Zwei Sagen aus Vorarlberg
1 DIE TEUFELSBESCHWERUNG IN OBERMAHREN
Obermahren ist ein ganz kleiner Weiler, welcher ungefär 3 km hinter dem Dorfe Kappl unweit von Ulmich[1] und etwas abseits von der alten Talstraße auf mäßiger Anhöhe ligt. Dasselbe würde gewiß außerhalb des abgelegenen Paznauns ganz verschollen gebliben sein, wäre es nicht die Geburtsstätte des gottseligen Tertiarpriesters Adam Schmied, welcher wärend seines lezten neunjärigen (1720–1729) unermüdlich eifrigen, äußerst segensreichen und überaus frommen Wirkens als Kurat in Kappl von seinem im anvertrauten Schäflein die innigste Liebe und Vererung, die gröste Anerkennung und den wärmsten Dank erntete und ob seines edlen, tugendhaften Karakters und seiner überreichen Verdienste um die Seelsorge in den fernen wie nahen Kreisen der Nachwelt der größten Vererung und eines unvergänglichen, gesegneten Andenkens genießt. Obermahren ist aber auch – wenn das kleine mit dem Großen einen Vergleich aushalten dürfte – die Wige einer Volkssage, welche mir heuer durch bloßen Zufal aus seiner Verborgenheit zu Oren gekommen ist und von der bißher wol schwerlich je eine Kunde über die Grenzen des Paznauntales gedrungen sein dürfte. Dise Sage erzälte mir ein gebürtiger Kappler, ein biderer sibzigjäriger Greis, ein Paznauner vom alten Schlage, und bei dem lebhaften Interesse und der großen Bedeutung, welche die volkstuemlichen und volksfreundlichen Gelerten heutzutage solchen Sagen beilegen, bin ich der Überzeugung, die Obermahrner, welche sich [268] eines berümten, seligen Adam Schmied als unmittelbaren Nachbars rümen können, werden es mir keineswegs verargen oder ungünstig deuten, wenn ir Landsmann dasselbe den Lesern der Alemannia, die schon einmal eine derartige Erzälung brachte, mitteilte. Die Sage ward mir also geschildert: In dem kleinen Weiler Obermahren verabredeten sich einst merere Männer, die im Heimgarten beisammen saßen, den Teufel zu beschweren, daß er komme und inen Geld bringe. Zu disem Zwecke zogen sie auf dem Stubenboden einen großen Kreis, sezten sich in dessen Peripherie und riefen mit lauter Stimme: „Teufel, bring’ uns Hunderttausend hiesiger Münze!“ Da wälzte sich plözlich ein großmächtiger „Wurm“ (Lindwurm) von scheußlicher Gestalt bei der Türe herein und schlang sich rings um die Kreislinie herum, so daß er die vor Schrecken bleichen Männer umgab. Alsbald erschin auch der Gottseibeiuns mit einer großen Kiste Geld, stellte dise in die Mitte des Kreises und sezte sich darauf. Jezt vergegenwärtige man sich die entsezliche Lage, in welcher sich die bedauernswerten Männer befanden: sie sind umringt von der grauenvollen Schlange, so daß inen jegliche Aussicht auf ein Entfliehen benommen ist, und in irer nächsten Mitte sizt der leibhaftige Satan auf der verhängnisvollen Kiste und wänt sich bereits in sicherm Besize seiner Opfer. Die Obermahrer Bauern konnten durch Beschwerung den Teufel wol zwingen, zu kommen und Geld zu bringen, sie wißen sich jezt aber keinen Rat, wie sie denselben sich wider vom Halse schaffen könnten. Sicherlich wäre es um sie alle geschehen gewesen, hätte sich nicht zu irem Glücke noch jemand im Hause befunden, der die schauerliche Situation der totenblassen Männer beim Eintritte in die Stube gewarte. Sofort eilte derselbe flugs in das Dorf Kappl und rief den Herrn Curaten zu Hilfe. Diser war eiligst in die Stube gekommen, überblickte rasch die gefärliche Lage der Männer und beschwor den Satan, zu weichen, Derselbe nam die Kiste Geld und verließ – wie auch die schauerliche Schlange – unter schrecklichem Lärm und Zurücklaßung eines abscheulichen Schwefelgestankes das Haus, und die Männer atmeten wider frei auf und waren herzlich froh, für dißmal noch mit heiler Haut davongekommen zu sein. Später aber ließen sich’s die Obermahrner Bauern nie mer beifallen, durch Beschwerungen den Teufel „Geld bringen zu machen.“ Der oben erwänte Berichterstatter erzälte mir diß Märchen mit der Bemerkung, er glaube nicht, daß sich etwas derartiges wirklich in Obermahren je zugetragen habe, und sezte bei, er würde niemals den Teufel um Geld angehen, weil dasselbe nur Blendwerk sei und sich schließlich als bloßes Laub oder Dreck herausstellte.
2 DER WECHSELBALG
In einem Dorfe Vorarlbergs hatte eines heißen Nachmittags eine Mutter ser vil Feldarbeit zu verrichten. Sie nam daher ir kleines Kind mit aufs Feld hinaus und legte es in der Nähe in einem Bettlein an einen schattigen Ort und gieng irer Arbeit nach. Nachdem sie sich geraume Zeit gehörig angestrengt hatte und endlich mit der Arbeit fertig geworden war, sah sie sich nach irem Kinde um. Doch wie erschrak die arme Mutter, als sie für ir eigenes schönes Kind ein fremdes in dem Bettlein erblickte, mit langem, spindelförmigem Leibe und unverhaltnismäßig großem, dickem Kopfe! Wenn auch ungern, trug sie dennoch dises häßliche Kind mit nach Hause und ernärte es wie ir eigenes siben Jare hindurch. Da aber dises Wesen wärend der langen Zeit sonderbarer Weise gar keinen Laut von sich gab, so befremdete diß die gute Frau, und sie erzälte daher den ganzen Sachverhalt dem Herrn Pfarrer. Diser riet ir, möglichst vile Eierschalen, so vile sie im Hause nur auftreiben könnte, vor das Kind auf den Herd zu legen, wenn es schliefe. Sobald es dann erwache und beim Gewarwerden diser Eierschalen darüber in laute Verwunderung ausbreche, solle sie eilends aus dem Verstecke, in das sie sich zur Beobachtung des Kindes begeben, hinzulaufen und dasselbe mit einer Rute züchtigen; auf dise Weise könnte sie wider zu irem eigenen Kinde kommen. Die Frau befolgte den Rat des Pfarrers, legte eine große Menge Eierschalen vor das auf dem Herde schlafende Kind und verbarg sich dann in einer Ecke der Küche. Wie nun das sonderbare Geschepf erwachte und die vilen Eierschalen erblickte, rief es voll Staunen aus: „Nun habe ich den Bühler Wald bereits neunmal schlagen sehen, und jezt ist schon wider Wald; aber so vile „Schüßele“ und „Schälele“ wie hier, habe ich noch nie gesehen!“ Nach einer andern Version:
„I’ bin so alt als Bühler-Wald,
Nuenmâl g.(schlage) und wider Wald;
aber so vil „Hifele“, „Häfele“ han i’ iaz noch nia g.sêh. Wie das Kind diß sagte, rannte die Frau herbei und züchtigte es tüchtig mit der Rute. Da erschin plözlich ein altes Weiblein in der Küche mit dem indessen bedeutend herangewachsenen Kinde der Frau und jammerte: „Siben Jare schon pflegte ich dein Kind und tat im nie etwas zu Leide, und du schlägst mein Kind so unbarmherzig.“ Darauf entfernte sich die Alte mit irem garstigen Kinde und ließ das mitgebrachte wider seiner Mutter zurück.
Das Tal Paznaun, das die Alemannia künftig öfter nennt, grenzt südlich an Graubünden, zunächst an das Engadin, westlich an Vorarlberg (Montavon), nördlich an das Stanzer- und östlich an das [270] Inntal. Das Paznaun – biß in die neueste Zeit eine ser abgelegene Landschaft, die von der Trisanna durchströmt und von hohen Bergen umgeben wird – ligt im Westen Tirols, beginnt bei dem Schloß Wiesberg (1½ Stunde westlich von Landeck), wo sich der 86 m hohe Trisanna-Viaduct befindet, erstreckt sich ziemlich parallel mit dem Stanzertal in südwestlicher Richtung und endet mit dem Joch Zeinis, worüber ein bequemer Übergang in das Tal Montavon fürt. In neuester Zeit jedoch wird von Touristen die wegen irer Aussicht lonendere Bielerhöhe ebenfalls als Übergang aus dem Paznaun (Vermonttal) in das Montavon benuzt. Das Tal Paznaun hat von Wiesberg biß zum Zeinisjoch eine Länge von ungefär 9 Stunden.
Am rechten Ufer der Trisanna öffnen sich bei den Dörfern Ischgl (aus rom. isola) und Galtür (rom. Cultura) wider bedeutende Seitentäler: das Fimba- und das Jamtal, von denen über gletscherreiche, (früher) selten begangene Jöcher Wege ins Engadein füren. Das Tal Paznaun besizt seit 1887 auch eine neue farbare Straße biß zu dem lezten Dorfe Galtür, welches 1537 m über dem Meere in einsamer Gegend ligt, welche kein Getreide, ja kaum einen Baum mer aufkommen läßt, aber schöne Wisen darbietet.
Die Obertäler (so nennt man die Bewoner des hintern Paznauns, das die Gemeinden Ischgl und Galtür in sich begreift) tragen noch einige Kennzeichen ires ursprünglichen Zusammenhanges mit Graubünden, in welches der gewönliche Weg durch das Fimbatal hinter Ischgl fürt (meistens romanische Weiler-, Flur-, Bach- und Bergnamen); die Galtürer sind zugleich in vilem den benachbarten Vorarlbergern änlich (nach Jos. Bergmann, „Untersuchungen über die freien Walser“ … „sind die Galtürer zum Teil Walser“); dagegen gleichen die Untertaler (die Gemeinden Kappl und See) zumeist den anwonenden Oberinntalern. „Doch ungeachtet diser Verschidenheiten haben sich die Paznauner durch die Abgeschloßenheit irer Gegend und durch fortwärende Mischung zu einem eigentuemlichen Talvölklein ausgebildet, dessen besondere Mundart bajuvarische, alemannische und romanische Elemente verbindet.“ (A. Flir, „Bilder aus den Kriegszeiten Tirols“. 2. Aufl. 1878, S 125.)
- ↑ Ulmenwald, von Ulme.
Anmerkungen (Wikisource)
Die Einzeltexte der Sagen finden sich unter: