Zu Herrn v. Ignatowskys Behandlung der Bornschen Starrheitsdefinition

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Autor: Paul Ehrenfest
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Titel: Zu Herrn v. Ignatowskys Behandlung der Bornschen Starrheitsdefinition
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aus: Physikalische Zeitschrift 11, S. 1127–1129
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: S. Hirzel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons, Princeton-USA*
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Zu Herrn v. Ignatowskys Behandlung der Bornschen Starrheitsdefinition.
Von Paul Ehrenfest.


§ 1. Ein Körper, welcher der Bornschen Relativ-Starrheits-Forderung[1] genügt, kann auf keine Weise aus der Ruhe in den Zustand einer gleichförmigen Rotation um eine feste Achse übergeführt werden. — Dieses Theorem wurde so durchsichtig und bündig bewiesen[2], daß es von allen Autoren, die sich bis vor kurzem zur Relativ-Starrheitsfrage äußerten, ohne weiteres akzeptiert wurde, und zwar unabhängig davon, welchen Standpunkt die betreffenden Autoren sonst zum Starrheitsproblem einnehmen. Der Übersichtlichkeit halber seien hierhergehörige Äußerungen in chronologischer Reihenfolge kurz resümiert:

M. Born[3] gibt obiges Resultat zu und entschließt sich dementsprechend zu folgenden Annahmen: 1. Die Elektronen genügen wirklich der Starrheitsforderung, rotieren aber nicht. Die Elektronentheorie erfordere nirgendwo unbedingt die Annahme rotierender Elektronen. 2. Die makroskopischen „starren“ Körper sind Molekülaggregate, also elastisch deformierbar, genügen der Starrheitsforderung nicht und können rotieren.

M. Planck:[4] 1. Die makroskopischen „starren“ Körper sind als elastisch anzusehen und die Theorie ihrer Bewegung muß durch Aufstellung des kinetischen Potentials der elastischen Deformationen begründet werden. „Der Versuch, die für die gewöhnliche Mechanik so wichtige Abstraktion der starren Körper auch für die Relativitätstheorie fruchtbar zu machen, scheint mir keinen rechten Erfolg zu versprechen.“ 2. Was die Festhaltung der Starrheitsforderung für das einzelne Elektron betrifft, so entziehe es sich vorläufig jeder Prüfung, „ob man damit physikalisch weiterkommt, als mit den allgemeinen Grundsätzen der Relativitätstheorie“.

M. Abraham:[5]: „Der von M. Born ..... unternommene Versuch, die Einsteinsche Definition der Länge ..... zu verallgemeinern, muß als gescheitert gelten, nachdem Ehrenfest, Herglotz, Noether und Levi-Civita dargetan haben, daß der zugrunde gelegte Starrheitsbegriff auf Rotationsbewegungen nicht anwendbar ist.“

M. Born[6] hält, in einer späteren Arbeit, gegen Planck daran fest, daß die Ausdehnung des Starrheitsbegriffes auf die Relativitätstheorie notwendig sei und entwickelt — indem er seine ursprüngliche Starrheitsdefinition als zu eng zurückstellt — eine neue Starrheitsdefinition. Dabei nimmt er in den Kauf, daß jeder starre Körper mit einem — bezüglich der Starrheitsdefinition — ein für allemal ausgezeichneten Punkt behaftet gedacht werden muß.[7] Und auch so ließen sich noch weitaus nicht ganz die Schwierigkeiten des Rotationsproblems überwinden: Wie Herr Born zeigt, findet hier die stationäre (!) Rotation um eine feste Achse derart statt, daß der ruhende Beobachter die mehraxialen Schichten mit größerer Winkelgeschwindigkeit rundlaufen sieht als die peripheren Schichten, so daß also der „starre“ Körper sich von der Achse her immer mehr zerrührt.[8]

§ 2. Nun nimmt — in einer kürzlich erschienenen Publikation[9] — auch Herr v. Ignatowsky Stellung zum Problem der Rotation relativ starrer Körper. Seinen Standpunkt kennzeichnet vor allem folgende Äußerung (§ 5, Ende):

„Betrachten wir wieder den Zylinder des § 3, und zwar den Übergang von Ruhe zu gleichförmiger Rotation. Unter der Wirkung der äußeren Kräfte wird er sich in Bewegung setzen, aber immer unter Einhaltung der Bedingung (20) § 2. Die Wirkung dieser Kräfte wird sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit fortpflanzen, so daß die Winkelgeschwindigkeit für einen bestimmten Moment für alle Winkel nicht dieselbe ist. Zugleich wird er sich scheinbar kompromieren, bis nach einiger Zeit seine Bewegung in eine gleichförmige Bewegung übergeht.“

Geht Herr v. Ignatowsky, um zu dieser Behauptung zu gelangen, vielleicht von einer Starrheitsdefinition aus, die von der (ursprünglichen) Bornschen abweicht?

Nein! Seine Ausgangsgl. (6)

(6)

ist identisch mit der (ursprünglichen) Bornschen Forderung, und seine Gleichung

(7)

geht aus ihr durch totale Differentiation hervor. Die aus (7) durch Umformung abgeleitete Gl. (13) ist der zeitliche Differentialquotient derjenigen Form der Bornschen Starrheitsgleichung, mit der ich und Herglotz operierten, und endlich die oben erwähnte Gl. (20) ist die weitere Umformung der Gl. (7) und (13) von der Lagrangeschen auf die Eulersche Form nach dem Vorgang von Noether.

Damit ist dann auch in bester Übereinstimmung die folgende Aussage, die Herr v. Ignatowsky am Ende von § 3 über den stationär rotierenden Zylinder macht:

„Nun betrachten wir einen Kreiszylinder, der mit einer konstanten Winkelgeschwindigkeit um eine ruhende Achse rotiert. Es ist leicht nachzuweisen, daß in diesem Fall Gl. (20) identisch erfüllt ist.“

In der Tat: daß die Bornsche Starrheitsdefinition die stationäre Rotation zuläßt, ist nun längst nachgewiesen. Die Schwierigkeit liegt bekanntlich ausschließlich in der Frage nach dem Übergang von der Ruhe zur gleichförmigen Rotation.[10] Ich formulierte diese Schwierigkeit folgendermaßen:

„Es sei gegeben ein relativ starrer Zylinder vom Radius und der Höhe . Es werde ihm allmählich eine — schließlich konstant bleibende – Drehbewegung um seine Achse erteilt. Sei der Radius, den er bei dieser Bewegung für einen ruhenden Beobachter aufweist, dann müßte zwei einander widersprechende Forderungen erfüllen:

a) Die Peripherie des Zylinders muß gegenüber dem Ruhestand eine Kontraktion zeigen:

.....;

b) .... die Elemente eines Radius können gegenüber dem Ruhezustand keinerlei Kontraktion aufweisen. Es müßte

sein.“

Man vergleiche damit folgende Angaben des Herrn v. Ignatowsky: „Die Entfernung zwischen zwei Punkten des Zylinders, welche nicht auf demselben Durchmesser liegen, gemessen, als der Zylinder noch ruhte, wird nicht gleich sein der Entfernung zwischen denselben Punkten synchron gemessen, wenn der Zylinder rotiert“ (§ 3, Ende).

„Meines Erachtens scheint die ganze Sache auf einem Mißverständnis zu beruhen. Messen wir ein Linienelement längs des Umfanges der“ — stationär rotierenden — „Scheibe synchron, so bekommen wir einen Wert, der kleiner als ist, wo den“ — an der rotierenden Scheibe synchron gemessenen — „Radius der Scheibe bedeutet. Darin liegt aber absolut kein Widerspruch, sondern es erklärt sich alles aus der Definition der synchronen Messung ...... Im allgemeinen können wir die wahre Form und Dimension eines starren Körpers durch Messung dann und nur dann festlegen, wenn der Körper ruht. Die Messungen an bewegten Körpern ergeben nur scheinbare Werte .....“ (Schlußanmerkung).

§ 3. Im Interesse einer Aufklärung über den Sinn der Worte

„Darin liegt aber absolut kein Widerspruch, sondern alles erklärt sich aus der Definition der synchronen Messung“

erlaube ich mir Herrn v. Ignatowsky höflichst zu bitten, er möge zu zwei sogleich zu formulierenden Fragen Stellung nehmen. — Behufs präziser Fassung dieser Fragen schicke ich eine Verabredung und eine Behauptung voraus.

Die Kreisscheibe sei auf ihrer ganzen Fläche mit unendlich vielen individuell kenntlichen Marken versehen.

Während die Scheibe ruht, hält der ruhende Beobachter ein Pauspapier über sie und paust die Marken auf das ruhende Blatt durch.

Während die Scheibe stationär rotiert, hält der ruhende Beobachter ein Pauspapier über sie und paust in dem Moment, wo seine Uhr auf zeigt, mit einem Schlag alle Marken auf das ruhende Blatt durch.

Schließlich mißt der ruhende Beobachter die Markenverteilung auf den ruhenden Pausbildern und durch.

Ich behaupte: Die derartig auf ausgemessene Peripherie- und Radiuslänge fällt in vorliegendem Beispiel genau mit dem zusammen, was Herr v. Ignatowsky nennt: Scheibenumfang bezw. Scheibenradius an der stationär rotierenden Scheibe vom ruhenden Beobachter im Moment „synchron gemessen“. (Siehe Definition der „Synchronmessung“ in § 2 der Arbeit von v. Ignatowsky.)

Meine Fragen an Herrn v. Ignatowsky lauten:[11]

Frage 1: Ist die zuletzt formulierte Behauptung richtig? Wenn nicht — worin besteht dann der Unterschied zwischen dem Resultat, das der ruhende Beobachter durch „synchrone Messung“ der rotierenden Scheibe erhält, und dem Resultat, das die Ausmessung des ruhenden Pausbildes liefert?

Frage 2: Wenn meine Behauptung richtig ist, so werden die Aussagen, welche Herr v. Ignatowsky über „synchron gemessene“ Peripherie und Radius zusammenstellt und merkwürdigerweise als absolut widerspruchslos bezeichnet, zu folgenden Aussagen über die Pausbilder: Das Pausbild hat denselben Radius wie und dabei ist seine Peripherie kürzer. Wie soll man sich Pausbilder von solcher Eigenschaft widerspruchslos vorstellen?

Petersburg, 4. Oktober 1910.

(Eingegangen 7. Oktober 1910.)

  1. M. Born, Ann. d. Phys. 30, I, 1909.
  2. P. Ehrenfest, diese Zeitschr. 10, 918, 1909; G. Herglotz, Ann. d. Phys. 31, 393, 1910; F. Noether, Ann. d. Phys. 31, 919, 1910.
  3. M. Born, diese Zeitschr. 11, 233, 1910.
  4. M. Planck, diese Zeitschr. 11, 294, 1910.
  5. M. Abraham, diese Zeitschr. 11, 527, 1910.
  6. Gött. Nachr. 1910, 28. Mai.
  7. l. c, § 3, M. Born nennt diesen Punkt „Zentrum“.
  8. l. c., § 5, M. Born merkt deshalb auch an: „Danach wäre die Erdkugel schwerlich ein in diesem Sinne ‚starrer‘ Körper“.
  9. Ann. d. Phys. 33, 607, 1910.
  10. M. a. W.: Trivial war, zu beweisen, daß Gl. (20) durch die stationäre Rotation befriedigt wird. Was bewiesen werden müßte und ohne Beweis am Ende von § 5 behauptet wird, ist dies: daß sich eine Bewegung des Zylinders angeben läßt, die ihn von der Ruhe zur stationären Rotation überführt und dabei — entgegen dem Resultat von Noether — fortwährend die Gl. (20) erfüllt!
  11. Es wäre sehr wünschenswert, im Falle einer weiteren Diskussion die Ausdrücke „wahre“ und „scheinbare“ Gestalt der rotierenden Scheibe durchaus zu vermeiden oder wenn dies unmöglich sein sollte, den Sinn dieser Ausdrücke durch eine möglichst einfache und strikte Verabredung festzulegen.