Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Joh. Chrysost. Wolfgang Amadeus Mozart
Die Beweise, welche Mozart seit seinem dritten Jahr
von dem feinsten Gehör und einer außerordentlichen
Geschicklichkeit musikalische Ideen aufzufassen und zu produciren
gab, würden unglaublich scheinen, würden sie
nicht durch glaubwürdige Berichte bezeugt und durch die
spätern Erfolge gerechtfertigt. Schon in seinem sechsten
Jahre konnte der Vater, der bei nicht gemeinen Anlagen
und durch große Anstrengungen es bis zum Vicekapellmeister
des Erzbischofs von Salzburg gekracht
hatte, ihn mit seiner fünf Jahr ältern Tochter, die
ebenfalls hervorragendes Talent besaß, auf einer Reise
nach München und Wien zum allgemeinen Erstaunen
als einen ausgezeichneten Klavierspieler produciren.
Auf einer kleinen ihm dort geschenkten Geige fing er
tändelnd an zu spielen und brachte es auch auf diesem
Instrument bald zur Virtuosität. Bei stets gesteigerten
Fortschritten – denn der lebhafte, bewegliche Knabe
hatte nun für gar nichts mehr Sinn als für Musik – unternahm
der Vater 1763 mit beiden Kindern eine längere
Reise und kehrte mit ihnen, die nun einen europäischen
Ruhm erlangt hatten, 1766 nach Salzburg zurück.
Bereits unterwegs hatte Wolfgang seine ersten
Compositionen drucken lassen, und als er 1768 mit dem
Vater nach Wien reiste, mußte er im Auftrag des
Kaisers Joseph eine Oper la finita semplice componiren,
und dirigirte eine zur Einweihung des Waisenhauses
von ihm componirte geistliche Musik. Schon
im folgenden Jahr wurde er Concertmeister in Salzburg
und reiste 1769 nach Italien, wo damals noch
der Musiker seine Weihe und die Bestätigung eines
sonst erworbenen Ruhms erlangen mußte. Der enthusiastische
Beifall der entzückten Italiener empfing seine
Leistungen und er erhielt den Auftrag für Mailand die
Oper Mitridate zu componiren. In den folgenden
Jahren schrieb er ebenfalls für Mailand die Opern
Ascanio in Alba und Lucio Silla, la finta giardiniera
und die beiden Gelegenheitsopern il sogno di Scipione
und il re pastore. Uebrigens waren dieses Jahre
ernsten und unablässigen Studiums, durch welches
er sich vollständig in den Besitz aller Mittel seiner
Kunst setzte. Der größte Theil seiner Kirchencompositionen
und Instrumentalwerke ist in diesen Jahren entstanden.
Aber bei allem Beifall blieb er doch in einer
unwürdigen Lage, kleinlichen und erniedrigenden Anforderungen
[Ξ] fortwährend ausgesetzt. Einer solchen Behandlung
müde, nahm er im J. 1777 seinen Abschied
und trat eine Kunstreise an, um, wenn es ihm in
Deutschland nicht glücken sollte, in Paris sich Ruhm
und Geld und von da aus eine Stellung zu erwerben.
Da der Vater seinen Posten nicht verlassen konnte,
ließ er die Mutter mit dem Sohn reisen, den er
allein nicht in die Welt zu senden wagte. Froh seiner
Freiheit lies der Jüngling in die Welt, der er
in argloser Gutmüthigkeit vertraute, wie sehr ihn
auch der erfahrene Vater warnte, seiner Stellung in
der Kunst und seiner Erfolge ohne alle Ueberhebung
sich bewußt, jugendlich heiter bis zur Ausgelassenheit,
nur ernst und entschieden wo es die Kunst galt, offen
und zugänglich, lebhaft und zum Spott geneigt, aber
ohne alle Anlage für Wirklichkeit – da konnten harte
Erfahrungen nicht ausbleiben. Nachdem er in München
durch Versprechungen lange hingehalten war, ging er
nach Mannheim, um dort dasselbe zu erfahren. Hier
fesselte ihn eine lebhafte Neigung für eine junge Sängerin
Aloysia Weber; der Wunsch sie zu besitzen rief Pläne
hervor, wie sie ein leidenschaftlicher Jüngling macht. Es
bedurfte der ernsten Aufforderung des Vaters ihn zur
Reise nach Paris zu bewegen. Allein auch hier schlugen
seine Erwartungen fehl. Das Interesse, das man
für das Kind gehabt, wollte sich jetzt nicht erneuern; sich
Gunst zu erschmeicheln verstand er nicht, und durch
Unterricht sich seinen Unterhalt zu sichern, widerstrebte
seiner Natur. Um seine Lage vollends unerträglich zu
machen starb seine Mutter, die zwar keinen nachhaltigen
Einfluß auf ihn geübt hatte, aber herzlich von ihm
geliebt war. Als daher von Salzburg, wo man ihn
doch sehr ernstlich vermißte, die Berufung zum Hof-
und Dom-Organisten mit freierer Stellung und erhöhtem
Gehalt an ihn erging, entschloß er sich, da sein
Vater sehnlich wünschte ihn in einer gesicherten Stellung
und in seiner Nähe zu sehen, dieselbe anzunehmen und
er reiste, ungern und langsam, nach Salzburg zurück.
In München sah er seine Aloysia wieder, fand aber
ihre Neigung für ihn erkaltet, und so mußte er auch diese
Wunde mit nach Hause bringen (1780). Noch im
selben Jahr bekam er den Auftrag für München die
Oper Idomeneo zu schreiben, welche er dort im Januar
1781 mit außerordentlichem Beifall auf die Bühne
brächte. Mit diesem Werk war der große Künstler
vollendet. Im Genuß wohlverdienten Ruhmes, unter
treuen Freunden verlebte Mozart in dem lebenslustigen
München frohe Tage, als ihn der Erzbischof zu sich
nach Wien berief. Hier wurde er nicht als Künstler
sondern als Diener angesehen, und sah sich einer unwürdigen
Behandlung, ja gemeinen Beleidigungen ausgesetzt,
so daß Mozart um seine Ehre zu wahren seinen
Abschied nehmen mußte. Er blieb in Wien, wo er
zunächst als Klaviervirtuose sich geltend machte und
durch Concerte und Unterricht seinen Unterhalt sicherte.
Kaiser Joseph aber, der auf ihn aufmerksam war, übertrug
ihm für die unlängst von ihm begründete deutsche
Oper die Composition der „Entführung aus dem Serail“
(1781). Glücklich sich in seine Sphäre versetzt
zu sehen vollendete er mit einem wahren Feuereifer
diese Oper, welche von vortrefflichen Sängern ausgeführt
das Publicum entzückte. Dennoch erhielt Mozart
keine neuen Aufträge; man ließ die deutsche Oper verfallen,
bis sie endlich der italienischen wieder Platz
machen mußte. Neid, Mißgunst und Verläumdung,
welche Mozart, der freilich nicht das Muster eines
ordentlichen Haushälters war, als einen ausschweifenden
Lüstling schilderte, fand besonders durch Salieri
Eingang beim Kaiser Joseph und selbst Glauben und
Verbreitung bis über Mozarts Grab hinaus. Um
dieselbe Zeit verheiratete er sich mit Constanze Weber,
einer jüngern Schwester der Aloysia, mit welcher
er eine glückliche Ehe führte, wie er denn in allen
Verhältnissen ein zartes, liebevolles Herz bewährte.
Wie groß auch Mozarts Ansehen bei Künstlern und
Kennern war, so hat er doch in Wien bei Lebzeiten keine
allgemeine Anerkennung gefunden. „Die Hochzeit des
Figaro“, durch den unerschöpflichen Strom heiterer
Laune, feine und geistreiche Charakteristik und meisterhafte
technische Behandlung die erste komische Oper der
Welt, gefiel 1786 so wenig als 1790 Cosi fan tutte,
Der Beifall, welchen Figaro in Prag erhielt, veranlaßte
ihn für Prag 1787 den Don Juan zu schreiben, der als
die Oper der Opern anerkannt ist, in Prag mit Enthusiasmus
aufgenommen, in Wien nach der dritten Aufführung
bei Seite gelegt wurde. Unglaublich ist die
Fruchtbarkeit, mit welcher Mozart in 10 Jahren seines
Aufenthalts in Wien eine Fülle von Compositionen aller
Gattungen, für Gesang, Orchester und Soloinstrumente
hervorbrachte, die fast alle nicht nur selbständigen Werth
als Kunstwerke haben, sondern einen wesentlichen Fortschritt
der Kunst bezeichnen. Auch als Virtuos auf
dem Klavier behauptete er den ersten Rang, wie er
noch in den Jahren 1789 und 1790 auf mehreren Kunstreisen
bewährte, die hauptsächlich unternommen waren
um seine äußere Stellung zu verbessern. Eine sorgenfreie
Existenz hat er nie erreicht, oft sogar mit Sorgen
zu kämpfen gehabt, und doch konnte er sich nicht entschließen,
Wien und seinen Kaiser zu verlassen, als
ihm in Berlin ein glänzendes Anerbieten gemacht wurde.
Erst auf dem Todbett wurde ihm die Organistenstelle
am Dom in Wien übertragen, die ihm ein sicheres
und genügendes Auskommen gegeben hätte. Die größte
Kraft und Fülle seiner Produktion aber ist in das
letzte Jahr seines Lebens zusammengedrängt. In diesem
schrieb er zur Krönung des Kaisers Leopold für Prag
den Titus, eine glänzende Gelegenheitsoper, die Zauberflöte,
welche seinen Ruhm auch unter den Unmündigen
und Kindern verbreitete und von außerordentlicher
Bedeutung als die erste große deutsche Oper ist,
und das Requiem, vom Grafen Walsegg bestellt unter
Umständen, die eine Zeitlang einen mystischen Schleier
über dasselbe gebreitet haben, und über dessen Vollendung
ihn der Tod am 5. Dec. 1791 ereilte.