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Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Fischart

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Fischart
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 105–106
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann Fischart.
Geb. vor 1550, gest. um 1590.


Ein satyrischer Dichter von der höchsten und seltensten Eigenthümlichkeit, dessen Lebens- und Denkweise aber nur aus seinen Werken erkannt werden kann, denn über seine Lebensumstände kennt man äußerst wenig, trotz dem, daß er in einer Zeit schrieb und dichtete, von deren literarischen Genossen meist genügende Nachrichten vorhanden sind. Die älteren literaturgeschichtlichen Biographen übergehen ihn fast durchgängig, weil sie, wenn sie auch seine Schriften kannten, nichts über ihn zu sagen wußten, oder ihn nicht nennen mochten. Bis heute kennt man nicht einmal genau sein Sterbejahr, geschweige das seiner Geburt, und es wird vielleicht mehr einem glücklichen Zufall, als dem Fleiße der Forschung zu danken sein, wenn die Folgezeit noch befriedigende Aufklärungen über das verschollene Leben eines deutschen Dichters giebt, den man mit Fug den deutschen Rabelais nennen kann, zumal er diesen sich zum Muster genommen und durch ihn wohl zunächst die Anregung zu seiner die Sprache mit kühnster Freiheit behandelnden Schreibweise erhalten zu haben scheint.

Fischart soll zu Strasburg geboren sein, nach andern zu Mainz, weil er sich bisweilen auch Menzer (Mainzer) oder verkehrt: Reznem schrieb. Niemand weiß wo er studirte, wo er Doctor der Rechte wurde, es ist nur bekannt, daß er um da Jahr 1586 Amtmann in Forbach bei Saarbrücken war, an welchem Ort doch wohl in Archivacten oder Kirchenbüchern vielleicht noch näheres über ihn gesucht und gefunden werden dürfte.

In Johann Kischart sammelte sich all das satyrische Element, welches das deutsche Leben von dem Auftreten Heinrich’s von Alkmar, Sebastian Brant’s und Thomas Murner’s an kräftig durchpulste, und das in den Schöpfungen Holbein’s als Maler, Erasmus von Rotterdam, Dedekind’s und anderer seinen Nachhall gefunden hatte, zu sprudelndem Ausbruch. Sitte und Unsitte, Feinheit und Schmuz, Vers und Prosa wirbeln durcheinander. Was sein Vorbild Rabelais der französischen Sprache angethan, that Fischart der deutschen Sprache an; für ihn gab es kein Herkommen, keine Regel, er benutzte die Bieg- und Bildsamkeit der Sprache zu den tollsten oft widernatürlichen Ausrenkungen, [Ξ] knetete sie wie einen Teig und bildete aus ihr phantastischtolle Figuren, dabei blickt durch alles, was Fischart in seiner seltsamen Schreibweise hervorbrachte, ein umfassendes Wissen, ein Zeugniß ernster und gründlicher Studien, so daß es ganz unbegreiflich bleibt, wie, während des Mannes Name vielgenannt und vielgelesen durch sein Vaterland drang, von des Mannes Person so außerordentlich wenig zur Kunde seiner Mitwelt gelangte. Ein Grund davon mag aber wohl darin liegen, daß Fischart’s Schreibweise die strengen Gelehrten seiner Zeit abstieß, daß letztere ihn als einen widerwärtigen Lustigmacher und literarischen Eulenspiegel betrachteten, und ihn als Menschen völlig ignorirten. Aber Fischart war und blieb deßungeachtet ein lachender Democrit, ein kenntnißreicher Clement Marrot, dem das ridendo dicere verum stets vor Augen schwebte. Die Mehrzahl der ersten Ausgaben der Fischart’schen Werke sind literarische Seltenheiten und stets gesucht. Davon sind die wichtigsten seine Uebertragung des ersten Buches von Rabelai’s, die Mönche und ihr Leben auf das schärfste geiselnder Satyre: Gargantua, mit einem abschreckend langen Titel, dessen Beginn ist: Affenteuerlich Naupengeheuerliche Geschichtklitterung, Von Thaten und Rahten von kurzem langen weilen vollen beschreiten Helden und Herren Grandgusier Gargantua und Pantagruel u. s. w. u. s. w. durch Huldrich Ellopos-Cleron hebräisch gräcisirende Umwandlung des Namens Fischhart. Zahlreiche, später zum Theil veränderte Ausgaben lieferten Zeugniß von dem Beifall, den diese Schrift sich gewonnen hatte; sie war der erste deutsche komische Roman, possirlich wie Eulenspiegel, und grottesk wie der spätere »abenteuerliche Simplicissimus«. Fischart war nicht eingefallen, Rabelais Gargantua zu übersetzen, er bearbeitete völlig frei, frisch und keck, das Werk des französischen Dichters. Dabei erwarb er sich das Verdienst, diesem Werke die ersten Versuche einzuverleiben, die Form des Hexameters und Pentameters in deutscher Zunge nachzubilden, ein Bestreben, in dem er bald genug Mitstrebende fand. Die damaligen Dichter reimten noch diese Versformen, und letztere nahmen sich gereimt seltsam genug aus. Ein zweites Werk Fischart’s war: »Aller Practic Großmutter«, mit einem wahrhaft fürchterlichen Titel: 1574., eine Art immerwährender Kalender und auch eine Nachahmung von Rabelais prognostieation certaine.

»Das Glückhafft Schiff« das die anziehende Thatsache jener Reise einer Anzahl Züricher Schützen, die von Zürich in einem Tage mit einem Topf heißen Breies nach Straßburg schifften, und den Brei noch warm in jene Stadt zum Festschießen brachten (es geschah dieß am 21. Juni 1576), erzählt, ist voll poetischer Schönheit und frei von den Auswüchsen der Fischart’schen Dichtart. Weit minder kann dieß den kleinen Poesien: »Flohatz, Weibertratz«, ebenfalls Nachahmung eines älteren Gedichts in makkaronischen Versen, und dem »Podagrammisch Trostbüchlein« nachgerühmt werden. Großen Beifall einerseits, wie nicht minder andererseits großen Zorn und Haß erregte der »Bienenkorb des Heyl. Römischen Immenschwarms, seiner Hummelszellen, Hurnausnöster, Brämengeschwürm und Wäspengetöß etc. durch Jesuwalt Pickhart«. Christlingen 1579. wieder kein eigenes Werk, sondern freie Uebertragung eines niederländischen Buches mit ungemein viel Fischart’schem Zusatz. In gleichem Sinn und Geist wurde auch J. Calvin’s Buch über die Reliquien unter dem Titel des »Heiligen Brotkorbs« nicht blos übertragen, sondern von dem Dichter in succum et sanguinem seiner originellen Muse verwandelt. Ein »philosophisch Ehezuchtbüchlein«, »Papstcontraseyungen«, Uebertragung von J. Bodin’s Schrift »de Magorum Daemonomania«, ein satyrischer Bücherkatalog, die »Erklärung der Thiermesse im Straßburger Münster«, mit großem Holzschnitt und in Versen, der »barfüßer Sekt- und Kuttenstreit«, »Lob des Landlusts«, davon nur Vorrede und Anhang Fischart gehört u. s. w., sind lauter literarische Seltenheiten geworden.

Man erblickt sonach in Fischart einen Geist, der weniger selbsterfinderisch thätig war, als er an fremdes sich anlehnte, und dann aber selbstwirkend aus vorgefundenen Stoffen neues schuf und, ersteres umbildend, ihm eigenthümliche Gestaltungen gab. So schließt sich mit Fischart die satyrische Richtung der spätmittelalterlichen Zeit ab, bis wieder Nollenhagen, Moscherosch, und der Dichter des abenteuerlichen Simplicissimus jene in anderer Weise wieder aufnahmen und fortpflegten.