Zum letzten Mal

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Titel: Zum letzten Mal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 36–39
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zum letzten Mal.

Es giebt unverwüstliche Geschichtsbilder, welche ewig frisch und ergreifend zu unserem Herzen sprechen, wie oft sie uns auch vorgeführt werden. Ein solches Geschichtsbild ist das des letzten Hohenstaufen, des blonden Jünglings Konradin von Schwaben. Die hingeschlachtete Jugend und der blutige Untergang des glorreichsten deutschen Kaiserhauses vereinigen sich zu seiner Verherrlichung.

Da die Gartenlaube Konradin’s Kampf und Ende in geschichtlicher Ausführlichkeit (1859, Nr. 51) bei der bildlichen Mittheilung des Denkmals dargestellt hat, welches im Jahr 1847 vom damaligen Kronprinzen Max von Baiern dem unglücklichen Konradin vor der Carmeliterkirche in Neapel gesetzt worden ist, so führen wir unseren Lesern hier dessen weniger bekannte Kindheit und Jugend bis zu seinem Scheiden von Mutter und Heimath vor und benutzen dazu als Quelle Wilhelm Zimmermann’s „Hohenstaufen“ (Stuttgart, bei Rieger), ein treffliches Werk, das wir allen Freunden vaterländischer Geschichte auf das Wärmste empfehlen können.

Konradin steht wie ein einsamer, zum ersten Mal blühender junger Baum unter den ungeheuren Ruinen seines Hauses. Am 25. März 1252, ferne von seinem Vater, dem letzten deutschen Hohenstaufen-König, Konrad dem Vierten, geboren, nach zwei Jahren verwaist, hatte er seine Kindheit bei seiner Mutter zu Donauwörth

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Konradin’s Abschied von seinen Lieben in Hohenschwangau. Originalzeichnung von C. Schweizer.

[38] verlebt, im Lande seines älteren mütterlichen Oheims Ludwig von Baiern, da ihm auch sein Großvater, Kaiser Friedrich der Zweite, dessen Unglück ebenfalls Italien gewesen, schon im Jahre 1250 gestorben war. Sein Oheim Ludwig hatte sich mit einer Enkelin König Philipp’s von Hohenstaufen und der griechischen Irene, mit Maria, vermählt; sie glich dieser ihrer Großmutter an Schönheit des Leibes und an Tugend und liebte zärtlich ihren Gemahl. Dieser lag am Rhein zu Feld. Die Zeile eines Briefes, die von seiner Eifersucht mißverstanden wird, verwirrt ihm die Sinne, er wähnt seine Gemahlin in einem geheimen Liebesverständniß. Er reitet Tag und Nacht vom Rhein bis Donauwörth, steht plötzlich im Gemach Mariens, sie springt vor Freuden ihm entgegen, er aber schleudert sie weg und spricht mit dem Ton eines Wahnsinnigen: „Du mußt sterben, Treulose!“ Nicht das Betheuern ihrer Unschuld, nicht das Flehen der Königin Elisabeth und ihres Konradin’s Weinen können ihn bewegen, die Beweise der Unschuld der so hart Angeklagten zu hören: er zwingt Maria niederzuknieen, zieht sein Schwert, und ihr schönes Haupt rollt blutig auf den Boden. Nach ihr durchstößt er ihre Gesellschaftsdame, ein Fräulein Helika von Brennberg, und die Oberhofmeisterin stürzt er vom Thurme des Schlosses hinunter. Noch in derselben Nacht findet er überzeugende Beweise von der Unschuld seiner Gemahlin. Unter der Ueberlast der Gewissensangst verfärben sich seine braunen Locken; am Morgen finden entsetzt seine Diener ihren siebenundzwanzigjährigen Herrn ergraut.

Kaum vier Jahre alt war Konradin, als er dieses Schreckniß und diesen Jammer mit ansah. In solcher trüben Umgebung verfloß seine Kindheit, während in Schwaben, seinem Erbherzogthum, drei Afterkönige nach einander, sowie die durch Eid und Wohlthaten seinem Hause verbundenen Vasallen seine Erbgüter zerrissen und sich unter einander darob befehdeten.

Als aber auch der letzte der Schattenkönige des sogenannten Interregnum’s (1256–1273), „der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“, wie der Dichter sie bezeichnet, dahin gegangen war, da betrachteten viele Städte und Fürsten den deutschen Thron als erledigt, und die Erwählung Konradin’s zum deutschen König als unschwer und nahe. Städte und Herren ließen sich in dieser Aussicht sogar von Herzog Ludwig, als „Reichsverweser für Konradin“, nicht blos als Vormund des Schwabenherzogs Konradin, Freibriefe ausstellen gegen Geldzahlungen.

Kam aber auch Konradin auf solchen nicht ganz ebenen Wegen von Zeit zu Zeit zu Geldern und durch die Zeitumstände endlich seinem Rechte gemäß sogar zu den Ueberresten seines väterlichen Herzogthums, so war doch alles das nicht hinreichend, seine Finanzlage zu bessern. Mit dem Titel König von Sicilien, König zu Jerusalem und Herzog von Schwaben, wuchs Konradin länderlos, in Noth und Armuth auf. Dennoch war dem siebenjährigen Knaben die Heirath seiner Mutter mit dem reichen und mächtigen Grafen Meinhard von Görz und Tirol zuwider, weil es ihn verdroß, seine Mutter, in welcher er die Kaiserin sah, als Gemahlin eines Grafen zu sehen. Gerade diejenigen, welche für sich selbst von seiner Erhebung auf den Kaiserthron viel hofften, nährten in ihm die Gedanken und Erinnerungen an sein Kaiserhaus, an seine eigene Zukunft als König von Sicilien und als Kaiser der Deutschen.

So zog er elfjährig, da ihn seine Vormünder unter sich haben wollten, mit kleinem Gefolg in sein väterliches Erbherzogthum ein. Dieses sein Gefolge waren wenige Vasallen, die herzoglichen Beamten und einige Räthe seines Vaters. Sie ließen ihn als Herzog, ja als zukünftigen König, Fürstentage und Hoftage da und dort im Herzogthum Schwaben halten, zu Ulm, zu Rottweil, zu Ravensburg. Sie wollten ihn dem Volke vor Augen führen, diesen Sproß des großen Kaiserhauses, das hundertunddreißig Jahre die deutsche Krone getragen hatte. Und sie durften ihn sehen lassen: er glich dem Großvater an wundersamer Schönheit des Leibes, an Frühreife und Helle des Geistes, an herzgewinnender Freundlichkeit und Anmuth der Sitte. Noch ehe er in das Jünglingsalter trat, sprach er mehrere Sprachen und war wohlunterrichtet in der Wissenschaft der Zeit und gewandt in ritterlichen Künsten. Schon in der Hand des Knaben erklang das Saitenspiel; süße Minnelieder dichtete er so jung, daß er sich selbst noch ein Kind nennt, und auch die Liebe schlich sich so frühe in sein Herz ein, daß er klagt, „die Liebe lasse es ihn sehr entgelten, daß er der Jahre noch sei ein Kind.“ Gleich zu Anfang der Manesse’schen Sammlung sind kindlich schöne Lieder von ihm uns aufbehalten, aber durch deren Jugend-, Frühlings- und Liebeslust zieht sich ein elegischer Hauch. Wofern er nicht über seine Kräfte Großes gewagt hätte, so wäre es ein Glück für ihn gewesen, daß die Poesie ihren rosenfarbenen Schleier über seine junge Seele wob und die Natur ihm täglich ihre schönsten Reize entgegenhielt, die blaue Fluth des Bodensees, ringsum die Obstwälder und die Rebenhügel und in naher Ferne die Pracht der Alpenwelt. Denn die Gegenwart seiner häuslichen Verhältnisse war auch jetzt noch so wenig glänzend, wie die Vergangenheit derselben; es bedurfte die arme Wirklichkeit einer dichterischen Verklärung, da sie so grell abstach gegen die Erinnerungen seines Geschlechts und gegen die drei Kronen, für die er schon in der Wiege geboren schien. Er war öfters so arm, daß er sich mit seinem kleinen Gefolge kaum hätte erhalten können, hätten ihn nicht die Städte Oberschwabens in dankbarem Gedenken an seine Väter bei sich aufgenommen und unterstützt. Diese wackern Männer und Frauen von Oberschwaben hatten nicht blos eine offene Hand für ihn, sondern auch ein mitfühlendes Herz für sein Schicksal, und er konnte es hören, wie das Volk daselbst Lieder sang vom Unglück seines Hauses.

Hatte sich sein Großvater Friedrich vermählt, als er kaum das fünfzehnte Jahr zurückgelegt hatte, so vermählte sich Konradin im Jahre 1266 mit seiner geliebten Braut, mit Brigitta, einer Tochter des Markgrafen Dietrich von Meißen. Die Hochzeitfeier wurde zu Bamberg gehalten. Sein Oheim, der römische König Heinrich, war zwar noch früher, schon mit dreizehn Jahren, der Gemahl der Margaretha von Oesterreich, die Ehe aber auch ohne Glück für Beide und für das Reich gewesen; und Brigitta war noch zarter als Konradin, und ganz unähnlich der Constantia Kaiser Friedrich’s, die, älter an Jahren, dem italienisch frühentwickelten Friedrich viel Erfahrung ersetzte.

Konradin hatte in Buchhorn, dem heutigen Friedrichshafen, in Ravensburg, unter den üppigen Fruchtbäumen von Arbon, wo noch heute die Burg zu schauen ist, darin er wohnte, und in andern Städten diesseits des Bodensees, von deren treuer Gastfreundschaft gelebt, mit seinem Freunde Friedrich von Baden, einem Sohne des Markgrafen Hermann und der österreichischen Gertrud, der Babenbergerin, der ihm verwandt war durch Familienbande, durch Aehnlichkeit des Gemüths und des Schicksals, wie durch gleichzeitige Erziehung am bairischen Herzogshofe. Sie waren ganz gleichartig und durch innigste Freundschaft verbunden.

In solcher Lage war Konradin, als ihm von jenseits der Alpen herüber der Thron seiner Väter, Glanz und Ruhm winkten. Was er und sein Freund Friedrich lange im Stillen als Traum und Wunsch gehegt hatten, das trat jetzt als lockende Wirklichkeit vor ihn und zwar in so schönem Lichte, wie italienische Gesandte die Zustände jenseits der Alpen in ihrem eigenen Vortheil nur immer malen mochten. Konradin berathschlagte sich mit seinen Verwandten. Seinen Oheimen Ludwig und Heinrich von Baiern, seinem Stiefvater, dem Tiroler, und den Freunden seines Hauses gefiel, was die Gesandten vorbrachten, wie dem Jüngling Konradin selbst; nur die Königin Elisabeth, seine Mutter, widersetzte sich beharrlich. „Die Gefahr“, sprach sie, „ist gewiß, der Erfolg zweifelhaft, jede bisherige Erfahrung abschreckend. Italien hat die Hohenstaufen immerdar tückisch angelockt und ihnen Kraft und Blut ausgesogen. Sollte sich der Letzte dieses Stammes nicht vielmehr warnen, als verführen lassen, sollte er nicht ein mäßiges Besitzthum in dem heitern Schwabenland vorziehen jenem trügerischen, von finsteren Mächten umgewühlten Zauberboden? Kannst Du wirklich nicht das Leben mit redlichen deutschen Freunden und Lehensmannen vorziehen dem Bekämpfen feindlich, dem ängstlichen Bewachen zweideutig Gesinnter, dem überall mit Zerstörung begleiteten Abmühen nach einem unerreichbaren Ziele?“ So klar fühlte, so dringend mahnte das Mutterherz.

Aber Konradin entgegnete ihr: „Mein Großvater war nicht älter als ich, da er Deutschland eroberte und einen Kaiser und Papst bezwang.“ Der poetische Träumer Konradin wußte nicht oder vergaß, daß unter dem Himmel Palermos und Neapels die Menschen leiblich und geistig sich früher und schneller entwickeln, als auf den Bergen Baierns und Schwabens: sein Großvater war damals ohne Vergleich gereifter an Leib und Geist. Die italienischen Gesandten erhielten die Versicherung, Konradin werde in Kurzem in Italien sich einfinden.

[39] Zu Augsburg machte Konradin für den Fall, daß er aus Italien nicht wiederkehre, sein Testament. Sie hatten Manches für ihn gethan, seine bairischen Oheime. Ludwig hatte sogar im Jahre 1261 den Marschall von Pappenheim bekriegt und dessen Schloß Weißenburg zerstört, weil auch er, wie andere Vasallen des hohenstaufischen Hauses, die durch dasselbe reich geworden waren, das hohenstaufische Erbe zerreißen half, statt es zu schützen. Zu Augsburg ließen sich beide Brüder seiner Mutter die feierliche Schenkung aller seiner Erbgüter und Lehen, wenn er einst ohne rechtmäßige Kinder mit Tod abginge, von Konradin unterzeichnen.

Im Herbste 1267 trat Konradin den Zug über die Alpen an, fünfzehn Jahre und gerade sechs Monate alt. Sein Oheim, Herzog Ludwig von Baiern, sein Stiefvater Meinhard von Tirol und diejenigen, welche die Treue für das hohenstaufische Haus oder die Hoffnung auf gute Beute, sicilische Lehen und Abenteuer unter seine Fahne versammelt hatte, folgten ihm; über zehntausend Ritter und Dienstleute, meist Baiern und Schwaben, das Fußvolk ungerechnet. Daß er die schicksalbezwingende Schnellkraft seines Großvaters, Friedrich’s des Zweiten, nicht hatte, zeigte er schon darin, daß er mit dem Kern des sich sammelnden Heeres so lange diesseits der Alpen blieb und zu Ravensburg, der alten Welfenstadt, und am See herum lag, daß „über seine Trägheit“ Spottlieder gemacht wurden. Welch’ ein Contrast zwischen dem fast gleichalterigen Großvater, welcher sich athemlos ritt, so Constanz wegnahm und damit die deutsche Krone gewann, und zwischen diesem seinem Enkel Konradin!

Im Allgäu, nächst dem Tiroler Gebirge, auf hohem Felsen, von noch höheren überragt, erhebt sich die Burg Hohenschwangau, auf der dreifachen Markscheide Tirols, Baierns und Schwabens, und aus der dunkeln Föhrenumgebung zu ihren Füßen glänzt der Spiegel des Schwansees hervor. Von den Welfen war das Felsenschloß an die Hohenstaufen gekommen, und in seinen Hallen hatte der Rothbart und Friedrich der Zweite zeitweise geweilt. Jetzt sahen diese selben Hallen die ahnungsvolle Mutterliebe weinen: Konradin nahm hier Abschied von Elisabeth, er riß sich los von der zarten Anvermählten und von der ängstlich sorgenden Mutter, und zog über Innsbruck und Trient nach Verona und in sein Verderben.

Wir scheiden hier von ihm, wo wir beim Gegenstand unseres heutigen Bildes angekommen sind, das wir der Hand eines begabten jungen Künstlers verdanken. Wir sehen den hochaufragenden Jüngling am Herzen der Mutter liegen, umgeben von Gattin und Freund, Oheim und Stiefvater, und die Heerschaar harrt des königlichen Führers. Aber vor unserem geistigen Auge erscheint auch die päpstliche Tücke verbunden mit französischer Herrschgier und Rachsucht – und ein Schaffot winkt zum entsetzlichen Schluß des kurzen Trauerspiels.

Ist aus dem Thor von Hohenschwangau der letzte Hohenstaufe ausgezogen, um durch des Papstes Schuld schmach- und jammervoll zu enden, – so ist durch dasselbe Thor dritthalbhundert Jahre später ein armer flüchtiger Mönch eingezogen, der berufen war, nicht blos den Schwaben Konradin, sondern das ganze von Rom so lange herabgewürdigte deutsche Volk, ja die ganze geknechtete Christenheit am Papstthum zu rächen, denn dieser Mönch, der, vor den päpstlichen Verfolgern aus Augsburg entkommen, hier Schutz suchte, war – Martin Luther.