Bei dem Locomotivenkönig
Wer von einem hochgelegenen Punkte in oder bei Berlin einen Blick auf die Stadt wirft, der bemerkt unter dem Wald von Schornsteinen, welcher sich im Nordwesten über dem Häusermeer der Stadt erhebt, ein Exemplar von außergewöhnlicher Gestalt. Einem riesigen Candelaber gleich, unterbricht er das gleichförmige Bild der übrigen Essen, von denen ihn manche vielleicht an Höhe überragen. Unwillkürlich fragt der Fremde nach der Bedeutung dieses eigenthümlichen Schornsteins, und ganz sicher antwortet der heimische Führer mit einigem Selbstbewußtsein: „Das ist der Schornstein der Borsig’schen Fabrik!“ Auf dem vier Meilen entfernten Pfingstberge zu Potsdam wird auf diese Merkwürdigkeit mit derselben Genugthuung hingedeutet, wie auf irgend einem beliebigen Höhepunkte, einem Kirchthurme etc. in Berlin selbst.
Es ist eine bekannte Eigenthümlichkeit gerade der Berliner, daß sie auf das Großartige ihrer Vaterstadt mit ganz besonderem Stolz hinblicken; selten haben sie dazu gerechtere Ursache, als im Hinblick auf die großartigen Borsig’schen Etablissements, welche den Ruhm der Berliner Industrie über die Eisenstraßen eines großen Theiles von Europa, ja selbst bis in den fernen Orient tragen. Ganz sicher gehören die Borsig’schen Maschinenfabriken zu den imposandesten Sehenswürdigkeiten in Berlin; unwillkürlich wird man mit Bewunderung für den Mann erfüllt, der, von kleinen Anfängen ausgehend, diese Anlagen geschaffen und zu solcher Bedeutung erhoben hat. Möge uns also der geneigte Leser zu einer näheren Kenntnißnahme dieser Etablissements folgen.
Wir beginnen unseren Besuch mit dem Eisenwerk in Moabit, welches sich unter jenem erwähnten candelaberartigen Thurme ausbreitet, betrachten unsere heutige Schilderung indeß nur als Einleitung, uns eine eingehendere Darstellung der Borsig’schen Anstalten, ihrer mannigfachen Leistungen und Erzeugnisse, ihrer Bedeutung und ihres Umfangs für einen zweiten Artikel aufsparend, welcher zunächst den großen Borsig’schen Werken in Berlin selbst, den weltberühmten Locomotivenwerkstätten, gewidmet sein wird.
Es ist ein seltsames und eigenthümliches Terrain im Nordwesten von Berlin auf dem rechten Spreeufer, dem Thiergarten gegenüber, auf welchem sich jetzt ein reiches industrielles Leben entfaltet hat. Preußens erster König schenkte den überaus sandigen und sterilen Boden einer Anzahl von französischen Colonisten zur Bebauung mit Maulbeerplantagen. Bald jedoch verzweifelten die Franzosen an dem Erfolge ihrer Anlagen und nannten das ihnen geschenkte Land daher „terre de Moab, terre maudite“ Hieraus entwickelte sich der Name „Moabit“, resp. „Moabiter Land“, und die Ortschaft erlangte eine locale Berühmtheit durch die Fabrikation von „Pumpernikel“ und durch Anlage einer ganzen Reihe von Tabagien, welche, wie zum Theil auch noch heute, den Zielpunkt des Vergnügens für die Berliner Dienstboten an Sonn- und Festtagen bildeten. Seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts hat man nun angefangen an dem Ufer der Spree, welche die Ortschaft begrenzt, Fabriken anzulegen, die sich von Jahr zu Jahr vermehrten und unter denen die Borsig’schen Etablissements jetzt selbstverständlich an der Spitze stehen.
Der Gründer dieser letzteren, der nur zu früh, am 6. Juli 1854, verstorbene geheime Commercienrath A. Borsig, begann [555] sein Unternehmen, wie wir später des Näheren ausführen werden, mit einer ziemlich kleinen Eisengießerei vor dem Oranienburger Thor in Berlin. Als diese sich zu einer großen Maschinenbauanstalt entwickelt hatte, sah er ein, daß er zur Bearbeitung des Rohmaterials einer eigenen Fabrik bedürfe, und schuf daher das Walz- und Hammerwerk in Moabit, welches seit 1852 in ununterbrochenem Betriebe sich befindet. Hart an der Straße nach Moabit gelangt man an einen schon von außen imponirenden stattlichen Park, aus dessen dunklem Laub ein schloßartiges Wohnhaus hervorblickt. Dies sind die berühmten Borsig’schen Gärten; dicht daneben führt eine breite Einfahrt zu einem aus Backsteinen aufgeführten Portal, dessen Pfosten zwei kolossale Statuen, Schmiede von markiger Gestalt, zieren. Durch das Portal gelangt man in einen weitausgedehnten Hof, auf welchem ein geschäftiges Treiben wogt. Die Gebäude zur Rechten des Eintretenden umfassen die Bureaux, die technischen, sowie die kaufmännischen Verwaltungsräume. Ein Seitengebäude zur Linken enthält Schlosserei und Tischlerei. Vor dem Eintretenden liegt ein großes Bassin zur Abkühlung des glühenden Eisens. Schwer mit Metallen beladene Wagen fahren ab und zu; hier wird mit riesigen Gewichten Eisen gewogen, dort das glühende Metall herausgefahren und von fern her dröhnen dumpfe Hammerschläge an das Ohr. Vor uns erhebt sich ein langausgestrecktes mit einem Tonnendach versehenes Gebäude, aus welchem der Lärm arbeitender Maschinen immer stärker zu uns herandringt, je näher wir dem Eingange uns zubewegen. Wir treten ein, doch überrascht von dem wunderbaren Treiben, das sich vor unsern Blicken in der sechshundertfünfzig Fuß langen und über hundert Fuß breiten Halle zeigt, bleiben wir stehen. Diese letztere ist meist durch Oberlicht erleuchtet und gewährt schon an sich durch die Dachconstruction mit ihren mächtigen Bändern und Trägern von Eisen einen gewaltigen Anblick. Eine Unzahl glühender Feuerstätten: Puddelöfen, Schweißöfen, Schmieden etc. sind in Thätigkeit und sprühen ihren Funkenregen in den buntesten Verschlingungen. Durch den ganzen Raum fahren unablässig, von je einem Arbeiter geleitet, kleine zweirädrige Karren, hoch mit glühenden Eisenstücken bepackt, pfeilschnell von einem Ende zum andern; an allen Orten sehen wir die Arbeiter, den Cyklopen gleich, mit dem glühenden Eisen herumhantiren: wie Bandstreifen ziehen sie glühende Eisenstäbe durch die Walzen, gestalten sie die unförmliche Masse zu Blechen und Schmiedestücken, und in dichten Feuerregen gehüllt verschwinden die geschwärzten Gestalten der Arbeiter oft auf Minuten vor unseren Augen.
Wenn sich der überraschte Blick einigermaßen zu orientiren beginnt, bemerken wir vor uns eine lange Walzenstraße, dieser gegenüber eine riesige Dampfmaschine und rechts und links, mehr oder minder davon entfernt, eine Anzahl von Eisenhämmern und zwar sieben von zwanzig, fünf von sechszig, einen von hundert und einen von zweihundert Centnern; ferner fünfzehn Dampfmaschinen im Ganzen von sechshundert (darunter eine von allein hundert) Pferdekraft. Der furchtbare Lärm, welchen alle diese Maschinen hervorbringen, wird zuweilen noch übertönt, wenn, unter massenhaftem Funkenregen, die Kreissäge ihre Arbeit beginnt. Man glaubt dann für Augenblicke, daß alle Lärmgeister der Hölle losgelassen seien. – Zur Linken des Einganges befindet sich ein an die Fabrik grenzender mächtiger Raum, welcher den „Walzenpark“ umfaßt, während auf der anderen Seite der Halle sich die Vorrathsräume anschließen. Neben der Halle liegt ein großer Hof, in welchem die Halbproducte aufgestapelt sind und der von dem Gußstahlwerk begrenzt ist.
In dem Eisenwerke werden nun aus dem Rohmaterial, welches in den Borsig’schen Hüttenwerken in Oberschlesien gewonnen wird, sämmtliche Eisen- und Stahlmaterialien für die, wie wir bemerkten, in der Stadt selbst befindliche Locomotivenfabrik hergestellt; und zwar alle Sorten von Stahl- und Façoneisen, Bleche, schmiedeeiserne Wellen bis zu einem Gewichte von hundert Centnern, Achsen für die Locomotiven, Tender und Eisenbahnwagen in Feinkorneisen und Gußstahl, Façonschmiedestücke jeder Art in beiden Materialien, sowie Bandagen im Gesammtquantum von zweihundertfünfzigtausend Centnern pro Jahr. Die Zahl der Arbeiter des Werkes beläuft sich auf etwa achthundert Mann, welche in Schichten von zwölf zu zwölf Stunden beschäftigt werden, so daß also die Fabrik Tag und Nacht in Thätigkeit ist. Nach je vierzehn Tagen tritt eine Pause von vierundzwanzig Stunden zur Reparatur der Oefen ein, zu deren Erheizung dreizehn- bis vierzehntausend Lasten Kohlen im Jahr erforderlich sind. Der Hofraum, welcher hinter der Fabrik zwischen dieser und dem Spreeufer sich ausdehnt, umschließt eine bedeckte Badeanstalt für die Arbeiter mit lauwarmem, aus der Fabrik geleitetem Wasser. Diese ist in origineller Weise construirt und das Bassin auf der einen Seite niedrig (zum Gebrauch für die Lehrburschen), auf der andern Seite tief und zum Schwimmen geeignet (für die Gesellen) eingerichtet; dasselbe wird im Winter erwärmt. Jede die Arbeit verlassende Schicht von Arbeitern benutzt vor dem Heimgange diese Badeanstalt.
Ganz erfüllt von den empfangenen Eindrücken, gelangen wir, an jenem im Eingange erwähnten Schornsteine vorüber, wieder in den Vorhof, auf welchem soeben eine große Partie verarbeiteten Rohmaterials aufgeladen wird, um in dem Berliner Etablissement seiner weiteren Bestimmung entgegengeführt zu werden. Wir aber wollen von Moabit nicht scheiden, ohne dem berühmten Borsig’schen Garten, einer der hervorragendsten Sehenswürdigkeiten in den Umgebungen Berlins, einen Besuch abgestattet zu haben. Der jetzige Besitzer, Commercienrath Albert Borsig, der einzige Sohn und Erbe des verewigten Gründers dieser Werke, gestattet mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit Fremden den Eintritt in seinen Garten, welcher, namentlich durch seinen großartigen Camellienflor, einen europäischen Namen erlangt hat, aber auch zu anderer Zeit, im Sommer, viel des Herrlichen und Bewunderungswürdigen bietet. Man begreift es, daß Friedrich Wilhelm der Vierte dem verstorbenen Borsig bei einem Besuche des Gartens einmal zurief: „Wenn ich doch so wohnte, lieber Borsig!“
Ein breiter, sauber gehaltener, mit Kies belegter Gang führt durch den herrlichen Park nach der Villa, in welcher der Fabrikherr wohnt und für welche die Bezeichnung „Wohnhaus“ allerdings viel zu bescheiden ist. Breite, große Rasenstrecken, bestanden mit schattigen Eschen, Rüstern und Ulmen, durchziehen den ganzen Theil des Parkes vor dem Wohnhause und zeigen hinter zierlichen Gittern ein Gehege, in welchem sich zahme Rehe herumtummeln. Ein breites Portal, welches neben dem neuangebauten Flügel des Wohnhauses liegt, führt uns in das Gewächshaus, das im Winter auf der einen Seite eine wirklich zauberhafte Mannigfaltigkeit von Camellien umschließt und auf der andern Seite an ein großartiges Palmenhaus stößt. Dies letztere gewährt, ebensowohl durch seinen reichen Inhalt wie durch die sinnige und überaus malerische Anordnung einen überraschenden Anblick. In der Mitte glitzert ein großes Bassin, aus welchem sich, beschattet von Fächer- und Dattelpalmen, die Marmorfigur eines badenden Mädchens auf einem Tropfsteinfelsen erhebt, über den eine Cascade herabrieselt. Die Figur ist ein Meisterwerk des Bildhauers Cantardini in Mailand und trägt nicht wenig dazu bei, den Eindruck des Palmenhauses zu verschönen. Aus dem letzteren treten wir direct in den Blumengarten, welcher die Hinterfront des Wohnhauses umkränzt und zur Zeit in einem Rosenschmuck prangt, der jeder Schilderung spottet. Diesen Theil des Gartens grenzt eine Marmorbank ab, vor der sich auf schlanker Säule die Marmorbüste des verstorbenen Borsig erhebt, ein Meisterwerk Rauch’s. Mehrere Wege führen nun in den weit ausgedehnten, bis an die Spree reichenden Park mit vielen schattigen Gängen, auf denen man ab und zu Halt macht, um die einzelnen seltenen Bäume und Anlagen zu bewundern. Wir bleiben vor einem hohen eisernen Hause stehen, in dem sich zwei Araucarien oder Chili-Tannen erheben, Coniferen von wunderbarer Gestalt, welche in ihrer Heimath einhundertundzwanzig Fuß hoch werden und hier bereits eine Höhe von sechszig Fuß erreicht haben. Vor diesen Bäumen dehnt sich eine kleine, völlig bezaubernde Tropenlandschaft aus; ein Wasserfall bildet einen sich weit ausdehnenden und reich bevölkerten Goldfischteich, neben welchem sich ein Victoria-Regia-Haus erhebt. Die Ufer dieses Teiches sind mit Tropenpflanzengruppen reich verziert: Fächerpalmen wechseln mit einer Baumfarrengruppe ab; hier prangt eine Cycas-, dort eine Dracänengruppe; dazwischen erglänzen niedrige, buntfarbige Blattgewächse, und das Auge weiß nicht, wohin es sich in diesem Formenreichthum der seltenen Pflanzen zuerst wenden soll, welche sich auf dem dunklen Hintergrunde des Parks wirksam abheben.
Einen eigenen Anblick gewähren die Nymphäen auf dem Teiche mit ihren duftigen und in röthlichen Schattirungen prangenden Blüthen, welche den Eindruck der Tropenlandschaft vollenden. In der That, man glaubt vor dem illustrirten Blatte eines morgenländischen Märchens zu stehen und trennt sich nur schwer, dem
[556][558] Ausläufer des Teiches folgend, um dem Spreeufer zuzugehen, über dem sich, den Garten abschließend, eine zierliche Veranda erhebt. Noch einmal blicken wir von hier aus auf all’ diese Herrlichkeit zurück, welche – eigenthümlich genug – auf der ehemaligen „Terre maudite“ erstanden und ihren Spottnamen „terre de Moab“ Lügen straft.
An dem Wohnhause wieder angelangt, bemerken wir eine geräumige, reich bevölkerte Volière, deren bunt befiederte Bewohner einen heitern Anblick darbieten. Noch durchstreifen wir flüchtig den großen Obst- und Gemüsegarten, um dann vom Eingang zu dem Eisenwerke aus uns dem Zuge der Wagen anzuschließen, welche das Rohmaterial in die Locomotivenfabrik nach Berlin führen.
Dicht vor dem Oranienburger Thor in Berlin, und zwar zur Rechten von der Stadt aus, liegt die große Borsig’sche Eisengießerei und Maschinenbauanstalt. Dieselbe hat ihre Thätigkeit in einer kleinen Eisengießerei im Anfange des Jahres 1837 mit fünfzig Arbeitern begonnen und umfaßt jetzt einen Flächenraum von 368,000 Quadratfuß, auf welchem sich ein ganzes weitverzweigtes und von sechs oder sieben Thürmen gekröntes System von Gebäuden, in Rohbau ausgeführt, erhebt. Erst im Jahre 1862 haben diese Baulichkeiten durch den Flügel für die Bureauräume, zur Linken des Eingangs, und eine die ganze Front begrenzende Veranda (ein Meisterwerk des Professor Strack) ihren Abschluß erhalten. Durch jene Veranda treten wir in den Vorhof, welcher von einem Bassin und einer daranstehenden Thurmuhr begrenzt zu sein scheint. Die beiden Säulen des Einganges zieren zwei Gruppen, zur Rechten des Eintretenden einen Maschinenbauer darstellend, welcher eine Locomotive hält und von zwei Gehülfen umgeben ist, zur Linken, dem entsprechend, drei Arbeiter, von welchen der mittelste eine Dampfmaschine trägt. Dem Eintretenden zur Linken liegt das erwähnte stattliche Gebäude, welches im Erdgeschoß kaufmännische und technische Bureaux, die Empfangszimmer des Chefs und im ersten Stock den Conferenzsaal enthält, dessen sinnige Zierde die Darstellung der Anstalt in ihren verschiedenen Entwickelungsstadien bildet. In dem Flügel, welcher diesem Gebäude gegenüberliegt, befindet sich zunächst der große, geräumige Speisesaal, welcher zweitausend Menschen umfaßt und dazu dient, die Arbeiter zum Frühstücke und zur Mittagsmahlzeit zu vereinigen. Dicht neben dem Eingange dieses Saales liegt die Restauration, ihr gegenüber erblickt man die Kolossalbüste Borsig’s und davor eine Rednertribüne. Zwischen den Pfeilern der Fenster und der ganzen gegenüberliegenden Wand erblicken wir Fahnen und Banner mit den wichtigsten Daten der Chronik dieser Anstalt, so den 22. Juli 1837, an welchem der erste Guß, den 24. Juni 1841, an welchem die erste Locomotive, und zwar für die Berlin-Anhaltische Eisenbahn, gefertigt wurde, den 29. August 1846, an welchem die hundertste, den 23. März 1854, an welchem die fünfhundertste, den 21. August 1858, an welchem die tausendste Locomotive vollendet wurde, den 22. Juli 1862, an welchem das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der Fabrik gefeiert wurde, und den 2. März 1867, den Jahrestag der zweitausendsten Locomotive, welche neuerdings mit der großen goldenen Medaille auf der Pariser Weltausstellung gekrönt worden ist. Ueber der Restauration erblicken wir den Spruch:
„Zum guten Werk ein guter Trunk,
Hält Meister und Gesellen jung!“
An diesen Speisesaal, welcher, beiläufig gesagt, zu Zeiten der Landtagswahlen für Versammlungen aller Art benutzt zu werden pflegt, schließen sich die Tischlerei, die Modellkammern und ein Bretterschuppen.
Das Borsig’sche Etablissement ist schon so vielfach geschildert worden, daß eine eingehendere Beschreibung der verschiedenen Werkstätten hier nicht in unserer Absicht liegt; es kam uns vielmehr nur auf ein Totalbild an, wie es sich bei einem Gange auch für den Nichttechniker gewinnen läßt. Wir beginnen diesen Gang mit der Eisen- und Metallgießerei und kommen hier zunächst in einen großen Raum zum Betriebe von Sand-, Lehm- und Massenformerei, in welchem sich die Trockenkammern befinden und aus zwei Cupolöfen und einem Flammenofen gegossen wird. Durch einen Nebenhof gelangen wir nun in das System von Werkstätten, in welchen die einzelnen Maschinentheile fabricirt werden.
Still und geruhsam arbeiteten die Former in den Räumen, welche wir bisher durchschritten. Um so bewältigender wirkt der Gegensatz, zu dem wir jetzt in der Dreherei gelangen; hundert
[780][782] und aberhundert Räderwerke sind in Betrieb gesetzt, Räder von allen Größen und Arten drehen sich unaufhaltsam im Kreise, greifen ineinander und verursachen einen Lärm, welcher es unmöglich macht, sein eigenes Wort zu hören. Man weiß in der That nicht, wohin man zunächst in diesem Gewirr blicken soll, ob auf die Dampfmaschinen, welche diese Räder treiben, ob auf die Räder selbst. Hier ist eine Cylinder-Bohrmaschine in Thätigkeit, dort wird in dem säulengetragenen, mächtigen Raume durch ganze Gassen gedreht, gehobelt, genuthet, gestoßen. Wie in einem Ameisenhaufen bewegen sich Hunderte von Menschen an diesen Maschinen, oder führen die fertigen Stücke zur weiteren Verarbeitung auf kleinen Wagen mit Windeseile durch die weiten Säle.
Wieder ein wechselnder Eindruck bietet sich in dem folgenden Raume, in dem die fertigen Maschinentheile durch Feuerung weiter verarbeitet werden, und endlich gipfelt sich der Eindruck in dem bis zur äußersten Grenze des Etablissements hinlaufenden Montirschuppen, welcher vierhundert und sechszig Fuß lang und achtundfünfzig Fuß breit ist und dazu dient, die Locomotiven zusammenzustellen. An der nördlichen Seite desselben erblicken wir fünfundzwanzig Krahne, vor jedem derselben eine Locomotive im Entstehen begriffen und in den äußeren Umrissen bereits kenntlich.
Dieser Blick auf diese förmliche Straße von Locomotiven macht einen unbeschreiblich großartigen Eindruck. In der Mitte des Schuppens, welcher ganz und gar von einem Schienengeleise durchzogen ist, sehen wir einen fahrbaren Krahn von mächtigen Dimensionen, welcher einhundert und zwanzig Centner zu heben vermag. Jede der einzelnen Locomotiven steht auf einem hohen Schienenstrange, unter dem sich ein vertiefter Canal befindet, der es ermöglicht, darunter bequem zu arbeiten. Rechtwinklig auf den Montirschuppen stößt der Lackirschuppen, in welchem die Locomotiven angestrichen und lackirt, die Tender zusammengestellt und ebenfalls angestrichen werden. Unmittelbar an diesen Raum grenzt der Saal, welcher zur Beförderung der fertigen Locomotiven dient. Dieser umfaßt eine Hebebühne, die durch einen Wasserthurm von fünfundsechszig Fuß Höhe getrieben wird und welche eine Last von achthundert Centnern auf sechs und einen halben Fuß Höhe zu heben im Stande ist. Von hier werden die fertigen Locomotiven in die Borsigstraße auf einen eigenen Schienenstrang gehoben und durch Pferde nach dem Stettiner Bahnhof gezogen, was jedoch auch durch die eigene Kraft der Maschine geschehen könnte. Durch diesen Strang ist die Borsig’sche Fabrik direct mit allen Eisenbahnen des Continents in Verbindung gesetzt.
Mehr als zweitausend Locomotiven – denn auch das erste Hundert des dritten Tausend ist bereits erfüllt – haben auf diesem Wege die Fabrik verlassen. Der größte Theil davon ist in Norddeutschland geblieben, doch auch auf süddeutschen Bahnen, in Oesterreich z. B., ferner in Dänemark, in Polen, in Rußland, in Holland und Ostindien sind die Borsig’schen Locomotiven zu finden. Mit wahrhafter Ehrfurcht wird man erfüllt, wenn man bedenkt, aus wie kleinen Anfängen und wie nur durch den eigenen Fleiß und die Selbstthätigkeit eines einzigen Menschen diese großartige Fabrik entstanden ist, in deren verschiedenen Sälen und Werkstätten das stattliche Heer von nahe an zweitausend Arbeitern beschäftigt ist.
Zur Beleuchtung des Grundstückes und der Werkstätten ist eine eigene Gasanstalt errichtet, welche über zwölfhundert Flammen speist. In langen Winternächten wird jedoch auch städtisches Gas zu Hülfe genommen. Zum Betriebe der Werke sind acht Dampfmaschinen in Thätigkeit, welche an dreihundertundfünfzig Dreh-, Bohr- und Hobelmaschinen, Fraisen, Scheeren, Niet- und Nuthmaschinen, sowie die Schleifereien betreiben und in vier Ventilatoren den Wind für hundert Schmiedefeuer und zwei Cupolöfen erzeugen. 1841 lieferte die Fabrik ihre erste Locomotive, die einzige in diesem Jahr, 1866 hat sie nicht weniger als einhundertvierundsechszig in die Welt gesandt, und auf allen Weltausstellungen, die bis auf diesen Tag stattfanden, haben die Borsig’schen Locomotiven erste Preise erhalten.
Wie ungeheuer der Bedarf an Material in diesen Fabriken ist, kann man sich leicht denken; wurden doch im verflossenen Jahre an Schmiedeeisen allein über hundertdreißigtausend Centner verarbeitet und, außer den Coaks, eine Quantität von mehr als fünfzigtausend Tonnen Steinkohlen verbrannt.
Das Roheisen wird in dem Borsig’schen Hüttenwerke in Oberschlesien gewonnen; sämmtliches Schmiedeeisen, sowie alle geschmiedeten und gewalzten Eisensorten werden in dem Walz- und Eisenwerk zu Moabit ausgeführt. Während bis zum Jahre 1841 der Bau von Maschinen aller Art für das In- und Ausland betrieben wurde, für welche unter Anderm die großen Wasserwerke von Sanssouci, die Pumpen und Dampfkessel zu den Berliner Wasserwerken, die Dachconstruction der Bahnhalle in Krakau und des Hamburger Bahnhofes in Berlin, die großen Eisenbahnbrücken über Spree, Havel, Elbe etc., die Kuppel der Berliner Schloßcapelle und der Nicolaikirche in Potsdam gefertigt wurden, befaßt sich das Etablissement in Berlin jetzt ausschließlich mit dem Locomotivenbau; die Aufträge auf andere Maschinen werden in der Maschinenbauanstalt in Moabit, welche vierhundert Arbeiter beschäftigt, ausgeführt.
Die Leitung dieser ganzen, großartigen Etablissements führt der einzige Sohn Borsig’s, der im Jahre 1829 in Berlin geborene Commercienrath Albert Borsig, ganz im Sinne und Geiste seines Vaters, dessen Anlagen er nach jeder Richtung hin vergrößert und erweitert hat.
Eine Anzahl von Civilingenieuren ist gewissermaßen die erste ausführende Behörde. Von ihrem sogenannten Constructionsbureau gelangen die Arbeiten an die Oberwerkführer, welche den einzelnen Abtheilungen vorstehen. Die Arbeit wird in Accord geliefert, und die Löhnung erfolgt an jedem Sonnabend in den einzelnen Werkstätten. Daß die Arbeiter unter sich Spar- und Krankencassen und ähnliche Hülfsinstitute haben, bedarf keiner Versicherung. Die Chronik der Anstalt sieht nach dem alten Worte:
„Tages Arbeit, Abends Gäste,
Saure Wochen, frohe Feste“,
neben ihren rühmlichen Resultaten aber auch auf manches frohe Fest zurück, an welchem sich die ganze Stadt Berlin, wie z. B. bei der Feier aus Anlaß der Vollendung der tausendsten Locomotive, des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums etc., betheiligte.
In den Gedenkbüchern der Industrie Berlins, Deutschlands, ja Europas werden die Borsig’schen Fabriken nicht minder durch ihren ganzen Entwickelungsgang, als durch ihre großartigen Leistungen sich unstreitig für alle Zeit einen bleibenden Ruhm bewahren.