Zu den Anfängen der Norwegischen Kirche

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Autor: Konrad Maurer
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Titel: Zu den Anfängen der Norwegischen Kirche
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 100–103.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
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Quelle: Scans auf Commons
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[100] Zu den Anfängen der Norwegischen Kirche. Seitdem Christian C. A. Lange[1], R. Keyser[2] und der Unterzeichnete[3] mit ihren einschlägigen Werken hervorgetreten waren, und P. A. Munch[4] die Geschichte der Norwegischen Kirche wenigstens nebenbei sorgfältig erörtert hatte, wurde diese längere Zeit hindurch nicht mehr eingehend behandelt; erst der Dänische Reichsarchivar A. D. Jörgensen[5] und der Norwegische Theologe A. Chr. Bang[6] veröffentlichten wieder selbständige Werke auf diesem Gebiete. Einer Anregung des letzteren folgend, stellte auch die theologische Facultät der Norwegischen Landesuniversität im Jahre 1886 als Preisaufgabe die Untersuchung des Einflusses, welchen die Angelsächsische Kirche auf die Norwegische geübt hat, und wiederholte dieselbe, als innerhalb der ersten Bewerbungsfrist keine entsprechende Bearbeitung der Frage einlief. Dieser Beharrlichkeit der Facultät verdankt man die preisgekrönte Arbeit Abs. Taranger’s über den Einfluss der Angelsächsischen Kirche auf die Norwegische[7]. Der Verfasser ist [101] übrigens kein Theologe, sondern ein jüngerer Hilfsarbeiter am Norwegischen Reichsarchive, welcher sich bereits durch einige tüchtige historische Aufsätze über die Bedeutung des hèrađ und der hèrađskirkja in den älteren Christenrechten, dann über die älteren Norwegischen Perlenfischereien bekannt gemacht hat[8].

Die Angelsächsischen sowohl als die Altnordischen Quellen hat der Verfasser fleissig und umsichtig benützt, und deren Inhalt zu einer sehr lebendig und anziehend geschriebenen Darstellung sowohl der Bekehrungsgeschichte Norwegens als der durch diese bedingten Zustände in Kirche und Staat bis gegen das Ende des 11. Jahrhunderts hin verarbeitet. Ein reichliches Material zur Vergleichung Englischer und Norwegischer kirchlicher Verhältnisse hat er zusammengetragen, manche irrthümliche Auffassungen in den bisherigen Arbeiten hat er berichtigt, auch manche neue und richtige Gedanken zu Tage gefördert, und damit den ihm zuerkannten Preis reichlich verdient.

Als ein endgültig abschliessendes wird indessen sein Werk trotz aller auf dasselbe verwendeten Mühe dennoch nicht gelten können, und zwar aus verschiedenen Gründen. Bei der Benützung der Norwegischen Provinzialrechte, deren Inhalt für seinen 5. und 6. Abschnitt, den Einfluss der Angelsächsischen Kirche auf Verfassung und Praxis der Norwegischen, die Hauptquelle bildet, ist er viel zu wenig kritisch verfahren, indem er nicht nur an der alten Legende von der schriftlichen Abfassung der Gesetze des heil. Olaf’s gläubig festhält, sondern auch in den uns erhaltenen Texten im wesentlichen noch diese Gesetze erhalten glaubt, so mannigfache Spuren späterer Ueberarbeitung diese auch nachweisbar zeigen; so kommt es z. B., dass er eine Bestimmung der FrthL. II, § 10, welche aus Erzb. Eystein’s Zeit (1160 bis 88) stammt, aus den Gesetzen K. Æthelräd’s, VIII, § 5 (978 bis 1016) ableitet und auf K. Olaf’s Gesetzgebung zurückführt. Das Isländische Kirchenrecht, welches doch mit dem Norwegischen auf’s engste verwandt ist, hat der Verfasser ferner nur in sehr ungenügendem Masse zur Vergleichung herangezogen, obwohl dasselbe vielfach zur Aufhellung des älteren Norwegischen Rechtes benützt werden kann; wenn z. B. in der Kgsbk. § 16, S. 34, unter den Thieren, welche gegessen werden dürfen, der braune Bär, der Hirsch und das Renthier erwähnt werden, welche keines der älteren Norwegischen Christenrechte nennt, so ist klar, dass die Bestimmungen dieser letzteren über die Speiseverbote unmöglich ihre ursprüngliche Fassung bewahrt haben können, da die Isländischen Vorschriften aus Norwegen stammen [102] müssen, wo Waldbären, Hirsche und Renthiere zu Hause waren, die es auf Island nicht gab. Endlich, und dies ist die Hauptsache, hat der Verfasser allzu ausschliesslich die Englische Kirche der Norwegischen gegenübergestellt, und viel zu wenig die andere Frage beachtet, ob nicht neben der Englischen noch irgendwelche andere Kirche auf diese letztere eingewirkt haben könnte, wie zumal die Deutsche und die Römische. Schon in dem geschichtlichen Theile seiner Darstellung tritt dieser Umstand sehr deutlich hervor. Die Wirksamkeit der Englischen Missionäre in Norwegen hat der Verfasser mit lebhaften Farben geschildert; aber die nicht minder bedeutsame Thätigkeit der Deutschen Glaubensboten hat er ihr gegenüber allzusehr in den Hintergrund treten lassen, und zumal hat er die sehr deutlich erkennbare Anlehnung des heil. Olaf’s an den erzbischöflichen Stuhl zu Bremen-Hamburg, wie solche theils durch die feindlichen Beziehungen des Königs zu der Dänisch-Englischen Monarchie, theils aber auch durch die von der Curie aus verfügte Unterstellung der Nordischen Mission unter jenes Erzbisthum bedingt war, allzu wenig gewürdigt. Freilich sind jene Beziehungen der Altnordischen Kirche zu Deutschland fast nur aus den sparsamen und nüchternen Angaben Adam’s von Bremen und allenfalls aus einzelnen Notizen in den Biographien der älteren Isländischen Bischöfe zu erkennen, während die Isländisch-Norwegischen Sagenwerke dieselben zumeist mit Schweigen zu übergehen pflegen; aber Meister Adam, dessen Werk von dem Verfasser selbst (S. 178) als die älteste sowohl als beste Quelle der älteren Kirchengeschichte des Nordens bezeichnet wird, und dessen von K. Svend Estridsson bezogene Nachrichten erst neuerdings wieder durch ein paar Schleswigsche Runensteine eine schlagende Bestätigung erhalten haben (vgl. L. Wimmer, Festskrift fra Kjöbenhavns Universitet i Anledning af K. Christian IX’s Guldbryllup. 1892. S. 28–35), darf nicht leichthin gegen Erzählungen zurückgesetzt werden, welche Jahrhunderte lang nur auf mündlichem Wege überliefert, erst um 100–150 Jahre später als jenes zur schriftlichen Aufzeichnung gelangten. Ganz dieselbe Einseitigkeit der Betrachtung macht sich aber auch geltend bei der Vergleichung der kirchlichen Verfassung und Praxis in England und in Norwegen. Es genügt nicht, um die geschichtliche Abhängigkeit der Einrichtungen der einen Kirche von denen der anderen darzuthun, dass deren Uebereinstimmung in einer Reihe von Punkten erwiesen wird, vielmehr muss, wenn jener Schluss zulässig sein soll, festgestellt sein, dass jene Uebereinstimmung Punkte betrifft, in Bezug auf welche eben nur die beiden in Frage stehenden Kirchen mit einander übereinkommen, während alle anderen Kirchen in Bezug auf sie andere Wege einschlagen, und überdies werden neben den Uebereinstimmungen [103] in gewissen Punkten auch die Abweichungen nicht unbeachtet bleiben dürfen, welche in anderen bestehen. In bei weitem den meisten Fällen, in welchen der Verfasser eine auffällige Uebereinstimmung der Norwegischen Einrichtungen mit den Englischen nachweisen zu können glaubt, handelt es sich nun aber um allgemeines Recht und Sitte der gesammten abendländischen Kirche, oder doch um Zustände, welche in der kritischen Zeit ganz ebenso in Deutschland wie in England oder in Norwegen bestanden, und soweit wirkliche Besonderheiten vorliegen, sind diese weit häufiger specifisch Norwegische, als der Norwegischen Kirche mit der Englischen gemeinsame. Was insbesondere die kirchliche Terminologie betrifft, auf welche der Verfasser mit vollem Recht grosses Gewicht legt, so ist es ihm nur dadurch gelungen, den Schein einer durchgreifenden Einwirkung Englands auf Norwegen zu gewinnen, dass einerseits die von der Nordischen und Englischen Sprache gleichmässig aus der Lateinischen Kirchensprache entlehnten Ausdrücke gutentheils auf das Englische zurückgeführt, und dass er andererseits versäumt hat, die Altsächsische und Altfriesische Sprache soweit möglich zur Vergleichung heranzuziehen, welche doch der Natur der Sache nach für diese weit mehr in Betracht zu kommen hatte als die Althochdeutsche.

Eine ausführlichere Begründung der erhobenen Bedenken zu geben, gestattet der hier verfügbare Raum nicht, und ich verweise dieserhalb auf eine eingehendere Besprechung des Werkes, welche die Norwegische Historisk Tidsskrift demnächst bringen wird. Selbstverständlich ist aber meine Meinung nicht die, den sehr erheblichen Einfluss der Englischen Kirche auf die Begründung und Entwicklung der Norwegischen zu bestreiten; vielmehr möchte ich nur diesen ihren Einfluss auf das gebührende Mass beschränkt, und neben demselben auch der Wirksamkeit der Deutschen Kirche ihr Recht gewahrt wissen. Es wird die Aufgabe späterer Arbeiten sein, in dieser Richtung Taranger’s Leistung zu ergänzen.

K. Maurer.     

Anmerkungen

  1. De norske Klostres Historie i Middelalderen, 1847; ed. 2. 1856.
  2. Den norske Kirkes Historie under Katholicismen, 1856–58.
  3. Die Bekehrung des Norwegischen Stammes zum Christenthum. 1855 bis 1856.
  4. Det norske Folks Historie, 1852–59.
  5. Den nordiske Kirkes Grundlæggelse og förste Udvikling, 1874–78.
  6. Udsigt over den norske Kirkes Historie under Katholicismen, 1887.
  7. Absalon Taranger, Den Angelsaksiske Kirkes Indflydelse paa den Norske. Udgivet af den Norske historiske Forening. Kristiania 1890. XII und 459 p. 8°. Das Werk behandelt in 6 Abschnitten die Norweg. Vikinger in England (S. 5–37), die Angelsächs. Kirche (S. 38–115), die Grundlegung der Norweg. Kirche (S. 116–41) und die Angelsächs. Missionäre in Norwegen (S. 142–202), und weiterhin den Angelsächs. Einfluss auf die Verfassung der Norweg. Kirche (S. 203–335) und auf die Praxis derselben (S. 336–412), worauf dann noch in einem 7. Abschnitte die Resultate gezogen werden (S. 413–419), und einige Zusätze und Berichtigungen (S. 420 bis 421), sowie ein sorgfältig gearbeitetes Register folgen.
  8. Historisk Tidsskrift, II. Reihe, Bd. 6 S. 337–401 und III. Reihe, Bd. 1 S. 186–237.