Der Beherrscher eines Kleinstaates/2.

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Autor: höherer sächsischer Beamter
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Titel: Der Beherrscher eines Kleinstaates
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 806–808
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Heinrich LXXII. von Reuß-Ebersdorf
vergleiche dazu: Der Beherrscher eines Kleinstaates
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Der Beherrscher eines Kleinstaates.[1]


Wenn wir den bereits mitgetheilten Zügen und Scenen aus dem Leben und Wirken Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten noch eine zweite, einer anderen Feder entflossene Charakterschilderung desselben folgen lassen, bedarf es wohl kaum der Versicherung, daß wir damit der Persönlichkeit dieses einstmaligen Regenten eine geschichtliche Bedeutung nicht beilegen wollen. Dennoch ist es nicht blos ein psychologisches Interesse, nicht blos das Ergötzen an einer charakteristischen Figur, wodurch die Gestalt des Mannes unserer Aufmerksamkeit sich nahe legt, sondern vor Allem doch der Umstand, daß dieser Sonderling nicht ein Privatmann, sondern unter dem Schutze des hohen Bundestages der unumschränkte Beherrscher eines Landes, daß das Wohl und Wehe von immerhin vierundzwanzigtausend menschlichen Wesen den verkehrten Anschauungen und Begriffen, den willkürlichen Einfällen, Leidenschaften und Launen eines solchen Menschen anheimgegeben war. Vierundzwanzigtausend sicher zum großen Theile gesittete und gebildete Deutsche standen schutzlos und ohnmächtig seinem oft unzurechnungsfähigen Willen gegenüber, mußten ihm Treue und Gehorsam schwören, sich der Liebe und Ehrfurcht gegen ihn befleißigen, vor ihm im Staube kriechen, für ihn nöthigenfalls in den Tod gehen, bei jeder Beschwerde über ihn, jedem Tadel oder jeder Auflehnung gegen ihn die Strafe der Majestätsbeleidigung oder des Hochverraths erwarten und in den Kirchen dem lieben Gott an jedem. Sonntage für das Glück danken, von einem solchen Fürsten beherrscht zu werden!

Die Kleinheit eines Gemeinwesens ist an sich kein Uebel, sondern kann unter Umständen ein Vorzug und eine Bürgschaft glücklicher Zustände sein. Nicht in ihrem geringen Umfange liegt das Unglück der kleinen Staaten, sondern in der bisherigen Unverantwortlichkeit ihrer Gewalthaber, die nach oben durch keine Schranke ihres Beliebens, von unten her nicht durch eine imponirende Volkskraft in Schach gehalten werden. Selbst in einem absolutistisch regierten Großstaate ist ein Despotismus nicht möglich, wie er bei einigem guten Willen von den souveränen Fürsten kleiner deutscher Staaten und ihrem Anhange von Bedienten und Schmeichlern noch vor nicht allzulanger Zeit im hellen Tageslichte des neunzehnten Jahrhunderts verübt zu werden vermochte.

Möge man daher in dieser Beziehung Heinrich den Zweiundsiebenzigsten nicht als eine zu starke Abnormität und Ausnahme betrachten. Was bei ihm in so auffallenden Formen zu Tage getreten, wird von jedem Kenner deutscher Zustände nur als der schiefe, verschrobene, barock-originelle, aber durchaus consequente Ausdruck gewisser specifischer Anschauungen, Neigungen und Charaktereigenschaften erkannt werden, wie sie die ganze Erziehung und Stellung vieler kleiner Fürsten, namentlich der Widerspruch zwischen ihrer großen Bedeutungslosigkeit nach Außen und einer fast gottähnlichen Macht nach Innen auch an andern deutschen Höfen in den verschiedensten Gestalten erzeugen mußte. Mit wenigen Ausnahmen – die weisen und trefflichen unter ihnen werden uns dies zugestehen – sind die kleinen Fürsten und ihre Familienmitglieder extravagante Menschenkinder mit scharf ausgeprägter Seltsamkeit gewesen. Und wenn irgendwo, so liegen in der neuern Geschichte dieser Familien und ihrer Länder noch ungehobene und unenthüllte Schätze von interessanten Geheimnissen, merkwürdigen Beiträgen zur Geschichte deutscher Cultur, deutschen Elends und auch deutschen Gemüths und Humors, welche die schriftstellerischen Kräfte der verschiedenen deutschen Länder dem Publicum nicht vorenthalten sollten. Möchten unsere Artikel über den letzten Ebersdorfer hierzu eine Anregung und ein erster Anfang sein.

Was wir dieses Mal über denselben mittheilen, ist wörtlich aus den noch ungedruckten Denkwürdigkeiten eines ehemaligen königlich sächsischen höheren Staatsbeamten entlehnt, welcher sich im Sommer 1848 längere Zeit in politischen Missionen in den reußischen Fürstenthümern aufgehalten hat.

Der Charakter des Fürsten Heinrich des Zweiundsiebenzigsten stellte sich als kalt-egoistisch dar und in der Stellung, welche der Fürst einnahm, mußte er daher als in hohem Grade hochmüthig erscheinen. Dazu kam ein heftiges, reizbares Temperament, welchem er die erforderlichen Zügel anzulegen weder Lust noch Kraft hatte. Er gehörte zu den Willensschwachen, welche sich mit den Worten: „Ich bin nun einmal so!“ für alle Unziemlichkeiten hinlänglich entschuldigt und darauf hin das Recht zu haben, glauben, sich fernerhin nach Belieben gehen zu lassen. „Ich bin zu nervös,“ sagte er selbst sehr häufig von sich und ahnte nicht, daß er sich, als Regenten, damit selbst das Urtheil sprach. Sein Hochmuth zeigte sich gleich von seinem in noch jungen Jahren erfolgten Regierungsantritte, 1824, an in den von ihm erlassenen Verordnungen, in deren Eingange er sich stets als regierenden und souverainen Fürsten bezeichnete, was früher nie üblich gewesen war (wenigstens nicht in der jüngeren reußischen Linie).

Der Gedanke an seine Souverainetät verfolgte ihn bei allen seinen Handlungen und verleitete ihn zu unverantwortlichen Dingen. So sagte er einmal zu einigen Soldaten, welche auf der Jagd als Treiber benutzt worden und ungeschickt gewesen waren: „Ihr Kerls glaubt wohl, ich brauche erst Jemand, um Euch todtschießen zu lassen? Hier ist mein Schrotgewehr (den Hahn aufziehend) und mit dem will ich Euch so viel Blei in den Leib jagen, daß Ihr genug haben sollt!“ Häufig ließ er die Aeußerung hören: „Der Kaiser von Oesterreich ist auch nicht mehr, als ich!“ Im März 1848 hatte er von der Absicht gesprochen, nach Frankfurt zu gehen, um sich als deutschen Kaiser ausrufen zu lassen, und nur die Erinnerung seiner Umgebungen an seinen „nervösen“ Zustand hat ihn von der Idee wieder abgebracht.

Wiederholt hatte er in der letzten Zeit Werth darauf gelegt, daß er seit dreizehn Jahren damit umgegangen sei, den Ländern der jüngeren Linie eine Repräsentativ-Verfassung zu geben, und daß nur sein Vetter, Fürst Heinrich der Zweiundsechzigste zu Schleiz, dazu nicht seine Einwilligung habe geben wollen; soviel ich jedoch habe in Erfahrung bringen können, mag auch die Verfassung nicht eben die liberalste gewesen sein. – Sein Hochmuth und sein kalter Egoismus mußten natürlich diejenigen zumeist treffen, die ihm am nächsten standen, die Hofdienerschaft, die Beamten und die Officiere.[2] Es ist unglaublich, wie viel und oft mit welchem Gleichmuthe sich die Leute von ihm gefallen ließen. Einen alten Diener, der schon bei seinem Vater Tafeldecker gewesen war, schlug er einst mit der geballten Faust auf’s Auge, daß dasselbe schwarzblau unterlief. Den folgenden Tag wollte er ihn nach Lobenstein schicken, der alte Mann sagte aber: „Nein, das will ich Ew. hochfürstlichen Durchlaucht nicht zu Leide thun, denn käme ich nach Lobenstein, wo die Leute wissen, daß ich nicht der Mann bin, der sich in den Schänken herumprügelt, so sähen sie gleich an meinem Auge, daß Ew. Durchlaucht mich geschlagen hätten, und ich möchte doch nicht gern, daß sie das erführen.“

Seine Beamten und Officiere haben erst, seitdem er sich aus dem Lande entfernt hatte, frei aufgeathmet und behaupteten im Scherze, die in seiner Nähe verlebten Jahre müßten ihnen als Campagnejahre doppelt angerechnet werden. Er hat fast nie einen Tadel anders als ehrenrührig ausgesprochen und Bezeichnungen als Hochverräther und dergleichen sind nicht selten vorgekommen. Dabei hat er ihnen sehr häufig gesagt: „Glauben Sie, daß ich einen Beamten halten würde, wenn ich seinetwegen beim Volke in Verlegenheit käme?“

Dem Oberforstrath W. zu Gera, der sich lediglich im fürstlichen Interesse beim Volke mißliebig gemacht hatte, war von ihm, als es den Anschein gehabt, man wolle seinethalben einen Auflauf erregen, ein abgerissenes Stück Papier mit den Bleistiftworten zugeschickt worden: „Wenn Sie nicht ein Capitalvieh sind, so machen Sie, daß Sie fortkommen!“

Der Lieutenant Baron von S. hatte im Jahre 1847 sechsunddreißig bange Stunden neben seiner Frau während einer sehr schweren Entbindung derselben zugebracht und nach deren Erfolg einige Stunden geschlafen. Plötzlich wird er geweckt: er soll sogleich zum Fürsten kommen. Als er bei diesem eintritt, wird er von ihm angefahren:

[807] „Wie kommt es, daß Sie mir das erfreuliche Ereigniß der Niederkunft Ihrer Frau nicht gleich gemeldet haben?“

„Ew. Durchlaucht, ich bitte unterthänigst um Verzeihung! Ich war eingeschlafen, nachdem ich sechsunddreißig Stunden lang an dem Bette meiner armen, schrecklich leidenden Frau zugebracht hatte.“

„So! Sie sind wohl eine Hebamme geworden?“

„Durchlaucht, ich bin ganz bestürzt –“

„Was? Bestürzt? und Sie wollen ein Officier sein? Gehen Sie!“

Als im April 1848 eine Ruhestörung von Lobenstein aus zu befürchten gewesen und daher das Militär aufmarschirt war, tritt der Fürst zu demselben Lieutenant von S. und fragt in Gegenwart der Soldaten: „Sie sehen ja recht blaß aus, mein lieber S., haben Sie vielleicht keine Courage?“

Der Oberforstmeister v. B. bekommt die Nachricht, daß seine Stiefmutter (zugleich die Schwester seiner rechten Mutter) auf dem Todbette liege und ihn noch einmal zu sehen wünsche. Er bittet den Fürsten um Urlaub, doch dieser entgegnet barsch: „Jetzt, wo der Hirsch schreit? Jetzt kann ich Sie nicht entbehren!“ Auf weiteres Bitten sagt er: „Es ist ja noch dazu nur Ihre Stiefmutter. Nichts, nichts!“ Ein ander Mal erscheint B. in Trauer um ein entferntes Glied der fürstlichen Familie vor ihm. Obgleich die Trauer vorschriftmäßig ist, mißfällt ihm dies doch und er ruft ihm gleich beim Eintreten zu: „Ist denn etwa Ihr Vater gestorben?“ Mehrere seiner früheren Beamten, welche später in die Dienste des Fürsten von Schleiz getreten waren, konnten ebenfalls die schlechte Behandlung, die sie zu erdulden gehabt, nicht genug schildern, so z. B. der Oberstallmeister v. S. Der alte Fürst Heinrich der Zweiundsechzigste sagte zu mir: „Ich hätte sie Alle bekommen können, wenn ich gewollt hätte.“ Daß er sonach auch diejenigen seiner Unterthanen, welche mit ihm in Berührung kamen, mißhandelte, ist nicht zu verwundern.

Auf einer Maskerade erscheint ein Herr als französischer Kürassier. Dieser Anzug gefällt ihm nicht und er befiehlt also: „Fort mit dem Kerl von der Maskerade!“ Zu dem Advocaten S., der an der Spitze einer Bürgerdeputation aus Lobenstein vor ihm erscheint, sagt er: „Ihnen sieht man die Malice gleich an!“ Unzählige Fälle von Beleidigungen und Mißhandlungen einzelner Personen, besonders vor den Märzereignissen, werden erzählt. Sein Unwille konnte durch die unschuldigste Veranlassung erregt werden, und dazu zeigte er sich unversöhnlich. Selbst der Fürst Heinrich der Zweiundsechzigste versicherte mir, wer einmal den Hut nach seiner Ansicht nicht tief genug vor ihm abgenommen habe, dem habe er das nie vergeben. Wie er in seinen öffentlichen Erlassen zuweilen mit Schimpfworten, z. B. Zugstiere, freigebig war, ist bekannt.

Ueberhaupt charakterisiren diese Erlasse fast durchgängig den hochmüthigen, kleinen Tyrannen, bis auf die in der letzten Zeit erschienenen, in denen er durch phrasenreiche, seltsam stilisirte Verordnungen eine Anzahl Concessionen machte, denen er nicht aus dem Wege gehen konnte, und dabei versuchte, sich die verlorene Liebe wieder zu erwerben. Wenn er in der Verordnung vom 21. März 1848 „der großen, großen Großzahl Seiner guten Landsleute, namentlich Seinen braven, herrlichen Landbewohnern, Seinen innigsten Dank für ihre Haltung in den letzten Tagen“ ausspricht und dann fortfährt: „Soll ich Euch Meine Wünsche noch sagen? Sie sind: Ein freies, großes, starkes Teutschland, so weit seine Sprache“ etc., so wird man schon in dieser Ausdrucksweise das Berechnete, Absichtliche nicht haben verkennen können, und in der That hat gerade dieser Erlaß allenthalben einen ungünstigen Eindruck gemacht. So war denn sein – dem Vernehmen nach durch eine verkehrte Erziehung Seiten seiner Mutter verbildeter – Charakter die hauptsächlichste Veranlassung zu einer Mißstimmung der Beamten und des Volkes gegen ihn, welche nach und nach immer bitterer ward. Er duldete nicht den mindesten Widerspruch mehr, ja selbst Vorschläge seiner Beamten waren ihm unangenehm und er wies oft selbst die bestgemeinten abstoßend zurück, weil es ihn verdroß, daß irgend etwas Angemessenes nicht lediglich von ihm ausgehen sollte.

Hierzu kamen aber noch seine Leidenschaften: Jagd, Pferde, Wollust, Reisen und die daraus entspringende Verschwendung und ungeregelte Lebensweise. Die Jagd trieb er mit so großer Passion, daß schon seit Jahrzehnten die lautesten Klagen über unmäßigen Wildstand und daher rührende Schäden auf den Feldern etc. erschollen waren. Es wurden bedeutende Wildschäden bezahlt, oft bis zwölftausend Thaler jährlich (was für ein Ländchen von sieben und einer halben Quadratmeile aller Ehren werth ist!) und doch blieben noch Viele unentschädigt. Zudem wurden die Entschädigungen nicht nach Maßgabe des Schadens, sondern ganz nach des Fürsten Willkür vertheilt und als Gnadengeschenke betrachtet, so daß, um Entschädigung zu erhalten, der Schaden nicht allein, sondern auch die fürstliche Gunst vorhanden sein mußte. Die Schäden in Hölzern und auf Wiesen wurden gar nicht vergütet. Ein Gutsbesitzer in Heinersdorf ist durch diese Calamität aus einem sehr wohlhabenden nach und nach ein armer Mann geworden. Was bei Jagden zertreten und verdorben ward, blieb auch ohne Entschädigung, wohl aber ließ der Fürst, wenn ein Bauer einmal darüber murrte, den Unzufriedenen gleich in seiner Gegenwart mit der Hundepeitsche oder doch mit Ohrfeigen regaliren. Er baute und richtete das Jagdschloß Waidmannsheil mit einem Aufwande von achtzigtausend Thalern ein. In Ebersdorf werden in den Galerien des Schlosses mehr als dreihundert Hirschgeweihe gezeigt, deren jedes eine Tafel mit dem Datum des glücklichen, vom Fürsten gethanen Schusses trägt.

Für die Pferde, deren er stets gegen dreißig hielt, ließ er in Ebersdorf mit großen Kosten einen prächtigen Stall erbauen. Als derselbe fertig war, überlegte erst der Fürst, daß das Gebäude zu weit vom Schlosse entlegen sei, und dieses ist daher nie benutzt worden. Seine triste Lebensweise – er stand gewöhnlich nicht vor zwölf Uhr Mittags auf, hatte mit Niemand Umgang und zu Niemand Vertrauen, wie denn auch zu ihm Niemand ein Herz hatte – mochte wohl hauptsächlich Veranlassung sein, daß er Zerstreuung in Reisen suchte. Sein Souverainetäts-Hochmuth aber duldete nicht, daß er diese Reisen einfach machte, er reiste stets en grand seigneur und man versichert, daß einzelne Reisen bis zu fünfzigtausend Thalern Aufwand gemacht haben sollen. So gerieth er in ansehnliche Schulden. Möglich auch, daß seine Dienerschaft ihren Vortheil gut verstand.

Sein äußeres Ansehen entsprach durchaus nicht mehr den Portraits, welche ich früher von ihm gesehen hatte. Es waren in seinem Gesicht noch Spuren schöner Züge vorhanden, aber sie versteckten sich in tiefen Furchen und unter einem wild herabhängenden Haupthaare. Er gewährte eher das Bild eines Kosaken-Hetmann, als eines deutschen Fürsten. Sein Gehör hatte abgenommen und hätte eine Unterhaltung mit ihm etwas beschwerlicher gemacht, wenn er nicht dieselbe großtentheils allein zu führen gewohnt gewesen wäre. Selbst bei der längsten Unterredung pflegte er sich nicht zu setzen, sondern stellte allenfalls einen Fuß auf einen Stuhl, um auf dessen Lehne den Schenkel zu stützen. Seine Reden waren häufig pathetisch, auch liebte er, kräftige Floskeln als Schlaglichter oder als Einwürfe hinzuwerfen. Sein Benehmen, wenigstens gegen mich, war sehr artig und beruhte auf dem sichtlichen Streben, zu gewinnen. Uebrigens hörte ich, daß er fortwährend den Souverain zu spielen suchte, z. B. seinen Dienern Arrest gab, obschon er seit dem April nicht mehr sein Land beherrschte, sondern in Stadt Wien zu Dresden lebte.

Unsere erste, sehr kurze Entrevue fand im Herbst bei einem Concerte in der Loge statt. Bei einer späteren Zusammenkunft fing er mit einem Danke für meine Bemühungen in seinem ehemaligen Fürstenthume während des vorigen Sommers an, den ich ablehnte, ging auf des Ministers O. Handlungsweise über, die er tadelte und ich in Schutz nahm, sprach viel von der Liebe, welche er von der großen Mehrzahl seiner Unterthanen noch heute genieße, worüber ich seine Ansicht zu berichtigen suchte, und raisonnirte heftig auf das eigenthümliche Regierungsverhältniß, welches ihn mit seinem Vetter von Schleiz in die Lage des siamesischen Zwillingspaares versetzt, jede freie Bewegung gehemmt und in den Fall gebracht habe, daß er – wie Peter Schlemihl keinen Schatten[WS 1] – seinerseits keinen Reflex seines Innern, keinen Charakter, habe aufweisen können. Er sprach den Vorsatz aus, die Mit- und Nachwelt über seinen eigentlichen Charakter als Regent aufzuklären und zwar durch Veröffentlichung derjenigen Abstimmungen, welche er in Verfassungssachen abgegeben habe und aus denen der Beweis geliefert werden würde, daß er schon seit achtundzwanzig Jahren „radical“ gewesen sei.

[808] Diesen seinen Radicalismus betonte der Fürst öfters und nachdrücklichst. Auf einmal sagte er aber auch, er sei ein großer Freund der Säbelherrschaft. Ich erwiderte lächelnd, das käme aber wohl nicht mit in das Buch von seinem Radicalismus? – Es gelang mir nicht ohne Mühe, mich endlich loszumachen, und ich nahm keinen angenehmen Eindruck von dieser Conferenz mit mir. Wahrscheinlich hatte ich auf den Fürsten auch keinen besseren gemacht!


  1. Die nachstehenden interessanten Mittheilungen aus den Denknissen eines höheren sächsischen Beamten werden zu Ergänzung unserer Skizze „Der Beherrscher eines deutschen Kleinstaates“ in Nr. 38 unsers Blattes dienen.
    D. Red.
  2. Daß auch seine eigene Familie davon nicht verschont blieb, beweist der Umstand, daß er gegen den Schleizer Fürsten unbedenklich sagte: „Die Verheirathung dessen Bruders mit seiner (des Ebersdorfer Fürsten) Schwester sei für Letztere eine Mesalliance!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ von Adelbert von Chamisso