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Zwei Züge aus Washington’s Leben

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Titel: Zwei Züge aus Washington’s Leben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 586
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zwei Züge aus Washington's Leben.


Washington war noch ein junger, bildschöner Mann, als er einst auf einer Reise durch Virginien in der Nähe einer Farm anlangte, die, im Walde liegend, ihm und seinem müden Rosse Erquickung zu bieten verhieß. Näher herzugekommen, fand er zu seiner Verwunderung eine festlich gekleidete Versammlung. Die Feier oder was es sonst war, wurde, wie er auch abwehrte, von dem alten Farmer, einem wahren Originale, unterbrochen, um die Pflichten der Gastfreundschaft zuerst an dem müden Gaste zu erfüllen. Es entging Washington’s scharfem Blicke nicht, daß diese Unterbrechung theils willkommen, theils höchst unwillkommen war. Was es aber galt, blieb ihm ein Räthsel, zumal die Hauptperson die festlich geschmückte, liebreizende Tochter des Farmers war, deren Züge Spannung, Kummer und Sorge ausdrückten.

Als George Washington seinen Hunger und Durst gestillt hatte und sich wieder vollkommen auf dem Damme befand, fragte er seinen Wirth, der ihm alle erdenklichen Aufmerksamkeiten erwies, nach der Veranlassung des Festes.

„Ihr werdet erstaunen, wenn ich Euch das erzähle, Herr,“ sprach der dicke Farmer, „aber man muß sich aus einer Verlegenheit in der glimpflichsten Weise zu ziehen suchen, so hab’ ich’s auch vor und Ihr mögt Zeuge sein, wie es mir gelingt.

„Seit zwanzig Jahren wohne ich hier so glücklich, als Einer in den vereinigten Staaten, denn mir gehet nichts ab und mit meinen zwei nächsten Nachbarn lebe ich wie ein Bruder mit seinen Brüdern nur immer leben kann und soll. Wir sind fast gleichzeitig hierher gekommen, haben uns gegenseitig in Leid und Freude brüderlich beigestanden und sind so in rechter Liebe und Treue zusammengewachsen. Nun sind unsere Kinder zusammen herangewachsen. Meine Nachbarn haben jeder einen erwachsenen, heirathsfähigen Sohn und ich eine Tochter, meine gute Lucy, Ihr habt sie wohl gesehen?“

Washington bejahte mit einem wohlverdienten Lobspruch auf ihre seltene Schönheit.

„Ja,“ sagte der Farmer mit behaglicher Freundlichkeit, „Ihr habt Recht, Herr, Lucy ist schön, wie ihre Mutter war, die ich frühe betrauern mußte; aber das ist ihr geringster Vorzug; sie ist ebenso züchtig, fleißig, reinlich und wirthlich, als sie schön ist, und ich will jedem verwittweten alten Vater eine pflegende Tochter wünschen, wie sie mir der Herr geschenkt hat.“

„Ehre dem Märchen,“ rief Washington aus, „dem ein solches Zeugniß von dem redlichen Vater gegeben werden kann, und Ehre dem Vater, der sie erzog!“

Der alte Farmer lächelte in sich vergnügt bei diesen Worten seines Gastes, und, indem er die duftigen Wolken seiner Pfeife hinausblies, strich er mit der Rechten gemüthlich über den ansehnlichen Umfang seines Bauches.

„Gerade wie Ihr die Sache anschaut, Herr, so betrachten sie auch meine braven Nachbarn und ihre ebenso braven Söhne William Brown und John Clifford,“ fuhr der Farmer fort. „Sie sind mit Lucy aufgewachsen und werben Beide um sie. Da sitze ich mitten drinnen in der Patsche, Herr, und weiß nicht, wem ich sie geben soll?“

„Aber hat denn das schöne Mädchen nicht entschieden? In diesem Alter, meine ich, müßte das ja doch zu merken sein?“ sagte Washington.

„Freilich,“ versetzte der Farmer und runzelte dabei die Stirn.

„Sie hat William Brown sehr lieb und er sie; aber sie ist auch dem braven John Clifford nicht böse und achtet ihn hoch, wie er es verdient. Damit ich nun nirgend anstoße und Niemandem wehe thue, habe ich die Väter und die Söhne zu mir kommen lassen, wie Ihr sie im Garten, an der Fenze lehnen sehet, und Ihnen ein Gottesurtheil vorgeschlagen. Welcher von Beiden den weitesten Sprung thut, der soll sie haben. Beide sind tüchtige Springer.“

Ueber Washington’s Antlitz zuckte es, wie ein Blitz, aber lächelnd und sogar etwas schelmisch.

„Ist das Wort fest, Herr, was Ihr da sagtet: wer den weitesten Sprung thut, dem gehört das Mädchen als Gattin?“

„In ganz Virginien hat kein Mensch jemals mein Wort in Zweifel gezogen,“ sagte fest, vielleicht etwas verletzt der Farmer.

„Vergebt, wenn es den Anschein hätte, als ob ich das thäte,“ sagte Washington in einer so herzgewinnenden Weise, daß aufkeimender Groll auf der Stelle vergehen mußte. „Ich fragte nur, weil – ich um das Mädchen mitspringen will!“

„Ihr?“ fragte erstaunt, betroffen und verlegen der Farmer, und dehnte das Wort in ungebührliche Länge.

„Ja,“ sprach Washington fest, „ich halte Euch beim Worte. Meine Stellung ist so, daß ich meine Frau ernähren kann, und Euch keine Schande machen werde. Das noch, – nach der Entscheidung nenne ich meinen Namen und Stand, und Ihr habt das Recht, wenn Euch ein Bedenken kommt, mich ohne Weiteres zurückzuweisen.“

„Topp!“ rief der Farmer, dem der prächtige Mensch ungemein gefiel, ergriff seine Hand und führte ihn heraus zu den im Garten wartenden Gästen und Prätendenten.

Die schöne Lucy, welche mit beifälligen Blicken den Fremden musterte, erglühte wie eine Purpurrose, die beiden Prätendenten erbleichten beim Anblicke des schlanken, sichtlich sehr gewandten Körpers des Fremden, als der Farmer ihnen den Inhalt des Gespräches mit dem Gaste und sein gegebenes Wort mittheilte.

Eine Einrede konnte nicht erhoben werden, und so wurde denn sogleich das Mahl festgestellt und der Sprung begann. Ein kurzer Anlauf war gestattet.

[587] John Clifford war der Erste. Er. sprang und blieb eine gute Elle hinter dem Ziele zurück. Ein Strahl der Freude blitzte über das bleiche Gesicht des schönen Mädchens. Ein unaussprechlicher Blick traf William Brown. John Clifford einsehend, daß sich das Schicksal gegen ihn entschied, schien sich mit ziemlicher Ruhe drein zu ergeben. Sein Vater sah mürrischer aus, als er.

William Brown nahm den erlaubten Anlauf und sprang und erreichte das Ziel fast. Etwa einen Fuß breit weiter zurück zeigte sich der Abdruck seines Fußes im Boden, der absichtlich feucht gemacht war. Jetzt trat Washington vor.

„Soll ich’s wagen, da William Brown gesiegt hat?“ – fragte er.

„Ihr müßt!“ rief der Farmer und die reizende Lucy mußte sich an den Stamm des Baumes lehnen, an dem sie mit einigen kaum minder hübschen Mädchen stand, die Schwestern von William Brown und John Clifford waren. Einem scharfen Beobachter würde es nicht entgangen sein, daß Mary Brown. Williams Schwester, erbleichend ihre Hände gefaltet hatte, als John Clifford den Sprung wagte und daß sie freudig zusammenzuckte, als er so weit vom Ziele blieb.

Washington trat an, nahm den Anlauf und – weit über das Ziel sprang er mit wunderbarer Leichtigkeit. Ein Ach, ob der Freude oder des Unwillens? – entfuhr den Zuschauern und das schöne Mädchen wankte. Eben so flüchtig, wie er gesprungen war, stand Washington bei ihr und fing sie auf. „Seien Sie ruhig, Miß Lucy,“ sagte er leise zu ihr, „ich sprang nur mit, um im Nothfalle Sie an William Brown abtreten zu können. Ich bin glücklicher Gatte!“

Das Mädchen starrte ihn ungläubig an, aber sein Ton war so fest, daß kein Zweifel blieb.

Jetzt wandte er sich gegen die Männer.

„Ich bin George Washington,“ sagte er lächelnd, „und habe mir einen kleinen Scherz erlaubt, den Ihr, theure Mitbürger, mir vergeben werdet, wenn ich Euch den Grund enthüllt haben werde. Der wackere Vater dieses trefflichen, liebreizenden Mädchens hatte mir die Lage der Sache mitgetheilt, als er den Gast speiste und tränkte; mein Blick bestätigte meine Vermuthung, daß eine innige Liebe William Brown mit Lucy verbindet, während der sehr ehrenwerthe John Clifford vielleicht mehr dem väterlichen Wunsche bei seiner Bewerbung folgte. Für William Brown ist bereits entschieden gewesen, als Ihr mich zum Sprunge zwangt. Die liebliche Braut ward mein, aber ich bin glücklicher Gatte und trete sie, da sie mein ist, an William Brown ab, an den ich sie unter allen Umständen abgetreten haben würde.“

Alle standen da, wie Bildsäulen; nur William Brown stürzte auf Washington zu und drückte stürmisch seine Hand. „Wie soll ich Euch danken?“ rief er aus.

„Hoch lebe Washington!“ erschallte es jetzt im Chöre und John Clifford war der Erste, der den Ruf ausbrachte. Alle umringten den Helden jetzt und der alte Farmer bat flehentlich, er möge seinem Hause das Glück gewähren, bei Lucy’s Vermählung zugegen zu sein.

„Wenn ich wüßte,“ sagte Washington lächelnd, „daß es eine Doppelhochzeit gäbe“ – und dabei sah er John Clifford an, der ihn mit begeisterten Blicken betrachtete.

„Wollt Ihr mein Freiwerber werden?“ fragte der Jüngling.

„Mary Brown, Williams liebliche und brave Schwester wäre die, um die ich jeden Sprung wagte.“

Washington trat zu dem alten Clifford. „Master Clifford,“ sagte er, seine harte, derbe Hand kräftig fastend’, „habt Ihr das gehört?“

„Ich habe es gehört,“ erwiederte der alte, biedere Virginier, „und wenn mein lieber Nachbar Brown denkt wie ich, so ist Eure Werbung schnell am Ziele.“ Der alte Brown lächelte dazu und meinte, „da bliebe ihm ja nichts übrig, als ja zu sagen, wenn Mary wolle.“ Aber John und Mary, Lucy und William nahten schon, um den elterlichen Segen zu erbitten.

Washington konnte dennoch nicht bleiben. Er mußte, wichtiger Geschäfte willen weiterreisen. Das betrübte Alle aufrichtig. Als er schied, küßte er die erröthende Lucy auf die reine Stirn, wünschte beiden Paaren Glück, und als William den Blick sah, den Lucy dem edeln Manne nachsandte, als er unter den Bäumen verschwand, die den Weg beschatteten, den Blick, in dem ein paar krystallne Tröpflein glänzten, da sagte er, die theure Braut schalkhaft anblickend: „Ich bin eigentlich recht froh, daß er weggeritten ist.“ Lucy trocknete das Auge, reichte William ihre weiße Hand und entgegnete lächelnd und doch so ernst: „William, scherze nicht. Er ist der Gründer unseres Glückes. Gott segne ihn!“




Eines Tages ging ein Mann durch eine der abgelegeneren Straßen von Philadelphia, dessen Haltung und äußere Erscheinung auf eine bedeutende Person schließen ließ. Es war früh am Morgen und der Verkehr belebte die Straße noch wenig. Plötzlich trat ein Jüngling an ihn heran mit bleichen, kummervollen Zügen, schüchtern, furchtsam, ja zitternd und ohne ihn anzublicken, bat er leise um eine Unterstützung. Der Mann sah ihn scharf an, aber der Blick wurde milder nach dieser prüfenden Beobachtung, denn der Ausdruck des jungen Menschen, die zitternde Stimme, die ganze Haltung zeigten ihm, daß er keinen Bettler von Profession hier vor sich habe, sondern im vollen Sinne des Wortes einen Unglücklichen.

„Sie sehen mir nicht aus, wie Einer, der an’s Betteln gewöhnt ist. Was nöthigt Sie zu diesem Schritte? Seien Sie offen und ehrlich, sagen Sie mir die volle Wahrheit, aber auch nur Wahrheit, denn davon wird meine Hülfe abhängen!“ – So sprach mild und Zutrauen einflößend der Angeredete.

„O, das will ich,“ sagte mit einem tiefen Seufzer und nun erst den Blick zu dem Gesichte des Mannes aufschlagend der junge Mensch. „Wohl bin ich nicht in den Verhältnissen geboren, wie die sind. in denen Sie mich finden. Die Unfälle, die meinen armen Vater trafen, das namenlose Unglück, in dem sich meine gute Mutter befindet, nöthigen mich zu dem Schritte, den ich mit zagendem Herzen, mit großer Ueberwindung gethan habe.“

„Wer ist denn Ihr Vater?“ fragte der Mann weiter und erfuhr nun, daß er ein wohlhabender Kaufmann gewesen, den der treulose Bankrott eines Geschäftsfreundes völlig zu Grunde gerichtet und bettelarm gemacht hatte. Der Kummer über dieses unverschuldete Elend half den Keim einer tiefer liegenden Krankheit rasch entwickeln und nach wenigen Monaten starb er, und sein Tod brachte das Maß des Unglückes der Familie zum Ueberfließen. Die Mutter, der junge Mensch und ein jüngerer Knabe versanken in die tiefste Armuth. Ein Freund seines Vaters gab dem jungen Menschen Unterkommen in seinem Hause; die Mutter suchte durch Arbeit sich und den jüngeren Bruder zu ernähren; aber in der letzten Nacht wurde sie von einer heftigen Krankheit befallen, die ihr Leben in Gefahr brachte. Der junge Mensch hatte keinen Kreuzer, um ärztliche Hülfe und Arzneimittel zu beschaffen. „Ach,“ schloß er, „ich habe den Muth nicht, unsere Bekannten aufzusuchen und um ein Almosen zu bitten. Die Reichen darunter sind hart; die Armen, die ein Herz haben, können nicht helfen, wenn sie auch wollten. Darum –“

Der Herr hatte ihm mit inniger Bewegung zugehört. Das war die Stimme der Wahrheit, wenn sie irgendwo zu finden war, das sagte ihm das Herz.

„Nun – fahren Sie, fort,“ sagte er mild zu dem jungen Menschen. –

„Darum,“ fuhr dieser fort, und zwei heiße Thränen rollten ihm über die Wangen, „faßte ich ein Herz, Sie, den Fremden, anzureden und überwand die Scham, die sich mit Macht dagegen erhob. Ach, erbarmen Sie sich meiner armen Mutter!“

„Wohnt Ihre Mutter weit von hier?“ fragte der Mann, dem das Herz weich wurde.

„Im letzten Hause dieser Straße, links, im dritten Stockwerke,“ sagte der junge Mensch, ihn flehentlich ansehend.

„Und einen Arzt haben Sie noch nicht? Nun, hier sind einige Dollars. Eilen Sie, einen Arzt zu holen.

Der junge Mensch ergriff seine Hand und benetzte sie mit seinen Thränen. Reden konnte er nicht, nur die Worte brachte er heraus: „Gott segne Sie!“ dann eilte er von dannen mit einer Hast, daß er zu fliegen schien.

Der Mann sah ihm einen Augenblick nach, dann schüttelte er den Kopf, und sagte leise zu sich: „Nein!“ Darauf schritt er dem bezeichneten Hause zu, und war bald an der Thüre der Wittwe, wo er leise anklopfte. Ein kleiner, schöner Knabe, dessen Auge in Thränen schwamm, öffnete die Thüre, und er trat ein. Sein scharfer Blick musterte das Stübchen schnell. Da stand ein alter tannener Tisch, zwei Stühle von eben dem Ansehen, wie der Tisch, ein alter Schrank und auf dem Tische einige weibliche [588] Handarbeiten unvollendet. Ueberall herrschte Ordnung und Reinlichkeit, aber die größte Dürftigkeit. In einem armseligen Bette lag die Kranke, deren Fieberzustand sich deutlich zu erkennen gab.

Diese äußeren Umstände bewegten ihn noch mehr. Er trat zum Bette und befragte die Kranke über ihren Zustand, daß sie ihn für einen Arzt hielt. Sie sagte ihm, was er wissen wollte, dann setzte sie hinzu, wie unglücklich sie sei, und wie für sie der Tod das beste Heilmittel sein würde, wenn er ihr nicht dadurch schrecklich erschiene, daß sie ihre beiden Söhne im hülflosesten Zustand zurücklassen müßte; das zerreiße ihr Herz.

Der vermeintliche Arzt spricht ihr Trost ein und die Art, wie er dies thut, ist so wohlthuend und Vertrauen erweckend, daß sie ihm ihr Herz erschließt, und alle die Schläge des Unglücks ausführlich erzählt, welche der Sohn auf der Straße ihm nur angedeutet hatte. Er horchte ihr mit bewegtem Herzen, tröstete sie dann und redete ihr inniglich zu, dafür zu sorgen, daß ihr theures Leben für ihre Kinder erhalten bliebe. Darauf bat er sie um etwas Papier. Aber das fehlte der Armuth. – Auf dem Bette lag ein Gebetbuch, der Wittwe Trost. Er nahm es in seine Hand, und sagte: „Das weiße Blatt hier ist überflüssig, und reicht mir aus.“ Er löste es ab und der Knabe reichte ihm sein Tintenfäßchen und seine Feder. Der vermeintliche Arzt setzte sich an den Tisch und schrieb. Darauf drückte er der Kranken die Hand, sprach noch im liebevollsten Tone Worte des Trostes und ging.

Kurze Zeit darauf kam der älteste Sohn zurück.

„Liebe Mutter,“ rief er freudig, „Gottes Gnade verläßt uns nicht! Ein großmüthiger Fremder hat mir fünf Dollars gegeben. Gott segne ihn! Nun wird der Arzt gleich kommen, und ich hoffe auf Gottes ferneren, gnädigen Beistand! Fassen Sie Muth!“

Die Mutter zog ihre Kinder an ihr Herz und betete über sie. Dann sagte sie:

„Du riefst einen Arzt? Seltsam, er ist schon dagewesen!“

„Unmöglich!“ sagte der Sohn verwundert.

„Doch, Kind,“ versetzte die Mutter, „und er ist auch ein rechter Arzt für die Seele. Ach, wie liebevoll tröstend waren seine Worte. Dort liegt das Recept, das er geschrieben hat!“ – Sie deutete nach dem Tische, wo das beschriebene Papier lag. Betroffen eilt der junge Mensch zum Tische, liest das, was der Fremde geschrieben hat, und beginnt zu zittern.

„Mutter,“ ruft er, „es ist kein Recept! Hören Sie!“ Und er liest eine Verschreibung auf eine sogleich zu erhebende, sehr bedeutende Summe.

Die Mutter richtet sich voll freudigen Schreckens auf. „Die Unterschrift, mein Sohn, die Unterschrift!“ ruft sie aus.

„George Washington!“ liest der junge Mensch – „Präsident des Congresses!“

Da sinkt die Kranke ohnmächtig zurück. Zum Glücke für die trostlosen Söhne, die glaubten, ihre Mutter sei gestorben, kommt der Arzt, und es gelingt ihm, die Mutter bald wieder zu beleben. Es war ein edler Mensch, und auch er liest mit tiefer Bewegung die Schrift Washington’s.

Der edle Mann ließ es dabei nicht bewenden. Nach einigen Tagen kam er wieder und fand zu seiner Freude die Wittwe auf dem Wege der Genesung. O, wie waren sie dankbar! Wie ergriff es ihn, als die Kinder sich seiner Hände bemächtigten und sie mit Küssen bedeckten, mit Thränen benetzten! Was er brachte, war noch mehr. Er hatte bei einem ihm befreundeten wackern Kaufmanne dem ältesten Sohne eine Lehrlingsstelle ausgemacht, in die er sogleich eintreten konnte, und dem Jüngsten hatte er den Eintritt in eine tüchtige Schule erwirkt. Die Gabe aber setzte die Wittwe in den Stand, in ihren bescheidenen Verhältnissen ohne Mangel zu leben. Und unter dem sorgenvollen Werke seines hohen Berufes behielt er noch Zeit, sich nach seinen Pflegebefohlenen zu erkundigen, und der Wittwe seine fortdauernde Fürsorge zuzuwenden, was er bis zu der Zeit getreulich that, daß der Aelteste, der das volle Vertrauen seines Prinzipals rechtfertigte, eine Stellung in dem Handelshause gewann, die ihn in den Stand setzte, reichlich für die Mutter und für die Bildung und das Fortkommen des jüngsten Bruders zu sorgen.

Als die Dankbarkeit das auferlegte Geheimniß brach, da war in ganz Philadelphia nur eine Stimme: „Gott segne den edeln Retter des Vaterlandes und der Unglücklichen! Gott segne Washington!“