Zusammenstellung der Vorzüge und Nachtheile einiger Ketten- und Seilschiffahrts-Systeme

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Textdaten
Autor: W. Wernigh, Ingenieur
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Titel: Nochmals ein Beitrag zur Frage: Ketten- oder Seilschiffahrt?
Untertitel: Zusammenstellung der Vorzüge und Nachtheile einiger Ketten- und Seilschiffahrts-Systeme
aus: Deutsche Bauzeitung
Herausgeber: Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Kommissionsverlag von Ernst Toeche
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: Google und BTU Cottbus: H. 44-52 = S. 255-310
Kurzbeschreibung:
siehe auch: Tauerei
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[275]
Nochmals ein Beitrag zur Frage: Ketten- oder Seilschiffahrt?[1]
Zusammenstellung der Vorzüge und Nachtheile einiger Ketten- und Seilschiffahrts-Systeme.
I. Kettenschiff der „Deutschen Elbschiffahrts-Gesellschaft.“

Bei demselben wird die Uebertragung der Kraft durch die ruhende Reibung eines Trommelpaares und die Endspannung und Abführung der Kette über die Schiffsmitte durch deren eigene Schwere bewirkt; der Durchmesser des Ketteneisens ist 25,4 mm.

Vorzüge.

Die Kette läuft über die Mitte des Schiffes und es befindet sich daher das Triebwerk im Schiffsmittel. Durch die symmetrische Anordnung der Gewichte wird ein geringes Deplacement erreicht und somit: geringer Tiefgang des Kettenschiffes – Einfachheit des Windewerks – geringer Preis des Kettenschiffes.

Das Kettenschiff gestattet ein Vor- und Rückwärtsfahren und ermöglicht hierdurch eine Wiederverlegung der Kette in das richtige Fahrwasser[WS 1] während der Thalfahrt.

Kollisionen mit anderen Fahrzeugen können durch sofortige Aenderung der Fahrrichtung leicht vermieden werden.

Die schwere Kette bleibt beim Befahren von Kurven besser liegen und erleichtert hierdurch die Bergfahrt.

Die während des Befahrens von Kurven durch Herholen überflüssig werdende oder stellenweise zu viel vorhandene Kettenlänge wird von dem Kettenkasten hinter dem Trommelpaare aufgenommen und läuft während der Fahrt je nach Erforderniss von selbst wieder vom hinteren Ende des Schiffes ab. Hierdurch wird das Befahren der Kurven erleichtert. Beim Befahren von sehr kleinen Kurven und bei gleichzeitig kiesigem Flussbette wie z. B. auf dem Neckar ist jedoch das Schricken[WS 2] trotzdem nicht ganz zu vermeiden.

Bei Brüchen der Kette ist die Wiedervereinigung der Enden leicht auszuführen, mittels des Kettenschlosses.

Die Abänderung der Länge der Kette bei Veränderung des Fahrwassers ist leicht zu bewerkstelligen: Die Kette wird durchhauen und das einzuschaltende Stück mittels Kettenschlösser mit den Enden der Kette verbunden. Zur Verkürzung der Kette werden zwei Glieder durchhauen und alsdann die Enden der Kette durch ein Schloss vereinigt.

Die Kette erleidet weniger leicht eine Beschädigung durch Anker etc. oder durch das Schleifen derselben auf dem Flussbette und ist weniger leicht einer absichtlichen Beschädigung ausgesetzt als das Drahtseil.

Die alte Kette ist leicht verkäuflich. –

Nachtheile.

Die Zu- und Ableitung der Kette findet durch sogen. Ausleger sehr nahe an den Enden des Kettenschiffs statt und es ist gleichzeitig der Aufhub der Kette vom Flussbette durch das große Gewicht derselben ein sehr geringer, daher: geringe Steuerfähigkeit des Kettenschiffs.

Bedeutende Abnützung aller Theile mit welchen die Kette in Berührung kommt: stehende und liegende Glieder der Kette wirken ähnlich wie eine Säge, daher: Sehr bedeutende Reparaturkosten und schädliche Einwirkungen der Erschütterungen, welche durch die Kette verursacht werden, auf Maschine und Schiffskörper.

Um die Kette bei der Thalfahrt wieder in das richtige Fahrwasser zu legen, wird dieselbe mit ca. 3 m Fahrgeschwindigkeit ausgeführt. Hierbei bedeutende Abnutzung der Kette und der maschinellen Theile und Veranlassung zu Kettenbrüchen.

Die Kettenschiffe müssen bei Flüssen, bei welchen starke Versandungen vorkommen, stärkere Maschinen erhalten als zur Schleppleistung nöthig ist.

Die vorliegende Kettenschiff-Konstruktion kann nicht in kleinen Dimensionen ausgeführt werden, da durch die der Kette entsprechenden Stärke des Triebwerks eine Aenderung der Größe nur geringen Spielraum gestattet.

Bei dem großen Gewicht der Kette (pro m 15 kg) findet durch den schrägen Anzug während der Fahrt Kraftverlust statt.

Bedeutende Schwierigkeit bei Versandungen. Es ist wegen der ungleichen Abnutzung der Trommelrillen und der hierdurch veranlassten Ueberanstrengung (Kettenbrüche) der Kette eine größere als die der Schleppleistung entsprechende Stärke zu geben.

Längung der Kette zwischen den Trommeln und starke Abnutzung derselben. (Auf der Elbe bis 1873: Kettenlängung auf 44 Meilen 1 Meile, also 2,2 % oder auf 1 m Länge ca. 22 mm.)

Unsicherheit der vielen Schweißstellen der Kette (pro Meile Länge 98 425 Schweißungen).

Hohe Anlagekosten der Kette: pro 100 kg 31,5 M. – pro m 4,725 M. – pro Meile 35 437 M.

Die Kette ist in tiefem Wasser nicht verwendbar wegen bedeutenden Kraftverlustes und übermäßiger Beanspruchung derselben durch den hohen Aufhub vom Flussbette, namentlich beim Befahren gerader Strecken.

Die Schiffer bleiben mit den Ankern in der schweren Kette hängen und müssen abwarten, bis ein Kettendampfer den Anker wieder frei hebt.

Die Reservekette, welche bei Veränderung des Fahrwassers erforderlich ist, verursacht große Kosten, da alle Kettendampfer der betr. Tauerei-Anlage mit einer solchen versehen werden müssen. –

II. Drahtseil-Schleppschiff der „Zentral-Aktien-Gesellschaft für Tauerei und Schleppschiffahrt“.
(Rhein-Strecke: Bingen–Obercassel.)

Die Uebertragung der Kraft wird durch die Fowler’sche Klappentrommel und direkte seitliche Abführung des Seiles in das Flussbett bewirkt. (Durchmesser des schmiedeisernen Kabels 42 mm.)

Vorzüge:

Größere Steuerfähigkeit des Seilschiffs als der Kettendampfer (jedoch nach einer Seite hin geringer als nach der anderen). Geringeres Gewicht des Seils, pro m 7 kg, daher geringerer Kraftverlust durch schrägen Anzug des Seils während der Fahrt. Geringere Anlagekosten des Seils, pro 100 kg 40 M. – pro m 2,8 M. – pro Meile 21 000 M.Versandungen sind mit etwas geringerer Schwierigkeit als bei der Kette zu überwinden.

Nachtheile.

Das Triebwerk ist einseitig aufs Schiff gelagert, daher: großer Tiefgang desselben – komplizirtes Windewerkgrößere Anlagekosten des Seilschiffes als das Kettenschiff. – Der Tauer kann nicht am Seil rückwärts fahren, daher sind bei engem Fahrwasser leicht Kollisionen möglich. – Trommel und Leitrollen sind außerhalb des Schiffes angebracht, daher leicht Kollisionen mit Fahrzeugen und Flößen entstehen.

Soll das Seilschiff die Thalfahrt am Seile bewerkstelligen, so muss letzteres abgeworfen, der Tauer umgedreht und das Kabel [276] wieder auf die Apparate gelegt werden. Dies erfordert bedeutenden Zeitaufwand.

Der Tauer erfordert ein Stationsschiff, welches das von demselben an der Endstation abgeworfene Kabel aufnimmt, im Falle derselbe die Thalfahrt mittels der Schrauben bewerkstelligt.

Eine Spleißung des 42 mm dicken Kabels erfordert großen Zeitaufwand.

Abänderungen der Länge des Kabels bei Veränderung des Fahrwassers sind schwer auszuführen und erfordern sehr großen Zeitaufwand.

Große Abnutzung des Kabels durch Klemmung in den Klappen der Fowler’schen Trommel; dieselbe verursacht Flächenbildung der Drähte.

Ueberanstrengung der Drähte des Kabels durch Biegungen in entgegen gesetzter Richtung und gleichzeitiges Klemmen der Fowler’schen Klappen – verursacht Querbrüche der Drähte.

Ein schwächeres Seil als 42 mm ist nach Erfahrung nicht praktisch anwendbar wegen der Beschädigung des Seils durch die Fowler’sche Trommel und wegen der raschen Abnützung von deren Rille bei Verwendung von schwachem Kabel.

Schiffer bleiben in dem schweren Kabel mit den Ankern hängen und müssen abwarten, bis ein Tauer den Anker wieder frei hebt.

Das Kabel erhält dicke Drähte 4,6–4,75 mm – wegen der Klemmung in den Klappen der Fowler’schen Trommel. Dies Material ist stets schlechter als das dünn ausgezogener Drähte.

Das alte Seil hat nur geringen Werth.

III. Drahtseil-Schleppschiff. (Wernigh’s System.)

Die Uebertragung der Kraft wird durch die ruhende Reibung eines Trommelpaares und die Erzielung der Endspannung und Abführung des Seiles über die Schiffsmitte durch besondere Apparate bewirkt.

(Seilabführungs-Apparat mit Verwendung der Seilscheibe mit wellenförmiger Rille zur Vermehrung der Kraft übertragenden Reibung. Durchmesser des Stahldraht-Seils 22 mm.)

(D. R.-P. No. 5361.)

Die Erfahrungen eines 6 monatlichen Betriebes mittels zweier Tauer auf der Strecke Rotterdam-Ruhrort (Ryn Kabelsleepvaart Maatschappij) ergaben:

Vorzüge.

Das Seil ist über die Mitte des Schiffes geführt und es befindet sich daher das Triebwerk im Schiffsmittel. Durch die symmetrische Anordnung der Gewichte ist ein geringes Deplacement erreicht, somit:

Geringer Tiefgang des Seilschiffes. Obige Tauer, mit den Maaßen der Kettenschiffe ausgeführt, würden einen zu geringen Tiefgang erhalten, um gut schleppen zu können, daher sind dieselben bei gleicher Leistungsfähigkeit mit geringeren Maaßen als die Kettenschiffe herzustellen.

Der Apparat zur Erzielung der Endspannung des Kabels von dem Trommelpaar dient gleichzeitig zur Einleitung und Abführung desselben und ist an den Enden des Schiffes symmetrisch angebracht; es wird hierdurch ein Vor- und Rückwärtsfahren ermöglicht.

Hierdurch leichtes Vermeiden von Kollisionen mit anderen Fahrzeugen.

Beliebige Steuerfähigkeit (dieselbe kann nach Erforderniss erhöht werden, je nach der Stellung des vorderen Apparates gegen die Schiffsmitte).

Während des Betriebes ist das Kabel stellenweise Verlegungen ausgesetzt[WS 3] und zwar durch Anker, Schricks etc. Dieses verbogene Kabel wird durch die Seilscheibe mit wellenförmiger Rille ebenso gut wie ein gerades Kabel abgeführt.

Geringe Abnützung der maschinellen Theile.

Geringe Reparaturkosten des Seilschiffs.

Spleißungen des nur 22 mm dicken Kabels sind in kurzer Zeit auszuführen.

Seilbrüche auf den Trommeln sind durch die Konstruktion des Triebwerks gänzlich vermieden.

Die Abnützung des Seiles ist höchst unbedeutend.

Das Seil erhält nur die der Schleppleistung entsprechende Stärke.

Geringes Gewicht des Seiles, pro m 1,86 kg, und durch den großen Aufhub desselben vom Flussbette erhöhte Steuerfähigkeit des Tauers und gleichzeitig geringer Kraftverlust durch den schrägen Anzug des Kabels während der Fahrt.

Geringe Anlagekosten des 22 mm dicken Seiles; pro 100 kg 45 M. – pro m 0,837 M. – pro Meile 6 277 M.

Der Tauer ist auch bei tiefem Wasser verwendbar.

Leichteres Heben des dünnen Kabels aus den Versandungen.

Die Konstruktion dieses Seilschiffes gestattet die Verwendung desselben in den verschiedensten Größen.

Der Apparat zur Abführung des Kabels gestattet den Betrieb bei Frost (Eis), bei welchem die Schiffer sich häufig in gefährlicher Lage befinden.

Die Kreuzung der Fähren ist durch Anwendung eines Fährschlosses bei diesem dünnen Kabel ermöglicht.

Die Drähte des dünnen Kabels sind 2,5 mm dick, daher gut ausgezogen und somit aus vorzüglich erprobtem Material.

Nachtheile:

Das Seilschiff erfordert besondere Apparate zur Erzielung der Endspannung des Kabels von dem Trommelpaar und gleichzeitiger Abführung des Kabels vom Deck.

Größere Anlagekosten dieses Seilschiffes als des Kettenschiffes.

Absichtliche Beschädigung des dünnen Kabels leichter auszuführen als bei der Kette.

Verlängerung und Verkürzung des Kabels bei Veränderung des Fahrwassers ist nur in ganz ausnahmsweisen Fällen nöthig, da das Kabel durch die große Steuerfähigkeit des Tauers leicht in das neu gebildete Fahrwasser durch den Tauer selbst verlegt werden kann. Bei sehr bedeutender Veränderung des Fahrwassers kann die Verlegung des Kabels mittels der kleinen Kähne (Flieger) des Anhangs bewerkstelligt werden, indem dieselben das leichte Kabel auf eine größere Strecke hoch nehmen und der Tauer alsdann die Fahrt in das neu gebildete Fahrwasser direkt ausführt. Auf diese Art wurde auf der Oder die Verlegung in kürzester Zeit bewerkstelligt.

Bleiben Schiffer im Seile mit den Ankern hängen, so wird dasselbe mittels der Ankerwinde hoch gewunden und das leichte Kabel alsdann abgeworfen.

Das leichte Herholen des dünnen Kabels während des Befahrens von Kurven und die hierdurch veranlasste Schleifenbildung wird durch die große Steuerfähigkeit des Seilschiffes wieder ausgeglichen, da dasselbe ein stetes Wiederverlegen desselben in das richtige Fahrwasser ermöglicht, so dass die Bildung von Schleifen vollständig vermieden werden kann. Bei ausnahmsweise starken Kurven und kiesigem Flussbette gestattet das Seil die Anwendung von Vorrichtungen {Brittel etc.), welche dasselbe in der nöthigen Lage erhalten.

Das alte Seil hat nur geringen Werth.

Die obige Zusammenstellung zeigt, dass das Seilschiff, bei welchem die Kraftübertragung durch die ruhende Reibung eines Trommelpaares und die Erzielung der Endspannung und Abführung des Seiles über die Schiffsmitte mittels Anwendung der Seilscheibe mit wellenförmiger Rille bewirkt wird, alle die wesentlichen Eigenschaften besitzt, welche ein brauchbares Schleppschiff erfordert, und zwar:

1) Geringen Tiefgang des Seilschiffes,

2) große Steuerfähigkeit des Seilschiffes,

3) kleine Dimensionen „ „

4) geringe Reparaturkosten des Seilschiffs,

5) Möglichkeit sofortiger Berg- und Thalfahrt,

6) geringe Anlagekosten des Seiles,

7) geringe Abnützung desselben.

[277] Die Anlagekosten dieses Seilschiffes sind größer als diejenigen eines Kettenschiffes. Dieselben kommen jedoch nicht so sehr in Betracht, da die Reparaturkosten sehr unbedeutend sind und bei Verwendung des dünnen Kabels von 22 mm Durchmesser nur ein verhältnissmäßig geringes Anlagekapital erforderlich ist.

Berlin, im Mai 1882.

W. Wernigh, Ingenieur.     

  1. Vergl. die bezgl. Mittheilungen in den No. 38 u. 39 cr. dies. Bl.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fahrwaser
  2. Eine belegte Leine mit wenigen Törns (Tauwindungen) teilweise von ihrem Beschlag lösen, dann eine Kleinigkeit fieren (nachgeben) und wieder belegen
  3. Vorlage: ausgetzt