Das achte deutsche Bundesschießen in Leipzig
Das achte deutsche Bundesschießen in Leipzig.
In den Tagen vom 19. bis 27. Juli wird in Leipzig das achte deutsche Bundesschießen abgehalten und die ehrwürdige, an geschichtlichen Erinnerungen so reiche Stadt wird Tausende von lieben Gästen aus dem Reich und den stamm- und sprachverwandten Landen beherbergen. Das gastliche Leipzig, das in früheren Jahrhunderten und noch bis in das zweite Jahrzehnt des unsrigen, von den Meßfreunden und Meßfremden abgesehen, fast nur ungeladene und unwillkommene Gäste in Schaaren Einzug in seinen Thoren halten sah, das wie irgend eine Stadt unter der Drangsal dieser unholden Gäste, feindlicher Heeresmassen, gelitten hat, es ist längst eine Stätte des Friedens geworden, und freudig begrüßt es, wie vor einundzwanzig Jahren die deutschen Turner und Veteranen von 1813, so in diesem Jahre die deutschen Schützen.
Sind sie, die jetzt in Leipzig traulich zusammentreffen, doch insgesammt von deutschem Blute, von deutscher Gesinnung. Und woher sie auch immer kommen, aus Nord und Süd, aus Ost und West des großen deutschen Vaterlandes, aus Oesterreich und der Schweiz, aus den Niederlanden, selbst von jenseits des Oceans: sie alle sind einig in dem stolzen Gefühl, der gemeinsamen Mutter Germania Kinder zu sein, die kein Bruderhaß mehr trennt und die voll Vertrauen zu dem Throne emporblicken, auf welchem nach jahrzehntelangem Interregnum wieder ein deutscher Kaiser waltet, Wilhelm der Hohenzoller, der Siegreiche und Friedensfürst zugleich. Da darf schon die gut deutsche Stadt Leipzig sich in ihr schönstes Festgewand werfen, so liebe Gäste mit offenen Armen als freundliche Wirthin zu empfangen, und die Vorbereitungen, welche sie zur Aufnahme der Schützenbrüder aus allen Gauen Deutschlands und über seine Grenzen hinaus, so weit die deutsche Zunge klingt, getroffen hat, sind, denke ich, der Wirthin wie der Gäste gleich würdig. Leipzig hat in der That aufgeboten, was in seinen Kräften stand, um hinter den sieben Feststädten, in denen bisher deutsche Bundesschießen abgehalten worden sind, nicht hintanzustehen, sondern, wenn möglich, noch mehr zu bieten, als jene.
Ganz besonders zu statten kommt der Stadt Leipzig dabei, daß, südöstlich von der Stadt – rechts vom Waldesgrün umsäumt, zur Linken von der Pleiße umströmt – ihr ein Festplatz zur Verfügung gestellt wurde, wie er für einen derartigen Zweck kaum günstiger gedacht werden kann, und die Festhalle, die hier im Bilde wiedergegeben wird, ist an sich schon geräumig genug, um den Schützen auch gegen eine etwaige Unbill der Witterung zum Unterschlupf zu dienen. Ein stilvoller Gabentempel, vortreffliche Schießstände schließen sich an. Volksbelustigungen der mannigfachsten Art sind in Aussicht genommen, um den Schützen das Fest so genußreich und kurzweilig wie möglich zu machen.
Die Stadt Leipzig hat aber auch allen Grund, gerade die deutschen Schützen mit allen Ehren zu empfangen. Es mag ja manche geben, welche das ganze Schützenwesen für eine veraltete Einrichtung halten, und diese würden mit ihrer absprechenden Behauptung auch im Rechte sein, wenn die Schützengesellschaften sich dem Geiste der Neuzeit, der mit allem Alten, ihm Widerstrebenden gewaltig und rücksichtslos aufräumt, nicht angeschmiegt hätten. Daß sie dies thaten, dazu fähig waren, das zeugt aber doch für die unversiechliche Lebenskraft, welche dem Schützenwesen, einer der ehrwürdigsten Institutionen, die wir von unseren Vorfahren noch aus den Zeiten des Mittelalters überkommen und in die Neuzeit glücklich herübergerettet haben, innewohnt. Haben doch gerade die deutschen Schützen in jenen Tagen, als Alles auf einen Umschwung der Verhältnisse hindrängte, als Deutschlands großer Kanzler eben begann, am Unterbau des neuen deutschen Reiches zu zimmern, sich kräftig aufgerafft und sich zusammengethan zu einem großen deutschen Schützenbunde, der eine Verbrüderung aller deutschen Schützen, eine Vervollkommnung der Schießfähigkeit derselben und eine Hebung der Wehrkraft unseres Volkes erstrebt.
So können auch sie einmal, wenn je dem deutschen Reiche, das ja ein Reich des Friedens sein will, ein äußerer Feind wieder erstünde und Deutschlands Söhne zur Vertheidigung des Vaterlands die Waffen in die Hand zu nehmen gezwungen sein sollten, unserem Vaterlande noch gute Dienste thun, und wenn auch das Reich in seinem Heere einen starken Schutz und Schirm besitzt, so ist es doch immer gut, wenn auch die Aelteren, welche ihrer Heerespflicht längst genügt, sich im Waffenhandwerk üben und die Kunst, sicher ihr Ziel zu treffen, nicht verlernen. Bedarf das Vaterland dieser Kräfte nicht, reicht seine junge dienstpflichtige Mannschaft aus, jedem feindlichen Anprall Trutz zu bieten, um so besser! Ist es doch auch der Zweck unseres deutschen Heeres, nur für den Nothfall gerüstet zu sein und durch seine Kampfbereitschaft das Eintreten eines solchen Nothfalls nach besten Kräften zu verhindern. Darum scheint es mir auch keine bloße Spielerei, nicht ein bloßer Drang zum Vergnügen zu sein, was unsere Schützen antreibt, Büchse oder Armbrust zu handhaben; ein sicherer Blick, eine sichere Hand ist viel werth, und es gilt das ja nicht nur für den Krieg, sondern auch für die Tage des Friedens.
Ja, vergessen wollen und dürfen wir keinen Augenblick, daß, wenn irgendwo, so hier im heitern Spiel auch ein tiefer Sinn liegt. Und um dies recht zu verstehen, um recht zu erkennen, daß das Schützenwesen, unbeschadet des Wechsels der Zeiten, auch jetzt noch eine höhere Bedeutung hat oder doch im Falle der Gefahr haben kann, ist es gut, wenn [482] wir uns vergegenwärtigen, daß eben dies Schützenwesen die starken Wurzeln seiner Kraft in unserem Volksthume, im deutschen Bürgerthume hat, als der letzte Rest jener allgemeinen Waffenfähigkeit, wie sie im Mittelalter den Bewohnern der Städte zustand und wie sie diesen gegen die damaligen Uebergriffe von Seiten des Adels und auch so mancher Fürsten unentbehrlich war. Was den Rittern auf ihren Burgen Schwert und Speer, das war dem schlichten Bürgersmann in jenen Zeiten bis zur Einführung der Schußwaffen vor Allem seine Armbrust; diese stets geschickt zu handhaben, mußte der auf seine Selbstständigkeit bedachte Bürger sich ebenso angelegen sein lassen, wie der Ritter die Handhabung von Schwert und Speer. Und was den Rittern ihr Turnier war, ein Wettkampf um den Preis, wer es im Waffenhandwerke am weitesten gebracht, das war den Bürgern des Mittelalters und noch der folgenden Jahrhunderte ihr Freischießen, an dessen Stelle jetzt als größeres Fest, als Verbrüderungsfest aller deutschen Schützen die deutschen Bundesschießen getreten sind. Als dann der Gebrauch des Schießpulvers immer allgemeiner wurde, da schritten auch die alten Schützengilden wacker mit dem Zeitgeiste fort, und neben der Armbrust, von der sich manche nicht trennen mochten, fand auch bei den Schützen mehr und mehr die Büchse Eingang. Gerade zu jener Zeit, als sich diese Umwandelung mit Erfolg vollzog, stand das deutsche Schützenwesen auf seinem Höhepunkte, und wie jetzt die deutschen Bundesschießen den Betheiligten als Preiskämpfe und Verbrüderungsfeste zugleich dienen, so damals die deutschen Freischießen, welche irgend eine Stadt veranstaltete und zu denen befreundete Fürsten, Adelige und Städte geladen wurden; nur daß natürlich die Betheiligung an solchen Festen von auswärts damals noch keine so große war wie jetzt.
Trotzdem liefert unter Anderem die von Johann Fischart erzählte Geschichte von dem Topfe mit warmem Hirsebrei, den die Züricher in rascher Fahrt mit zum Straßburger Freischießen brachten, schon einen Beweis, wie auch die Bewohner ferner liegender Städte sich gern zu solchem Freischießen einstellten, und wenn jene Geschichte andeuten soll, daß die Züricher auch in der Stunde der Gefahr so rasch hülfsbereit in Straßburg sein könnten, so hielten ja die Schützen dieser Städte, hielten die Städte selber, wenn Noth an den Mann ging, treu zusammen. Daß sie dies aber im Kriege thun konnten, dazu trugen eben jene alten Freischießen, wie sie unter diesem Namen in der Schweiz noch jetzt fortbestehen, redlich das Ihrige bei, und bei diesen Festen ward manches Schutz- und Trutzbündniß zur Abwehr gemeinsamer Gefahr geschlossen, vor Allem aber lernten die Bürger der verschiedenen Städte bei solchen festlichen, fröhlichen Gelegenheiten einander kennen und werthschätzen.
Kein Wunder daher, daß diese Freischießen weit und breit sich großer Beliebtheit erfreuten, und es war ein besonders glücklicher Gedanke, daß das Festcomité zum diesmaligen Bundesschießen beschlossen hat, dem Festzuge, welcher am 20. Juli, von dem Herold der Stadt Leipzig geführt (vergl. unsere Anfangsvignette), sich durch die Straßen von Leipzig nach dem Schießplatze bewegen soll, zwischen die verschiedenen Schützenabtheilungen eine Anzahl historischer Gruppen einzureihen. Die interessanteste von ihnen wird jedenfalls die von L. Frenzel hier im Bilde vorgeführte sein, welche einen Zug der Schützen zu solch einem Freischießen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts darstellt. An der Spitze dieser Zuggruppe marschiren vier Trompeter, denen der Stadtvogt folgt. Hieran reihen sich eine Anzahl Stadtknechte, hinter denen zwei Pfeifer, lustige Weisen aufspielend, einherschreiten; dann kommt der Kranzherr, eine bei solchen Freischießen unentbehrliche Persönlichkeit, hierauf Kinder mit Fahnen, ein Trommler und ein Pfeifer; den Mittelpunkt dieser Gruppe bildet die „Trage“ mit Preisgeschirr aller Art, umgeben von vier Pritschmeistern, in jener Zeit den Lustigmachern, Festdichtern, beziehungsweise Verherrlichern und auch Preisrichtern zugleich, sowie von je zwei Zielern und Canzlisten, denen sich die Rathsherren der betreffenden Stadt und unter Vorantritt von Pfeifer und Trommler der Schützenhauptmann, der Fahnenträger und die ganze alte Schützengilde mit den fremden Schützengästen anschließen, – ein jedenfalls ebenso farbenreiches wie naturgetreues Conterfei des Schützenwesens in der sogenannten guten alten Zeit, da eine Schützengilde selbst noch eine politische Macht war und Fürsten und Adel dieser Macht oft genug Rechnung tragen mußten.
Diese ehemalige politische Bedeutung der Schützengilden, sie ist freilich dahin, dank der veränderten Kriegsführung und den Schranken, welche zum Wohle des großen Ganzen der bürgerlichen Freiheit ebenso wie der des Adels und der vormaligen absoluten Gewalt der Fürsten in Deutschland mit der Zeit gezogen wurden, gezogen werden mußten. Nun, unsere jetzigen deutschen Schützen werden den Verlust der Macht, welche ihre Vorfahren besaßen, leicht verschmerzen in dem stolzen und erhebenden Bewußtsein, daß sie es verstanden, mit der Zeit gleichen Schritt zu halten, und sich begnügten, aus den glanzvollen Tagen des alten Schützenwesens nur das zu retten und zu bewahren, was zu retten war. Als dienendes Glied des großen Ganzen ist auch das deutsche Schützenthum der Jetztzeit von hoher, nationaler Bedeutung, und so dürfen die deutschen Schützen wie ihre Vorfahren von sich sagen, daß auch sie sich bisher auf der Höhe der Zeit, auf der Höhe ihrer Zeit gehalten haben. Und solange unsere Schützengesellschaften rüstig mit dem vorwärtsdrängenden Geiste der Neuzeit fortschreiten und vor allem das deutsche Banner hochhalten, ist auch das Schützenwesen im Reich keine veraltete Einrichtung, und so wird Germania, welche, wie dies das beistehende Schlußbild zeigt, von Friedensboten umgeben, auf hochragendem Throne mit im Festzug erscheint, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die Zahl derjenigen holden Frauengestalten sich mehren sehen, welche als Darstellerinnen der bisherigen Bundesfeststädte traulich zu ihren Füßen sitzen.Karl Siegen.