Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten (2)

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Autor: Udo Brachvogel
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Titel: Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 373, 375–379
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: kurze Beschreibung von Dakota, Montana und dem Yellowstone-Nationalpark
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[373]

Im Urwalde des „Nationalparks des Yellowstone“.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

[375]
II.
Von Dacotah nach Montana. – Das jüngste Weide- und Viehland der Vereinigten Staaten. – Ein erster Blick auf die Felsengebirge. – Nach dem Wunderlande des Yellowstone. – Die Mammuth-Thermen des Nationalparks.

Dacotah ist das drittgrößte Gebiet der, mit Ausschluß Alaskas und des südlich von Kansas gelegenen Indianerterritoriums, zur Zeit aus achtunddreißig Staaten und acht organisirten Territorien bestehenden Union. Den ersten Platz nimmt Texas mit seiner das ganze deutsche Reich fast um ein Viertel seiner Größe übertreffenden Bodenfläche von 274,354, den zweiten Californien mit 157,801 englischen Quadratmeilen[1] ein. Dacotah selbst mißt deren 150,932. Ihm an Größe zunächst stehend ist das als sein unmittelbarer westlicher Nachbar ihm auch zunächst liegende Territorium Montana, mit einer um etwa 7000 Quadratmeilen geringeren Ausdehnung.

Aber trotz dieser unmittelbaren westlichen Nachbarschaft und trotz der völligen Gleichheit der Breitengrade, unter denen die beiden gewaltigen Gebiete sich erstrecken, bilden ihre klimatischen Verhältnisse einen solchen Contrast, daß man sich, wenn man den Gürtel der Bad lands des Little Missouri, der ungefähr ihre Grenze bildet, überschritten hat, thatsächlich in eine neue Welt versetzt findet. Allerdings nicht für das Auge, oder doch wenigstens nicht für jenes, welches nur auf das rein Landschaftliche gerichtet ist. Dieses sieht sich erst nach abermals drittehalbhundert Meilen einem wirklichen Wechsel, dann aber freilich auch jenem vollständigen, gewaltigen und langersehnten Decorationswechsel gegenüber, welcher in dem magischen Wort „Rocky Mountains“ verkörpert ist. Bis dahin ist dieses Territorium Montana gar weit davon entfernt, seinem im wahrsten Sinne des Wortes hochtönenden, eine ganze Berg- und Gebirgswelt verheißenden Namen Ehre zu machen.

Nach wie vor herrscht auch hier der Charakter der ebenen, baumlosen Prairie des Westens vor, bestimmt er ausschließlich die Physiognomie der ganz und gar aufgerollten, eintönigen Landschaft. Und wenn auch die das Territorium von Westen nach Osten quer durchströmenden Hauptflüsse desselben, der Missouri und der Yellowstone[2], sowie die zahlreichen kleineren Zuflüsse dieser beiden, inmitten schmaler Streifen von Pappelgehölz und in Thälern und Einsenkungen dahinfließen, die immer enger und tiefer werden, je weiter man nach Westen kommt: so kann doch innerhalb dieser ganzen östlichen zwei Drittel Montanas ebenso wenig von einem Waldland, als von einem Berglande die Rede sein, wie man es fast achthundert Meilen westlich vom Mississippi doch nachgerade erwarten sollte. Unmerklich von der Tieflandprairie zum Hochplateau der den Felsengebirgen vorgelagerten „Plains“ ansteigend, dehnt

[376]

Die „heißen Mammuth-Sprudel“ im Nationalpark des Yellowstone.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

[378] sich hier das endlose Land auf Tausende und Tausende von Quadratmeilen in der nämlichen Flachheit, in der nämlichen Baum- und Strauchlosigkeit weiter hin, wie wir es vorher in dem tiefer liegenden Dacotah gesehen haben.

Und dennoch muß es als eine andere Welt bezeichnet werden! Warum? Ein einziges Wort sagt es – das Wort: Winterlosigkeit. Montana ist bereits ein Theil jenes Großen Westens, der nicht nur durch quer darübergelegte Felsengebirgsausläufer von Britisch Amerika her geschützt, sondern auch von den Luftströmungen erwärmt wird, welche in ihren letzten Wellen durch die Pässe und Einsenkungen der Felsengebirgshauptkette vom Stillen Ocean ihren Weg bis hierher finden. In Folge dessen weist Montana kimatische und meteorologische Verhältnisse auf, welche zu denen des nächstbenachbarten östlichen Gebietes schon in dem unvermitteltsten Gegensatz stehen.

Nirgends aber tritt dieser Gegensatz so vollkommen und so jäh zu Tage, wie gerade hier, zwischen den beiden größten Territorien des Neuen Nordwestens, welche, noch gestern das ausschließliche Eigenthum herumschweifender Indianerhorden, heute durch einen ununterbrochenen eisernen Heerweg in den Bereich des Weltverkehrs gezogen, auch schon im vollsten Begriffe stehen, für diesen letzteren von einer gleich großen und naheverwandten und dennoch in ihren ersten Vorbedingungen ganz und gar verschiedenen Wichtigkeit zu werden: Dacotah als ein unvergleichliches Getreideland, Montana als ein Viehzuchtland ersten Ranges! Gehört das erstere noch zu jenen nördlichen Gebieten der Union, welche, ganz offen und ungeschützt gegen die arktischen Regionen daliegend, von den strengsten Wintern, den heftigsten Schneefällen und vor allen Dingen von jenen mörderischen „Blizzards“ heimgesucht werden, die zwar kein Hinderniß für den üppigsten und erfolgreichsten Sommeranbau bilden, dafür aber vom December bis zum Februar wahrhaft polare Zustände schaffen: so liegt das letztere bereits westlich des 103. und 104. Längengrades, mit denen im Großen Westen jene Region der regenlosen Sommer und der milden Winter beginnt, die dem Ackerbaue allerdings nur unter Zuhülfenahme künstlicher Bewässerung wahrhaft lohnende Aussichten eröffnen, dafür aber im Verein mit den geradezu wunderbaren Weidegründen dieser „Plains“ der Massenviehzucht Alles entgegen bringen, was dieselbe nur erheischt. Früher mit seinem im getrockneten Zustande die ganze Nährkraft frischen Wachsthums bewahrenden Graswuchs die nordwestliche Hauptweide des amerikanischen Büffels bildend, ist Montana jetzt, nach so gut wie vollendeter Ausrottung dieses gehörnten Ureinwohners der Prairie, auf dem besten Wege, sich als Productionsland gezüchteter Rinder zu einem Stapelgebiete zu entwickeln, wie es die Vereinigten Staaten in dieser Beziehung bisher nur in Wyoming und Texas besaßen.

Wie weit aber die großen „Ranchmen“[3] des Territoriums bereits heute auf diesem Wege vorgeschritten sind, dürften am besten die Berichte über das Viehverfrachtungsgeschäft der Nordpacificbahn ausweisen. Obgleich dieselbe nur erst vor drei Jahren die Grenze von Montana überschritten, hatte sie doch im vorigen Sommer bereits täglich Hunderte und Hunderte von „Hörnern“ auf eigens dazu eingerichteten Zügen nach den Schlachthöfen der östlichen Großstädte zu befördern. Niemand aber wird diesen dem fernsten Westen entstammenden Heerden bei ihrer Ankunft in Chicago, New-York oder Boston angesehen haben, daß sie nie einen Stall und eine Stallfütterung gekannt, sondern, selbst die Winter im Freien verbringend, auf ihren Hochtriften bisher nur ein Wildlingsleben geführt haben, welches höchstens von der Peitsche des berittenen Cow Boy[4] und dem Brenneisen mit dem Namenszuge ihres Eigenthümers in empfindlicherer Weise beeinflußt worden ist.

Es ist das unter Zuhülfenahme nur geringfügiger künstlicher Bewässerung äußerst fruchtbare und sich dem entsprechend reißend schnell besiedelnde Thal des Yellowstoneflusses, welchem die Nordpacificbahn in einer Länge von etwa 250 Meilen folgt, bis sie Bozeman im Gallatinthale, 1096 Meilen westlich vom Mississippi, den derzeitigen Endpunkt ihrer östlichen Strecke erreicht hat. Bozeman liegt bereits in den Gebirgen selbst – inmitten jenes gewaltigen, langersehnten Decorationswechsels, von welchem oben gesagt wurde, daß er in dem magischen Worte „Rocky Mountains“ verkörpert sei.

Ein magisches Wort, fürwahr, und nur wenige Namen in der gesammten Gebirgsnomenclatur der Erde kingen stolzer, regen die Phantasie lebhafter an. Und doch, ist es nicht eine Art von Enttäuschung, welche dem ersten Blick, mit dem man die hinter jenem Namenzauber liegende Wirklichkeit umspannt, zum Entgelt wird? Dem ersten – dem allerersten Blick – ja! Aber auch nur diesem. Sowohl die Hauptkette des mächtigen, von den Amerikanern so gern als das Rückgrat ihres Continents bezeichneten Gebirges, wie der östlich vorgelagerte Zug der Crazy Mountains – wörtlich der „Verrückten“ oder „Tollen Berge“ – bauen sich schon hier in der ganzen, den Felsengebirgen eigenthümlichen nackten und ungefügigen Massenhaftigkeit bis zur Höhe von acht-, zehn- und noch mehr tausend Fuß auf. Trotzdem, und obwohl es selbst im Hochsommer in seinen höchsten, nordwärts liegenden Gipfeleinsenkungen nicht an Schnee fehlt, bleibt das Gebirgsbild, als Großes und Ganzes, dem ersten Blick doch jenen etwa die Wildalpen der Schweiz charakterisirenden Hoch- und Höchstgebirgseindruck schuldig, den man begreiflicher Weise gerade hier erwartet. Es erklärt sich das leicht genug. Da sich die Rocky Mountains, wo immer man ihnen, vom südlichen Neu-Mexico bis zum nördlichen Montana, vom Osten her naht, überall auf einer bereits zu vier-, fünf- und sechstausend Fuß unmerklich angestiegenen Hochebene erheben, so ist man zuerst naturgemäß außer Stande, die acht-, zehn- und mehr tausend Fuß über dem Meeresspiegel, welche ihnen die wissenschaftliche Vermessung giebt, in ihrer wirklichen Wucht zu erkennen. Aber es währt nicht lange, und aus den Höhen dieser gigantischen Erd- und Steinaufjochungen selbst, die so gelassen in den Himmel über sich hineinragen, als wäre er ihre eigentliche Heimath, steigt die Erkenntniß des Wahren zu dem kleinen Menschenkinde da unten hernieder. Ehe sich’s selbst noch Rechenschaft darüber geben kann, beginnt es das wirkliche Wesen dieser breitgelagerten und breitgegliederten Kolosse zu fühlen. Und vom Fühlen zum Sehen, zum bewunderungsvollen, erschütterten Emporsehen ist dann nur noch ein Schritt.

Wie mächtig aber wachsen diese Berg- und Felsfluchten erst um den Westfahrer empor, wenn ihn Berggefährt oder Saumthier, die hier einstweilen noch die einzige Verbindung herstellen, auf immer wilderen Kamm- und Klippenwegen von Bozeman südwärts tragen! Dorthin tragen, wo die schneegekrönte Hauptkette der Felsengebirge sich in ein Paar weitgeschwungene Hochgebirgszüge theilt, oder richtiger gesagt, ein Paar von schützenden Alpenarmen ausbreitet, als gelte es darin einen allerkostbarsten Schatz oder ein allerkostbarstes Geheimniß dieser ohnehin zu den Wolken entrückten Welt vor der profanen Erde da unten noch ganz besonders zu bergen! Dorthin, wo noch, mit seinen Seespiegeln und Thalsohlen in mehr als Schneekoppen- und Rigihöhe liegend, sich jenes Quellland des Yellowstone ausbreitet, das in seiner ungeheuerlichen Fremdartigkeit den Namen eines Wunderlandes des ganzen Erdballs, in seiner gleichzeitigen traumhaften Lieblichkeit aber nicht minder gebieterisch den eines Nationalparks, eines natürlichen Armida-Gartens des größten Volks der Neuen Welt erzwang!

Es nimmt zwei Tage in Anspruch,[5] bis man von dem neuen Heerweg der Nord-Pacificbahn aus die mit der Scheidelinie von Montana und Wyoming zusammenfallende Nordgrenze dieses Wunderlandes erreicht. Vom Congreß der Vereinigten Staaten unter dem Namen „Nationalpark des Yellowstone“ für alle Zeiten als Volksdomäne abgegrenzt und reservirt, nimmt es genau die Nordwestecke des letztgenannten dieser beiden Territorien ein. In der Umgrenzung eines 65 Meilen langen und 55 Meilen breiten Rechtecks bedeckt es hier einen Flächenraum von 3575 englischen Quadratmeilen. Und in dieser Größe, welche die des ganzen Unionsstaates Delaware oder jene des deutschen Großherzogthums Oldenburg um mehr als die Hälfte übertrifft, ist es mit seinen erlesenen Hochgebirgs-, Wasser-, Wiesen- und Waldscenerien – denn damit ihm auch nicht eine Schönheit fehle, tritt plötzlich der im Felsengebirgswesten längst zum völligen Fremdling [379] gewordene Wald gerade hier wieder in der Fülle des Urwachsthums auf! – thatsächlich der größte und schönste Park der Welt. (Vergl. S. 373.)

Doch nicht genug damit – in dieser selben Größe eines kleinen europäischen Königreiches bildet es zugleich auch mit dem darauf zusammengedrängten Pandämonium (Tempel aller Dämonen) von heißen Quellen, Geysern, Schlammkratern und sonstigem Wasser- und Feuerspuk grandiosester Art die letzte Zufluchtsstätte jenes vulcanischen Großlebens, welches einst die ganze westliche Hälfte des nordamerikanischen Continents beherrschte, ist es eine einzige ununterbrochene Zauberwildniß, zu deren zahllosen Phänomenen sich, über den gesammten übrigen Erdball verstreut, kaum hier und da vereinzelte Anklänge, geschweige denn etwas wie wirkliche Seitenstücke finden.

Gleich das erste dieser Naturmirakel, welches sich dem von Norden her den Nationalpark Betretenden enthüllt, stellt sich in einer Souverainetät dar, wie sie nur dem Unvergleichlichen, dem Einzigen eigen ist. Es sind dies die ein kleines Gebirge für sich bildenden Riesengebilde chemischer und vulcanischer Gewalten, welchen die ersten Erforscher dieses Gebietes die Bezeichnung „White-mountain hot springs“ (des „Weißen Gebirges heiße Quellen“) beigelegt hatten, die jedoch heute nur noch unter dem weniger malerischen, dafür aber um so plastischeren Namen der „Mammuth hot springs“ (der „Mammuth heißen Quellen“) verstanden werden.

Ein kleines, weißschimmerndes Gebirge für sich – nichts mehr und nichts weniger ist es, als was sich der schneeige Wunderbau dieser Mammuth-Thermen in der sie umgebenden bewaldeten Gebirgs- und Felsenwelt erhebt. Etwa drei Meilen lang und bis zu einer halben Meile breit, wächst es inmitten einer tiefen Thaleinsenkung in mächtigen, jäh über einander aufsteigenden, grauweißen Terrassen bis zur Höhe von 400, 600 und 800 Fuß empor, in welch letzterer sich sein langgestreckter höchster Kamm bis zu dem ihn weiterhin fortsetzenden bewaldeten Bergrücken so glatt dahinstreckt, als wäre er zur Herstellung eines luftigen Riesentanzbodens mit einem einzigen ungeheuren Messerschnitt abgeplattet worden. Auf den ersten Blick und von dort, wo man nach Zurücklegung eines letzten geradezu halsbrecherisch abstürzenden Wegstücks in das Thal dieses „Weißen Berges“ einlenkt, erscheint das Ganze wie ein unabsehbarer, unförmlicher Kalk- oder Kreidebruch.

Aber nur näher heran, und alsbald treten aus diesen wüsten Abstürzen weißen Gerölls in immer frappirenderer Bestimmtheit der Umrisse die Formen stufenartig vor einander hergeschobener Becken und Wannen hervor; quellen schon hier und da, gleich leichten hin und her wehenden Schleiern, silberweiße Dämpfe empor; entfaltet sich endlich an und auf diesen wie von der Hand titanischer Künstler gebildeten Kalossalschalen ein Farbenleben, welches zuerst das Werk einer momentanen Blendung zu sein scheint, bis schließlich der ganz nah Herangekommene erkennt, daß er es mit keiner Sinnestäuschung, sondern mit wirklichen, untrüglichen, leuchtenden Farben zu thun hat, neben denen die bunten Gaukelspiele des Regenbogens und des Edelopals zur Unscheinbarkeit herabsinken.

Und nun löst sich dem mehr und mehr in dieses Naturheiligthum Eindringenden auch das Räthsel dieses Schalen-, Dampf- und Farbenzaubers. Das Räthsel – nicht das Wunder, das vielmehr immer magischere Reize entfaltet, je näher man ihm tritt, je mehr man sich darein versenkt.

Die zitternden Silberschleiern gleich aufwallenden Dämpfe entsteigen den heißen Quellen, welche hier allerorten, auf den Plateaus und Terrassen dieses Märchengebirges sowohl, wie an seinen Abhängen, in zahllosen Centralbassins unmittelbar dem Erdinnern entkochen. Die von diesen Kraterbecken aber nach allen Seiten sich ausbreitenden Farben entstrahlen den mineralischen Niederschlägen der nämlichen heißen Quellen. Beständig durch neue Siedefluth aus der Tiefe verstärkt, kochen sie unablässig über die Ränder ihrer Mutterbassins; ergießen sie sich von ihnen aus cascadenartig in die sie umlagernden tieferen Schalen; füllen sie diese selbst mit lichtblauem Krystallgefluth, während sie dort, wo sie wieder abfließen oder verdunsten, über Alles ein ganzes, die gesammte Farbenscala von Lichtgelb, Hellgrün und Rosa bis Krebsroth, Scharlach, Purpur und Braun durchstürmendes Bacchanal von blendenden Tinten und Lichtern ausbreiten.

Und doch ist damit ihr Werk für das Auge noch nicht vollendet. Mit der Vollbringung des berauschendsten Farbenzaubers nicht zufrieden, wollen sie auch Formen-Magier sein, und sie sind es in der That. Mit denselben mineralischen Niederschlägen, mit denen sie im Laufe der Jahrhunderte dieses ganze Kreidegebirge sammt seinen Becken- und Wannen-Gefügen ausgeführt und mit denen sie es seitdem tagtäglich in einen wahren Makart-Reichthum coloristischer Glorien hüllen, schmücken sie gleichzeitig auch noch das von ihrer Azurfluth angefüllte Innere dieser Schalen und Bassins mit den reizendsten plastischen Gebilden aus. Wo sie die Muster dazu her haben? Wer will es sagen? Ob vom Bau der Koralle, ob vom Wachsthum des Mooses, ob von der Bildung der Reiherfeder oder der Schuppenablagerung des Schmetterlingsflügels? Genug, daß nicht nur die beiden zaubermächtigsten Farbenmischer der Welt, Licht und Wasser, am rastlosen Werke sind, die blendendsten coloristischen Effekte hervorzubringen: es trägt auch die plastisch-bildende Natur beständig alles Zierlichste, Holdeste und Grazienhafteste zusammen, um das hier von ihr gedichtete Schönheitsmärchen zu einem vollendeten zu machen.

Und so vereinigt sich in diesen Mammuth-Thermen, und wie in ihnen, noch in Hunderten und aber Hunderten der zahllosen übrigen heißen Quellen, welche das Wunderland des Yellowstone übersäen, Alles und Jedes, was den davor Stehenden berücken und ihn über dem bloßen Schauen völlig vergessen machen kann: daß die Natur in dem Allen noch etwas ganz Anderes, als nur ein Feenwerk für das Auge errichtet hat, daß sie hier, wie im ganzen Yellowstone-Park, auch als Menschheits-Wohlthäterin und Menschheits-Retterin größten Stils zu walten gedenkt. Als Heilung spendende Menschheits-Wohlthäterin, als Leben wiedergebende Menschheits-Retterin! Wer wollte schon heute die Kräfte, welche zu diesem Behufe hier angehäuft sind, selbst nur auf ein bloßes Ungefähr hin abschätzen? Hier, wo – von den Thermen des übrigen Nationalparks gar nicht zu sprechen – im Umkreis einer einzigen Stunde allein die vom ewigen Feuer der Unterwelt erhitzten Fluthen ungezählter Sprudel in solchen Strömen zu Tage treten, daß der hundertste Theil davon an irgend einer Stelle der alten Welt seit Menschengedenken hingereicht hätte, aus dieser einen Stelle ein Mekka für die Leidenden aller Nationen zu machen.

Ja, vom ewigen Feuer selbst! In einer Temperatur von 160, 180, 200 und selbst noch mehr Grad Fahrenheit der Tiefe entsiedend, übertreffen diese heißen Quellen dort, wo sie in undurchsichtigster Azurglorie unmittelbar an’s Licht treten, an Hitze Alles, was man sonst von Thermen und Sprudeln kennt. Aber fast scheint es, als wüßten sie selbst, daß sie mit solchen Gluthen nur zerstören, nur tödten könnten. Und so strömen sie denn, um sich dem Heilung suchenden Menschenkinde freiwillig in allen nur begehrenswerthen Wärmegraden darzubieten, auf jenem Wunderbau selbstgebildeter Becken- und Wannen-Fluchten zu Thal, bis ihre Fluth in den entlegensten und untersten Schalen so abgekühlt anlangt, daß man, auf den Knieen über ihren Rand geneigt, ihr klares Wasser ungescheut schlürfen kann. Auf den Knieen – welche andere Stellung ziemte hier auch dem bewundernden Menschen überhaupt noch!?


  1. Es gehen etwa 211/10 englische Quadratmeilen auf die deutsche Quadratmeile.
  2. Der Yellowstonefluß ist der bedeutendste südliche Nebenfluß des Missouri, welchem er, in dem nach ihm benannten Wunderlande entspringend, nach einem Lauf von etwa 500 Meilen in Nord-Montana zuströmt.
  3. „Ranchmen“ Besitzer eines „Ranch“, eines Grundbesitzes von Weideländereien mit Heerdenzucht.
  4. „Cow Boys“, die berittenen Hüter der großen Viehheerden; wörtlich „Kuhjunge“.
  5. In kurzer Zeit wird auch hier die Nord-Pacificbahn eine 75 Meilen lange Schienenverbindung hergestellt haben, die ebenso sehr um der Kühnheit ihres Baues halber, wie um des Zieles willen, welches ihr gesteckt ist, eine Merkwürdigkeit sein wird.