Zeitungsjungen in New-York

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Titel: Zeitungsjungen in New-York
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 119–120
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[119] Zeitungsjungen in New-York. Wer Victor Hugo’s „Les Misérables“ gelesen hat, weiß, was die Pariser Straßenjungen treiben, hat darum aber noch lange die New-Yorker Zeitungsjungen nicht kennen gelernt. In New-York ist bekanntlich eine Zeitung dem einigermaßen gebildeten Publicum ebenso unentbehrlich wie das tägliche Brod. Das Erste beim Erwachen ist ein Verlangen nach der Zeitung; diese so früh zu liefern ist nicht sehr leicht, denn Depeschen werden noch bis drei oder vier Uhr gedruckt, vor fünf Uhr kann also das Blatt die Presse nicht verlassen. Ein Zeitungsträger muß seine Assistenten haben, wovon einige die verschiedenen Zeitungen zusammenbringen und auf bereitstehende Fuhrwerke werfen; [120] mit möglichster Schnelligkeit befördern diese dieselben nach den obern Stadttheilen, wo dann Andere bereitstehen, um sie zu empfangen und an die Abonnenten auszutheilen. Da dieses Austheilen, welches die Morgenzeitungen betrifft, Capital erheischt, wird es gewöhnlich nur von Erwachsenen unternommen. Erst mit den Abendzeitungen kommt die Jugend in’s Spiel. Die während des Tages passirten Neuigkeiten werden spät am Nachmittag durch Abendzeitungen bekannt gemacht, welche ungefähr ebenso zahlreich wie die Morgenzeitungen sind, aber weniger in die Wohnungen geliefert, als auf der Straße verkauft werden. Hier gilt es bei jedem Träger der Erste zu sein: wie ein wildes Heer stürzen gegen ein Uhr Kinderschaaren mit Zeitungsbündeln aus den Druckereien, um, sich gegenseitig überrufend und überlaufend, die belebtesten Straßen zu erreichen; einige haben die Füße entblößt, um rascher laufen zu können; andere hängen sich an vorüberfahrende Wagen, theils um den Insassen Zeitungen zu verkaufen, theils um schnell vorwärts zu kommen. Ueberall tönen bald die gellenden Stimmen, Mordfälle, Brände oder Kriege verkündend – ohne solchen Inhalt wären die Blätter langweilig. Vorsichtig wird nur so viel ausgerufen, daß man nichts Bestimmtes daraus entnehmen kann, ohne das Blatt zu kaufen. Der Preis der verschiedenen Zeitungen variirt von ein bis fünf Cents, woran der Träger dreiunddreißig und ein Drittel Procent Commission verdient. Die billigsten haben die größte Circulation. Nach einer Stunde, also um zwei Uhr, erscheint die zweite Auflage; die erste muß bis dahin abgesetzt sein, weil sie nachher unverkäuflich bleibt. Das Rennen und Drängen geht nun von Neuem los, um sich jede Stunde zu wiederholen, bis endlich um fünf Uhr die letzte Auflage vertheilt wird.

Das Capital dieser Jungen hat sich nach vollendeter Tagesarbeit in der Regel verdoppelt: waren sie am Morgen 25 Cents werth, so besitzen sie am Abend 50 Cents. Manche sind sparsam und werden im Laufe einiger Jahre angesehene Geschäftsmänner; Andere verjubeln in der Nacht ihre ganze Baarschaft und müssen mit geliehenem Gelde am Morgen wieder beginnen. Einige speculiren in Lotterien oder an Spieltischen. Gerieben und lebhaft werden sie alle; schreiben und lesen können aber nur die Wenigsten; trotzdem ist ihnen der Inhalt der Zeitungen stets bekannt. Wie sie sich mit demselben vertraut machen, bleibt ein Räthsel.

Häufig kennen diese Kinder ihre Eltern nicht und besitzen keine Heimath; ihr Nachtlager befindet sich in diesem Falle auf den Straßen oder unter den Schiffswerften. Am Morgen, ehe ihre Arbeit beginnt, belustigen sie sich, Jeder nach seinem Geschmack; eine Balgerei oder ein Feuer zieht sie von allen Seiten herbei und gewährt ihnen das größte Gaudium. Können sie durch kleine Dienstleistungen einen Penny verdienen, so sind sie bei der Hand; können sie im Gedränge ein Taschentuch oder einen Handschuh entwenden, um das „gefundene“ Stück gegen eine Belohnung wieder auszuliefern, so sind sie auch bei der Hand. Wittern sie dann auf hundert Schritte einen Polizisten, so sind sie rein verschwunden. Um eine treffende Antwort sind sie selten verlegen. Neulich sprach ein Vorübergehender, der sich nicht zurecht finden konnte, einen Zeitungsjungen also an: „Ich möchte gerne nach der Pearl-Straße gehen.“ „Nun, gehen Sie ungenirt hin!“ lautete die Antwort. Vor Kurzem kaufte ein ältlicher Herr eine Zeitung, deren Werth vier Cents betrug; er gab dem Jungen ein Fünf-Centsstück, womit sich dieser davon machen wollte. Den Jungen einholend, nahm ihm der Käufer das Geldstück wieder ab, gab ihm das Blatt zurück, rief einen andern Jungen herbei und kaufte diesem, zur Bestrafung des Ersteren, die Zeitung ab. Seinen Zweck hatte der Mann aber nicht erreicht, denn ganz lustig rief ihm der erste Junge nach: „Ich danke Ihnen, Sir, der und ich sind associirt.