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Zur Geschichte des Aberglaubens/Blut- und Schwefelregen

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Blut- und Schwefelregen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 456–458
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[456]

Zur Geschichte des Aberglaubens.

Nr. 5.[WS 1] Blut- und Schwefelregen.

Blut und Schwefel sind zwei Stoffe, an denen das phantastische Gelüst des Volkes nie müde geworden ist, seine Kunst in Verwendung zu allerhand Spukgeschichten zu versuchen. Die geheimnißvollen Eigenschaften beider machten sie zu Werkzeugen der schauerlichsten Einbildung im höchsten Grade geeignet.

Das Blut, die Bedingung, der Inbegriff alles körperlichen Lebens, entzog sich seiner Erforschung bis auf die neueste Zeit und behielt unbestritten das Recht über die Phantasie, welches alles Geheimnißvolle verleiht. Alle alchemistischen Versuche, die sich mit dem Aufsuchen des Steines der Weisen und ähnlicher Probleme beschäftigten, hatten die Lebenskraft zum Gegenstande, welche noch heute in den Köpfen mancher Naturforscher eine eigenthümliche Rolle spielt, und suchten im Blute deren wirksamste Quintessenz. Extravagante Schwärmer und schlaue Betrüger redeten dem leichtgläubigen Volke die mannigfachsten Wirkungen und Kräfte des Blutes ein, die, weil sie wunderbar waren, beim Haufen Glauben fanden; und wo eine geheimnißvolle Unternehmung vorbereitet oder ein absonderliches Medicum gebraut wurde, durfte es unter den Ingredienzien und Beschwörungsmitteln nicht fehlen. Es wurde jener sonderbare Saft, vor dem selbst der Teufel Respect hatte.

Der Schwefel hatte vermöge seiner feurigen Natur sich ein bedeutendes Ansehen von Haus aus mitgebracht. Wo er sich auf der Erde fand, waren die räthselhaften, gewaltigen Kräfte der ewig verschlossenen, vulcanischen Tiefe in unverkennbarer Thätigkeit gewesen und er selbst eine sichtliche Folge ihrer Wirkungen. Seine leichte Entzündlichkeit, die blaue Flamme, mit welcher er verbrennt, seine Begierde, sich in der Retorte des Goldmachers mit den mannigfachsten Stoffen auf unerklärliche Weise, oft unter dem prachtvollsten Flammensprühen, zu verbinden und neue ungeahnte Körper zu erzeugen, welche die sonderlichsten Eigenschaften besaßen, und die wahrhaft infernalischen Gerüche, welche allen diesen Verbindungen eigenthümlich sind, machten ihn recht zu einem Attribut des Teufels geeignet. Und es kann nicht geleugnet werden, daß es kaum ein würdigeres Element geben dürfte, die Staatszimmer des Höllenfürsten zu wärmen und das Boudoir seiner Großmutter zu parfümiren.

Da fand man bisweilen nach Gewitterregen, welche von heftigen Stürmen begleitet gewesen waren, auf den Pfützen, die sich an den Wegen gesammelt hatten, eine dicke Haut eines schwefelgelben Pulvers, welches auch außerdem oft die vom Regen getroffenen Gegenstände förmlich überzogen hatte. Dieses Pulver war offenbar mit dem Regen heruntergefallen und zurückgeblieben, als das Wasser sich verlaufen hatte. Es hatte, wie man sagte, „Schwefel geregnet“. Bei dem Gedanken daran schauerte jedem ehrlichen Christenmenschen die Haut, da es doch nicht anders anzunehmen war, als daß der Teufel bei einer solchen höchst bedenklichen Erscheinung seine Hand mit ganz besonderer Lust im Spiele gehabt haben mußte. Wenn man den gelben Staub sammelte und durch eine Lichtflamme blies, so flammte er blitzartig auf – das bewies ja seinen höllischen Ursprung vollständig.

Der Blutregen war nicht minder schauerlich. Es bedurfte keiner finstern, stürmischen Nacht dazu. Nach dem hellsten Vollmond oft erschrak man über blutige Lachen, die an Waldesrändern, in feuchten Gräben, selbstverständlich auch an den verrufenen Kreuzwegen, – warum hier nicht? – gefunden wurden. Halbgeronnen, wie eben aus der Wunde geflossen, konnte die Substanz, aus der sie bestanden, nur Blut oder ein Blendwerk der Hölle sein. Nicht weit von der einen Lache war eine zweite, oft war das ganze Gewässer eines Teiches davon roth gefärbt. Oder auf dem Schnee zeigte sich die geheimnißvolle, plötzlich entstandene Röthe in großer Ausdehnung. Manchmal waren es wieder nur einzelne Tropfen, die auf dem Grase oder dem hellen Lehmboden sichtbar wurden. Immer aber war die Erscheinung des Blutregens eine das Gemüth des Volkes im höchsten Maße beunruhigende.

Da sie so unvorhergesehen eintrat, so konnte nur auf ein Niederfallen der merkwürdigen Substanz aus der Höhe geschlossen werden, und dies geschah um so lieber, als die Luft stets für den Tummelplatz dämonischer Kräfte angesehen wurde. Nun aber – im Ernst gesprochen – giebt es denn, oder hat es wirklich Regen gegeben, der Schwefel mit aus der Luft gebracht hat, oder dessen Wasser durch Blut gefärbt war? Dies gerade nicht; aber trotzdem darf man nicht Alles gleich als Fabel erklären, welche ein Jahr dem andern überliefert hätte, wenn ein einzelner Umstand darin in einer andern Weise zu deuten ist. Freilich ist dieser einzelne Umstand, die Beschaffenheit des merkwürdigen Stoffes, bei unserm Falle gerade die Hauptsache. Doch kommen wir darauf noch. Vor der Hand müssen wir zugestehen, daß die sogenannten Schwefelregen mit Blutregen nicht nur, sondern daß auch Getreideregen, Aschenregen, Schlammregen, sogar Fischregen und Raupenregen stattgefunden haben, und die Fälle davon sind so zahlreich, daß man gar nicht daran denken kann, sie einzeln zu betrachten, viel weniger sie zu leugnen. Wir wollen dies auch nicht im Entferntesten, sondern vielmehr die Eigenthümlichkeiten dieser Phänomene prüfend betrachten und durch eine vorurtheilsfreie Untersuchung dem herrschenden Aberglauben eine Provinz seines großen Reiches zu entreißen suchen.

Einer der interessantesten Schwefelregen fiel im Jahre 1804 zu Kopenhagen in der Nacht vom 24. zum 25. Mai. Nicht nur deswegen ist er interessant, weil die Menge des mit herabgefallenen gelben Staubes, von welchem die Erscheinung den Namen hat, eine besonders bedeutende war, sondern auch weil die dabei beobachteten Verhältnisse zuerst ein Licht auf seine Ursachen warfen, und weil die Schilderung davon, obwohl sie von nicht Unerfahrenen gemacht wird, doch zeigt, wie leicht sich der Mensch von seinen eigenen Sinnen beirren läßt. Die Wolke, aus welcher der Regen fiel, kam aus Südost; der Himmel war schwarz bewölkt und die herabfallenden Tropfen hatten eine bedeutende Größe. Ihre Farbe war rein gelb, und die Dächer, auf welche sie fielen, gaben nach der Aussage der Beobachter einen weißen flimmernden Schein von sich, als wären sie von einer schwach brennenden Materie übergossen. Der Eindruck, den dies machte, soll ein schreckhafter gewesen sein. Des Morgens darauf sah man überall, wo das Regenwasser zusammengelaufen war, ein gelbes Pulver schwimmen und auf der Mitte des Wassers eine gefleckte Haut. Die Festungsgräben waren an mehreren Orten gleichsam mit einem gelben Teppich überzogen. Auch auf der Erde fand man dies Pulver, vorzüglich an Stellen, wo der Regen kleine Bäche gebildet hatte, die mehr oder weniger ausgetrocknet waren. Die Farbe und zarte Beschaffenheit der eigenthümlichen Substanz gaben ihr eine große Aehnlichkeit mit Schwefelblumen. Getrocknet durch das Licht geblasen, verbrannte sie unter blitzartigem Aufleuchten, ohne aber einen schwefligen Geruch zu hinterlassen. Daraus schon mußte hervorgehen, daß es gewöhnlicher Schwefel nicht sein konnte, eine Untersuchung mittelst des Mikroskops setzte dies außer allem Zweifel, denn die kleinen Körperchen zeigten darin eine vollständige Uebereinstimmung mit den zarten Kügelchen, aus denen das sogenannte Hexenmehl (Semen Lycopodii)besteht. Als solches wurde denn auch die in einem Umkreise von mehr als einer Quadratmeile niedergefallene Substanz erkannt, nachdem sie den erschöpfendsten Analysen unterworfen worden war.

[457] Insofern nun das Hexenmehl schon von Alters her wegen seiner Farbe und seines Verhaltens beim Durchblasen durch die Flamme einer Kerze vegetabilischer Schwefel genannt worden ist, kann man einen Regen, der diesen Körper aus der Luft mitbringt, uneigentlich wohl einen Schwefelregen nennen, ohne doch damit etwas Anderes als einen ganz natürlichen Vorgang zu bezeichnen. Denn man hat durch spätere Nachforschungen erfahren, daß die Wolke, welche jenen Regen brachte, von einem derartigen Wirbelwinde begleitet auftrat, daß sie schon vor ihrer Auflösung den Bewohnern von Waldbye, einem Dorfe vor Kopenhagen, das Schauspiel einer Wasserhose darbot.

Wahrscheinlich hat diese ihren Weg über Höhen genommen, welche mit dem gerade in jener Zeit blühenden Bärlapp reichlich bewachsen waren, und hier den leichten Blumenstaub entführt, der sich in der Luft mit den Dünsten der Wolke vermischte und mit ihnen zugleich auch herabfallen mußte. Vermöge seiner Leichtigkeit kann dieser Staub über weite Strecken mit fortgeführt werden und deshalb an Orten niederfallen, an denen die Pflanzen, von denen er stammt, gar nicht wachsen. Wenn man ihm aber deshalb, weil er aus der nächsten Nähe nicht gekommen sein sollte, einen atmosphärischen Ursprung zuschreiben wollte, so wäre dies grundfalsch. Als ebenso falsch muß die Angabe betrachtet werden, daß der Regen bei seinem Niederfallen die Dächer leuchtend gemacht habe. Er mußte allerdings durch die in ihm schwimmenden oder die Tropfen umhüllenden festen Körperchen sichtbarer werden und gleichsam wie ein zarter Schneefall erscheinen, allem den Contrast, den er durch dieses Sichtbarwerden mit unserm gewohnten Begriff von Regen erzeugte, konnte nur eine von vornherein eingenommene Phantasie als ein Leuchten sich auslegen.

Wie lange selbst in ruhiger Luft der Blüthenstaub sich schwebend erhalten kann, ohne herabzufallen, beweist die Thatsache, welche vor zwei Jahren aus Stade berichtet wurde.

Dort hatte am 4. Juni früh die Atmosphäre ganz das Aussehen des Höhenrauches mit schwachgelber Trübung. Dieser gelbe Schein war durch den Blüthenstaub von Fichten hervorgerufen worden; denn der desselben Tages Nachmittags eintretende Gewitterregen brachte ihn aus der Luft mit herab. Die Tropfen waren dadurch ganz gelb gefärbt, und alles zusammenströmende Wasser überzog sich mit einer starken gelben, pulverigen Decke. Der Regen war ein Schwefelregen. In gewissen Monaten zeigt der dem Regen beigemengte Blüthenstaub gewisse Verschiedenheiten, welche von der Verschiedenheit der Pflanzen, denen er entstammt, herrühren und die besser als andere seinen irdischen Ursprung beweisen. Es sind nämlich nicht nur die langen Arme des Bärlapp (Lycopodium), sondern auch Fichten und die übrigen Nadelhölzer und eine Menge anderer Pflanzen noch, deren Staub sich in den Regentropfen gefunden hat. Je nachdem in dem Monat, in welchem der Regen fällt, eine dieser Pflanzen besonders reichlich blüht, wird von dieser auch vorzugsweise das Material bezogen werden.

Im März und April sind es Erlen und der Haselnußstrauch, im Mai und Juni vorzüglich Fichtenarten, Wachholder und Birke, im Juli, August und September Lycopodium, Rohr, Teichkolben und Schachtelhalme, welche an der Lieferung des Blüthenstaubes hauptsächlich betheiligt sind. Die Ursache dagegen, welche ihn in die Luft erhebt, bleibt unter allen Verhältnissen dieselbe, – ein Wirbelwind.

Dergleichen Winde haben auch andere lose Körper in großer Menge fortgeführt, und ihr Niederfallen hat man an den Orten, wo sie zur Erde gelangten, Regen genannt, deßhalb auch von Getreideregen, Fischregen oder anderen, je nachdem die herabgefallenen Gegenstände den Namen verlangten, gesprochen, ohne aber damit etwas Näheres über den Ursprung der Erscheinung auszusprechen.

In Andalusien zum Beispiel regnete es zu Anfang dieses Jahrhunderts einmal Getreide. Die Erscheinung machte alle Leute stutzig, und trotzdem, daß die Israeliten sich in der Wüste herzlich über den Mannaregen freuten, wollten die Spanier das Getreide nicht als wahrhaftes irdisches betrachten, bis sie erfuhren, daß der Wind dasselbe in Tanger weggefegt hatte.

Die Aschenregen, welche sich bei vulcanischen Ausbrüchen oft über viele Quadratmeilen erstrecken, sind bekannt. Bei einer Eruption des Aetna führte der Wind den vulcanischen Staub bis nach Carthago, wo er erst niederfiel. Herculaneum und Pompeji sind lautredende Zeugen für die ungeheure Menge Materiales, welches auf diese Weise fortgeführt werden kann. Von einem Fischregen erzählt uns Forbes Mackenzie. Derselbe fand einst in Schottland drei bis vier Meilen von der Meeresküste entfernt den Boden vollständig bedeckt mit kleinen zwei bis vier Zoll langen Heringen. Die Fische haben die Gewohnheit, bei Gewitterluft aus dem Wasser emporzuschnellen, und sie sind dabei wahrscheinlich vom Winde erfaßt und fortgeführt worden. Oder aber sie können, wie dies leicht möglich ist, wenn sie in so ungeheuren Schaaren streichen, daß sie manchmal die Schiffe in ihrem Laufe hemmen, ähnlich wie das Meerwasser vom Winde in großer Menge schraubenartig zur Wasserhose aufgewirbelt und fortgeführt wird, auch einer solchen unfreiwilligen Bewegung verfallen und, einmal emporgerissen, fortgeführt und erst über dem trocknen Lande wieder herabgelassen worden sein.

Wie sich Fischregen auf diese Art und auf ähnliche Weise auch die Raupenregen erklären lassen (am 24. Juli 1804 fielen zu St. Hermine bei Fontenay in Frankreich kleine Raupen in so ungeheurer Menge aus der Luft, daß sich die Einwohner genöthigt sahen, Feuer vor ihren Häusern zu machen, um sich des Andranges zu erwehren) – so haben doch die sogenannten Frosch- und Mäuseregen nur in gewöhnlichen, besonders heftigen Regengüssen ihre Ursache. Die in Folge der Trockenheit in Spalten und Löcher geflüchteten Frösche werden dadurch wieder hervorgelockt; umgekehrt aber die Mäuse schaarenweise aus ihren Wohnungen durch das einströmende Wasser vertrieben. Dagegen müssen wir auf eine andere interessante Erscheinung, die in gebirgigen Gegenden oft nach plötzlichem großem Regen sich zeigt, aufmerksam machen, weil sie früher gewöhnlich als Folge eines sogenannten Körnerregens den Cours durch die Zeitungen machte. Man findet den Boden mitunter wie übersät mit kleinen, erbsengroßen rundlichen Knöllchen, die durch ihre Aehnlichkeit mit manchen Früchten oft Veranlassung gegeben haben, sie für Pflanzensamen zu halten, welcher mit dem Regen herabgefallen sei, während sie doch auf ihrem Fundorte gewachsen waren, und der vermeintliche Körnerregen zu ihrem Erscheinen nichts weiter beigetragen hatte, als daß er die Erde von den zarten Würzelchen einer Pflanze (einer Ranunkel – Ranunculus Ficaria) hinweggespült und die an denselben oft zu 20 bis 30 sitzenden Wurzelknöllchen bloßgelegt oder sie gar losgerissen und mit fortgeführt hatte. Eine Reise durch die Luft haben diese Dinger keineswegs gemacht. Sie enthalten sehr viel Stärkemehl und sind deshalb ein gutes Nahrungsmittel, so daß ihre Einsammlung, zumal sie oft scheffelweise den Boden bedecken, armen Leuten wohl anzurathen ist.

Etwas Wunderbares haben wir bisher noch nicht gefunden, auch die merkwürdige Erscheinung des Blutregens wird, obwohl sie häufig andern, als den bis jetzt von uns betrachteten Ursachen ihre Entstehung verdankt, uns etwas Uebernatürliches und Unerklärliches nicht zeigen. Es ist zwar eben auch möglich, daß Körperchen, kleine Pflanzen, Flechten oder dergleichen durch den Wind entführt werden, welche vermöge ihrer rothen Farbe dem Regenwasser eine blutrothe Färbung mittheilen können, indessen sind Fälle dieser Art bisher nur selten beobachtet worden. Meist ist die Ursache der eigenthümlichen, blutähnlichen Farbe in mikroskopisch kleinen Thierchen (in süßem Wasser der sogenannte Wasserfloh, Daphnia pulex, im Seewasser kleine Crustaceen und Medusen) oder Pflanzen (Algen) gefunden worden, welche sich in stehenden Gewässern ungeheuer rasch vermehren.

Parry fand auf seiner Polarreise am 10. Juli 1823 unter dem 71. Breitengrade braunrothe Stellen im grünen Seewasser. Jeder Tropfen enthielt nach seiner Berechnung mehr als dreizehnhundert solcher kleiner Thierchen, die zum Theil eine Länge von dem zweihundertsten Theil einer Linie hatten. Ehrenberg, der berühmte Begleiter Humboldt’s auf seiner Reise nach Sibirien und sein Nachfolger in der Liste der französischen Akademie, hat durch die Entdeckung der Infusorienwelt – denn was vor ihm auf diesem Gebiete gearbeitet war, ist gegen das, was er ans Licht gebracht, verschwindend, so daß man ihn wohl den eigentlichen Entdecker des mikroskopischen Lebens zu nennen berechtigt ist – auch die räthselhafte Erscheinung der gefärbten Gewässer erklärt. Er fand im Schnee Sibiriens, wie in den Wassertropfen aus dem rothen Meere die färbenden Körper und reihte sie in die geregelten Ordnungen bekannter Geschöpfe. In Sibirien fand er als Ursache der Färbung Infusorien (Astasia haemotodes), bei Tor am rothen Meere eine [458] neue Algenart, die er Tridochesmium erytrhaeum nannte. Aehnliche Algen sind im fallenden Schnee, den sie ganz carminroth zu färben vermögen, bemerkt worden.

Es giebt auch einige Pilzgattungen (Palmella, Telephora), welche durch warme Gewitterregen aus dem Boden hervorgelockt werden, sich in der Feuchtigkeit überraschend schnell entwickeln und dann in eine dunkelrothe, gallertartige Masse verwandeln, die eine große Ähnlichkeit mit geronnenem Blute hat und oft bei Unkundigen den Gedanken an einen atmosphärischen Ursprung erregt haben mag, wenn nicht der Gedanke an wirkliches menschliches oder thierisches Blut sich in den Vordergrund drängte. Haben doch viel abweichendere Erscheinungen die Gemüther in Schrecken zu setzen vermocht.

Im Jahre 1608 geriethen die Bewohner von Aix in Frankreich durch rothe Blutstropfen, die man hie und da in großer Anzahl auf dem Erdboden, den Blättern und Stengeln der Pflanzen, an den Thürpfosten, an Bretergewänden, kurz überall antraf, in große Bestürzung. Es hatte „Blut geregnet“ über die sündhafte Menschheit, und die Geistlichkeit vermehrte noch die Furcht der abergläubischen Menge. Als man nun, gänzlich zerknirscht, überzeugt war, die Gottheit hätte durch diese Erscheinung ein Zeichen ihres Zürnens gegeben, fand Peiresc die Ursache der blutrothen Flecken darin, daß Schmetterlinge, welche gerade in unerhörter Menge vorhanden waren, nach dem Ausschlüpfen aus den Puppenhälsen einige Tropfen einer rothen Flüssigkeit fahren ließen, welche jene blutartigen Flecken veranlaßt hatte.

In einem andern Falle fand ein Edelmann Blutflecke auf dem Schnee in seinem Garten. Genauen Untersuchungen zu Folge waren es die Excremente kleiner Vögel, welche von den mit einem rothen Saft erfüllten Beeren der Phytolacca decandra, die in dem Garten stand, gefressen hatten.

Diese Thatsachen, denen sich in manchen Fällen noch andere erklärend anschließen können, werden das Unhaltbare und Thörichte des Glaubens an den übernatürlichen Ursprung und die dämonische Bedeutung derjenigen Substanzen, welche mit dem Regen herabfallen, dargethan haben; sie werden in den meisten Fällen auch zur Deutung ähnlicher Erscheinungen den Schlüssel an die Hand geben.

Man wolle nur nicht sich selbst täuschen; man wolle nicht mit Gewalt die klare Vernunft, das göttlichste Geschenk, welches der Mensch erhalten, beirren und umschleiern lassen von dem Nebel der abergläubischen Furcht, sondern die Kräfte des Verstandes benützen zur Forschung, welche den Irrthum verbannt.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 4.