Zur praktischen Lösung der Frauenfrage

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Autor: N.
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Titel: Zur praktischen Lösung der Frauenfrage
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 615-616
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[615] Zur praktischen Lösung der Frauenfrage. Die Statistik beweist, daß das weibliche Geschlecht in allen Gesammtbevölkerungen überwiegt. Daraus geht unwiderleglich hervor, daß nicht alle Mädchen durch die Ehe in den Wirkungskreis geführt werden können, welcher der natürlichste und angemessenste ist, daß nicht jede weibliche Kraft ihre Verwendung und ihre glückliche Sicherung gegen die Stürme des Lebens unter dem Schutze eines Gatten im eigenen Hause finden kann. Außerdem erschweren gegenwärtig andere Umstände die Schließung der Ehe. Viele, die einst mit geringen Mitteln einen eigenen Hausstand gründeten, dürften heute Anstand nehmen, selbst mit Mitteln, welche dem gesunkenen Geldwerthe entsprechen, diesen Schritt zu wagen. In England bleiben vierzig Procent aller Mädchen unverheirathet. So schlecht ist das Verhältniß in Deutschland nicht, aber dennoch haben auch wir in diesem Punkte Veranlassung genug zu ernster Aufmerksamkeit.

Die Forderung, daß man die Mädchen zu wirthschaftlicher Selbstständigkeit erziehen müsse, wird in immer größeren Kreisen als vollkommen berechtigt anerkannt und auch auf diejenigen Mädchen ausgedehnt, welche in die Ehe treten und die Führung des eigenen Hausstandes übernehmen; denn die Art und Weise, wie unsere Großmütter, lustlos schaffend, diese Aufgabe erfüllten, ist eben nicht mehr ausreichend.

Die erste Folge der größeren Aufmerksamkeit, welche man der Erziehung der weiblichen Jugend in den letzten dreißig Jahren zuwandte, war die Gründung einer großen Menge von höheren Mädchenschulen, und an öffentlichen Schulen dieser Art giebt es jetzt in Deutschland fast dreihundert, die Zahl der Privatschulen aber ist noch erheblich größer. Der Gedanke, den Mädchen eine bessere Schulbildung zu geben und sie dadurch in den Stand zu setzen, mit Erfolg einen zu wirthschaftlicher Selbstständigkeit führenden Bildungsgang zu betreten, ist gewiß ein vollkommen richtiger, und die Gemeinden, welche Mädchenschulen gründen, helfen ohne Zweifel die Wege zu einer gesicherten Zukunft der Frauen wesentlich ebnen. Aber auf dem so gelegten Grunde ist bisher nur in beschränkter Weise weiter gebaut worden. Leider sind wir noch ziemlich weit von der Anerkennung des Grundsatzes entfernt, daß jede ehrliche Arbeit adelt, und so glaubte man auch für gebildete Mädchen nur auf einen engen Kreis von Berufsarten Rücksicht nehmen zu dürfen. Wenn ein junges Mädchen zur Kunst, besonders zur Malerei und Musik, keinen Beruf in sich verspürte, so hielt man eigentlich nur zweierlei für passend: sie konnte Gesellschafterin, oder, wie man lieber sagt, Vertreterin der Hausfrau, und Lehrerin werden.

In rascher Aufeinanderfolge wurden, meistens im Anschlüsse an die höheren Mädchenschulen, Lehrerinnenseminare gegründet, und die Staatsbehörden, welche sich bisher dem höheren Mädchenschulwesen gegenüber ziemlich ablehnend verhalten hatten, erließen Prüfungsordungen und bestellten Prüfungscommissionen. Tausende von Mädchen gingen mit der ihnen eigenen Treue, die selbst das Kleinste wichtig erachtet, und oft mit Hintansetzung der schuldigen Rücksicht auf ihre Gesundheit an die Arbeit. So wurden der hohen Aufgabe der Volkserziehung Arbeiterinnen zugeführt, welche die bedenklichen Lücken, die während der Jahre des [616] Krieges und der Gründerperiode in den Reihen der Lehrer entstanden, würdig ausfüllten. Während der Zeit des Lehrermangels waren fast alle Hauslehrerstellen in weibliche Hände übergegangen, aber jetzt, wo eine rückläufige Bewegung dem Lehramte wieder viele männliche Kräfte zugeführt hat, zeigt sich die Ueberproduction unserer Lehrerinnenseminare. Zahlreich ziehen heute unsere Lehrerinnen in’s Ausland, oft einem bedenklichen Loose entgegen.

Dringender als je ist es daher für Mädchen, die sich auf eigene Füße stellen wollen, geboten, sich nach anderen Fächern umzusehen, und mit Recht legte der Vertreter der preußischen Regierung, Geheimrath Dr. Schneider, es im vorigen Herbste den zu ihrer Hauptversammlung in Braunschweig vereinigten deutschen Mädchenlehrern an’s Herz, nach solchen Fächern auch ihrerseits Umschau zu halten.

Kaum dürfte zur Lösung der Frage etwas näher liegen als die Berücksichtigung einzelner Zweige des Kunstgewerbes, bei welchen der dem weiblichen Geschlechts eigene Formen- und Farbensinn die schaffende Hand wesentlich unterstützt, und in der That sind an vielen Orten kunstgewerbliche Schulen für Mädchen eröffnet worden, die viel versprechen, die allereigenste Domäne der Frauen aber bilden doch die Nadelarbeiten. Es ist erfreulich, daß diese Arbeiten im deutschen Hause wieder zu Ehren kommen; denn lange Zeit mußte es geradezu heschämend wirken, wenn ein Stück altmütterlichen Hausrathes aus der Truhe hervorgezogen und mit den nüchternen und dürftigen Arbeiten der Gegenwart verglichen wurde.

Auf die im Vorstehenden angedeuteten Anschauungen gründete sich die Errichtung zahlreicher Lehranstalten. Die 1866 eröffnete Ecole professionelle in Paris, die weit verzweigten Anstalten des Lette-Vereins in Berlin, die württembergischen Industrieschulen, die Gewerbeschulen in München, Karlsruhe und Hamburg und andere sind zu gleichem Zwecke gegründet und wirken segensreich. Eine besonders gut eingerichtete Anstalt dieser Art, eine wahre Musterschule, besitzt Leipzig in der seit 1875 bestehenden höheren Fach- und weiblichen Gewerbeschule von Frau Auguste Busch.

Aus einer einfachen Nähschule, die Frau Busch jahrelang mit Erfolg geleitet hatte, ist ein alle Zweige weiblicher Nadelarbeit umfassendes Institut geworden. Dasselbe ist in dem neu erbauten, für die Zwecke der Schule auf’s Angemessenste eingerichteten Hause der Leiterin untergebracht und mit den besten Lehrmitteln reichlich ausgestattet. Durch langjährige Erfahrungen und durch auf ausgedehnten Reisen erworbene Anschauungen hat sich Frau Busch in den Besitz der besten Methoden gesetzt und kein Opfer gescheut, um mittelst Einführung anderswo bewährter Einrichtungen ihre schnell emporblühende Schule zu vervollkommnen.

Die Anstalt zerfällt in drei Abtheilungen. Die erste umfaßt eine Reihe von selbstständigen Cursen. Hier wird eine Schaar jüngerer Schülerinnen in den Elementen der Nadelkünste unterwiesen; dort sind junge Mädchen mit den zierlichen Arbeiten der Putzmacherei beschäftigt. Sie werden von ähnlichen Gruppen abgelöst, die Wäsche- oder Kleiderconfection erlernen, in Flicken und Stopfen unterrichtet werden oder sich im Copiren und Entwerfen stilvoller Muster üben.

Dazwischen rauschen in geschäftigem Schwünge Nähmaschinen von verschiedener Bauart, ja selbst in der Waschküche ist noch ein Lehrstuhl für Waschen und Bügeln errichtet. Und überall herrscht derselbe Eifer, sodaß viele Mädchen, ja selbst junge Frauen von Cursus zu Cursus fortschreiten, oder dieselben Curse wiederholen, bis die in der Anstalt erstrebte Selbstständigkeit geschmackvollen Schaffens erreicht worden ist.

Die zweite Abtheilung enthält das Seminar für Handarbeitslehrerinnen.[WS 1] Hier werden die einzelnen Fächer in einem Jahrescursus, bei mangelhafter Vorbildung in zweijährigem Lehrgänge, in systematisch geordneter Reihenfolge gelehrt, wozu pädagogische und methodische Anweisungen kommen. Die Erfolge sind durch vielfache wohlbestandene Lehrerinnenprüfungen bezeugt.

Die dritte Abtheilung umfaßt die weibliche Gewerbeschule und soll ihre Schülerinnen, wie der Name sagt, zu gewerbmäßiger Verwendung der Nadelkünste ausrüsten, und in den Unterrichtskreis dieser Abtheilung sind alle zu diesem Zwecke erforderlichen Hülfsmittel eingereiht, Zeichnen von Schnitten und Mustern, Buchführung, Rechnen, Stoffkunde u. dergl.

Für die ganze Anstalt ist eine Schulsparcasse begründet.

Das allgemeine Interesse kommt der segensreich wirkenden Schule entgegen; denn die angesehensten Frauen der Stadt sind mit fach- und geschäftskundigen Herren zu einem Curatorium zusammengetreten, welches der Leiterin zur Seite steht. Die Stadt- und Staatsbehörden fördern das Unternehmen; Freistellen sind aus städtischen und aus Privatmitteln gegründet, und die Königin von Sachsen hat ihre Theilnahme für die Bestrebungen der Anstalt dadurch bekundet, daß sie alljährlich mehrere junge Mädchen auf ihre Kosten in derselben ausbilden läßt.

Zum Segen der weiblichen Jugend wünschen wir allen verwandten Unternehmungen gleiches Gedeihen.

N.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Handarbeiterinnen, vergl. Berichtigung (Die Gartenlaube 1881/42).