht gantz und gar unmögliche, doch auch gewiß sehr schwere, und nicht so leicht zu bewürckende Sache. Es haben zwar auch schon unterschiedene gelehrte und wackere Männer darzu mancherley Vorschläge [94] gethan, wovon jedoch zur Zeit noch keiner bewürcket worden. Die Sache etwas deutlicher zu machen; so wollen wir gegenwärtig nur des ehemahligen Cantzlers zu Halle Johann Peters von Ludewig Gedancken hiervon beyfügen, welche er in seinen Gel. Häll. Anz. vom Jahre 1734. Num. CXL.-CXLV. p.792.u.ff.[1] bey Gelegenheit einer Königlich-Preußischen Veranstaltung, zweiffelhafften Rechts-Fragen durch besondere Satzungen abzuhelffen vom 21 Sept. 1733 einfliessen lassen. Dessen eigene Worte lauten daselbst folgender massen:

„Es ist in dem vorigen CLXXXV Stück der Königl. Befehl bekannt gemacht worden, daß die Rechts- und Gerichts-Collegien, zweiffelhaffte Rechtsfragen und Casus zu dem Ende einschicken solten, um solchen durch eine Satzung ein Ende zu machen. Und im CLXXXVII Stücke ist davon eine Probe, in scheda, testamento adjecta, und im CLXXXVIII Stücke in substitutione pupillari super legitima parentum, gemacht worden. Da wir nun im CLXXXVI Stücke § 5. p.770. die Hoffnung gegeben, von Verbesserung und Kürtzung der Gerichts-Händel im Teutschen Reiche anderer und unsere eigene Meynung zu sagen; so wollen wir auch dieselbe einiger Massen erfüllen. So viel diese offt gesuchte, aber niemahls bewürckte, Sache betrifft: Wie denen vielen und langwierigen Gerichts-Händeln und Processen im Teutschen Reiche leichter abgeholffen und das Justitz-Wesen verbessert werden möge? so sind verschiedene Leute ihrer Leidenschafft und Erkenntniß oder Unwissenheit nach, auf gar verschiedene Mittel gefallen, davon wir die vornehmsten, mit unserm Urtheil davon, ob solche nützlich, vergeblich, oder schädlich? in unsere Anzeigen bringen wollen.

Anfangs I) Wagen sich die Philosophen, oder so genannte Weltweise, in diesen Streit. Sie meynen, das Corpus Juris, oder unser Römisches Gesetz-Buch, müste man in einen vernünfftigen Zusammenhang oder in formam artis bringen; Julius Cäsar hätte solches nicht weniger, als Cicero, gewünschet und vorgehabt, solches selbsten zu bewürcken. Denn hierdurch hätten die Gesetze einen Zusammenhang, und flössen aus gewissen Gründen; da hingegen bis dahin jeder nach seinem eigenem Wahn etwas vor recht oder unrecht ausgeschrieben. Allein Anfangs ist hieselbst nicht von dem Rechte der Natur, Vernunfft, oder Gehirn, die Frage; sondern von den Satzungen desjenigen, welcher die Macht hat, Gesetze zu machen, und die Handlungen der Menschen für recht oder unrecht zu erklären. Z. E. wenn gefragt wird, ob des verstorbenen Bruder mit des Bruders Sohn erben, und in seines verstorbenen Vaters Recht, Vorstellungsweise, treten, oder der erste den andern ausschliessen solle? was solle dich dein Vernunfft-Schluß helffen? wenn der Gesetzgeber das erstere oder das andere beliebet. Und wenn auch das erstere eingeführet; wird es dich wohl helffen, wenn du, aus gleichen Ursachen, das Vorstellungs-Recht oder Jus repraesentationis auf Bruders Kindes-Kinder ausziehen woltest? da solches die Gesetze nicht zulassen. Nachgehends heist in [95] formam artis redigere, in kunstmäßiger Ordnung vortragen. Würde es also darauf ankommen: ob ein Gerücht einen bessern Geschmack hätte, wenn es in silbernen, oder nur in zinnernen Gefässen Figurweise aufgetragen würde? Endlich haben J. Cäsar und Cicero zu einer Zeit gelebt, da die Gesetze in keinem Buche, welches in Materien und Titel ordentlich eingetheilet, zusammen getragen gewesen, als nachhero in dem Edicto perpetuo, und denen darnach eingeichteten Pandectis, geschehen. Und da letztens J. Cäsar die Gesetze vor Räthsel gehalten, die der Kayser allein machen und auflösen könne; im Gegentheil Cicero auf die Freyheit des Volcks sein Absehen gerichtet: so dürffte wohl beyder ihr Corpus Juris sehr intereßirt und eigensinnig herausgekommen seyn. Was die neuern Philosophen, Leibnitz, und vor ihm Vigelius, Hopperus, Faber, Freigius, Felden, vor Aufheben de nova methodo juris gemacht; solches verdienet eben die obige Antwort. Es sind diese, an sich gute Leute, den Formschnitzern, oder denjenigen gleich, die sich nicht um die Speisen, sondern nur um die Schüsseln und die Ordnung bekümmern, in welcher dieselben auf den Tisch gesetzt und rangiret werden sollen. Und wie davon niemand satt wird; so ist auch leichtlich zu erachten, daß mit dieser Weltweisen ihrer Kunst niemand einen Proceß gewinnen werde. Welches doch der Gesetzmäßigen Rechtsgelahrheit eigener Zweck ist. Es lauffen auch die Großsprechereyen de methodo & demonstratione mathematica auf eitele Windfänge hinaus: Weil des Aristotelis seine ausbündige Analytica der Hülffe des Euclidis gar nicht vonnöthen hat; Insgemein auch die Rechtsgelehrten, nicht in Vernunfft-Schlüssen aus denen Gesetzen, sondern vornehmlich in der Einsicht und rechtem Verstande derselben, zu verfehlen pflegen. Ich verwerffe und wiederrathe die Philosophie gar nicht, weil ich selber ehedem Professor Logices und Metaphysices gewesen, und mich beflissen habe, alles, was in diesen Wissenschafften in alten, mittlern, und den neuesten Zeiten damahls herauskommen, zu lesen.

Nur die Scharletanerie eines neulichen Juristen, der die Frage: Von Verzicht der Adelichen Töchter bey der Fränckischen Ritterschafft, methodo-mathematica, ausmachen wollen, kommet sehr stumpf heraus: Weil der gute Mann solche Principia zum Grunde, setzt, und sich viel weiß, daß er unartige Schlüsse daraus zu machen wisse.

Andere wünschen: II) Daß alle menschliche Gesetze aufgehoben und die Handlungen der Menschen allein nach der gesunden Vernunfft und dem sogenannten Rechte der Natur beurtheilet werden möchten. Allein nicht zu gedencken, daß unser Römisches Gesetz-Buch in dem Absehen von Grotio Ratio scripta genennet wird, weil sich unter tausend Gesetzen wenige finden werden, die nicht nach Vernunfft und Billigkeit abgefaßt; so ist im Gegentheil mehr als zu bekannt, daß selbsten unter den Naturalisten mehr Streitens und Gegensprechens, als unter den Rechtsgelehrten irgend seyn mag. Jeder Mensch redet; aber deswegen wird die [96] Kunst der Wohlredenheit nicht verworffen. Jeder Mensch kan schlagen, hauen, stechen; aber deswegen wird der Fechtboden nicht geschlossen. Und wer wolte die Baukunst deswegen verwerffen, weil die ersten Menschen ihre Hütten ohne Werckleute gebauet? Und da im Teutschen Reiche eben deswegen das geschriebene Römische Gesetz-Buch angenommen worden, weil man das Recht der Natur vor wächsern und schlüpfrich gehalten; das Maaß des Richterlichen Gehirnes aber offt seltzam und ungeschliffen heraus kommen: so wird niemand, dem der elende Zustand der ehemahligen teutschen Gerichts-Stühle bekannt, sich nach dieser Egyptischen Finsterniß wieder gelüsten lassen. Vielmehr haben es die Lehrer auf hohen Schulen zu verantworten, wenn sie der vornehmen Jugend mit diesem Hirn-Gewebe das allgemeine Recht des Teutschen Reichs zu verleiden suchen. Welche Verführung das Ende hat, daß ein solcher naturalisirter Jurist unfähig wird, einem wichtigem Amte in seinem Vaterlande vorzustehen.

Wieder andere verfallen mit dem Reinking III) in seiner Biblischen Policey auf die Jüdische Gesetze des Alten Testaments, wie auch der reinen Sitten Lehre unsers Heylandes und sind der Meynung, daß die Urthel und Abschiede die besten seyn würden; wenn solche nach dem Maaß der Heiligen Schrifft ausgesprochen wären. Allein wie niemand Herrschafften, Königreiche und Monarchien, deswegen für ungerecht halten wird, weil GOtt seinem Volcke im Zorn einen König nachgelassen: also fliesset hieraus der Schluß, daß die so genannte Mosaische Gesetze nach den Umständen des Jüdischen Volcks eingerichtet gewesen, wovon andere Völcker und Staaten keine Richtschnur zu nehmen haben. Wir verlachen billig die heutigen Jüden, daß sie in den kalten Ländern kein Schweinefleisch essen, weil ihre Vorfahren in dem heissen Ländern davon den Aussatz bekommen. Und da aus eben dieser Ursache alles, was ersticket und Blut in dem Adern behalten, von geflügelten und andern Thieren in die Fäulniß getreten; so war auch nöthig, sich vom Erstickten zu enthalten, und dem geschlachteten Vieh das Blut abzuschlachten. Da hingegen in den kalten Ländern aus dem aufgefangenen Blut niedliche und nahrhaffte Speisen und Würste gemacht werden. Weil wir nun so viele Rechtsgelehrte haben, die unsere Gesetze aus den Mosaischen erläutern und zusammen zwingen wollen; so wäre vielleicht die Arbeit nützlicher, wenn andere bemühet wäre, dieses zu zeigen, wie unfüglich und ungereimt dieselbe auf unsern Staat gerichtet würden.

Noch andere beziehen sich IV) auf die uns benachbarte und verbrüderte Völcker und Königreiche, Schweden, Dännemarck, Engelland u.d.g. wo die Gerichts-Händel kürtzlich und in so vielen Tagen abgethan würden, als man im Teutschen Reiche darzu Jahre gebrauchte. Und es ist auch wahr, daß diesen Königreichen als ein Abentheuer und Räthsel vorkommt, daß in den höchsten Reichs-Gerichten Processe zu finden, welche nicht Ein, sondern einige Jahrhundert gedauert, und noch nicht ausgemachet seyn. [97] Darüber auch zwey und mehr spännige Fuder Papier verschrieben worden. Wovon man nur die Nürnbergische Fraisch- und Zoll-Acten zum Exempel anführen mag, worüber allein die Stadt schon vor zweyhundert Jahren zehen gantzer Folianten drucken lassen; Nach der Zeit auch die gerichtliche Sätze in zwey und mehr Rieß Pappiere aufgeschwellet worden. In welcher Pferd-Arbeit ich im Jahre 1715 gestecket. Nur an dergleichen Ungeheuer sind nicht so wohl die jura, als facta, schuld, welche in viele Jahrhunderte hineinlauffen und verwirret aussehen. Nachgehends läßt die Freyheit des Teutschen Reichs nicht zu, daß der Richter, ohne Acten instruirt zu sehen, durchfahre. Und ist wohl den Partheyen auch damit nicht gedienet, wenn der Knothen nicht durchs Recht aufgelöset, sondern durch Gewalt des Richters durchschnitten wird. Sat cito, si sat bene. Und es ist genug, wenn Recht auch nur endlich recht bleibet.

Im übrigen ist und bleibet dieses gewiß, daß, wie wir durch der drey gleichbesagten Völcker ihre Sprache und Alterthümer die unsrige erläutern, also auch Dero Gesetze und Rechte den unsrigen mächtig zu Hülffe kommen. Und habe ich die Probe in meinen Differentiis Juris Romani & Germanici vielfältig gemachet, und unsern Teutschen Satzungen und Herkommen aus den Englischen und Schwedischen Gesetz-Büchern und Schrifftgelehrten, dem Littleron, Cock; Crage, Zovtiae; Cowell, wie auch Stiernhoecken, Lund, Verelius, Mejenius, Loccenius, u.a. zu rechte geholffen.

Viele sind auch V. welche die Einführung des Römischen Rechts für eine Land-Plage ausschreyen, und dannenhero wünschen, daß Justinianus M. mit seinem Corpore Juris aus seinem Vaterlande wiederum auf ewig verwiesen würde. Allein, daß dieser Eyfer mit Unverstand geschehe, solches ist aus dem Zustande der Rechtlosen Zeiten in Teutschland leicht zu erweisen. Denn weil die wenigste Handlungen durch Gesetze entschieden gewesen, diejenige auch, die Rechtsprechen sollen, verfinsterte Sinne hatten, und aus der Faust ein Recht machten; so erstaunet ja jeder vernünfftiger vor dem Rechtssteig mittler Zeiten. Denn fiel eine Streitigkeit vor; so stunden jedem drey Wege offen, solche auszumachen: Entweder durch Schieds-Leute, und einen Obermann, oder durch einen gewaltsamen Anfall, welches man das Faust-Recht nennete, oder durch den Spruch des Richters und Schöpfen. Und wie diese letztere zwar ehrliche Biderleute waren, aber ihren Verstand durch keine Wissenschafften geläutert hatten; so wurden sie öffters mit sich und unter sich irre, und verwiesen die Partheyen selbst auf Feuer- und Wasserproben, sich entweder brennen oder schwemmen zu lassen, und damit, daß dieser oder jener Recht habe, zu erweisen: Gleich den unwissenden Heyden, welche, wenn sie in ihren Rechts-Händeln kein Urthel finden können, ihre Oracul und Oelgötzen gefragt, und darinnen meistens eine zweifelhaffte Antwort erhalten. Die der Richter nach seinem Gutdüncken drehen und auslegen mögen. Und ausser dem würde der Jammer im Teutschen Reiche deswegen noch [98] grösser seyn, weil in solchem, nebst den vielen Gerichts-Herren, so viele Fürsten und Landes-Herren sich befinden, deren ihre Urthel allerhand Leidenschafften unterworffen seyn dürfften, wenn die Vollständigkeit des angenommenen Römischen Rechts selbige nicht zurück halten solte. Ich habe nicht ohne Grund, wenn man in Teutschland das Römische Corpus Juris abschaffen wolte, darüber das κύριε έλέησον! ausgeruffen, denn wehe! alsdenn unserm armen Vaterlande, wenn alle Fürsten, und mit Gerichten versehene Stände, in den Urtheln ihrem Eigensinn folgen dürfften. Wiewohl aber ist den Unterthanen anjetzo dabey, wenn die Antwort des Fürsten also abgefaßt, es wäre keine Gnaden-Sache, sondern eine Rechts-Sache, welcher letztern man ihren Lauf billig zu lassen hätte. Und wo ist ein Gesetz-Buch in der Welt zu finden, welches mit dem Römischen nur in einen Vergleich zusetzen? Ohngeachtet auch Kayser Friedrich der V. solches im Teutschen Reiche vorgehabt, daß die Römischen Gesetze todt und abe seyn solten, zu der Zeit nehmlich, als dieselbe von den Schulen sich in die Gerichts-Häuser in Teutschland eingeschlichen; so haben doch die nachherigen Kayser einen gantz andern Begriff von Beschaffenheit der Sache gehabt, daß dessen Sohn Maximilianus der I. vielmehr auf öffentlichen Reichs-Tage zu Worms 1494, mit Genehmhaltung aller Stände, das Römische Gesetz-Buch im Teutschen Reiche als ein Hülffs-Recht angenommen, wornach die höchste Reichs-Gerichte, wenn in dem Land-Rechten davon nichts enthalten, ihre Abschiede und Urtheile schlechterdings einrichten sollen. Als wobey es auch von solcher Zeit unverrücket geblieben, und so lange noch ferner verbleiben wird, als Teutschland Weißheit und seine Freyheit liebet, und nicht wünschet, in den Eigensinn ihrer Obern oder das alte Faust-Recht wiederum zu verfallen. So wenig als sich die Teutsche, von ihren niedlichen Speisen, nach den ehemahligen Feld-Wurtzeln und Kräutern sehnen werden; Oder auch die Teutsche Armeen, für ihr kostbares und dienliches Gewehr, die Klippel, mit welchen ihre Vorfahren zu Felde gezogen, wiederum in die Hände zu nehmen, sich entschliessen solten.

Nun folget die VI. Gattung dererjenigen, welche dafür halten, daß der Gesetze so viel wären, deren Anzahl man zu vermindern und einzuziehen, suchen müste. Es ist wahr, daß die Mosaischen Gesetze kurtz gefasset; es findet sich auch sonst kein Volck unter der Sonnen, welches ein so weitläufftiges Gesetz-Buch vorzuweisen, als wir an dem Römischen Corpore Juris haben; es hat auch dieses seine Richtigkeit, daß solches nicht eine geringe Verwirrung in den Römischen Rechten anrichte, weil in einem Gesetze öffters zehen und mehrerley Gesetze enthalten, die dem Haupt-Gesetze zur Erläuterung, oder sonsten Exempelweise, beygefüget worden. Bey welchen Umständen denn die Anzahl derselben in hundert tausenderley Satzungen anliefe, deren Zusammenhaltung keines Menschen Gedächtniß bewürcken könnte. Dahero die alten schon die Römische Gesetz-Lehre nicht etwa nur vor eine Pferde-Arbeit, sondern vor eine Camel- oder [99] Elephanten-Last ausgeruffen; wie hingegen anderer Völcker, der Athenienser, Lacedämonier, oder auch der Chineser, Mahumedaner ihre Summa, der Juden ihre Gesetz-Bücher, kaum so viele Zeilen ausmachten, als die Römische Bogen und Bücher Papiere anfülleten und vor Justiniano noch mehr angefüllet hätten.

Moses hätte auf zwey Schiefer-Tafeln, die ersten Römischen Gesetz-Schreiber auf XII Tafeln, ihre Gesetze gebracht, aber nun würden tausend Camel- und Elephanten-Häute nicht zureichen, das Römische Corpus Juris, und deren Ausleger darauf zu bringen. Allein gleichwie die Umstände unendlich sind, welche bey der Menschen ihren Handlungen vorkommen, und dieselben in Rechts-Sprüchen ändern, oder zweiffelhafftig machen: also ist eben bey einem Gesetz-Buche kein Fehler, wenn dasselbe auf viele zweiffelhaffte Fälle gerichtet ist. Wo wenige Gesetze seyn, da hat der Richter mehrere Gewalt im Sprechen, und stehet das Recht der armen Partheyen in seinen, öffters geschmierten, oder unrichtigen und besudelten, Händen.

Welches in dem höchsten Reichs-Cammer-Gerichte, zu verhüten der Kayser und die Stände auf dem Reichs-Tage zu Worms 1494 den Schluß gefasset, das Römische Gesetz-Buch, seiner Vollständigkeit halben, im Teutschen Reiche zu Hülffe zu nehmen, und einzuführen, damit die Beysitzer dieses Gerichts nicht ihrem Dünckel und Einfällen folgen, sondern, bey Entstehung eines Teutschen Land-Rechts, nach der Richtschnur der Römischen Gesetze, sprechen, und ausser diesen Schrancken sich nicht verlauffen möchten. Denn erst von solcher Zeit an wurden die Teutsche Gerichts-Stühle auf das Corpus Juris gewiesen, von demselben im Richten und Urthel sprechen nicht abzuweichen, mithin ihre Vernunfft, Wissenschafft, Leidenschafft, gefangen zu nehmen, und unter dessen Gehorsam zusetzen, dabey aber nicht eben nöthig, alle dessen Buchstaben im Gehirn zu tragen: Denn deswegen wird dem Richter und Advocaten solches in den Händen gelassen, bey vorfallenden Händeln dasselbe aufzuschlagen, und sich daraus Raths zu erholen. Im übrigen, bey diesem Einwurffe, sich auf anderer Völcker ihre magere Gesetz-Bücher zu beziehen, solches nichts heissen will, weil das Römische Gesetz-Buch, eben seiner Vollständigkeit halben, und daß es nicht, wie andere, aus dem Kopffe und den Einfällen eines Philosophen oder Schulmannes geflossen, sondern von den Richtern und Sachwaltern, aus langer Erfahrung, von so viel hundert Jahren, zusammengebracht worden, wie Tullius in Lib. I. de orator ad Q. Frater. I. 17. schon zu seiner Zeit mit Fug und Recht gesagt.

Gegen dem Römischen Recht sehen andere Gesetz-Bücher, wie Träume müßiger Leute und ein Schatten aus, der nicht in Würcklichkeit, sondern einem blossen Schein, von Durchschneidung der Lufft, bestünde. Und bey Nennung des Juris Civilis verstund man, dieses Vorzugs halben, nach der Völcker Sprache das Römische; eben wie jetzo das Teutsche Staats- und Fürsten-Recht das Jus publicum, in solcher Ausnahme, zu heissen pfleget. Hat man also die Vielheit der [100] bereits entschiedenen Sachen vielmehr vor ein Vorrecht, als einen Fehler, anzusehen. Und wie angenehm seyn den Sachwaltern so wohl, als den Richtern, die Bücher, welche von einem Rechts-Handel ins besondere geschrieben worden? Weil man darinnen Casus in terminis, findet, deren ehemahlige Entscheidung dem Richter schon einen Glauben machet, es werde aus dem Grunde von Gleich und Recht also gesprochen seyn; da hingegen, wenn sich keine Vorurtheile finden, der Richter kein Vertrauen auf den Grund der Sache hat, und solchen vor eine Schmincke ansiehet, welche bey der Untersuchung die Farbe nicht halten dürffte.

Bey dem allem finden sich VII. noch andere, welche zwar die Vielheit der Gesetze nicht tadlen, aber dafür halten, man solle dem Römischen Rechte nur in so ferne nachgehen, als es mit der gesunden Vernunfft und natürlichen Billigkeit überein käme. Dieses könnte nun auf zweyerley Weise geschehen, entweder, daß derjenige, welcher sich auf die Römischen Gesetze bezöge, den Beweiß der Billigkeit über sich zu nehmen, oder aber das Römische Recht die Vermuthung so lange für sich haben solte, bis der andere eine Unbilligkeit in derselben erwiesen. Nur das erstere wäre so viel, als das ganze Römische Gesetz-Buch abzuschaffen, weil in solchem Verstande auch Plato, Aristoteles, Cicero, Seneca und andere Weltweise, in den Gerichten angeführet werden mögen. Das letztere aber würde zu unzähligen Mißhelligkeiten und Weitläufftigkeiten der Processe den Weg bahnen: Weil des Critisirens und der Consequentzmacherey kein Ende noch Ziel seyn würde. Dannenhero auch kein ander Mittel, als dieses übrig, im Teutschen Reiche dem Justinianischen Gesetz-Buche schlechterdings nachzugehen, nicht von den Gesetzen, sondern nach denselben zu urtheilen, Lex quamvis dura sit, tamen Lex esse definit. Neque de legibus; verum secundum leges pronunciandum.

Indessen bleibet dennoch auch dieses gewiß, daß, im Fall sich zeiget, daß die Römische Gesetze ein besonderes Absehen auf den Römischen Staat gehabt, welchem der unsrige gantz entgegen, der Richter auch Ursache habe, die Weise unsers Vaterlandes damit nicht kräncken zu lassen. Z. E. die Römer haben keine schlechte oder bloße Zusage verbindlich geachtet, wenn dieselbe nicht durch ein Zeichen von Sachen wiederholten Wörtern, oder Schrifften, oder durch ein besonderes Vorrecht, bestätiget worden; da hingegen die Teutsche sich auf jedes schlechtes Wort und blosse Zusage verlassen, nach dem Sprüchwort: Ein Wort, ein Mann. Die Ursache war: Die Römer hatten schlüpfrige Zungen und leichtsinnige Gemüther. Dahero öffters mehr dicis gratia, vor die lange Weile, der Ehrenhalben, als im Ernst, von ihnen gesprochen worden. Welchem letztern man also durch obbesagte Zeichen vorkommen müssen; dahingegen die Teutschen von Treu und Glauben, Ernst und Redlichkeit, bey allen Völckern erhoben werden. Bey welcher Beschaffenheit die Römische Rechts-Regel: Ex pacto nudo non datur actio, schlechte oder bloße Zusage gilt nicht, keinesweges in den Teutschen Gerichten statt finden [101] solle: Ob gleich die meiste Rechtsgelehrte sich auch in Teutschland davon blenden lassen, und darauf, wiewohl mit grossem Unverstand, zu sprechen pflegen.

Aber das allerschlimmste, wie VIII. andere sprechen, sey noch dieses, daß unser Corpus Juris, daraus die armen Teutsche loßgesprochen, oder verdammet würden, in einer fremden Sprache abgefasset, mithin zuförderst dahin zu sorgen, daß unser Corpus Juris aus dem Latein ins Teutsche übersetzt werden möge, damit solches auch der gemeine Mann, der sich darnach richten lassen solte, lesen könnte. So lange die Bibel nur lateinisch gewesen; so hätten die Teutsche Layen auch wenig um die Ordnung des Heils gewust. Aber durch Lutheri Uebersetzung, sey nun das Wort Gottes auch jedem gemeinem Manne bekannt. Wovon ein gleicher Schluß auf ein Teutsches Corpus Juris zu machen stünde. Und da die Spanier und Portugiesen vor einigen hundert Jahren schon dasselbe in ihre Sprache übersetzet und gedrucket hätten; so wäre solches auch im Teutschen Reiche zu bewürcken.

Nur anfangs hat jede Wissenschafft ihre Kunst-Wörter, welche in andern Sprachen kurtz und deutlich zu geben, sehr schwer, so nicht ohnmöglich fället. Wir sagen noch jetzo lieber Testamente als letzter Wille; lieber Curator, als Gerhabe; lieber Servitus auf dem Hauß, als Beschwerung, lieber Hypothec, als Pfand-Recht. Unzähliger anderer Wörter, als Provocationen, Appellationen, Actionen, Processen, u. s. w. nicht zugedencken: Würde man nun, wie Theophilus, und andere in der Griechischen Uebersetzung der Institutionen gethan, diese Kunst-Wörter oder Waidsprüche entweder behalten oder übersetzen müssen. Wäre das erstere; so würde ein gemeiner Mann die Schalen Teutsch lesen, und der lateinische Kern ihme doch verschlossen bleiben. Im letztern Fall würde auch der beste Uebersetzer öffters unglücklich seyn, und entweder kein Wort finden, oder auf langweilige Umschweife, und Beschreibungen fallen, die man nicht ohne Verdruß lesen, und doch kaum verstehen würde. Eben wie die Römer anfangs keine Lateinische Philosophie gehabt, weil solche von den Griechen erfunden und griechisch abgefaßt gewesen; die griechische Kunstwörter aber sich nicht lateinisch machen lassen, bis man neue Wörter: ens; essentia, u. s. w. erfunden. Man darf auch bey den Teutschen Uebersetzern der Institutionen, des Perneders, Saurers, Meichsners, die Probe nehmen, wie abentheuerlich diese heraus kommen.

Und noch endlich würde gewiß das Teutsche Corpus Juris zur Maculatur und den Käse-Weibern und Gewürtz-Krämern zu Theil werden. Denn der gemeine Mann würde es weder an der Zeit, noch in den Kräften haben, das Teutsche Corpus Juris durch zu studiren, und den Verstand und Gebrauch davon zu erreichen. Es würde auch dem gemeinen Wesen zur Land-Seuche gereichen; wenn ein Handwercksmann die Zeit auf das Corpus Juris lesen verwenden, und seine Arbeit darüber versäumen, und halb gelehrt werden wolte. Wie [102] viele Artzney-Bücher seyn Teutsch geschrieben? Aber deswegen will niemand leicht sein eigener Artzt werden. Da auch endlich die meiste Teutsche Provintzen ihr eigenes Land-Recht haben; so nehmen sich doch die wenigste Bürger oder Bauern die Mühe, darinnen sich umzusehen. Welches doch leichter im kleinen geschehen könnte, als sich in den Abgrund des Römischen Gesetzes einzusencken. Es würde also doch heissen: consule prudentiores, siehe dich nach Rechtsgelehrten Advocaten um, und greife diesen nicht in ihr Amt.

Was die Heil. Schrifft anlanget; so muß jeder seines eigenen Glaubens leben, und ist niemand erlaubt, wie jener gethan, weil er es nicht an der Zeit hätte, einen Sachwalter und Gevollmächtigten in Beichtstuhl zu senden, der die Absolution mandatario nomine von dem Priester empfangen solte. Dahero von Glaubens-Sachen auf Rechts-Sachen kein Schluß zu machen.

Aber gleichwohl sind IX. eben anderen die Advocaten und Sachwalter im Wege, welche dafür halten, daß dieselbe aus dem Lande deswegen zu verweisen, weil, im Fall diese nicht wären, die Partheyen vieles Proceßiren lassen müsten. Sie berufen sich auf die alte Zeiten unserer Vorfahren, welche unter den überwundenen und gefangenen Römern die Advocaten ausgesucht, und ihnen die Zungen deswegen aus dem Halse geschnitten, weil sie als Nattern und Ottern, sich derselben so vielfältig mißbrauchet, und ihre gantze Kunst auf Zungendrescherey hinaus liefe. Wie denn auch in andern Reichen, besonders in Schweden und Dännemarck, man von dieser Art Menschen nichts wüste; es nachgehends in der That besser heraus käme, wenn die Partheyen, wie es vor Alters selbsten bey den Römern gehalten worden, selber in den Gerichten vorträten, und, so gut sie könnten, ihre Sachen vorbrächten; da hingegen, weil jetzo im Lande keine Parthey, welche nicht auf die Justitz verpflichtet, ohne Advocaten vor Gericht erscheinen, oder etwas schriftliches, ohne Concepit von einem Advocaten unterschrieben, eingeben dürfte, dadurch die Advocaten, welche ihren Sold und Leben von dergleichen Feder-Kriegen hätten, Gelegenheit fänden, die Partheyen gegen einander zu hetzen, und im beständigen Feuer zu halten: weil, so viele Clienten sie zählen könnten, so viele melkende Kühe sie stehen hätten, welchen sie das Fette abstrichen. Dahero auch die alten Advocaten in ihrem jährlichen Verdienst es höher brächten, als Militär- und Civil-Bediente vom ersten Range: Weil viele mit ihren Gebühren auf drey, vier, fünf und mehr tausende kämen, dabey ihr eigener Herr wären, und die meiste Arbeit durch ihre Gesellen, Lehrlinge und Schreiber, verrichten liessen. Dahero desto rathsamer wäre, dieser Blut-Igel loß zu werden; nicht aber diese Nattern im Busen des Landes zu hegen.

Nur möchten doch diese Advocaten-Feinde erwägen, daß viele Menschen schwere Zungen hätten, und nicht jeder beredt wäre, seine Sachen selbst fürzutragen; daß viele in ihrer eigenen Sache zu hitzig oder eyfrig wären, und bey eigenem Vortrage [103] in Gallen-Fieber, Podagra, und Chiragra, und andere Kranckheiten, verfallen möchten; nachgehends, da wir obbesagter maßen die Römischen Gesetze angenommen, welche in einer mühsamen Wissenschafft bestehen, die armen Partheyen übel daran seyn würden, wenn sie keine Leute finden solten, welche sie ihres Rechtes erinnern und solches ausführen dürften. Und da ein vollkommener Advocat ein starcker Rechtsgelehrter, u. noch dabey im Vortrag und Schrifften geübter Mann seyn muß; so mag man ihme seinen Lohn so wenig, als andern Bedienten vom ersten Range, mißgönnen, die öffters nicht das Verdienst der Wercke, sondern das blosse Glück suchet; da hingegen ein Advocat kein anderes Mittel hat, die Partheyen an sich zu bringen, als Fleiß, Geschicke, und Redlichkeit. Wenn man auch den Frantzösischen Scribenten trauen solle; so dienen viele Advocaten vor dem Parlament jährlich auf zehen und mehr tausend Rthal. Und wenn sie Geld genug gesammlet haben; so stehet ihnen der Weg zu den vornehmsten und wichtigsten Bedienungen offen. Und ist in Franckreich fast kein Chef zu finden; der nicht eine Zeitlang auf der Advocaten-Banck sitzen lernen.

Was aber die Römischen Geschichte von dem Ausschneiden der Advocaten-Zungen betrifft, solches muß ich deswegen für eine Fabel halten, theils weil die alten Advocaten bey der Armee nichts zu thun hatten, theils auch den Teutschen weder von den Advocaten, noch dero Streichen, etwas bekannt, oder auch schädlich seyn mögen, weil sich nicht findet, daß die Teutsche damahls in ihren einfältigen Gerichts-Stühlen Advocaten zugelassen. Dannenhero dieses vielmehr zu glauben, daß ein Römischer Advocaten-Feind diese Historie denen Teutschen angedichtet habe, um den Advocaten zu Rom einen üblen Ruf zu machen.

Wie im übrigen in Franckreich, da das Justitz-Wesen in strengem Lauf ist, welchen der König in keine, auch so gar in seiner eigenen Sache, nicht zu hemmen oder zu verwehren pfleget, deswegen die beständige Gewohnheit gehalten wird, daß niemand zu einem Richterlichen Amte kommt, der nicht vorher einige Zeitlang Advocate gewesen, man also dieses noch jetzo um so viel mehr an den Orten wünschen möchte, wo jungen Leuten, die kaum von Schulen kommen, der Gerichts-Stab in die Hände gegeben wird. Welches so schädlich und ungereimt ist, als wenn man einem das Commando einer Armee anvertrauen wolte, der vorhero niemahls ein Soldate gewesen. Die Römer hiessen ihren Rath Senatores, a senectute. Und vor dem fünf und dreyßigsten Jahre wurde niemand zu einem Richterlichen Amte gelassen; wie die Teutschen ihre Richter, vom grauen Alter, Graven, oder Altmänner, Seniores, nenneten. Jetzo aber trift man, an manchen Orten, in den Gerichten, Schöpfen-Stühlen und Rechts-Collegien Seniores an, die, nach dem Römischen Maaßstabe, kaum noch mündig worden. Wenn junge Leute in denen Collegiis Auscultatores werden; so ist es eine heilsame, und bey den Römern im Gebrauch gewesene Sache. [104] Wenn aber diesen Junckern der Mund vor der Zeit geöffnet wird; so muß die Justitz öffters darunter leiden: Absonderlich, weil bey jungen Leuten insgemein, neben der Unwissenheit, auch die Verwegenheit sich findet. Deren zu entgehen, die Alte offtmahls die Hände auf den Mund legen, und krum gerade seyn lassen. Alles dieses würde vermieden, wenn junge Leute erst Advocaten würden, und das überflüßige Geblüt erst ausdünstete, ehe ihnen der sogenannte majestätische Gerichts-Stuhl und richterliche Gewalt eingeräumet würde.

Nachdem wir nun mit neun Einfällen von Verbesserung des Justitz-Wesens und der Rechts-Händel im Teutschen Reiche fertig worden; so folget nun der X. welcher darinnen bestehen solle, man müsse das Doctor machen im Teutschen Reiche abschaffen, und keinen Römisch- oder Canonisch-gelehrten Doctor mehr in den Gerichten leiden. Und dieses alles nach der Richtschnur des Reichs-Abschiedes zu Mayntz 1441, in welchem buchstäblich enthalten, daß kein Rechtsgelehrter Doctor mehr zum Richter oder Beysitzer in den Gerichten zu machen, vielmehr dieselbe alle aus den Gerichten verstossen und entsetzet werden sollen. Mit beygefügter Ursache; denn sie verwiereten und verzögerten das Recht, bis beyde Theile arm worden. Sie wären keine Väter, sonder Stief-Väter der Rechten, weil sie daraus ihren Gewinn suchten, und sich besolden liessen; da hingegen mit Erb-Gerichten versehene, und beliehene Teutsche Herren, nach der ihnen von GOtt verliehenen Weißheit, nach Gleich und Recht, ihre Urtheile und Abschiede abfasseten; man auch vor funfzig Jahren von dem Unrath des Römischen Rechts und Rechtsgelehrten nichts gewust hätte; darum auch die Kayserliche weltliche Rechte, so NB. bishero in Teutscher Nation gebrauchet worden, alle todt und abe seyn solten.

Ob nun wohl viele Rechtsgelehrte zweifeln, daß dieser den weltlichen und geistlichen Doctoren gehäßige Reichs-Abschied würcklich zum Stande kommen, sondern dafür halten, daß solches ein Project oder Entwurf, welcher auf dem Reichs-Tage 1441. zu Mayntz übergeben, aber niemahls zum Abschluß gebracht worden, als Goldast selbsten in den Reichs-Satzungen p. 319. sq. wie auch Christoph Besold Discursibus polit. de legibus cap. 8. und letztens noch Johann Joachim Müller in Theatro Comitior. part. I. cap. 5. ad an. 1441. vorgeben wollen; so bin und bleibe ich doch deswegen anderer Meynung, weil die Juristen selbiger Zeit darüber Klagelieder angestimmet, indem ihr Handwerck nichts mehr gelten wollen, wie aus dem Peter von Andlo in Lib. I. cap. 10. p.35. zu ersehen; die Römische Gesetz-Feinde aber, wie Poggius Florentinus, zu gleicher Zeit die Teutsche vor glückselig Leute gehalten, daß sie der Römischen Rechtsgelahrheit keinen Platz mehr, in ihrem Volcke liessen, in sermone convivali II. p. 16. Wovon auch schon vor der Zeit gehandelt worden in miscellor. Tom. II. Lib IV. opusculo I. p. 1093. 1040.

Nun meynet zwar Feltmann in Comment. ad L. 2. §. 13. n. 5. D. [105] de orig. Jur. damit der Härtigkeit dieses Reichs-Abschieds 1441. zu helffen, wenn er vorgiebt, daß hierunter nur die bösen Römischen Juristen verstanden, und aus dem Gerichte verwiesen worden. Nur es ist dieses Vorgeben gar umsonst, nicht allein, weil die Rede überhaupt von Römischen Rechtsgelehrten Doctoren abgefasset, sondern auch nachhero dieses allein nachgesehen worden, daß jeder Obrigkeit gleichwohl erlaubet, die Doctoren in einem Neben-Zimmer zu Rathe zu ziehen, ob es gleich verbothen, dieselbe in den Gerichten selbst sitzen zu lassen. Und es bestärcket solches außer dem, die Hällische Schöpfen-Chronic damit, daß noch im XV. Jahrhundert der hiesige Bergschöpfenstuhl, wie noch, bis vor wenigen Jahren, der Schöpfen-Stuhl im Thal, mit lauter gemeinen Bürgern und Handwercks-Leuten besetzt gewesen. Welches auch deswegen nicht wohl anders seyn können, theils, weil die alten Schöpfen-Urthel sehr kahl und ungeschliffen aussehen, theils auch die teutschen Rechts-Spiegel nicht auf Schulen gelehret worden, sondern die Schöpfen solche aus dem Herkommen und langer Erfahrung erlernen müssen; Und, so viel die Hällische Schöpfen betrifft, dieselbe auch deswegen in neuern Zeiten einen höhern Rang von denen Ertzbischöffen gesucht, weil numehro derselbe nicht, wie ehemals und noch zur Zeit der Schöpffenstuhl im Thal, mit gemeinen ungelehrten Bürgern und Pfännern, sondern mit der Rechte und Weisheit gewürdigten Doctoren und Magistern besetzt wäre, denen man doch billig einen Vorzug im Range lassen müste.

Ob nun wohl dieses seine Richtigkeit hat; so bin ich doch deswegen mit den guten Leuten nicht einig, welche dafür halten, daß mit der Landes-Verweisung der Römischen und Päbstlichen Doctoren unserm Vaterlande gütlich geschehen. Mit dem Wunsche: daß diesem Reichs-Abschiede noch jetzo nachgegangen werden möchte. Wie diese Litaney der bekannte Hippolitus a Lapide de Ratione status in praef. §. 21. pag. 5. seinem feindseligen Anhange gegen die Römische Rechtsgelahrheit vorsinget. Es ist auch nicht ohne, daß der Reichs-Ritter Hutten, in seinem Nemo, oder Niemand, meynet,

1) Teutschland würde viel ruhiger seyn, wenn alle Doctoren aus dem Lande wären. Und der geschickte und vernünfftige Valentin Winter, in seinem Parthenio litigioso Lib. I. c. I. n. 20. p. 12. hält gleichfalls dafür, die Ost-See wäre zu der Zeit windstiller gewesen, als der Nahme Doctor an dessen Ufer in Pommern gehöret worden. Auch berichtet Hoffmann in seinem sogenannten Teutschen Lycurgo Cap. IV. num. II. daß nach dem Wunsche der Mecklenburgischen Edelleute, die Doctoren, wie Füchse zu prellen, oder bey einer Wolfs-Jagd auf die Wölffe gesetzt, und die Reuter mit ihren Pferden aus dem Lande verjagt werden möchten. So rühmet noch der gelehrte Ludwig [106] Vives in causis corrupt, artium Lib. VII. p. 427. die Hungarn, daß sie zwar Gesetze hätten, aber keine Gesetzgelehrten Doctoren. Und als die Doctoren und Rechtsgelehrte zu Zeiten des Königes Matthias Corvinus (1470) mit seiner Gemahlin, des Königs von Neapeln Tochter, aus Italien sich in Ungarn eingeschlichen, und das gantze Königreich, ehe man sich dessen versehen, mit gerichtlichen Processen angefüllet; so sey der Ungarische Adel darüber in Bewegung gerathen, daß der König alle Römische Rechtsgelehrten, Doctoren und JCtos aus dem gantzen Königreiche des Landes auf ewig verweisen müssen. Darauf alle Gerichtliche Processe wieder gefallen, und alles wiederum im Lande friedlich, stille und Proceßloß worden. Dahingegen andere in Franckreich besonders den Umstand angemercket, daß der dritte Theil von Manns-Personen aus Doctoren, Licentiaten, und Pfaffen, bestünde. Wovon Loiseau, Pasqvier, Lymnäus, und absonderlich Davity, weitläufftiges Nachdencken machen, welche ein Juristen-Feind mit dem Ungeziefer verglichen, daß auch bey der gesegnetesten Erndte in solchem Königreiche Mißwachs und Theurung zu machen pflegte: Weil das Fette vom Lande von Doctoren und Licentiaten verzehret würde. Da nun die Rechtsgelehrte kein anderes Mittel hätten, davon sie ihren Unterhalt haben könnten, als Processe; so wäre ihnen auch kaum zu verdencken, daß sie, bey aller Gelegenheit, Schein- und Schatten-Recht, die Menschen zu bewegen suchten, Processe anzufangen. Hierzu gehöret sodann Geld und Zeit, welches beydes dabey verlohren würde. Weit nützlicher wäre solchem nach im gemeinen Wesen der geringste Handwercks-Mann, dessen Arbeit doch etwas würckliches herfür brächte; da hingegen die Streit-Händel mehrentheils in Einbildung bestünden, welche vor den Rechtsgelehrten unterhalten würde. Es hätten die Jüden auch ihre Rabinen, Schul-Obristen, Schrifft- und Rechtsgelehrte; aber diese müsten dabey auch ein Handwerck lernen und treiben, und aus den Rechten und Rechtsprechen keine Nahrung oder Gewinn suchen, und erwarten.

Zugeschweigen, daß viele, etwa begüterte Leute, auch den Doctor-Titel um des Ranges halben annähmen, viele auch bey der tiefsten Unwissenheit solchen für Geld erkaufften. Worüber Dominicus Maria von Brancaccinis, de Jure Doctoratus Lib. III. klaget. Womit jene denjenigen, die in würcklichen Aemtern stünden, sich vorzudringen pflegten; die letztere aber nur gewinnsüchtigen Facultäten den Beutel fülleten und die Anzahl müßiger Leute, als eine Land-Seuche, vermehrten. Allein diesem allen ohngeachtet, wird es wohl dabey bleiben, daß die Rechtsgelehrte den Sternen gleichen, ohne welche das Firmament und gemeine Wesen finster und dunckel, ja ohne Licht und Leben seyn würde. Wir gebrauchen zum Beweiß dessen keine Offenbarung. Denn wie die vornehmste Grund-Säule eines Staats darinne besteht, daß niemand Unrecht und Gewalt geschehe; also wird auch eine Erkänntniß [107] und Wissenschafft erfodert, Recht und Unrecht von einander zu unterscheiden. Welches denn der Endzweck aller Doctoren und Rechtsgelehrten ist, und V. R. W. seyn solle. Dagegen alle Einwürffe leichtlich bey Seite zu legen. Denn düncket sich

I) jemand von Natur weise zu seyn; so will doch solches nicht dahinan reichen, daß er deswegen das willkührliche Gesetz-Buch innen habe, wornach in einem Staat der Unterthanen Handlungen gleichwohl recht oder unrecht heissen. Und folglich hat man besonderer Menschen nöthig, die sich das Gesetz-Buch bekannt gemacht, und die bürgerlichen Handlungen darnach zu prüfen wissen. Und weil unser Römisches Gesetz-Buch vernünfftig, billig, vollständig und weitläufftig ist, so wird derjenige, welcher sich darinnen umgesehen, auch geübte Sinnen haben, das Recht vom Unrechte zu unterscheiden. Und in solchem Absehen hat man die Rechtsgelehrten in einem grossen Vorzuge, Sapientes, Prudentes, oder Weise und Kluge genennet, und in einem Staat vor unentbehrlich gehalten. Nachgehends mag nichts zur Sache thun, daß

II) die Rechtsgelehrte aus dem Teutschen Reiche und dessen Gerichten verwiesen und verjagt werden sollen. Denn es ist genug, daß es nur beym Sollen geblieben. Und sind nicht zu Rom auch alle Philosophen oder Weltweise verwiesen worden? Denn Tyranney verträget keine Rechts-Gelehrten. Und dem gemeinen Pöbel ist Unverstand und Tollheit zu gute zu halten, in welchem sie gegen die Rechtsgelehrte geeyfert haben. Wie fein hat sich aber unser Vaterland bald hernach im Jahre 1495. eines andern und bessern besonnen; Indem der bey Anlegung des höchsten Reichs-Gerichts gemachte Reichs-Abschied versehen, daß die Beysitzer aus Römischen Doctoren, das ist der Rechten gewürdigten Männern bestehen sollen. Wo mit dem

III) Reuter-Spruche des Hutten und anderer Juristen-Feinde gleichfalls abgeholffen, weil solche entweder mit Unverstand geeyfert, oder auf den Mißbrauch der Juristerey ihr Absehen genommen, oder nehmen sollen. Eben wie viele Sonderlinge meynen, man möchte alle Medicos; Chirurgos, und Apothecker, aus dem Teutschen Reiche verjagen, weil die alte Teutsche davon nichts gewust, das ist, lieber ein krummes Bein behalten hätten, als sich solches durch die erfahrne Hand des Chirurgi, wieder einrichten lassen. So rasend kommt denn

IV) die Wolffs-Jagd der Doctoren heraus, weil die alte Teutsche ein Klippel-Recht gehabt, und über jeden Streit-Handel die Partheyen sich mit einander lieber schlagen solten, als der Rechtsgelehrten ihre Feder zu Hülffe nehmen, und ihre Sache vor Gerichte Gesetzmäßig auszumachen. Und weil es auch

V) an Menschen, die neue Handwercker lernen und treiben, nicht fehlet; so würden die Zünffte vieles einzuwenden haben, wenn die Schrifftgelehrte ihnen ins Gehege kämen, und Schuster und Schneider-Arbeit verrichten wollten. Nächst dem kosten

VI.) die Processe Geld, so kostete das alte teutsche Klippel-Recht öffters Leib und Leben. Ferner, [108] warum lassen sich Partheyen nicht an den ersten Urthel begnügen? Sind aber

VII.) die Sachwalter und Advocaten daran Schuld; so folget man der jüngsten Altenburgischen Satzung, nach welcher die Advocaten die so genannten Succumbenz-Gelder aus ihrem eigenen Beutel bezahlen müssen, ohne von den Partheyen bey Strafe des Meineyds, das bezahlte wieder anzunehmen. Endlich da

VIII.) man sich auch vom Altar ernähren darf, warum nicht auch vom Dienst vor Gerichte? Wollte man aber

IX.) mit dem Reichs-Abschiede 1441. alle Besoldungen der Rechtsgelehrten vor Miethlohn, u. alle besoldete Rechtsgelehrte vor Miethlinge halten, weil die teutschen Erbrichter sich ihre Abschiede nicht bezahlen lassen; warum will man eben von der Rechtsgelehrten ihrer Besoldung anfangen? Streichen und treiben doch die Theologi aller Orten ihre Collegien-Gelder ein, und heißen ihre magere Dienste Poenitentz-Pfarren, wobey man Kirchen-Buße thun könnte. Selbsten durch ihr geistliches Bücherschreiben werden viele Capitalisten. Mit was Schein des Rechtens solte man denn, bey solcher Art oder Unart des geistlichen Standes, den Rechtsgelehrten ihre Urthels-Gebühren, Advocaten-Gebühren, und was sie für rechtliche Bedencken und Gutachten nehmen, mißgönnen wollen? Doch bleibt es deswegen allezeit noch dabey, daß seeliger sey geben, als nehmen. Endlich bestehet

X.) eines Rechtsgelehrten sein Amt nicht darinnen, die Rechts-Händel zu verwirren; sondern den verworrenen Knoten derselben richtig und Gesetzmäßig aufzulösen. Wenn aber ein Rechtsgelehrter seine Wissenschafft mißbrauchen will; so muß man bedencken, daß nicht der Fecht-Boden, sondern das Duelliren, verboten; Ob gleich die Fecht-Kunst manchen zu dem letztern verleitet. Die Vernunfft-Lehre handelt von Sophismatibus und Sophistereyen, nicht falsche Schlüsse zu machen; sondern die Conseqventzmacherey zu entdecken, und deren Unrichtigkeit zu zeigen. Niemand solle eine Wissenschafft deswegen hassen oder verwerffen, weil einige dieselbe mißbrauchen.

Wie wir endlich von hoher Hand die neueste Nachricht haben, daß mit Gesetzmäßiger Entscheidung der Rechtsfragen von Königl. Majest. noch dieses Jahr ein Anfang gemacht, und damit jährlich so dann fortgefahren werden solle: Also soll und wird dieses der

XI.)[2]und beste Vorschlag zur Verbesserung des Justitz-Wesens seyn, wovon in dem folgenden ein mehrers. In dem eilften Vorschlage, die Processe im Teutschen Reiche zu kürtzen, fallen einige auf besondere Besoldung der Gerichte und Advocaten. Wodurch dem Richter, Gerichts-Bedienten, Advocaten, und Partheyen der Ziegel kurtz zu halten, um die Streit-Händel zeitiger zu Ende zu bringen. Sie sagen die meiste Richter und Gerichts-Bedienten anckerten nach Processen und Streit-Händeln, als der Fisch nach dem Wasser, ohne welches er nicht leben könnte. Ihre grösseste [109] Klage wäre, wenn in den Gerichten sich nichts zu thun fände, das ist, wenn Brüder und Nachbarn einträchtiglich lebeten, und in allen Häusern Friede wäre. Denn hiesse es die Zeiten waren schlecht, es wäre nichts mehr zu verdienen, die Leute wolten oder könnten kein Geld mehr auf Processe wenden, sie verglichen sich lieber, oder liessen die Processe liegen.

Und es ist auch sodenn wahr, daß ein Handwercksmann in so weit besser daran ist, als Richter, Gerichts-Bediente, und Sachwalter. Denn jener darf seine Werckstatt nicht schliessen, er findet allezeit zu thun, weil seine Waare unentbehrlich und fast jedermanns Kauf ist. Aber wenn niemand zu klagen hat; so giebt es auch nichts zu richten, und der Ruland stehet müßig und hungrig da. Bey solchen Umständen nun suchten Richter, Gerichts-Bediente und Sachwalter, die Leute zu Processen zu bewegen; die Advocaten hetzten die Leute gegen einander auf, sie stelleten sich für Gerichte eyfrig und feurig gegen einander an, weil sie sich wohl zusammen verstünden, ihre einfältige Clienten dadurch nur im Streit und Hoffnung zu halten, die Hände bey dem Processe aus betrüglicher Gewinnsucht nicht sincken zu lassen. Der Richter riethe, aus gleicher Ursache, zu keinem Vergleich, und der erste Vertrag zur Güte würde so künstlich eingerichtet und jeder Parthey das Maul geschmieret, und das Hertz mit Wind aufgeschwellet, damit es bey dem Abschluß hiesse: zum Recht, zum Recht! Ich habe die Briefe von magern Vergleich; lieber ein fettes Urthel; mein Advocat hält die Sache schon vor gewonnen. Käme nun der Handel auf die lange Banck: so hiesse es, Gedult; es läßt sich nicht zwingen; der Proceß muß seinen Lauf haben; Ende gut, alles gut! Die Unkosten muß der Gegentheil alle wieder geben; es ist nichts als die blosse Zeit verlohren. Indessen hängten, Sachwalter, Richter und Gerichts-Bediente den Proceß an einen silbernen Nagel, spielten alles in das weite Feld, und ruheten nicht, bis die Partheyen ausgemolcken waren, und drüber stürben und verdürben. Die Raserey und Boßheit von Richtern, Gerichts-Bedienten, und Sachwaltern, gienge auch so weit, daß sie dergleichen Bubenstücke auch in Processen anzubringen suchten, die in Kleinigkeiten beruheten, und die Forderungen, oder Sache, darüber gestritten würde, kaum das Pappier werth wäre. Man fände Processe von zehn Thaler Forderung, darüber schon tausend Thaler verproceßiert wären. Denn dieses wäre eben noch eine besondere Kunst, aus einem eintzigen Processe zwey und mehrere zu machen, und Processe aus Processen, wie Ratten und Mäuse, zu zeugen und auszuhecken.

Bey diesem rechtlichen Abentheuer nun dürffte man sich nicht wundern, daß nicht unsägliche Summen Geldes, Richtern, Gerichts-Bedienten, und Sachwaltern, zu Theil würden. Welche der Abt St. Pierrre in seiner Schrifft von Verstopffung der Quellen zu Processen, in Franckreich jährlich auf Millionen rechnen wollen. Welches Geld gleichwohl nützlicher gegen [110] den Feind des Vaterlandes, oder andere dem gemeinen Wesen zuträgliche Dinge, verwendet werden möchte, als auf dergleichen Zungendrescherey zancksüchtiger Leute.

Alles dieses zu Vermehrung und Verlängerung der Processe gereichende Unheil würde nun dadurch gehoben und verhütet werden, wenn alle Gerichts Sporteln so wohl, als Advocaten-Gebühren, abgeschaffet, und beyde dafür hinlänglich besoldet würden. Denn wie die Quelle zu Processen die Gewinnsucht ist; also würden nun die Gerichte und Advocaten wünschen, helffen, und daran seyn, daß die Partheyen, ohne erhebliche Ursache, und so zu reden, das Recht in den Händen zu haben, zu keinem Processe sich entschliessen, und, wenn derselbe angefangen, er dennoch zeitig geendiget und beygeleget würde. Die Richter würden sich freuen, wenn sie in das Richt-Hauß kämen, und wenig oder keine Partheyen darinnen anträffen. Die Zeit würde ihnen erspahret, welche sie sonst nützlich anwenden könnten, und ihre Besoldung bekämen sie doch, auch bey keiner, oder doch geringer Arbeit. Kein Advocate würde den andern, wenn er viel zu thun hätte, anfeinden, oder die Partheyen an sich zu ziehen suchen: Weil vielmehr derjenige am gemächlichsten lebte, der am wenigsten zu thun hätte. Wie jetzo die Gerichts-Bediente erschräcken, wenn sie viel ohne Endgeld aufzusetzen und auszufertigen hätten; so würde ihnen zu Muthe seyn, wenn sie viele Partheyen im Richthause anträffen. Ihr Willkommen würde seyn: Ihr lieben Leute vertragt euch in Güte! das Proceßiren macht euch unruhige Tage und schlaflose Nächte. Sententiae sunt fatales. Es kommt auf das blosse Glück an, wie derjenige gegen euch oder eure Sache gesinnt, der den Abschied oder das Urthel machen solle. Die Advocaten würden nicht minder zum Frieden rathen, oder doch dem Processe, so bald es nur immer seyn könnte, das Ende machen. Eben wie wir in der hiesigen Allmosen-Pflege gewahr werden, daß sich kein Patiente weder über Medicum, noch Chirurgum, zu beschweren, daß er mit der Cur lange aufgehalten würde, indem beyde ihre gewisse Besoldung haben und behalten, der Patienten seyn wenige, oder viele. Und zum Beweißthume kan man nur die so genannte Commißiones nehmen, in welchen öffters in einem Tage so viel ausgemachet wird, als bey gerichtlichen Processen in vielen Jahren nicht geschehen mögen. Im Falle nehmlich denen Commissariis, zu Verlängerung ihrer Diäten oder täglichen Gehaltes, nicht auch daran gelegen, die Commißion zu verzögern.

Ich möchte aus dem Ausgange derjenigen Commißionen, welche bey meinen verschiedenen Bedienungen mir aufgetragen worden, mich wohl vermessen, daß, wenn der Commissarius ehrlich, in den Rechten geübt und vernünfftig ist, von hundert Sachen ihme nicht leicht eine ausfallen solle, die er nicht ohne Proceßiren in wenig Tagen zu Ende bringen möchte. Meine Weise darinnen war diese: Anfangs ließ ich beyde Partheyen ohne, oder auch mit ihren Advocaten vorkommen, und hörte selbige, [111] bis zur Duplic, auch wohl zur Quadruplic, gegen einander gedultig an. In solchem Verhör behielt ich mir die Freyheit vor, wenn ich im facto etwas vermissete, eine Zwischen-Frage zuthun, auch ihre Schrifften anzusehen, und Zeugen zu verhören, mithin aller Umstände mich genauer zu erkundigen. Wenn nun dieses alles geschehen, und ich das Urthel im Gemüthe oder auf dem Papiere hatte, nahme ich jede Parthey allein vor. In dem Zureden, es zu keinem Proceß kommen zu lassen, war mein erstes, der Parthey das Hertze groß zu machen, und alles, was ihr zu statten kommen mochte, mit lebendigen Farben und Worten vorzustellen. Hierdurch wurde nun die Parthey in ein gutes Vertrauen gegen mich gesetzt, daß ich ihre Sache verstünde, und begierig wäre, ihr zu helffen. Nach diesen nun bathe ich auch, was ihr Gegentheil vor sich und auf ihre Rechtsgründe antwortete gedultig anzuhören, und zu erwägen. Schüttelte die Parthey den Kopf, und wolte diese ihr unangenehme Predigt nicht hören; so hielt ich nochmahls um Gedult an, weil ich zum Voraus verhiesse, auch dasjenige nachhero wieder zu erwehnen, was darauf im Repliciren wieder zu antworten. Wenn auch dieses geschehen; so machte ich nun zwey Urthel, eins vor, und das andere gegen die Parthey, und führete dabey an, daß der künfftige Richter oder Urthels-Verfasser, so leicht auf das letztere, als das erstere, fallen könnte. Ich stellete vor, lieber etwas wenigers gewiß zu haben, als in die Lufft noch so grosse Schlösser zu bauen. Mit dem Beysatz, daß die Proceß-Kosten, bewandten Umständen nach, jeder Theil über sich ergehen lassen müste. Nach deren Abzug der Gewinn, auch des allerbesten Urthels, dennoch sehr gekürtzet seyn würde. In dem Vergleich selbsten war mein Vorschlag allezeit auf etwas grosses für die Parthey, ob ich gleich zum Voraus sahe, daß wenn auch das Gegentheil gehöret, sich alsdenn erst Gelegenheit finden würde, der Parthey die Wahrheit offenhertziger zu sagen, und selbige auf mildere Gedancken zu bringen. Kunte ich bey der ersten Zusammenkunft nicht durchkommen; so geschahe es bey den folgenden. Und den Advocaten wurde auch ihr Eyd und Ehren-Pflicht vorgestellet, die Parthey aus Gewinnsucht in keinen ohnnöthigen Proceß stürtzen zu helffen. Wenn nun mit beyden Theilen dergestalt verfahren worden, so gab GOtt seinen Seegen, daß es Friede wurde, und ein gütlicher Vergleich dem Krieg Rechtens ein erwünschtes Ende machte.

Dahero es nicht ohne Grund ist, daß, im Falle der Eigennutz bey den Gerichten und Advocaten durch beyden angewiesene Besoldung wegfiele, die stärckste Proceß-Quelle zugestopfft und zugedämmet seyn würde. Nur wir müssen nun auch hierbey die Schwierigeiten nicht verschweigen, welche dieser scheinbaren Veranstaltung entgegen zu sehen und zu stehen pflegen. Anfangs

I) heisses es, wo nehmen wir Brod oder Geld her, diese neue Besoldungen der Gerichte und Advocaten auszumachen? Es fehlet an Vorschlägen nicht. Die Landschaffts-Casse [112] solle diese, als eine gemeine Leidenschafft, übernehmen. Allein diese schützet vor, die Cammer-Gefälle wären darzu ausgesetzt, um die Bedienten bey Hofe und der Cantzeley daraus zu besolden; Dahingegen eines Fürsten seine Rent-Cammer sich dessen billig weigert, weil eine neue Ausgabe auch eine neue Einnahme haben wolle. Dahero

II) viele von den Ständen des Teutschen Reichs die Cammer-Zieler dadurch sich vom Halse zu schaffen gesuchet, wenn man in des Reichs-Cammer-Gericht eine neue Sportel-Ordnung dergestalt machte, daß die Verhör und Abschiede von den Partheyen zu bezahlen, und der Cammer-Richter, Präsidenten, und Adsessoren, daraus ihre Besoldung erhielten. So weit sey es gefehlet, die Unterhaltung und Besoldung der Cammer-Gerichts-Bedienten, Procuratoren, und Advocaten, auch dem Lande aufzubürden, und jene empfindliche Last, durch eine neue Bürde, zu vermehren. Ueber dieses so ist es

III) nicht ohne, daß im Fall das Proceßiren jedem frey und ohne Endgeld, auf Regiments-Kosten, offen stehen solte, das muthwillige Proceßiren weit gemeiner werden dürffte: Weil viele aus Rache, Schelsucht, und Lust, dem andern Theile nur Ungelegenheit zu machen, Processe anfangen solten, ohne dabey etwas mehrers, als des Gegentheils Verdruß, zu erhalten; Solches aber vor jetzo deswegen insgemein unterbleibet, weil die meisten den Vorschuß und die Unkosten scheuen mit dieser ihrem Verlust, ihr Müthlein abzukühlen. Darauf andere wieder antworten: Wenn die Partheyen gleichwohl die Unkosten in die gemeine Proceß-Lade, daraus die Besoldung der Gerichte und Advocaten zu nehmen, einlegen müßten; solchem Muthwillen gesteuert, und dabey dennoch das gute Absehen, die Processe zu mindern, erhalten werden könnte. Ueber dieses so bleibet

IV) dieses bey der menschlichen Unart wahr und gewiß, daß die Menschen zu Fleiß, Treue, und Geschicke, am besten dadurch angetrieben werden, wenn der alte Adam in ihnen daraus einen Verdienst und Gewinn dergestalt zu hoffen, daß solcher mit Vermehrung oder Minderung des ersten ab- und zunehme; Dahingegen wenn die Besoldungen dennoch fortlauffen, der Bediente lege sich gleich auf die faule Seite, alles träge, und dem lastbaren Thier gleich werde, welches keinen Treiber hinter sich gewahr würde.

Wären wir noch unschuldige Geschöpffe; so würde jedermann den innerlichen Trieb ohne zeitliche Absichten haben dem andern gutes zu thun. Dergleichen Gesellschafft sich vor wenigen Jahren in dieser Stadt befunden, da zwölff Studenten ihre Gelder in eine Casse geleget, und, bey der monathlichen Abnahme der Rechnung, sich derjenige viel gewust, der zu seiner Bedürfniß wenig herausgenommen, und andern, die es nöthig gehabt, vieles überlassen können; Mithin das Räthsel sehr Christlich aufgelöset, warum geben seeliger sey, als nehmen. Nur als diese Guthertzigkeit sich einige Mitglieder zur Gemächlichkeit und Faulheit mißbrauchet; so hat man gefunden, daß diese Tugend-Casse nichts gutes angerichtet,[113] und deswegen solche aufgehoben worden.

Allein, diesen Einwurf zu begegnen, thun andere den Vorschlag, daß man der besoldeten Advocaten ihre Bestallungen, bis auf Wiederruff, einrichten, und dadurch selbige in der Furcht und Fleiß erhalten könnte. Wie es denn gantz etwas besonders bey dem hiesigen Burggraven- oder Stadt-Schuldheissen-Amt ist, daß solches von dem Landes-Fürsten, als ein ordentliches Lehen, ausgethan zu werden pfleget; jedoch unter der dem Amts-Lehn-Briefe einverleibten Bedingung, bis auf Wiederruff. Bey welcher Beschaffenheit denn die unfleißige oder ungeschickte oder treulosse Advocaten so wohl, als Gerichts-Bediente, ihrer Bedienung so gleich, und ohne darüber eine grosse Untersuchung anzustellen, wieder erlassen, und deren Stelle mit andern tüchtigen Personen besetzt werden könnte.

Worzu noch kommet, daß der Trieb zum Guten nicht allein die Gewinnsucht, sondern auch die Ehr-Liebe, oder Ehrsucht, zu seyn pfleget. Welches man in den Landes-Stühlen, in Regierungen und Cammern, gewahr wird, da viele Collegen den Eyfer haben, es denen andern an Arbeit vorzuthun, auch wohl über ihren Chef und Oberhaupt Klage führen, daß ihnen nicht genug Sachen zugetheilet würden. Doch genug hiervon, das zwölffte Mittel wird das letzte und beste seyn, wovon in dem folgenden zu handeln seyn wird. Nun folget also das von GOTT und seinem Knecht, dem Könige, erwünschte Hoffen, aller nach Gleich und Recht gesinnten Unterthanen, dem leidigen Proceßiren durch das

zwölffte Mittel dergestalt abzuhelffen, die zweiffelhafften Rechts- und Gesetz-Fragen durch neue Satzungen zu entscheiden. Es ist davon das Königliche Ausschreiben vom 12 Sept. 1733 bereits in dem CLXXXX Stück bekannt gemacht. Und die Hoffnung, daß dieses wichtige Vorhaben einen gesegneten Fortgang haben werde, ist deswegen um soviel grösser, weil Königl. Majest. dieses Geschäffte den Händen eines weisen Bedienten anvertrauet, der in dem Römischen Gesetz-Buche bereits so viele tausend Knoten, durch scharffe Einsicht, aufgelöset, von deren Richtigkeit Richter und Rechtsgelehrte jetziger Zeiten überzeuget und demselben, als einer Richtschnur, nachzugehen pflegen, ohne den Zwang eines Befehls dabey nöthig zu haben. Wer gut fahren will, der bessert die Strassen, er machet eine ebene Bahn, er räumet, was anstößig und höckricht, aus dem Wege, der Abgrund wird erhöhet, und alles gleich gemacht. Wenn nun Handel und Wandel einen richtigen Gang haben solle; so muß dasjenige aus dem Wege gebracht werden, was einen Anstoß oder Zweiffel unter Mein und Dein verursachen kan.

So viele nun dergleichen Rechts-Fragen entschieden, und durch neue Satzungen ausgemacht werden; so viele Quellen werden verstopffet, gerichtlich darüber zu proceßiren. Diese neue Satzungen sind den Wegweisern gleich, die allen Irrwegen und Irrsalen abhelffen. Sie sind ein Leitstern oder Leitfaden, welcher aus dem Irrgarten oder Labyrinth führet, ohne welche sich niemand zu rechte helffen, sondern [114] vielmehr im Proceßiren je länger je mehr verwickeln und verwirren wird. Zwar werden auch hiebey viele Einwürffe gemacht, die aber leichter, als jene, zu beantworten seyn werden. Und zwar

I) wird gesagt, die Vielheit der Gesetze mache die Rechts-Gelahrheit schwer und weitläufftig. Nur es ist vielmehr das Gegentheil deswegen dafür zu halten, weil es leichter ist, einem Gesetze zu folgen, als sich ohne dem Gesetze aus deren vielerley Meynungen der Rechtsgelehrten zu helffen, oder durch kostbare Processe helffen zulassen. Nachgehends heist es

II) so viele neue Gesetze, so viele neue Streitfragen über deren Auslegung. Nur wenn das Gesetz lauter und deutlich ist, wie es billig seyn solle; so führet es die Auslegung selbst im Munde. Ferner zweiffeln andere

III) ob die Entscheidung der Rechts-Fragen allemahl wohlgerathen dürffte: Weil vielen Licht und Recht fehlen möchte, in der Entscheidung das beste Theil zu erwehlen. Moses Geist wäre von GOTT gelehrt gewesen, dessen sich andere Gesetz-Geber nicht zu versichern. Nur es ist eben dieses unter das Glück unserer Zeiten zu rechnen, daß diese Arbeit den Händen eines Bedienten anvertrauet worden, von dessen Klugheit, Weißheit, und Billigkeit in Rechts-Sachen, der Rechten erfahrne bereits in untrüglichen Proben überzeuget. Nicht zu gedencken, daß endlich doch besser, einen richtigen Weg zu haben, als in Ungewißheit den allerbesten erst mit Gefahr und Schaden aufzusuchen. Ueber dieses so wollen

IV) einige dafür halten, neue Gesetze oder Gesetzmäßige Entscheidung mache unendliche Weitläufftigkeiten. Denn einige erforderten dißfalls die Einwilligung des Kaysers, andere aber der Lands-Stände von jeder Provintz, so wie die Chur-Sächsischen Satzungen, und noch die neuliche verbesserte Proceß Ordnung auf allgemeinem Land-Tage der Chur-Sächsischen und einverleibten Land-Stände, untersuchet und bestätiget worden sey. Nur was das erstere betrifft; so streitet solches mit dem beständigem Herkommen, der Teutschen Fürsten, die eben deswegen so vielerley Land-Recht hegen, so viele Provintzen sie haben, weil jeder freye Hände gelassen, die Gesetze nach eigenem Gutfinden einzurichten. In dem andern aber mag dieses genug seyn, wenn der Gesetz-Geber denen Landes-Ständen die Freyheit lässet, im Fall ihnen bey der Entscheidung etwas bedenckliches vorkäme, dieserhalben Vorstellung zu thun, darauf denn, was Recht ist, erfolgen solte. Wie denn

V) die Sache von der Wichtigkeit zu seyn schiene, daß der bekannte Abt St. Pierre, mit andern seines gleichen, in Vorschlag gebracht, zu dem Ende einen besondern Gesetzmacher-Rath anzulegen, deren ihr Tagewerck eben darinnen bestehen solte, bey neu entstandenen Rechts-Zweiffeln neue Gesetze oder Gesetzmäßige Erklärungen zu machen, und solche dem Landes-Herrn zur Bestätigung vorzulegen. Es ist auch nicht ohne, daß der Churfürst zu Sachsen Augustus in Errichtung seiner neuen Decisionen oder Satzungen eine Zusammenkunfft seiner [115] Geheimden und andern Räthe, der Professoren von Universitäten, der Schöpfen, wie auch der vornehmsten Stadt- und Land-Richter veranlasset, die einen Arickel nach dem andern durchgenommen und denselben nach den meisten Stimmen, entweder entschieden, oder zur Entscheidung ausgesetzt haben. Welches alles sodenn auf den Land-Tag kommen, mit der Stände ihrem Beyfall befestiget, und von dem Churfürsten, als ein beständiges Land-Recht, ausgefertiget und eröffnet worden. Nur bey allen diesen Umschweiffen wurde jedoch dem Wercke deswegen nicht also gerathen, daß solches vor etwas vollkommenes zu halten.

Dahero das Hochfürstl. Hauß Sachsen auch nicht zubewegen gewesen; daß es diese Chursächsische Rechte annehmen, und in ihren Landen vor genehm halten wollen. Vielmehr hat sich dasselbe solchem beständig wiedersetzet, und diese Neuerung als eine Verkehrung des allgemeinen Sachsen-Rechts gehalten, auch ihren Rechtsgelehrten aufgegeben, im Lehren und Schreiben demselben entgegen zu treten. Wie denn derjenige, dem das alte Sachsen-Recht aus den Englischen Gesetzen vornehmlich bekannt, finden wird, daß die Gesetzmacher in die Rechte dieses Volcks und Landes fast nicht die geringste Einsicht gehabt, vielmehr das Teutsche und Sächsische mit dem Römischen, und das letztere mit dem erstern, dergestalt vermenget und verwirret, daß dadurch mehr neue Quellen zu Processen entstanden, und aufgerissen, als zugestopfft worden.

Ist und bleibet also dieser Weg besser und gewisser, wenn die Rechts-Collegien ihre zweiffelhaffte Fragen, mit zu beyden Seiten besetzten Gründen, einschicken, und von Königl. Majestät durch denjenigen, der das Ruder in Händen hat, eine Entscheidung erwarten. Aber dessen ungeachtet fallen einige auf die Gedancken, daß

VI. dieser besondern Entscheidungen es nicht bedürffe, wenn die alte Weise bey den Richtern wieder eingeführet würde, in zweiffelhafften Fällen, statt eines Urthels, sich des Spruchs der Alten zu bedienen: Non liquet: ich will, was hierinnen Rechtens sey? lieber lernen, als lehren, lieber die Hand auf den Mund legen, als solchen zu einem Urthel eröffnen. Man dürffte ja nur dem Richter Plinio hierunter folgen, der bey der geringsten Schwürigkeit bey seinem Herrn, dem Kayser, angefragt, und Antwort erhalten. So wie die Heydnischen Regenten selber, wenn sie kein Urthel finden können, ihre Götzen um Rath gefraget, und ihre Antwort als Gesetze angenommen, dahero man an manchen Orten die Gerichtlichen Bescheide noch jetzo eine Findung nennet, weil der Richter das Recht zwar suchen müste, aber deswegen nicht allemahl finden könnte. Und der gantze Codex bestünde ja aus solchen Entscheidungen der zweiffelhafften Rechtsfragen, über welchen die Richter den Kayser angetreten, sie zu bescheiden.

Nur jetzo ist es keine Weise mehr, daß der Richter die Partheyen mit dem Non liquet abfertige. Die Advocaten würden ihm auch schimpflich begegnen, und ihn vor einen Benhasen ausruffen, der sein Handwerck nicht recht gelernet. Noch mehr würde dieses [116] gantzen Rechts-Stühlen und Collegiis verarget werden. Dahero sich wohl kein Exempel im gantzen Teutschen Reiche finden möchte, da der Richter die Acten höhern Orts, oder gar an den Landes-Herrn selbsten, unter der Formul, eingeschicket: Die Sache sey ihm zu hoch, er könne darinnen kein Urthel finden, oder sprechen, sondern wolle solches lieber andern, die stärcker in der Erkänntniß wären, überlassen.

Worzu noch kömmt, daß unsere Landes-Gesetze jedem Richter schlechterdings verbinden, das erste Urthel selbst zu sprechen, es gerathe auch, wie es wolle. Darum eben nichts neues ist, daß in dergleichen Acten so vielerley Urthel kommen, so vielerley man Rechtsgelehrten oder Rechts-Collegien darüber befraget. Nicht zu gedencken, daß, wenn der Rechts-Handel bereits angefangen, den Partheyen schwer wird, einem Macht-Spruche sich zu unterwerffen; dahingegen, wenn die Entscheidung auf künfftige Fälle gerichtet, sich jeder Unterthan damit leichte beruhiget. Weswegen man auch

VII. sodann nicht nöthig hat, welches doch andere an statt der Gesetzmäßigen Entscheidung in Vorschlag bringen, daß der Richter ein Schnitter-Urthel mache, und beyden Partheyen Recht lasse. Denn obwohl auch dieses in den Gesetzen erlaubt; so ist es doch gleichfals nicht mehr im Gebrauch, sondern wird vor ein Abentheuer ausgeruffen, wobey der Richter mehr Dummheit, als Verstand, beweise. Gleiches hat man auch von demjenigen Mittel zu sagen, wenn

VIII. einige dafür halten, daß in zweiffelhafften Rechts-Sachen der Richter die Partheyen zu einem Vergleich wohl zwingen, und das Klippel-Recht in die Faust nehmen möge. Denn da würde es heissen, zum Vergleich möchten die Partheyen vor sich kommen, worzu denn der Richter nütze wäre? Zum Vergleich liesse sich niemand zwingen. Man wolte einen Richterlichen Ausspruch haben u. s. w. Eben diese Pfeile würden

IX. den Richter treffen, der die Partheyen in zweiffelhafften Fällen auf das Looß verwiese, dessen sich doch, wenn beyde Recht zu haben schienen, ehemahls die Richter gar vielfältig bedienet, auch wohl selbsten aus diesem Glücks-Topff die Loose gelanget, und geschöpffet hätten, wovon den Schöpfen der Nahme bis jetzo geblieben. Fast so verkleinerlich würde sich

X. der Richter auch damit machen, wenn er sich Wochen, Monate, oder Jahre, Zeit ausbitten wolte, das Urthel oder den Abschied auszufinden. Denn obwohlen der Richter sich im Rechtsprechen nicht übereilen, sondern ex periculo, den Abschied, das ist, schrifftlich, ex breviculo, einem Brieffe, oder brieflich abfassen, und eröffnen solle; so hält man doch heut zu Tage denjenigen vor keinen geübten Rechtsgelehrten, der über dem Urthel sich die Nägel zerbeisset. Vielmehr so bald die Partheyen mit ihren Sätzen, oder der Referent mit Erzehlung der Species facti zu Ende; so solle auch der Richter schon mit dem Urthel oder Abschiede fertig seyn, und die Partheyen ihres Rechtes bescheiden. Welchem nach denn kein besseres und bewährteres Mittel, zu Verhütung oder Kürtzung der [117] Processe übrig ist, als die streitige Rechts-Fragen Gesetzmäßig zu entscheiden.“


Anmerkung (Wikisource)

  1. Der Aufsatz ist entnommen dem 1743 erschienenen Band „Johann Peter von Ludewigs ... Gelehrte Anzeigen, ...“, Seite 792 (bis 827), er umfasst allerdings nicht (wie angegeben) die Num. 140-145, sondern Num. CLXXXX-CLXXXXV. Weggelassen sind hier die im Original zahlreichen Fußnoten; vgl. Google.
  2. Vorlage XII.)