Zu Principat und Gefolgschaft in der altgermanischen Verfassung

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Autor: Alfred Wiessner
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Titel: Zu Principat und Gefolgschaft in der altgermanischen Verfassung
Untertitel: Interpretation von cap. 13 der Germania des Tacitus
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 12 (1894/95), S. 312–339.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. B. und Leipzig
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[312]
Zu Principat und Gefolgschaft in der altgermanischen Verfassung.
Interpretation von cap. 13 der Germania des Tacitus.
Von
Alfred Wiessner.


Insignis nobilitas aut magna patrum merita principis dignationem etiam adolescentulis assignant: ceteris robustioribus ac jam pridem probatis aggregantur nec rubor inter comites aspici. Gradus quin etiam ipse comitatus habet judicio ejus, quem sectantur.

Die vorliegende Stelle ist eine der bestrittensten in der ganzen Germania des Tacitus. So einfach dieselbe erscheint, so schwierig zeigt sie sich bei näherer Betrachtung. Fast ist es nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet: jedes einzelne Wort ist hier Gegenstand des Streites geworden. Im Mittelpunkt des Kampfes steht der Ausdruck principis dignatio, von dessen Auslegung der Sinn der ganzen Stelle hauptsächlich abhängt.

Man hat vielfach die Stelle in folgender Weise übersetzt: „Hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter verleihen eines Fürsten (Gefolgsherrn) Würde auch noch ganz jungen Leuten. Solche schliessen sich (oder werden angereiht) anderen Kräftigeren und schon Erprobten an, und keine Schande ist es, unter den Gefolgsleuten erblickt zu werden[1]“.

So natürlich und einfach die Uebersetzung zu sein scheint, so kann man doch nichts aus derselben machen.

[313] Zunächst ist es unklar, wie man sich das Verschaffen der fürstlichen Würde vorzustellen hat. Wer verleiht eigentlich, wenn die erwähnten Voraussetzungen gegeben sind, die Würde des Fürsten, d. h. des Gaugrafen? Geschieht dies in einem besonderen feierlichen Acte oder entscheidet etwa darüber formlos das Urtheil des Volkes? Ueber all’ dies schwebt man im Ungewissen; vergebens sucht man den darüber befindlichen Schleier zu lüften.

Und abgesehen davon begreift man nicht, wie die grossen Verdienste der Väter hierbei in Betracht kommen können. Es wäre natürlicher, wenn derjenige, der sich verdient gemacht hat, selbst die Würde eines princeps erlangt, als dass sein Sohn, der sich vielleicht noch gar nicht hervorgethan hat, das erreicht, was eigentlich nur seinem Vater von Rechtswegen gebührt.

Ferner wenn von gewissen Voraussetzungen diese Auszeichnung, welche ausnahmsweise hier auch jungen Leuten zu Theil werden kann, abhängig gemacht wird, so erwartet man eigentlich, dass mehr solche Eigenschaften als Vorbedingungen aufgezählt werden, welche den jungen Mann der Würde eines Fürsten besonders würdig erscheinen lassen. Also etwa persönliche Tüchtigkeit, Umsicht und Tapferkeit – denn dies gehört zu einem Fürsten – müssten hierbei in Frage kommen, aber nicht hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter.

Bietet also schon der Anfangssatz so manche Schwierigkeiten, wie eben gezeigt wurde, so häufen sich dieselben noch mehr in den darauf folgenden Worten: ceteris robustioribus ac jam pridem probatis aggregantur nec rubor inter comites aspici.

Als Subject ist zweifellos aus dem Vorhergehenden zu ergänzen: Die Jünglinge, welchen ausnahmsweise die fürstliche Würde verliehen ist; von denselben wird also gesagt, sie reihen (oder schliessen) sich an bezw. sie werden angereiht den übrigen Kräftigeren und schon Bewährten.

Wer aber sind denn eigentlich diese ceteri robustiores ac jam pridem probati, muss man sich fragen.

Die Einen[2] antworten hierauf: Es ist principes aus dem vorangegangenen principis dignationem zu ergänzen.

[314] So sagt z. B. Ritter: Ceteri robustiores et jam pridem probati sunt principes aetate et usu armorum robustiores et longo tempore probati. Cogitavit de pluribus comitum catervis cum suo cujusque principe.

Jedoch ist solche Ergänzung stilistisch eine ausserordentlich harte und steht auch mit den in diesem Satze gebrauchten Worten nicht in Einklang. Wenig passend ist für principes die Bezeichnung robustiores, entschieden noch weniger der Ausdruck aggregari. Sehr treffend sagt Bethmann-Hollweg[3]: „Aber wer vertrüge einen grex principum“?

Nimmt man aggregantur in passivem Sinn, wie es wohl am natürlichsten sein dürfte, so möchte man wiederum gern wissen, von wem eigentlich die jungen Fürsten den älteren angereiht wurden. Hatte darüber die Volksgemeinde zu entscheiden oder wie ist die Sache überhaupt zu denken?

Fasst man im Gegensatz hierzu – wie z. B. Ritter – das aggregari in der farblosen Bedeutung gleich sequi exemplum alius principis[4], so entsteht wieder die Unannehmlichkeit, dass jeder Uebergang zu dem im Folgenden geschilderten Gefolgschaftswesen fehlt. Und doch deutet das „nec rubor inter comites aspici“ auf engen Anschluss hin. Man müsste dann annehmen, dass Tacitus erst mit dem nec rubor etc. zur Darstellung des Comitats übergeht, und zwar ganz unvermittelt, denn vorher ist von comites ja nicht im geringsten die Rede. Eine solche Annahme ist aber undenkbar.

Die Anderen, welche aggregari mit „sich anschliessen“ übersetzen, sind der Meinung, dass diese jungen principes – quibus etiam adolescentulis insignis nobilitas aut magna patrum merita principis dignationem assignant –, obzwar selbst Fürsten, doch als Gefolgsleute älterer und erfahrener Fürsten auftreten[5].

Allerdings würde sich dann der Satz: „Nec rubor inter comites aspici“ an das Vorhergehende ganz gut anschliessen. In [315] den „comites“ würde gleichsam eine Bestätigung liegen dafür, dass in dem Anschluss der jüngeren principes an die älteren ein Gefolgschaftsverhältniss liegt. Zugleich bildet der Satz einen trefflichen Uebergang zu der unmittelbar darauf folgenden Darstellung des Gefolgschaftswesens. Aber trotzdem bleiben die Schwierigkeiten, die soeben kurz vorher hervorgehoben wurden, dieselben auch bei dieser Auffassung. Dazu kommt auch, dass das Wort aggregari in diesem Zusammenhang noch viel weniger passt. Denn zugegeben wird ja ohne Weiteres von den Erklärern der letzteren Art, dass sich die adolescentuli, obzwar Fürsten, doch im Gefolge älterer und erfahrener Fürsten befinden. Wer aber Mitglied des Gefolges ist – mag er auch, wie Halm (a. a. O. S. 5) meint, eine noch so bedeutende und ausgezeichnete Stellung unter den Gefolgsleuten eingenommen haben –, befindet sich immerhin in einem Abhängigkeitsverhältniss: er steht unter dem Gefolgsherrn. Damit verträgt sich aber nicht der Ausdruck aggregari; denn wie der Stamm des Wortes ja deutlich erkennen lässt, bezeichnet es nur eine Verbindung von Gleichartigem: „Non oves leonibus, sed pecus gregibus aut equus armento vel equitio aggregantur“ und „comitem potius comiti, pares paribus aggregari“ sagt Gebauer ganz richtig[6]!.

Allein selbst von der Bedeutung abgesehen, müsste man immer eher in solchem Fall se aggregare = sich anreihen, sich anschliessen erwarten als aggregari = angereiht werden.

Von anderer Seite wird zu ceteris aus dem Folgenden „comitibus“ ergänzt. Der Sinn dieser Auffassung wäre also der: die jungen Fürsten werden den übrigen und bewährten Gefolgsgenossen angereiht[7].

Diese Ergänzung ist aber eben schon deswegen nicht empfehlenswerth, weil es nicht üblich ist, aus dem Folgenden etwas zu ergänzen. Vorher ist aber mit keinem Wort etwas von Gefolgsleuten erwähnt. Demnach würde unter solchen Umständen die erste Andeutung der folgenden Darstellung des Gefolgschaftswesens [316] mit einem ceteris beginnen! Bei solcher Auslegung der Stelle ist auch wieder, wie bereits oben bemerkt, das passive aggregari störend. Denn es fehlt, wie gesagt, etwas Näheres darüber, von wem eigentlich dieses Anreihen ausgeht.

In der richtigen Erkenntniss, dass, wenn man ceteris als Dativ auffasst und aggregantur mit „sie werden beigezählt“ wiedergibt, auf diese Art immer etwas „Ungenügendes und Unpassendes herauskomme, wie man es auch drehe“, will sich Holtzmann damit helfen, dass er ceteris als Ablativ abhängen lässt von aggregari, und übersetzt: „Sie werden begleitet, umschaart von den Uebrigen[8]“.

Aber diese Construction verbietet sich von selbst, und aus der Grundbedeutung von aggregare = „beigesellen, anreihen“ kann nie „umschaaren, begleiten“ werden.

Die Einsicht, dass es unmöglich sei, aus der Stelle, so wie sie überliefert ist, trotz aller Mühe einen ordentlichen Sinn herauszuinterpretiren, wenn man dignatio principis mit Würde eines Fürsten übersetzt, hat Mehrere veranlasst, den Text für verderbt anzusehen. Auf verschiedene Art hat man versucht, den Text zu verbessern, um auf solchem Wege die bisher gerügten Mängel zu beseitigen.

Der einfachste und vielleicht auch naheliegendste Versuch in dieser Beziehung ist der, dass man statt ceteris: ceteri liest.

Dann wäre der Sinn des ganzen Satzes folgender: Einzelne Jünglinge erhalten in Folge ihres hohen Adels oder in Folge der grossen Verdienste ihrer Väter schon frühzeitig die Würde eines princeps und damit das Recht, ein Gefolge zu haben, während selbstverständlich nicht die Rede davon sein könne, dass sie selbst Gefolgsleute werden. Die übrigen adolescentuli dagegen, bei denen die genannten Voraussetzungen für diese Würde nicht vorliegen, treten sämmtlich nach der Wehrhaftmachung in das Gefolge eines Fürsten, was hier mit robustioribus ac jam pridem probatis aggregantur gemeint sei [mag man nun in den robustiores ac jam pridem probati mit Savigny und Gerlach die principes oder mit Gebauer und Wietersheim die comites sehen; dies kommt mit Rücksicht auf den Sinn auf das [317] Gleiche hinaus]. Bestätigung finde diese Meinung in dem folgenden „nec rubor inter comites aspici“. Trotzdem sie freie Leute seien und die Freiheit bei den Germanen sehr hoch geschätzt worden sei, wäre solcher Dienst im Gefolge nicht als entehrend angesehen worden[9].

Solcher Auffassung stehen aber mannigfache Bedenken entgegen. Von vornherein muss man jeder Aenderung des Textes, zumal wenn sämmtliche Handschriften hinsichtlich der Lesart völlig übereinstimmen, wie dies hier bei ceteris der Fall ist, misstrauisch gegenüberstehen. Dieses Verhalten rechtfertigt sich hier, wie das Folgende zeigen wird, da die Stelle mit dem handschriftlich überlieferten ceteris guten Sinn gibt.

Doch selbst wenn man die Voraussetzung zu einer Aenderung des Textes hier für gegeben erachtete, so müsste man doch wenigstens durch die Conjectur ceteri zu einer Auslegung des Satzes gelangen, gegen die sich nichts einwenden liesse. Dies ist aber keineswegs der Fall. Im Gegentheil!

Nothwendiger Weise würde sich dann bei dieser Lesart ergeben, dass alle übrigen jungen Leute, welche Mangels hohen Adels und Mangels grosser Verdienste der Väter nicht zur fürstlichen Würde gelangen, insgesammt in den Comitat eines Fürsten treten müssten. Ein derartiger Gedanke aber, dass gleichsam eine Pflicht für den Eintritt in den Comitat eines Gefolgsherrn vorhanden gewesen sei, findet sich nirgends in unseren Quellen ausgesprochen. Das Gefolgsverhältniss wird vielmehr immer als ein freiwillig eingegangenes dargestellt. Vgl. Germ. cap. 13: electorum juvenum globo circumdari.

Auch der Schlusssatz „nec rubor inter comites aspici“ wäre bei solcher Erklärungsweise ziemlich überflüssig, um nicht zu sagen unverständlich. Wenn es für alle waffenfähigen Jünglinge, welche nicht des erwähnten Vorzugs theilhaftig werden, Brauch ist, comites eines princeps zu werden, so folgt ja schon aus dieser Thatsache allein, dass die Germanen den Dienst im Gefolge eines Fürsten nicht für schimpflich und entehrend erachteten. [318] Der gedrängten Darstellungsweise eines Tacitus entspricht es aber durchaus nicht, eine sich von selbst aus seinen Worten ergebende Schlussfolgerung noch näher klar zu legen.

Schliesslich bleiben auch hier die schon oben erwähnten Bedenken. Wenn die robustiores ac jam pridem probati die principes sein sollen, so passt der Ausdruck nicht recht. (Vgl. oben S. 314.) Sind aber mit diesen Worten die comites gemeint, so muss man sich das „comites“ aus dem Folgenden – nec rubor inter comites aspici – ergänzen, da vorher mit keinem Wort etwas von einem Gefolge gesagt ist. (Vgl. oben S. 315.)

Mit dieser Conjectur ist also die Sache keineswegs gebessert.

Auf gewaltsamere Weise sucht sich Ribbeck zu helfen: aus dem ceteris macht er interim, aus dessen Abkürzung (īterī) leicht ceteris entstanden sein könne. Dignatio sei bei Tacitus nicht eine reelle Würde oder gar ein factisches Amt, sondern bezeichne nur die ideelle Geltung der Person oder des Namens, und assignare deute auf etwas in der Zukunft Liegendes hin. Der Schriftsteller habe also den Sinn in seine Worte legen wollen: „Jenen Jünglingen werde durch ihre Geburt eine Anwartschaft auf die Würde eines Häuptlings gegeben, so dass ihnen die künftige Wahl praestitis praestandis hierdurch verbürgt sei“. Doch erst habe der „designirte“ princeps Proben von seiner Tüchtigkeit zu geben, und zu diesem Zweck schliesse er sich Reiferen und längst Bewährten an und schäme sich einstweilen nicht, sich „unter den comites wie alle übrigen edlen jungen Leute sehen zu lassen“[10].

Hat denn aber Ribbeck durch seine Aenderung des Textes in irgend welcher Beziehung etwas gewonnen? Keinesfalls!

Es kommt dann, wie Barth sich ausdrückt, ein „äusserst wässeriger Sinn“ heraus, wenn assignare übersetzt wird mit „eine Anwartschaft geben auf etwas“. Tacitus hatte dann nichts Anderes gesagt, als dass junge Leute wegen ihrer Geburt Aussicht [319] haben, möglicherweise einmal, falls sie sich bewähren, bei der Wahl zum „Häuptling“ (damit meint Ribbeck wohl den Fürsten, d. h. den Gaugrafen) Berücksichtigung zu finden[11].

Ferner liegt auch hier wieder, wenn Ribbeck zu robustioribus ac jam pridem probatis aus dem vorangegangenen Satze „principibus“ ergänzt, der bereits oben erwähnte Uebelstand vor, dass die genannten Ausdrücke nicht recht zusammen passen. (Vgl. oben S. 314 das Nähere[12].)

Auch stimmt mit seiner Erklärung der Ausdruck aggregari nicht überein. Allerdings will Ribbeck im Gegentheil gerade nachweisen, dass aggregari im Lateinischen vom Anschluss eines comes an den princeps gebraucht werde, und zwar aus einer Stelle des Tacitus und einer des Vellejus; aber sein Bemühen ist vollkommen vergeblich.

Er führt an: 1. Tac. Ann. XV, 59: Si conatibus ejus (Pisonis, als dem Haupt der Verschwörung) conscii aggregarentur, und 2. Vellejus II, 52: Pompejus profugiens cum duobus Lentulis – – – quos comites ei fortuna aggregaverat.

Aber beide Stellen bestätigen nur, was oben (S. 315) gesagt wurde, dass pari par aggregatur. Denn Piso, wenn auch das Haupt der Verschwörung, ist ebenso gut ein conscius wie die anderen Theilnehmer an der Verschwörung, und die beiden Lentuli sind des Pompejus Genossen, Begleiter auf der Flucht: in beiden Fällen ist also von dem Anschluss des comes an den princeps gar keine Rede und die Beweisführung Ribbeck’s ist in diesem Punkt als misslungen anzusehen. Zu einem Unterordnungsverhältniss, wie es hier zwischen princeps und Gefolgsmann vorliegt, ist aggregari nicht ein geeignetes Wort.

Schliesslich muss noch bemerkt werden, dass Ribbeck sagt: [320] Die „designirten“ principes schämen sich nicht, einem Gefolge anzugehören wie alle übrigen edlen jungen Leute. Wie aber diese Behauptung aus den Worten unserer Stelle folgen soll, ist unerfindlich. Denn etwa dies zu folgern aus „robustioribus ac jam pridem probatis aggregantur“, ist unmöglich. Worauf Ribbeck seine Ansicht stützt, ist nicht zu erklären. Sie läuft darauf hinaus, dass die jungen edlen Leute sämmtlich Gefolgsleute sind, selbst die „designirten“ principes, während die alten edlen Leute muthmasslich sämmtlich Fürsten sind! Wie unhaltbar diese Meinung ist, ergibt sich zur Genüge von selbst aus dem eben Gesagten, und es wird sich erübrigen, auf das ihr entgegenstehende Argument in cap. 13. Germ. Tac. – electorum juvenum globo circumdari – hinzuweisen.

Aus allen diesen Gründen ist die von Ribbeck vorgeschlagene Aenderung des Textes unzulässig.

Kurz erwähnt werden mag schliesslich auch die Ansicht Richter’s, welcher eine noch einschneidendere Aenderung als Ribbeck mit dem Text der Germania vornimmt. Er scheidet den ganzen Satz „Insignis nobilitas – – – assignant“ aus cap. 13 aus, weil diese kurze Bemerkung über Erlangung der Fürstenwürde zwischen der Schilderung der Wehrhaftmachung und der des Gefolgschaftswesens nur störend wirke, und setzt denselben an das Ende des cap. 12[13].

Die Richter’sche Ansicht findet jedoch auch durch keine einzige Handschrift Unterstützung; sie ist unhaltbar, weil die Umstellung der Sätze eine ganz willkürliche ist und weil trotzdem nicht einmal ein einwandfreier Text geschaffen wird. Von anderer Seite ist dies bereits ausführlich dargelegt worden. Ein näheres Eingehen hierauf erübrigt sich demnach[14].

Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass es unmöglich ist, dignatio principis hier im passiven Sinn zu übersetzen, sowie ferner, dass selbst Conjecturen im Text die Sachlage nicht zu bessern im Stande gewesen sind. Es mag nunmehr der dritte Weg, die Stelle zu erklären, erörtert werden, [321] welcher darin besteht, dass dignatio – wie es sich hin und wieder findet[15] – im activen, transitiven Sinn genommen wird. Auch ist ja die transitive Bedeutung sprachlich die nächstliegende, indem dignatio von dignari „würdigen, würdig halten“ herstammt. Auf diese Weise wird dem Text keine Gewalt angethan, während andererseits auch die Uebelstände, welche sich sonst ergeben, wegfallen und ein vernünftiger Sinn herauskommt.

Die Uebersetzung der Stelle lautet dann so: Hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter wenden die Auszeichnung von Seiten des Gefolgsherrn auch jungen Leuten zu; den anderen Kräftigeren und schon Erprobten werden sie beigesellt, und keine Schande ist es für sie, unter den Gefolgsleuten gesehen zu werden. Auch Rangstufen hat sogar das Gefolge nach dem Urtheil des Gefolgschaftsführers.

Zur Erklärung ist es unbedingt nothwendig, zunächst auseinanderzusetzen, in welchem Zusammenhang diese Stelle mit dem sonstigen Inhalt des cap. 13 steht.

Tacitus macht im Eingang des cap. 13 die Bemerkung, dass die Germanen sowohl in ihrer öffentlichen wie privaten Thätigkeit regelmässig in Waffen erscheinen. Daran anschliessend erzählt er, dass das Recht, Waffen zu führen, den jungen Leuten erst dann von der Gemeinde feierlich gewährt wird, wenn dieselben nach deren Urtheil auch dazu fähig sind. Solche feierliche Wehrhaftmachung werde dadurch vollzogen, dass in der Volksversammlung einer der principes oder der Vater oder ein Verwandter dem jungen Mann Speer und Schild überreicht. Wie bei den Römern das Anlegen der Toga ein Ehrentag sei und zugleich den Abschluss des Knabenalters bilde, so bei den Germanen die feierliche Anlegung der Waffen, die Wehrhaftmachung. Mit diesem Augenblicke trete der Germane in das öffentliche Leben ein.

[322] Es heisst dort l. c.:

Nihil autem neque publicae neque privatae rei nisi armati agunt. Sed arma sumere non ante cuiquam moris, quam civitas suffecturum probaverit. Tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater vel propinquus scuto frameaque juvenem ornant. Haec apud illos toga, hic primus juventae honos: ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae.

Hierauf folgen unmittelbar die oben angeführten Worte: „Insignis nobilitas etc. etc.“.

Der Sinn hiervon ist folgender: Während die Wehrhaftmachung gewöhnlich in der soeben erwähnten Art erfolgt, geschieht sie ausnahmsweise früher als sonst bei jungen Leuten, welche von hohem Adel sind oder deren Väter sich grosse Verdienste erworben haben, und zwar dann durch einen princeps, wodurch ihnen eine ehrende Auszeichnung zu Theil wird. In solchem Fall werden sie den anderen, kräftigeren und schon erprobten Mannen beigesellt und lernen von ihnen das Waffenhandwerk. Einem Gefolge anzugehören, schadet ihrer Ehre nichts, wenn sie auch Edelleute sind; gibt es ja auch Rangstufen im Gefolge, je nach dem Urtheil, welches der Gefolgsherr von den einzelnen Leuten hat.

Ein Hauptvorzug dieser Auffassung liegt zunächst darin, dass auf solche Weise das „insignis nobilitas aut magna patrum merita“ einen Sinn gibt. Während man sonst nie recht einsehen konnte, wie die Verdienste der Väter jungen Leuten die Würde eines princeps verschaffen konnten, passt es hier sehr gut, wenn gesagt wird, dass grosse Verdienste der Väter den Söhnen solche Auszeichnung seitens des Gefolgsherrn zuwenden. Denn die Wehrhaftmachung und Aufnahme des jungen Mannes in’s Gefolge geschah wohl meistentheils nicht bloss, um ihn selbst auszuzeichnen, sondern hauptsächlich, um den Vater hierdurch besonders zu ehren. Und der Grund, weswegen man den Vätern eine hohe Ehre zu erweisen sich verpflichtet fühlte, lag eben in ihren grossen Verdiensten um den Staat oder in ihrer hochadeligen Abstammung.

Ferner ist auf solche Weise ein enger Zusammenhang sowohl mit dem Vorhergehenden als auch mit dem Folgenden gegeben. Vorher ist von der Wehrhaftmachung, so wie dieselbe in der Regel erfolgte, die Rede. Daran schliesst sich die Bemerkung, [323] dass ausnahmsweise ein Gefolgsherr – also nicht nothwendig ein „Fürst“ – vor der gewöhnlichen Zeit durch Aufnahme in sein Gefolge wehrhaft machen kann, und dies bildet den Uebergang zu einer ausführlichen Darstellung des Gefolgschaftswesens.

So folgt Eins aus dem Anderen ganz von selbst. Ein derartig fortschreitender Gedankengang erscheint aber angemessener und wahrscheinlicher als derjenige, der sich ergibt, wenn man dignatio in passivem Sinn übersetzt. Denn dann ist nach der Wehrhaftmachung plötzlich und ohne jeden Uebergang davon die Rede, dass eventuell auch ein ganz junger Mann princeps, Gaugraf werden könne. Und nun schliesst sich ebenso unvermittelt daran eine Schilderung des Gefolgschaftswesens. Wie Tacitus dazu kommt, hier plötzlich eine ganz kurze Bemerkung über die Erlangung der Fürstenwürde durch junge Leute einzuschieben, ist mehr als eigenthümlich, ist unverständlich.

Bei dieser Auffassung ist auch leicht zu erklären, wer unter den ceteris robustioribus ac jam pridem probatis gemeint ist. Es ist darunter der Comitat des Gefolgsherrn, in welchen die jungen Leute eintreten, zu verstehen. Dazu stimmt einerseits die Bezeichnung „robustioribus ac jam pridem probatis“ sehr gut, andererseits wird fast in demselben Augenblick noch hinzugefügt: „Nec rubor inter comites aspici“. Aber nicht bloss aus dem folgenden Zusatz ergibt sich die Ergänzung von comites – was ja stilistisch als nicht recht empfehlenswerth angesehen werden könnte, ein Vorwurf, der ja auch oben (S. 315) angeführt wurde, obgleich dieser Vorwurf nicht gerade hindernd genannt werden kann –, sondern schon aus dem vorher genannten „Gefolgsführer“ geht hervor, dass mit den anderen älteren und erfahrenen Leuten, denen die jungen Leute von ihm angereiht werden, nur seine Gefolgsleute gemeint sein können, und ein etwaiger Zweifel hierüber schwindet durch das unmittelbar darauf folgende und in enger Verbindung damit stehende: „Nec rubor inter comites aspici“.

Zu solcher Ergänzung stimmt auch ganz vortrefflich, wie später noch Gelegenheit sein wird, zu zeigen (vgl. unten S. 328), das Verbum aggregari, indem hier ein comes dem anderen angereiht wird, also par pari, und man es nicht für unpassend halten kann, wenn im Gegensatz zum Gefolgsherrn das Gefolge „grex comitum“ genannt wird.

[324] Gegen diese Ansicht wird insbesondere geltend gemacht, dass dignatio in keiner Stelle bei Tacitus in activer Bedeutung vorkomme, und dass es bei anderen Schriftstellern mehr den Sinn von „Gnade, Gunst“, als von „Würdigung, Anerkennung, Beachtung“ habe[16].

Das Alles ist aber kein Hinderungsgrund, gerade in cap. 13 Germ. Tac. dignatio in activer Bedeutung aufzufassen, sofern überhaupt sonst der Sprachgebrauch das gestattet und auf solche Weise ein vernünftiger Sinn in diese äusserst schwierige Stelle gebracht wird.

Dass der Sprachgebrauch unserer Anschauung nicht entgegensteht, räumen Halm und Richter ja ohne Weiteres ein. Und selbst wenn zugegeben werden müsste, dass dignatio sonst mehr die Bedeutung von „Gnade, Gunst“ als von „Würdigung“ etc. habe – worauf näher einzugehen zwecklos ist –, so ändert dies an der Sachlage nichts. Denn z. B. die Uebersetzung „Gunst“ ist eine geschmackvollere und deutlichere als etwa „Würdigung seitens des princeps“ und steht auf gleicher Stufe mit dem hier gebrauchten Ausdruck „Auszeichnung seitens des Gefolgsherrn“.

Gibt man aber einmal erst die Möglichkeit einer derartigen Auffassung zu, so ist es schwer verständlich, warum gerade hier, trotzdem wie gesagt auf solche Weise allein die Stelle einen guten Sinn gibt, es plötzlich verboten sein soll, dignatio in activem Sinn zu verstehen. Und dass sich schwer zu lösende Bedenken ergeben, wenn man anders verfährt, ist oben nachgewiesen worden.

Mit noch viel weniger Recht führt man gegen die hier vertheidigte Ansicht in’s Feld: Wer dignatio principis mit Auszeichnung seitens eines Gefolgsherrn wiedergebe, lasse völlig ausser Acht, dass die beste Handschrift, der Codex Pontani, dignitatem habe, was um so weniger übersehen werden dürfe, da dieser Handschrift gegenüber die übrigen mit Rücksicht auf ihren Werth kaum in Betracht kommen[17].

Allerdings hat der Codex Pontani „dignitatem“, und noch eine zweite Handschrift, der Codex Vaticani 1862, weist die gleiche Schreibweise auf. Beide Handschriften aber stimmen [325] erwiesenermassen so vielfach mit einander überein, dass man allgemein wohlberechtigt angenommen hat, dass diese beiden Handschriften übereinstimmende Abschriften einer und derselben (verloren gegangenen) dritten Handschrift sind. Die übrigen Handschriften dagegen gehen zurück auf die allen gemeinsame Urquelle; jedoch sind sie nicht etwa Abschriften der beiden erstgenannten Handschriften, des Codex Pontani und Codex Vaticani 1862, und daher haben sie auch wohl ein Gewicht denselben gegenüber.

Doch ganz abgesehen von dem grösseren oder geringeren Werthe, den die eine oder die andere Handschrift hat, spricht gegen die Halm’sche Ansicht schon der Gedanke: Es ist wahrscheinlicher anzunehmen, ein Abschreiber habe das seltenere, ungewöhnlichere und ihm besonders auffallende dignatio mit dignitas erklären wollen, oder auch er habe aus Versehen das übliche dignitas an Stelle von dignatio gesetzt, als das Gegentheil für möglich zu erachten. Denn es wäre sonderbar, dass in so vielen Handschriften dignitas in das weniger gebräuchliche dignatio geändert worden ist.

Sogar Richter (a. a. O. S. 232 f.), der doch sonst in fast allen Stücken sich auf’s engste an Halm anschliesst, gibt zu, dass dessen Ausführungen in dieser Hinsicht nicht stichhaltig sind. Jedenfalls ist unter solchen Umständen es von vornherein ausgeschlossen, auf Grund der noch dazu schwankenden Lesart dignitatem sich für die passive Bedeutung = Würde eines princeps zu erklären.

Ferner soll der hier vertheidigten Ansicht die bedeutsame Hervorhebung des Wortes princeps hindernd entgegen treten: es hätte bei solcher Auffassung dignationem principis heissen müssen[18].

Im Gegentheil, wenn überhaupt solche Aeusserlichkeiten in Betracht kommen dürfen, so ist bei der hier vertretenen Auffassung die Hervorhebung von princeps wohlberechtigt, ja noch mehr als bei der entgegengesetzten Ansicht (von Halm u. A.). Es ist vorher davon gesprochen worden, dass die Wehrhaftmachung der Germanen gewöhnlich erfolge durch principum aliquis oder durch den Vater oder einen Verwandten. Nun bemerkt [326] Tacitus, dass ausnahmsweise seitens eines princeps – und darauf liegt die Betonung, welche durch Voranstellung des Wortes princeps erreicht wird – unter gewissen Voraussetzungen auch ganz jungen Leuten solche Auszeichnung zu Theil wird. Wenn Halm zum Beweis für seine Ansicht Tacit. Hist. I, 52 anführt: Vitellio tres patris consulatus – – – imponere jam pridem imperatoris dignationem et auferre privati securitatem –, so weiss man in der That nicht recht, was er eigentlich damit beweisen will.

Insbesondere wegen des „etiam, sogar“ vor adolescentuli glaubt Scherer die active Bedeutung von dignatio verwerfen zu müssen. Dieses etiam ergebe, dass sonst die dignatio principis nur Erprobteren zu Theil werde, aber nicht Jünglingen. Daraus folge, dass hier unter dignatio nicht Wehrhaftmachung zu verstehen sei, da diese überhaupt nur bei Jünglingen vorkommen könne. Bei Aelteren und Erprobten könne demnach nie eine dignatio principis in solcher Auffassung in Frage kommen, da dieselben schon längst eben als Jünglinge wehrhaft gemacht worden seien[19].

Die Sache liegt aber etwas anders: Vorher ist gesagt, dass in der Regel die Wehrhaftmachung erfolgt bei dem juvenis quem civitas suffecturum probaverit. Darauf folgt, dass ausnahmsweise sogar ein adolescentulus, d. h. ein ganz junger Mann, wehrhaft gemacht werden kann. Das gibt guten Sinn und enthält keinen Widerspruch in sich.

Weiter, so behaupten Viele, stehe das Verbum assignare der activen Uebersetzung von dignatio hindernd entgegen. Denn wenn auch assignare im Deutschen bei gewissen Zusammensetzungen mit „verschaffen“ wiedergegeben werden könne, so sei es doch unzulässig, seine ursprüngliche Bedeutung „zuweisen, anweisen, zuordnen, zuertheilen“ ausser Acht zu lassen[20].

Doch in der eingeräumten Thatsache, dass assignare manchmal mit „verschaffen“ übersetzt werden kann, liegt schon zum Theil ein Hinweis darauf, dass die Grundbedeutung von assignare [327] nicht starr festgehalten ist. Aber man braucht sich sogar nur an die auch von Halm anerkannte Bedeutung „zuertheilen“ zu halten. Uebersetzt man wörtlich: „Hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter ertheilen auch ganz jungen Leuten die Auszeichnung seitens des Gefolgsherrn zu“, so ist dies zwar kein gutes Deutsch, aber was Tacitus damit gemeint hat, ist klar, und daher kann nicht behauptet werden, dass das Verbum assignare „unpassend“ ist. Sagt man nun statt „zuweisen, zuertheilen“ in diesem Fall „verleihen, gewähren“, so ist dies wohl kaum als nennenswerthe Abweichung von der Grundbedeutung zu betrachten: es ist die vollendete Thatsache des Zuweisens, Anweisens.

Ganz ähnlich liegt der Fall, wenn Tacitus Hist. I, 30 sagt: Minus triginta transfugae et desertores – – – imperium assignabunt? Auch hier hat assignare seine Grundbedeutung „zuweisen, zuertheilen“ aufgegeben und hat mehr den Sinn von „verleihen, verschaffen“. Der Satz heisst also Deutsch: „Sollen weniger als 30 Ueberläufer und Ausreisser die Herrschaft verleihen“ oder, so könnte man auch übersetzen: „eine Anwartschaft auf die Herrschaft geben“?

Ein schlagendes Beispiel ist ferner Tac. Hist. I, 52, wo es heisst: – – – in quibus sordem et avaritiam Fonteji Capitonis adimendis assignandisque militiae ordinibus integre mutaverat (Aulus Vitellius).

Die Uebersetzung hiervon (nach C. L. Roth) lautet: „– – – und hierin hatte er in redlicher Weise ein Gegenstück gegen die schmutzige Habsucht aufgestellt, womit Fontejus Capito Officiersstellen abnahm und zutheilte“. Assignare ist also in dieser Stelle geradezu der Gegensatz von adimere wegnehmen und hat hier entschieden die Bedeutung von „geben, zutheilen, gewähren“[21].

Assignare kann man demnach keineswegs gegen die hier vertheidigte Ansicht anführen, am allerwenigsten dürfte Halm berechtigt sein, sich in dieser Hinsicht so zu ereifern, indem er ja selbst sich veranlasst fühlt, assignare mit „verleihen“ zu übersetzen: „Hoher Adel oder grosse Verdienste der Väter verleihen eines Fürsten Würde und Geltung – – –“

[328] Noch weniger Berücksichtigung verdient der mir unverständliche Einwand Halm’s, dass bei activer Auffassung von dignatio der in aggregari liegende Begriff des „zugesellt werden“ vergewaltigt werde in „untergeordnet werden“[22].

Das Gegentheil dieser Behauptung lässt sich leicht nachweisen. Denn wird dignatio activ genommen, so ist das Ergebniss folgendes: Die jungen Leute, welche der princeps in der genannten Weise auszeichnet, werden als comites in sein Gefolge eingereiht. Es wird demnach ein comes dem anderen „zugesellt“, aber nicht untergeordnet (!), wie Halm meint. Vielmehr muss dieser Vorwurf der Halm’schen Erklärung und Uebersetzung selbst gemacht werden. Nach seiner Auffassung schliessen sich die jungen eben zu Fürsten erhobenen Leute den älteren Fürsten an und zwar selbstverständlich als comites. In dem Anschliessen der jungen Fürsten aber als comites an die älteren liegt thatsächlich ein Dienstverhältniss; das aggregari ist hier wirklich ein „untergeordnet werden“.

Der Halm’sche Vorwurf trifft also die hier vertheidigte Ansicht gar nicht, wohl aber Halm’s eigene Ansicht.

Manche stützen ihren Widerspruch auch auf den Schlusssatz: „nec rubor inter comites aspici“. Bedeute principis dignatio eine Auszeichnung seitens des Gefolgsherrn, so verstehe man nicht, warum Tacitus nachher noch besonders hervorhebe, dass in dieser Auszeichnung nichts Herabwürdigendes liege. Vielmehr weise der Satz: „nec rubor inter comites aspici“ in seinem ganzen Zusammenhange darauf hin, dass vorher etwas Auffälliges erwähnt worden sei und das stimme auch, wenn man die Stelle der älteren Auffassung gemäss erkläre, nämlich so, dass junge Leute eines Fürsten Geltung und Würde erhalten und trotzdem im Gefolge eines älteren Fürsten erscheinen. Hierzu passe dann die Bemerkung, dass es keine Schande sei inter comites aspici[23].

Aber gleichwohl ist die Bemerkung des Tacitus: „nec rubor inter comites aspici“ auch bei der hier verfochtenen Auffassung der Stelle ganz natürlich. Denn auffallend war es immerhin, dass junge Leute von Adel in einen Comitat eintreten und dass [329] die Zugehörigkeit zu einer Gefolgschaft, welche auf jeden Fall ein gewisses Abhängigkeitsgefühl hervorrufen musste, doch nicht als etwas Ungehöriges und Unwürdiges empfunden wurde. Diese Auszeichnung seitens des princeps, obzwar sie diejenigen, denen sie zu Theil wurde, in ihrer ungebundenen Freiheit sehr bedeutend beschränkte, galt nichtsdestoweniger bei Allen auch wirklich für ehrenvoll. Denn zu vermuthen war eher bei der berühmten Freiheitsliebe der Germanen, dass eine Auszeichnung von Seiten des Gefolgsherrn, welche eine Freiheitsbeschränkung für den davon Betroffenen mit sich brachte, zugleich auch den Empfänger solcher Gunst in den Augen der Anderen herabsetzte.

Scherer führt noch folgenden Punkt gegen die hier vertheidigte Ansicht an:

Die Worte des Tacitus gestatten nicht einen derartigen Zusammenhang, wie hier – bei activer Auffassung von dignatio – geschehen sei, in die Stelle hineinzuinterpretiren. Das principum aliquis habe nichts vor den anderen genannten Persönlichkeiten, welche ebenfalls die Wehrhaftmachung vornehmen können, voraus. Als abschliessender Gedanke reihe sich hieran: mox rei publicae pars videntur! Also von der Staatsangehörigkeit spreche Tacitus und nun solle plötzlich ohne jede Hervorhebung übergesprungen werden auf die Zugehörigkeit zum Comitat des princeps und „man solle begreifen, dass Beides (Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit zum Comitat eines princeps) dasselbe sein könne“[24].

Aber wenn auch zunächst das „principum aliquis“ neben pater und neben propinquus unterschiedslos gesetzt ist, so wird hierdurch doch keinesfalls ausgeschlossen, dass im Folgenden eine dieser drei Persönlichkeiten – hier der princeps – nochmals herausgegriffen und besonders nun von ihr gesprochen wird; hier also wird berichtet, inwiefern gerade die Wehrhaftmachung durch einen princeps sich vor der durch einen Anderen vorgenommenen auszeichnet.

Auch der Vorwurf, es mangele bei der hier verfochtenen Auffassung der Stelle der Zusammenhang mit dem Vorigen, muss von der Hand gewiesen werden. Denn es ist vollkommen [330] verkehrt auf die kurze Bemerkung: „mox rei publicae“ so viel Gewicht zu legen, wie Scherer thut. Dass thatsächlich ein ganz enger Zusammenhang mit dem Vorhergehenden sowohl als auch mit dem Folgenden vorhanden ist, auch wenn man, wie hier geschieht, dignatio in activem Sinn nimmt, das ist oben (S. 322) schon Gegenstand der Erörterung gewesen. Keineswegs ist man dabei genöthigt, wie Scherer meint, anzunehmen, dass Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit zum Comitat eines princeps dasselbe ist. Ebenso ist auch dort (oben S. 323) schon hervorgehoben worden, dass gerade bei der entgegengesetzten Meinung (wie z. B. bei Scherer) die Schilderung des Tacitus an einer grossen Abgerissenheit leidet.

Vergeblich sind demnach alle Bemühungen der Gegner, nachzuweisen, dass es falsch sei, in dieser Stelle dignatio principis in activem Sinn zu nehmen. Die vorgebrachten Gegengründe haben sich als nicht stichhaltig gezeigt.

Noch muss eine Streitfrage berührt werden, welche unter den Vertretern der activen Bedeutung von dignatio entstanden ist. Die Einen von ihnen sehen in der Auszeichnung seitens des princeps, des Gefolgsherrn, die Aufnahme in das Gefolge und zwar entweder vor der Wehrhaftmachung oder kurz nach derselben[25].

Nach den Anderen dagegen liegt die dignatio darin, dass der princeps den adolescens durch Aufnahme in sein Gefolge wehrhaft macht[26].

Die Ansicht von Bethmann-Hollweg, Waitz und Baumstark – nur dass Letzterer an Stelle der eigentlichen Aufnahme in den Comitat bloss ein loseres Anreihen an denselben annimmt – lässt sich aber nicht mit dem Zusammenhang der ganzen Stelle vereinbaren. Vorher ist von der Wehrhaftmachung die Rede. Nun wird die Bemerkung angeschlossen: Bei hohem Adel u. s. w. lässt ein princeps die Auszeichnung auch ganz jungen Leuten [331] zu Theil werden: er nimmt sie in sein Gefolge auf. Und hierauf verbreitet sich Tacitus des Weiteren über das Gefolgschaftswesen. Sieht man in der dignatio die Aufnahme der jungen Leute in’s Gefolge, so ergibt sich, dass mit den Worten: „Insignis nobilitas“ etc. Tacitus zur Darstellung des Comitats übergeht. Diese Schilderung jedoch mit der Angabe einzuleiten, dass auch ganz junge Leute mit Rücksicht auf hohen Adel und grosse Verdienste ihrer Väter – und noch dazu, wie Waitz und Baumstark behaupten, vor ihrer Wehrhaftmachung – in das Gefolge aufgenommen werden, widerspricht allen Regeln. Denn man pflegt die Darstellung einer derartigen Einrichtung, man pflegt eine Schilderung überhaupt nicht mit der Aufzählung des Ungewöhnlichen, mit Hervorhebung der Ausnahmen zu beginnen. Und selbst bei einem Tacitus, wenngleich derselbe auch sonst manche Eigenthümlichkeiten aufweist, ist solch ein Stil unmöglich. Die Meinung insbesondere, dass die dignatio Aufnahme in den Comitat vor der Wehrhaftmachung sei, ist schon deswegen unhaltbar, weil ein nicht wehrhaft gemachter adolescens in ein waffentragendes Gefolge gar nicht hineinpasste.

Bei der zweiten Auffassung dagegen ist die Darstellung des Tacitus eine völlig zusammenhängende und harmonische, und sein Gedankengang ist ein folgerichtiger, logischer, indem sich an die Regel die Ausnahme anschliesst und im Verfolg zugleich den zwanglosen Uebergang zum Nächsten bildet. Im cap. 13 ist zunächst, wie gesagt, von der Sitte die Rede, dass die juvenes (quos civitas suffecturos probaverat) wehrhaft gemacht werden. Unter gewissen Umständen nun wird durch den princeps diese Auszeichnung auch ganz jungen Leuten – etiam adolescentulis im Gegensatz zu den vorher genannten juvenes – zu Theil durch Aufnahme in sein Gefolge. Damit wird übergeleitet zur eingehenden Schilderung des Gefolges. So reiht sich leicht ein Gedanke an den anderen, ohne dass man bei solcher Erklärung, wie Waitz behauptet, mehr in die Worte legt, als Tacitus sagt.

Diese eben gegebene Darstellung zeigt auch schon – was nebenher noch Erwähnung finden mag –, dass es falsch ist, in den adolescentuli Jünglinge zu sehen, welche in dem Alter stehen, in dem der Regel nach die Wehrhaftmachung vorgenommen zu [332] werden pflegte. Diese Ansicht sucht insbesondere Kaufmann zu vertheidigen[27].

Gegen eine solche Annahme spricht ganz klar und deutlich das etiam, zumal da vorher diejenigen, welche wehrhaft gemacht werden, als juvenes bezeichnet werden und nun im Gegensatz hierzu etiam adolescentuli, d. i. auch, sogar ganz junge Leute gesagt ist.

Man lese nur einmal die Begründung, die Kaufmann zu seiner entgegengesetzten Behauptung nöthig hat. Er braucht eine halbe gedruckte Seite, um den Gedankengang von Tacitus zu ergänzen! Tacitus habe davon gesprochen, dass auch ein princeps wehrhaft machen könne. Dabei falle ihm ein, dass in solchem Falle zugleich mit der Wehrhaftmachung Aufnahme in’s Gefolge verbunden sei. Nun werden aber nur ältere, erfahrene Leute in den Comitat der Regel nach aufgenommen. Folglich könnte man ihm vielleicht jetzt den Einwurf machen: Wie könne denn unter solchen Umständen ein eben erst wehrhaft gemachter Jüngling Mitglied des Gefolges sein? Diesen möglichen Einwurf beseitige Tacitus: Allerdings, so bemerke er für sich, regelmässig seien nur ältere Leute im Comitat, doch – und diesen Gedanken schreibe er nieder – insignis nobilitas aut magna patrum merita bewirken, dass der princeps auch adolescentuli in’s Gefolge aufnehme.

Dass dieser ganze Erklärungsversuch gar zu gekünstelt ist, liegt auf der Hand. Kaufmann fasst seine Auseinandersetzungen in folgendem Schlusssatz zusammen: „Der Einwand sowohl als die Regel, welche den Einwand berechtigt, werden nicht ausdrücklich erwähnt, sondern nur durch das etiam angedeutet“. – Das ist wohl aber doch etwas zu viel von dem kleinen Worte etiam verlangt.

Doch um von dieser kleinen Abschweifung zur Hauptfrage zurückzukehren, es ist sogar noch eine dritte Ansicht und zwar von Köpke aufgestellt worden, dass die dignatio principis nur in der Wehrhaftmachung, aber nicht zugleich in der Aufnahme in’s Gefolge bestehe[28].

Doch Köpke kann dann das „ceteris – – – aggregantur“ [333] nur übersetzen mit dem ganz farblosen Gedanken: „sie werden den Wehrhaften beigesellt“ und zwar in dem Sinne „gleichgestellt“. Aber letztere Bedeutung entspricht nicht dem Lateinischen aggregari. Ausserdem setzt Köpke hinter aggregantur einen Punkt und lässt nun mit dem „nec rubor etc.“ Tacitus seine Darstellung über das Gefolgschaftswesen beginnen. Das erscheint aber etwas gewaltsam; denn das „nec rubor inter comites aspici“ weist auf die engste Verbindung mit dem vorangegangenen aggregari hin. Und gerade dadurch, dass man unter dem aggregari die Aufnahme in’s Gefolge versteht, ergibt sich, wie schon oben erwähnt, ein ganz zwangloser Uebergang zu der folgenden Schilderung des Gefolgschaftswesens.

Schliesslich muss noch eine Streitfrage Erledigung finden, welche bisher aus praktischen Gründen absichtlich nicht berücksichtigt worden ist, und zwar handelt es sich darum, wer ist bezw. was ist der princeps in dieser Stelle. Bisher wurde es bald mit Fürst, Gaugraf, bald auch mit Gefolgsherr wiedergegeben.

Es sind vor allem zwei Ansichten – es würde zu weit führen, hier sämmtliche Meinungen über die principes der Germania zu beleuchten –, welche sich scharf gegenüberstehen.

Die Einen glauben, Tacitus gebrauche hier, wie sonst überall in seiner Germania, das Wort princeps als terminus technicus und zwar immer in ein und demselben (technischen) Sinn: princeps sei der Stammesfürst, Gaufürst, d. h. Gaukönig oder Gaugraf[29].

Die Anderen sind der Ansicht, dass Tacitus mit dem Ausdruck princeps in der hier besprochenen Stelle nicht den Gaufürsten, Gaugrafen gemeint habe, sondern den Gefolgsführer; dass also m. a. W. princeps verschiedene Bedeutungen bei Tacitus in der Germania habe[30].

Die Vertreter der erstgenannten Ansicht führen hauptsächlich Folgendes für sich an.

Schon die Wahrscheinlichkeit spreche dafür, dass Tacitus [334] mit demselben Ausdruck auch immer dasselbe meine; man müsste ja sonst annehmen, dass Tacitus, der ganz offenbar am Schluss des vorigen Capitels, cap. 12, von den Gaufürsten, Gaugrafen spreche (eliguntur in iisdem conciliis et principes, qui jura per pagos vicosque reddunt heisst es dort), dass er kurz darauf und zwar nur ein paar Zeilen hinterher dasselbe Wort in anderem Sinne gebraucht hätte. Und wäre dies wirklich der Fall, so müsste er dies wenigstens in irgend einer Weise bemerklich gemacht haben.

Ferner stimme man der Ansicht bei, dass princeps immer gleich Gaugraf sei, so ergebe sich als nothwendige Folge, dass nur ein Gaugraf zugleich auch Gefolgsherr sein könne. Und dieses Ergebniss habe viel für sich; denn es sei natürlicher, dass die Gaugrafen, welche ja so wie so als „Beamte“ grossen Einfluss hätten, zum Schutz und zur Ehre ein Gefolge zu halten berechtigt wären, als wenn Jedem dieses Recht zugestanden hätte; die ganze Heeresordnung hätte dann unmöglich aufrecht erhalten werden können und das Ansehen der Obrigkeit wäre vernichtet gewesen.

Schliesslich hätte es sicherlich die Freiheitsliebe und das Ehrgefühl eines freien Germanen verletzt, als Gefolgsmann unter einem Herrn zu dienen, der nicht das höchste Ansehen im Gau genossen und die oberste Stellung in demselben eingenommen hätte. Nur dann also, wenn der Gefolgsherr zugleich „Gaufürst“ sei, sei es denkbar, dass es für eine Ehre gehalten wurde, in seinem Gefolge zu dienen.

Aber dass Tacitus in seiner Germania mit demselben Ausdruck nicht immer den gleichen Sinn verbindet, das beweist unter anderen das auch unter gleichen Verhältnissen und an der gleichen Stelle vorkommende Wort comites. Selbst die Gegner geben es ohne Weiteres zu, dass die am Ende des cap. 12 erwähnten (centeni ex plebe) comites ganz verschieden sind von den in cap. 13 und 14 genannten comites, den Gefolgsleuten. Man versucht nun diesen berechtigten Einwurf gegen den ersterwähnten Wahrscheinlichkeitsgrund dadurch abzuschwächen, dass man sagt: bei den comites könne kein Zweifel obwalten, wer gemeint sei; denn am Ende von cap. 12 seien sie neben den Richtern genannt, in cap. 13 dagegen sei von der Gefolgschaft die Rede.

[335] Genau so liegt aber der Sachverhalt auch bei dem princeps in den citirten Stellen. Wer mit dem Ausdruck princeps gemeint sei, ergibt sich immer sehr gut aus dem Zusammenhang, ja meistens ist noch eine nähere Bestimmung (z. B. qui jura reddunt in cap. 12 i. f.) hinzugefügt. Nun wird in cap. 13 und 14 vom Gefolgschaftswesen gesprochen, und man ist daher berechtigt anzunehmen, dass unter dem hierbei erwähnten princeps der Gefolgsführer gemeint sei. Diese Annahme ist mindestens ebenso wahrscheinlich, wenn nicht noch wahrscheinlicher als die entgegengesetzte, welche ja auch bloss auf Wahrscheinlichkeit gegründet ist. Und deutlich genug wäre immerhin die Bezeichnung; denn da hier nur vom Gefolge die Rede ist, so ist es eigentlich selbstverständlich in dem princeps comitatus den Gefolgsführer zu erblicken und eine Verwechslung mit den in cap. 12 erwähnten Gaurichtern, den Gaugrafen, principes qui jura reddunt zu befürchten, dazu fehlt jeder Anlass.

Auch der zweite Grund ist kein zwingender. Denn es ist nicht abzusehen, wie es staatsgefährlicher sein könnte, wenn Privatleute sich ein Gefolge bilden, als wenn nur die Gaugrafen, welche obrigkeitliche Macht schon haben, nun noch ein Gefolge hinter sich stehen haben. Auf diese Weise wäre ihre Macht ja unumschränkt gewesen und darin lag eine viel grössere Gefahr für die Volksfreiheit. Wenn wirklich ein Privatmann mit seinem Gefolge gegen die Freiheit des Gaus hätte auftreten wollen, so wäre dieser Versuch doch gleich im Keime erstickt worden durch das selbstverständlich grössere, stärkere Gefolge des Gaugrafen oder durch das Heer. Wo lag denn hier eine Gefahr? Und dass die Heereseinrichtung dadurch gelitten hätte, dass sich mehrere begüterte Herren mit einem Gefolge umgaben, ist in Wahrheit ja nicht zu vermuthen, da die Gefolgschaften nicht sehr gross gewesen sind. Denn die Ausrüstung und Erhaltung der ganzen Schaar lag dem Gefolgsherrn ob und mit einem Gefolge von ein paar Hundert Leuten liess sich nicht ein so inniges Ehren- und Treuband schliessen. Die höchste Stärke einer Gefolgschaft begegnet bei dem mächtigsten Völkerschaftskönig der Alamannen, Chnodomar (im Jahre 357 nach der Schlacht bei Strassburg) und beträgt 203 Helme.

Der letzte Grund dagegen steht offenbar in Widerspruch mit den Ansichten der alten Germanen über Kriegstüchtigkeit. [336] Bei ihnen stand männliche Tüchtigkeit und kriegerischer Ruhm zu hoch, als dass man annehmen könnte, sie hätten sich nur Gaugrafen als Gefolgsleute angeschlossen. Und es ist doch auch zweifellos, dass die Eigenschaften, die man bei einem Recht sprechenden Gaugrafen voraussetzte, bei weitem andere waren als die, welche man von einem Gefolgsführer verlangte. Sollte thatsächlich dies dieselbe Person sein, welche durch weise Rechtsprechung die innere Wohlfahrt des Landes zu heben suchte und alle 14 Nächte zu Hause das Ding leiten musste und andererseits an der Spitze eines kecken, wagemuthigen Gefolges auf Ruhm und Beute auszog und sich sowie ihr Gefolge per bella et raptus (Germ. cap. 14 i. f.) zu erhalten strebte? Wohl kaum!

Mit der Annahme, dass nur Gaugrafen ein Gefolge haben dürfen, dass also das Gefolge gleichsam ein obrigkeitliches Institut sei, ist auch nicht recht vereinbar, was Tacitus über das innere Verhältniss von Gefolgsherrn zum Gefolgsmann sagt. Nach seiner Schilderung liegt hier ein fast ideales Freundschafts- und Treuverhältniss vor, der gegenseitige Anschluss stellt sich als ein rein persönlicher dar. Die Gefolgen opfern freudig ihr Leben für die Ehre ihres Herrn: seiner Tapferkeit nachzueifern, alles zu wagen, um den Sieg ihrem Herrn zu gewinnen und, wenn er fällt, ihn nicht zu überleben, sondern seinen Tod rächend auf derselben Wahlstatt zu sterben, darin zeigt sich die Treue der Gefolgen gegen ihren Herrn. Der Gefolgsherr seinerseits sorgt wieder in jeder Beziehung für seine Gefolgsgenossen: er rüstet sie aus mit Ross und Waffen, er theilt mit ihnen sein Haus und seine Mahlzeiten. Unmöglich konnte sich aber solch ein Verhältniss ausbilden, wenn der Gefolgsmann in seinem Herrn immer zugleich die obrigkeitliche Person sehen musste, wie dies der Fall gewesen wäre, wenn Gefolgsherr nur der Gaugraf sein durfte.

Wäre thatsächlich das Gefolge ein obrigkeitliches – neben dem Heere bestehendes – Institut, also eine Art Garde für die Obrigkeit gewesen, so hätte Tacitus dies sicherlich hervorgehoben. So wird aber nicht das geringste hiervon in der ganzen Germania erwähnt.

Dass die principes von cap. 13, die Gefolgsherren, nicht identisch sind mit den principes qui jura reddunt, mit den Gauoberen, das geht auf’s deutlichste aus dem Schlusssatz des cap. 13 [337] hervor. Nachdem Tacitus geschildert hat, dass ein zahlreiches und tüchtiges Gefolge den princeps nicht bloss im eigenen Gau, sondern auch über dessen Grenzen hinaus bei den benachbarten Völkerschaften berühmt mache, schliesst er die Bemerkung an: expetuntur enim legationibus et muneribus ornantur et ipsa plerumque fama bella profligant. Also sogar von Gesandtschaften werden sie aufgesucht und meistentheils genügt schon ihr Ruf, um einen Streit zu beendigen. Das heisst m. a. W. das Gefolge, an dessen Spitze sie stehen, ist ein solch ausschlaggebender Factor, dass sogar fremde Völkerschaften Gesandte zu diesen principes schicken, um sich ihre Unterstützung zu erbitten. Wird dieselbe zugesagt, so genügt dieses blosse Versprechen meistentheils schon, um die entgegengesetzte Partei zum Einstellen der Streitigkeiten zu veranlassen.

Nun ist es aber klar, dass diese Mittheilungen nur bemerkenswerth und passend sind, wenn Tacitus hier von Privatpersonen gesprochen hat. Denn dass Gesandte zu den Gauoberen kommen, bedarf keiner Erwähnung. Und dann wäre es wohl wahrscheinlicher, dass Gaugrafen nicht wegen eines Gefolges gefürchtet sind, sondern dass bei ihrem Ansehen die Macht und Stärke der Völkerschaft, an deren Spitze sie stehen, in’s Gewicht fällt. Aus dem ganzen Zusammenhange in cap. 13 i. f. geht aber mit Deutlichkeit hervor, dass der Grund, weswegen die hier genannten principes schon durch ihren Ruf die Partei, gegen welche sie ihren Beistand zugesagt haben, vom Kampf zurückschrecken, eben in der Tüchtigkeit und Grösse ihres Gefolges besteht. Nicht von Häuptern einer Völkerschaft ist hier die Rede, sondern von mächtigen Privatpersonen. Die Vertreter der entgegengesetzten Ansicht, wonach nur die Gaugrafen Gefolgsherren sein dürfen, müssten also womöglich in diesem Fall annehmen, dass hier die Gesandten der fremden Völkerschaft zu den Gaugrafen in ihrer Eigenschaft als Gefolgsherren kamen. Dann hätte die ganze Sache ja aber das Aussehen, als ob der Gaugraf als Führer einer Gefolgschaft in eine Streitigkeit sich hineinmischte und vielleicht gar mit seinem Gefolge in’s Feld zöge, während sein Gau gar nicht an der ganzen Sache betheiligt war oder auch nicht betheiligt sein wollte. Und doch hätte der Gau, erlitt der Graf eine Niederlage, die Folgen hiervon mittragen müssen!

[338] Die Möglichkeit, auf solche Weise die Stelle auszulegen, ist aber schlechterdings von der Hand zu weisen, da derartige zweigliederige Volkshäupter wohl doch nicht in Wirklichkeit denkbar sind.

In dem princeps des cap. 13 eine Privatperson, einen privaten Gefolgsführer zu sehen, darin wird man auch durch den Umstand bestärkt, dass sich als Umschreibung für dieses Wort der Ausdruck: is quem sectantur findet. Wenig passend würde dieser Ausdruck für die Obrigkeit, für den Gaugrafen sein.

Nachdem auf diese Weise die eigentliche Kernfrage der Stelle ihre Erledigung gefunden hat, bleibt es noch übrig, zur Vervollständigung der Interpretation den Schlusssatz kurz zu beleuchten.

Tacitus sagt hier: Gradus quin etiam ipse comitatus habet judicio ejus quem sectantur.

Der Gedanke dieses Satzes ist der, dass das Urtheil des princeps massgebend ist für die Stellung, welche der einzelne comes im Gefolge einnahm. Die „Rangstufen“ im Gefolge richten sich nach dem Platz, der dem Einzelnen vom Gefolgsherrn zugewiesen wurde. Letzterer zog die tüchtigsten Männer in seine unmittelbare Umgebung, und das Streben eines Jeden war darauf gerichtet, sich möglichst auszuzeichnen und so einen Ehrenplatz bei dem princeps zu erringen. Dies geht aus den sich eng an den obigen Satz anschliessenden Worten hervor: magnaque et comitum aemulatio, quibus primus apud principem suus locus.

Baumstark dagegen will in judicium „kein blosses Meinen sehen, sondern eine ausgesprochene Entscheidung, die dem Gefolgsführer vertragsmässig rechtlich zusteht[31]“.

Doch legt er da wohl mehr in das „judicio ejus quem sectantur“ hinein, als Tacitus gemeint hat. Denn ein vertragsmässig dem princeps zustehendes Recht kann man nicht aus den von Tacitus gewählten Worten herausinterpretiren.

Manche wollen nun mit Rücksicht auf das vorher Gesagte aus dem „gradus quin etiam ipse comitatus habet“ auch noch herauslesen, dass damit angedeutet werde, ein solcher adolescentulus, der auf Grund seiner insignis nobilitas oder der magna [339] patrum merita in das Gefolge aufgenommen werde, nun auch sofort den primus locus apud principem einnehme[32].

Dies erscheint allerdings etwas zu weit gegangen; doch glaube ich immerhin, mit diesen Worten soll darauf hingewiesen werden, dass solche adolescentuli eine besondere Stellung, gleichsam eine Ausnahmestellung den übrigen comites gegenüber einnahmen. Das lag schon in der Art ihrer Aufnahme in das Gefolge, das lag ferner auch an ihrer Jugend und ihrer insignis nobilitas oder den magna patrum merita.



Anmerkungen

  1. Halm in den SBMünchAk 1864. Bd. 2 S. 5. – Roth d. Aelt. in den Baier. Gel. Anz. Bd. 21 (1845) S. 893 f. – Scherer in der ZOesterrGymnw 20. Jahrg. (1869) S. 102.
  2. Halm a. a. O. S. 5. – Phillips in den BaierGelAnz Bd. 22 (1846) S. 335 f. – Ritter, Taciti Opera. Canterbury und London 1848 Bd. 4 S. 26.
  3. Bethmann-Hollweg, Ueber die Germanen vor der Völkerwanderung (Bonn 1850) S. 59 Anm. 3.
  4. Vgl. Ritter a. a. O. S. 26: Haec igitur scriptoris sententia est principem adolescentulum cum suis comitibus sequi exemplum alius principis annis et armorum scientia praefulgentis.
  5. Halm a. a. O. S. 4 f. – Roth d. Aelt. a. a. O. S. 893 f. – Scherer, ZOesterGymnw a. a. O. S. 102.
  6. Gebauer, Vestigia juris Germanici (Göttingen 1766) Diss. 4 S. 99 f. – Vgl. auch Ritter a. a. O. S. 26: qui aggregatur, non subicitur (coordinatur, non subordinatur); sed auctorem et ducem ita tantum sequitur, ut ejus exemplo et peritia utatur.
  7. Bach, Taciti Opera Bd. 2 (Leipzig 1835) S. 324. – Döderlein, Taciti Opera Bd. 2 (Halle a. S. 1847) S. 16.
  8. Holtzmann, Germ. Alterthümer, hrsg. von Holder (Leipzig 1873) S. 196 ff.
  9. Gerlach, Taciti Germania. Abth. 2 (Basel 1835/37) S. 111. – Gebauer a. a. O. S. 111 f. – Savigny, Vermischte Schriften Bd. 4 (Berlin 1850) S. 11. – Wietersheim, Geschichte der Völkerwanderung Bd. 1 (Leipzig 1859) S. 372 f. – Vgl. auch die 2. Auflage hiervon, besorgt von Dahn (Leipzig 1880) S. 55 f.
  10. Ribbeck im Rhein. Museum f. Philologie Bd. 22 (Frankfurt a. M. 1867) S. 159. – Ein „Einstweilen“ einzuschieben fühlt sich auch Scherer a. a. O. S. 103 veranlasst, ein Zeichen, dass ihn gleichfalls trotz seiner entgegengesetzten, im Brustton der Ueberzeugung ausgesprochenen Behauptung, dignatio heisse hier Würde eines princeps, doch seine Uebersetzung nicht vollkommen befriedigt.
  11. Barth, Teutschlands Urgeschichte. 2. Aufl. Bd. 4 (Erlangen 1843) S. 331.
  12. Irrthümlicherweise schiebt Richter im Rhein. Museum für Philologie Bd. 24 (Frankfurt a. M. 1859) S. 237 dem Ribbeck unter: er ergänze comitibus zu robustioribus ac jam pridem probatis. Das ist aber falsch. Ribbeck (a. a. O. S. 159) sagt vielmehr: „Vorläufig aber wird sich der designirte princeps erst zu bewähren gehabt haben, indem er sich Reiferen und längst Bewährten anschloss“. Damit können nur principes gemeint sein, und auch aus dem Folgenden geht dies hervor: Ribbeck behauptet ja, dass aggregari das Anschliessen des comes an den princeps zu bezeichnen pflege.
  13. Richter a. a. O. S. 230–238.
  14. Vgl. Baumstark, Urdeutsche Staatsalterthümer (Berlin 1873) S. 613–616. – Sohm, Fränk. Reichs- und Gerichtsverfassung (Weimar 1871) S. 556 Anm. 29.
  15. Vgl. z. B. cap. 15 C. Theod. de privilegiis eorum VI, 35: Imp. Constantinus: – – – Ideoque palatini nostri – – – peculia sua praecipua retineant, quae dum in palatio constituti sunt, aut labore – – – proprio aut dignatione nostra quaesiverint. Hier ist dignatio offenbar transitiv gebraucht: durch Unsere (des Kaisers) Gnade, dadurch dass Wir die palatini, Palastbeamten auszeichneten. – Vgl. ferner Justini Hist. lib. 28, cap. 4 § 10: (Cleomenes) diu in summa dignatione regis vixit und Plinii Paneg. cap. 77.
  16. Halm a. a. O. S. 3. – Richter a. a. O. S. 233.
  17. Halm a. a. O. S. 3.
  18. Halm a. a. O. S. 4. – Richter a. a. O. S. 233.
  19. Scherer im Anzeiger für Deutsches Alterthum. Berlin 1878. (Cit. Anz.) Bd. 4 S. 92.
  20. Halm a. a. O. S. 4. – Richter a. a. O. S. 233 f. – Scherer, Anz. S. 94.
  21. C. L. Roth, Des Tacitus Werke. Deutsche Uebersetzung. Bd. 7 (Stuttgart 1854) S. 42.
  22. Halm a. a. O. S. 4.
  23. Halm a. a. O. S. 4 f. – Phillips a. a. O. S. 334 f. – Scherer, Anz. S. 93.
  24. Scherer, Anz. S. 92.
  25. Baumstark, U. St. A. S. 596, insbes. S. 619 ff. – Derselbe, Ausführliche Erläuterungen des allg. Theils der Germania des Tacitus (Leipzig 1875) S. 511 ff. – Bethmann-Hollweg a. a. O. S. 59. – Waitz, Dt. VerfG 2. Aufl. (Kiel 1865) S. 268, vgl. auch 3. Aufl. S. 289 f.
  26. Dahn, Könige der Germanen. Abth. 1 (München 1861) S. 71. – Kaufmann im Philologus, ZClassAlth Bd. 31 (1872) S. 490 ff. – Sohm a. a. O. S. 557 f.
  27. Kaufmann a. a. O. S. 503 f.
  28. Köpke, Deutsche Forschungen (Berlin 1859) S. 17 f.
  29. Bethmann-Hollweg a. a. O. S. 61 f.– Phillips a. a. O. S. 355 f. – Roth, Geschichte des Benefizialwesens (Erlangen 1850) S. 21 f. – Scherer, Anz. S. 89 f. – Thudichum, Altdeutscher Staat. Giessen 1862. S. 14 f. – Waitz a. a. O. S. 236 ff., insbes. S. 250 ff., S. 290 u. S. 371.
  30. Baumstark U. St. A. S. 633 ff. – Dahn a. a. O. S. 67 ff. – Wietersheim-Dahn a. a. O. S. 60–69.
  31. Baumstark, Uralte Staatsalthh. S. 587.
  32. Barth a. a. O. S. 332. – Eichhorn, Dt. Staats- und Rechts-G. 5. Aufl. Bd. 1 (Göttingen 1843) S. 16 Anm. 1.