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Zur Fledermausfrage

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Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Zur Fledermausfrage
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 143–144
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[143] Zur Fledermausfrage. Die hübsche Beobachtung, welche in Nr. 3 der Gartenlaube mitgetheilt wird, steht nicht so vereinzelt da, als ihr Herr Verfasser anzunehmen scheint. Es sind viele ähnliche Beobachtungen veröffentlicht worden, und Masius, welcher seine Allbelesenheit durch bogenlange Citate zu beweisen pflegt, wird die betreffenden Mittheilungen wohl auch kennen. Wenn er die Fledermäuse über die Achsel angesehen hat, ist dies wohl aus dem Grunde geschehen, weil sie sich weniger zur Zerrbildnerei eignen als andere Thiere, welche durch ihn verewigt worden sind; weniger z. B. als der Wolf, welcher „die Luft mit pistolenschußstarken Erschütterungen beglückt, wenn er sein Gebiß zusammenschlägt“; weniger als der Frosch, welcher, wie in einer Ausgabe der bei sentimentalen Weiberseelen so hoch beliebten Naturstudien zu ersehen, die Baßgeige auf dem Rücken mit herumschleppt. Die Fledermäuse können sich übrigens nur dazu gratuliren, wenn sie von Herrn Masius nicht ausführlich behandelt worden sind. Ich will sagen: Wer die im höchsten Grade der Theilnahme würdigen, so vielfach verkannten, äußerst nützlichen Fledermäuse und ihr jeden Naturfreund fesselndes Leben kennen lernen will, darf nicht zu Masius greifen, am wenigsten aber darf dies einer der nach kräftiger und natürlicher Kost verlangende Leser unserer Gartenlaube. Man nehme die Werke von Oken, Kaup, Lenz, Kolenati, Burmeister, Rengger, Fitzinger, Vogt, Giebel, Brehm’s Ornis und andere zur Hand, wenn man sich mit den Fledermäusen und ihrem Leben vertraut machen will. In meinem demnächst erscheinenden „Thierleben“ habe ich eine möglichst ausführliche Beschreibung des merkwürdigen Lebens dieser merkwürdigen Thiere entworfen, und darf diejenigen Leser, welche Lust genug besitzen, seitenlange Thierschilderungen zu lesen, auf dieses Werk verweisen. Hier will ich nur einige Andeutungen geben.

Fast sämmtliche Fledermäuse können bei geeigneter Behandlung lange Zeit im Zimmer erhalten und in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit gezähmt werden. Sie lernen ihren Wärter und Wohlthäter bald kennen, kommen auf dessen Ruf herbei, wissen genau, was die Mehlwürmer und Fliegenschachtel zu bedeuten haben; ja, sie folgen ihrem Gebieter wie ein Hund auf dem Fuße nach. Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus binnen acht Tagen so gezähmt, daß sie auf seinen Pfiff herbeigeflogen kam und ihm durch mehrere Zimmer folgte. Kolenati, welcher die Fledermäuse in der Neuzeit am ausführlichsten beobachtet hat, besaß viele, welche ungemein zahm waren. Er hatte sie so gewöhnt, daß sie aus seiner Hand tranken, wenn es kühl war, sich in dieser erwärmten und sie dankbar leckten. Sie kamen herbei, wenn er ihnen die Fliegenschachtel vorhielt, krochen in diese oder in das Glas hinein und räumten die darin aufbewahrten Kerbthiere auf. Die in der Gartenlaube beschriebene Art, wie die Fledermäuse Fliegen fangen, hat schon Faber beobachtet und bekannt gemacht. (Isis, 1826.) Er giebt uns auch die Zahl der Fliegen an, welche sein Gefangener vertilgte: 50–60!! bei einer Mahlzeit. – Von der außerordentlichen Sinnenschärfe der Fledermäuse hat man sich mehrfach staunend überzeugen müssen. Die Beobachtungen Spallanzani’s sind ziemlich allgemein bekannt: Er ließ Fledermäuse mit zugeklebten Augen in einem Zimmer fliegen, welches der Kreuz und Quer von Bindfäden durchzogen war; aber niemals stießen sich die feinsinnigen Thiere an eines der Hindernisse. Sie fühlten die Nähe der Fäden. Das Gehör und der Geruch sind ebenso ausgezeichnet als das Gefühl. Großöhrige Fledermäuse benehmen sich höchst sonderbar, wenn sie Musik hören. Alle lauten Töne sind ihnen ein Gräuel; sie zucken und schreien vor Schmerzen. In gleicher Weise belästigen starke, nach unsern Begriffen wohlriechende Stoffe die Fledermäuse, deren Geruchswerkzeug durch Anhängsel aller Art besonders vervollkommnet ist. Ihre Klugheit ist viel großer, als man glauben möchte. Sie zeigen nicht nur ein vortreffliches Gedächtniß, sondern auch eine gewisse Beurtheilungsfähigkeit, welche sich sogar bis zur List steigern kann. Alle Versuche, welche man angestellt hat, schwirrende Fledermäuse mit Hülfe einer feinen, durch lebende Schmetterlinge geköderten Angel zu fangen, sind mißglückt. Die Fledermäuse zeigten viel Theilnahme für den Leckerbissen, aber keine einzige griff zu. Noch weit schlagender ist die Beobachtung der Schmetterlingskundigen Hering und Nickerl. Bei vielen Schmetterlingsarten locken die ruhig sitzenden Weibchen die begattungslustigen [144] Männchen aus weiter Ferne herbei. Schmetterlingssammler von Fach wissen dies und machen es sich natürlich zu Nutze. So waren denn auch die genannten Herren ausgegangen, um den Roßkastanienbohrer zu fangen. Mehrere Weibchen dieser Schmetterlingsart saßen ruhig oben in der Krone der Kastanien und wurden von Männchen umschwirrt. Auf diese machten die Fledermäuse Jagd, und eine von ihnen nahm nach einander neun Schmetterlingsmännchen weg. Es unterlag gar keinem Zweifel, daß die Fledermaus auch das Weibchen aufgespürt hatte; aber sie war schlau genug, dieses zu schonen, um die Männchen anzulocken und so eine reichere und fettere Mahlzeit zu erlangen. – Nicht minder anziehend ist das Geschlechtsleben unserer Thiere, sehr merkwürdig die Art und Weise, wie sie ihre Jungen zur Welt bringen und aufziehen. Nach meines Vaters und Kaup’s Beobachtungen beziehen die trächtigen Weibchen mancher Arten besondere Frauengemächer und gestatten den Männchen zu ihnen keinen Zutritt. Beim Gebären bilden sie aus der Flughaut, welche sich zwischen dem Schwanz und den Hinterbeinen ausbreitet, eine Wiege, in welcher die Jungen zunächst aufgenommen und so lange getragen werden, bis sie an der Alten emporklettern und sich festhalten können. Mutter und Kind fliegen dann gemeinschaftlich mit einander aus, und wenn das Junge groß geworden, verläßt es, wie ich selbst beobachtet habe, die Alte, macht auf eigene Faust einen kleinen Jagdflug und kehrt, sobald es ermüdet ist, wieder zu der Mutter zurück. – Von den Wanderungen der Fledermäuse, von ihrem Winterschlafe etc. will ich hier nicht reden, das würde mich zu weit führen. Nur Eins noch: Auch bei uns giebt es Vampyre, welche, wenn auch nicht menschliches Herzblut, so doch Blut von Tauben und Hühnern aussaugen, welche sogar ihre unschuldigen Mitfledermäuse angehen, von diesen aber dann zur Strafe gefressen werden! Die bekannte Sage wurzelt also auch auf deutschem Boden.

Diese Andeutungen sollen nur Eins bezwecken: sie sollen zum Studium auch dieser Thiere anregen, Erfüllen sie diesen Zweck, dann brauche ich nicht erst zum Schutze der Fledermäuse aufzufordern. Denn Jeder, welcher diese kennt, wird sie als das zu schätzen wissen, was sie sind: als überaus merkwürdige Geschöpfe und unermüdliche Häscher der Feinde unserer Land- und Forstwirthschaft, als uns nur nützliche, unbezahlbare Gehülfen im Vernichtungskriege gegen die schädlichen und lästigen Kerbthiere!

Herrn „G.“ aber meinen Dank für seine Mittheilung und freundlichen Gruß. Brehm.